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Mittwoch, 7. März 2018

Avers - Bloody Mary (M8, 300m, Erstbegehung)

Am Thron (1,2), dem bekanntesten und besten Eisfall der Ostschweiz, herrschten Anfangs Februar 2018 perfekte Bedingungen. So liessen sich auf den Social Media zahlreiche, anmächelige Bilder bestaunen. Oft zeigten diese viel Andrang auf der Hauptlinie... und jenen Eiskletterern mit der entsprechenden Fantasie eine neue Möglichkeit. Links der Headwall gab es ganz offensichtlich das Potenzial für eine attraktive Mixedlinie. Mit ein wenig Felskletterei würden sich viele eisige Meter verbinden lassen. Dies wollten Dani und ich probieren, so machten wir uns in einer Herrgottsfrühe auf Richtung Avers, um auf jeden Fall in der Pole Position zu sein. Wie man schon dem Titel entnehmen kann, gelang uns die Neutour - nicht jedoch völlig frei von störenden Einflüssen. Aber gehen wir die Sache im Detail an...

Gesamtübersicht vom Parkplatz auf den Thron und unsere neue Variante, die Bloody Mary.
Als wir um 6.30 Uhr noch bei völliger Dunkelheit ins Avers hineinfuhren, waren die einschlägigen Eiskletter-Parkplätze noch alle verwaist. Erleichtert machten wir bei der Parkbucht vis-à-vis vom Thron halt, auch hier war noch niemand zugegen. Wir schirrten uns auf, nebst dem Material zum Eisklettern musste auch noch die Ausrüstung für eine Erstbegehung im Fels mit. Eben als wir zum Aufbruch bereit waren, fuhren zwei Fahrzeuge mit italienischen Kennzeichen heran. Wir schätzten, dass wir gegen 30 Minuten Vorsprung hätten, damit sollte die Sache ja eigentlich gegessen sein, würde man jedenfalls meinen... Wir machten uns an den kurzen Zustieg. Vom letzten Mal hatte ich noch die kritische Bachüberquerung und eine heikle, dünn vereiste Stufe danach im Kopf. So wie wir die Situation dieses Mal antrafen, hätte ich mich auch gefragt, was der Dettling da für komisches Zeugs auf seinem Blog schreibt. Das Bachbett war ca. 20m hoch (!!!) mit Lawinenschnee überdeckt, so konnte der Averser Rhein im Spaziergang überschritten werden und von der damals heiklen Stufe war rein gar nichts zu sehen. Wenige Minuten später waren wir am Einstieg.

Auf geht's! Drei lange Seillängen (180m WI3) über den Thron bringen einen zum eigentlichen Start der Route. 
Die ersten Seillängen, d.h. den für Experten "mässig steilen" Zustieg, wollten wir am langen Seil mit ein paar Ropeman als Rücklaufsicherung hinter uns bringen. In der Tat wären es bis zum Abzweig unserer Linie 3 lange Seillängen und damit gegen 180m mit Schwierigkeiten bis WI3 - zu Beginn der mittleren Seillänge reichte die Steilheit des Geländes über einige Meter an die Senkrechte heran. Ich verstehe dieses Terrain jetzt nicht unbedingt als "fortgeschrittenes Gehgelände", aber prinzipiell klappte die Simultanstrategie recht gut. Die schwer beladene Dauerkletterei mit 2x60m-Seil im Schlepptau war im Vorstieg ziemlich anstrengend. Und für den Nachsteiger besteht beim gemeinsamen Klettern im Eis halt unweigerlich die Gefahr, unbemerkt eine Scholle abzukriegen. So passierte es denn auch und ein blutiges Kinn war leider die Folge. Schlussendlich war ich aber in einer Stunde doch einigermassen zügig am Beginn der senkrechten Kletterei angekommen und konnte einen Stand in die Felsen bohren. Während es derzeit möglich gewesen wäre, die erste Seillänge unserer Route links über eine dünne, jedoch kaum absicherbare Eisschicht auf den plattigen Felsen zu klettern, so hatte das vorgängige Studium von Fotos aus vergangener Zeit gezeigt, dass dies nur sehr selten realistisch ist. Somit wollten wir hier den Diagonalweg durch den Fels links hinauf wählen. Dieser dürfte in den meisten Jahren realisierbar sein und erreicht mit 10m Felskletterei (ca. M6+, 1 BH, 1 NH) die Stelle, wo in der Regel genügend Eis vorhanden ist.

