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Montag, 28. Mai 2018

Handegg - Fair Hands Line (6a)

Bei der Fair Hands Line handelt es sich um einen der grossen Felsklassiker der Schweiz, bereits anno 1978 erstbegangen durch den Plaisir-Pionier Jürg von Känel mit Martin Stettler. Auch heute noch erfreut sich die trotz moderaten Schwierigkeiten imposante und abwechslungsreiche Linie am Pfeiler der Hangholzegg einer grossen Beliebtheit. Absolut zurecht ist sie in modernen Auswahlführern wie dem Plaisir Sélection oder den Modernen Zeiten aufgeführt. Dennoch war mir die Fair Hands Line bis dato noch unbekannt. Damit es genau jetzt zu einer Begehung kam, hat verschiedene Gründe.

Grimsel Style: Kraftwerke, Granitplatten und Runouts, wo ein Runterfallen wenig empfehlenswert ist.
Erst kürzlich flammte im Internet die Diskussion auf, ob die Route noch zeitgemäss abgesichert sei. Dies rief mir wieder einmal aktiv in Erinnerung, dass hier noch eine Lücke in meinem Palmares zu finden war. Ein eher unwichtiger Faktor eigentlich... doch als dann kurz darauf eine Route gesucht war, wo sich mit Frau und Tochter ein vergnüglicher MSL-Tag verbringen liesse, da war der Gedanke an die Fair Hands Line naheliegend. Kurzer Zustieg, granitige Kletterei, für die Tochter herausfordernde, aber machbare Länge und Schwierigkeit und auch für den Vorsteiger war etwas Spannung und Nervenkitzel garantiert - ideal! Nicht zuletzt kam noch hinzu, dass wir diesen Pfeiler im Sommer 2009 schon einmal zu dritt erklettert hatten, damals via die Mummery (6b+). Dereinst in Utero, heute auf eigenen Füssen - wie sich die Zeiten doch ändern!

Hangholzegg. Aus dieser Perspektive ein 'Dome' wie er fast im Yosemite stehen könnte!
Während die Prognosen mit einigen Tage Vorlauf grandios aussahen, so waren dann vor allem die Textwetterberichte je näher das Ereignis kam, desto pessimistischer. Die Wettermodelle zeigten jedoch am Grimsel sehr eindeutig schon etwas föhnigen Einfluss und ein geeignetes Fenster, somit wollten wir es probieren. Das ging schliesslich perfekt auf und wies darüber hinaus noch den grossen Vorteil auf, dass wir im ganzen Gebiet der Handegg die einzigen Kletterer waren. In einer Route, wo an Sommer-Weekends Grossandrang oder sogar Stau herrscht, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Ebenfalls zu Gute kam uns, dass der Grimselpass noch geschlossen war. So liess sich die Kletterei noch in Bergstille ohne Motorradgeknatter geniessen. Auch sonst waren die äusseren Bedingungen perfekt. Sehr sonnig, aber nicht heiss, schneefrei und trocken - was will man noch mehr?!? Nachdem wir den 15-minütigen Zustieg hinter uns gebracht hatten, stiegen wir um 11.00 Uhr mit den ersten Sonnenstrahlen ein.

L1, 5b: Kurz und zuerst einfach, die Stelle am zweiten Bolt ist dann jedoch für 5b ein ziemlich heftiges Boulderproblem und dazu noch etwas grössenabhängig. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber meine Tochter konnte diese Moves im Nachstieg tatsächlich sauber ziehen. Obwohl ich ihr dabei genau zugesehen hatte, kann ich mir immer noch nicht richtig vorstellen, wie sie das gemacht hat. Ganz offensichtlich war da jemand mit einer extragrossen Portion Motivation und Auftrieb angereist :-)

L2, 6a: Zügige Länge mit eher plattig-glattem Charakter. Auf dem nicht ganz trivialen Weg zum ersten Bolt besser nicht stürzen, danach zu einer vertrackten Plattenkante mit kniffliger Reiberei. Im Anschluss stecken die  Bolts dann ein wenig im Schilf (d.h. abseits der logischen, einfachsten Kletterlinie, welche sich auch ideal mobil absichern lässt). Zuletzt dann einfacher zum unbequemen Stand. Wenn er nicht belegt ist, so ist jener der Mummery 3-4m rechts oben deutlich kommoder.

Die Route beginnt plattig, ja sogar fast etwas herb. Weiter oben wird's dann fantastisch griffig. Hier das Ende von L4 