Luis Trenker (oder wie der schon wieder heisst...) packt die erste neue Länge mit einer Stelle im Bereich M6+ an.
Wildes Treiben im Thron nebenan. Insgesamt 7 Seilschaften waren gleichzeitig aktiv, kletterten Kreuz und Quer und bewarfen sich gegenseitig mit Eisschollen. Ich stelle mir die Frage, warum man solch komplett unverantwortliche Risiken eingeht und hier anderen Seilschaften folgt?!? Es fällt nun wirklich ständig Eis runter und ein Volltreffer führt garantiert mindestens zu ernsthaften Verletzungen. Macht Eisklettern auf diese Art und Weise wirklich Spass? Für uns war dieser Andrang kein Faktor. Wir meisterten den Einstieg über den Thron als erste Seilschaft, danach ist man auf unserer Route vor Eisschlag aus dem Thron geschützt.
So weit, so gut. Während Dani im Vorstieg die Felsen meisterte, rückte hinter uns ein Team von Italienern an. Der Leader erklärte, dass sie hier diese Erstbegehung hätten machen wollen, er hätte in seinem Rucksack auch eine Bohrmaschine dabei. Nun ja, was soll man da sagen ausser "Pech gehabt, wer zuerst kommt, mahlt zuerst!". Doch nein, er war überzeugt, hier hinter uns auch noch seine Erstbegehung machen zu wollen (gewisse Kenntnisse in Italienisch sind definitiv von Vorteil, umso mehr wenn diese den Schweizern nicht zugetraut werden ;-)). Also schickte der Capo seinen Soldat in die Schlacht - er hiess ihn, die Felsstelle über die dünne Glasur zu umgehen, auf Sicherungen zu verzichten um so irgendwie zu einem Überholmanöver ansetzen zu können. Dass der Junge dabei völlig unzureichend gesichert war und sich zudem mitten im Eisschlag von meinem Vorsteiger befand, schien nichts auszumachen - wie im Krieg, da zählen höhere Ziele. Jedenfalls, das Überholmanöver war natürlich eine Utopie und noch nie habe ich auf den Hunderten von Ausflügen in die Berge eine dümmere Aktion erlebt - noch dazu war das ja nicht Unwissenheit oder Negligence, sondern volle Absicht von einem, der es eigentlich genau weiss. Nach der felsigen Passage und etwas moderatem Eis folgt eine senkrechte Stelle an einer mageren Kerze (~WI5). Die Basis der Kerze war sehr dünn, so dass nebenan 1 BH im Fels für Sicherheit sorgt. Nach 7-8 Metern flacht's wieder ab und man erreicht gerade hinauf den Stand an 2 BH.

Bereits am Abseilen. Im Vordergrund die Mixed-Stelle in der ersten neuen Länge, der Kletterer befindet sich beim Eisteil.
Blick vom Stand auf den Eisteil der zweiten neuen Seillänge (WI5+, M8).

Wir machten uns auf in die nächste Länge. Die ersten, eisigen 25m sind +/- senkrecht, lassen sich aber gut klettern (~WI5+). Die Crux folgt jedoch danach, der überhängende Felsriegel will überwunden werden - zusätzlich dazu noch mit der Unsicherheit, was danach oberhalb im plattigen Gelände warten würde. Die offene Frage war ein Stück weit, wo der Fels am besten angegangen würde, mehrere Varianten schienen offen. Wir wählten schlussendlich die höchstmögliche. Hier gibt's erst ein paar Hooks an einem feinen Riss hinauf, dann folgt eine delikate Querung nach rechts. Weit draussen lässt sich ein Sloper anhechten, was mit blossen Händen freilich deutlich besser geht wie per Eisgerät. Nun gilt es nur noch, sich ausreichend zu stabilisieren und aus einem Schulterzug, den Frontzacken auf winziger, abschüssiger Leiste, das Gerät in einem Torfbüschel zu verankern. Der Mantle hinauf zum Stand ist dann auch noch nicht von schlechten Eltern. Die Stelle ist mit 2 BH gut abgesichert, aber dennoch zwingend zu meistern. Zu bewerten ist diese Mixedkletterei wirklich nicht ganz einfach - wir würden die Anforderungen so grob einmal auf ~M8 einschätzen. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass Wiederholer nach uns die Stelle komplett mit den Eisgeräten kletterten, das ist also definitiv auch möglich. Die Italiener hinter uns? Sie hatten nicht klein beigeben wollen und sich ohne Rücksicht auf Verluste in unsere Falllinie begeben. Sie bohrten 10m weiter unten eine Traverse mit 4 BH ein, welcher ein Runout zum Eis der Thron Headwall folgt. Frei geklettert soll sich jener Abschnitt im Bereich M7+ bewegen, die Crux kann A0 entschärft werden.

Blick beim Abseilen auf die zweite neue Länge. Das Eis ist im Bereich WI5+, das felsige Dach ist für ca. M8 zu haben.

Close-up von der Crux. Der Bolt sorgt für Sicherheit. Der Fels ist gut, aber auch kompakt und geschlossen.
Unsere dritte Seillänge führt durch eine grasig-felsig-eisige Verschneidung hinauf. Witzig zu klettern, wegen dem wenig strukturierten Eis war es schwieriger, wie es von unten aussah (~M5). Nach etwa 15m trifft man auf den Eisschild, über welchen man hinauf zu Stand an einer Fichte klettert (~WI4). Es folgt noch eine weitere Seillänge in einfachem Eis (~WI2), bis man oberhalb auf flaches Gelände trifft. An den Felsen befindet sich nun ein Stand mit 2 BH, von welchen sich bequem Abseilen lässt. Somit war unser Plan bis auf das absurde, italienische Störmanöver perfekt aufgegangen! Die Abseilerei ging ob dem sehr steilen Gelände mühelos. Ein Manöver zum vorletzten Stand, ein weiteres zu jenem am Beginn der Schwierigkeiten. Von dort muss man weitere 3x zum Einstieg abseilen (in der Mitte 1x Abalakov nötig, für das letzte Manöver gibt's orografisch rechts an den Felsen einen BH-Stand, von welchem aber mit 2x60m-Seilen die untersten 10m zum Einstieg abzuklettern sind). In wenigen Minuten waren wir zurück beim Automobil und konnten die Ausrüstung ablegen. Noch immer waren im Thron einige Seilschaften damit beschäftigt, sich gegenseitig mit Eis zu bewerfen. Wir indessen konnten gemütlich und mit Freude über die Erstbegehung nach Hause tuckern. Zwei Dinge allerdings trübten unsere Stimmung etwas: einerseits das respektlose, dumme und äusserst gefährliche Verhalten der Italiener, andererseits die noch immer blutende Schramme am Kinn, welche schliesslich sogar ein paar Stiche brauchte. Aber da die negativen Begleitumstände mit der Zeit in der Hintergrund rücken, werden wir Monate oder Jahre später sicher mit Stolz und Begeisterung auf unser Projekt zurückblicken.

Yehaa, das Top der neuen Route ist erreicht. Der Ausstieg befindet sich etwas höher wie jener vom Thron.

Das Abseilen, v.a. die Länge über das grosse Dach, ist sehr luftig!

Facts

Avers - Bloody Mary ED III M8 WI5+ - 7 SL, 300m - ****; xxx
Material: 2x60m-Seile, 8-10 Eisschrauben, evtl. Ropeman für L1-L3

Interessante Variante zum grossen Avers-Klassiker Thron, welche im Eis nicht schwieriger als das Original zu klettern ist. Die Hauptschwierigkeiten stellen 2 kurze, felsige Passagen dar, welche in kreativer Mixed-Technik überlistet sein wollen. Diese sind gut mit BH abgesichert, erfordern aber auch ein paar zwingende Kletterzüge. Mobiles Sicherungsmaterial lässt sich dort kaum einsetzen. Die Kletterei auf der Variante darf man als objektiv sicher bezeichnen. Ab dem Abzweig der Bloody Mary ist man auch nicht mehr vom Eisschlag aus der Thron-Headwall betroffen. Hingegen ist auf den Zustiegslängen über den Thron die nötige Vorsicht angezeigt, auch in Bezug auf Lawinen! Das Einzugsgebiet ist riesig, so dass auch bei wenig Neuschnee schon bedeutende Spindrifts abgehen können - um von grösseren Lawinen gar nicht erst zu sprechen. Die enormen Schneemassen, welche sich im Februar 2018 unten im Bachbett befanden, sprechen Bände. Konkret: herrscht Stufe 3, so sind weder der Thron noch die Bloody Mary zu verantworten.

Topo zur Bloody Mary. Man kann es auch als PDF in voller Auflösung mit besserer Druckqualität herunterladen.

2 Kommentare:

  1. Gratulation von der anderen Schweizer Seilschaft. Habe leider nur ein Bild vom Italiener. Ihr ward da seht gut hinter den Felsen versteckt.

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  2. Bei einem Wiederholungsversuch am 26.1.2019 sind an der Schlüsselstelle Hooks und Tritte ausgebrochen, siehe hier.

    Wir haben die Stelle bei der Erstbegehung ohne den ausgebrochenen Block geklettert, da uns dieser suspekt war. Wegen den vielen Leuten unterhalb konnten wir ihn jedoch nicht entfernen, er gefährdet(e) die ganze Bloody Mary sowie die Einstiegslängen vom Thron. Die ersten Wiederholer haben den Block dann zum Hooken benutzt, damals blieb er an Ort und Stelle. Jedenfalls geht die Stelle auch ohne den Block in freier Kletterei.

    Der ausgebrochene Tritt ist unter Umständen problematischer. Irgendwo dort sind wir vermutlich auch angetreten. Aufgrund der Fotos ist aber keine genaue Einschätzung möglich. Mit genügend Power sollte es aber eigentlich schon gehen.

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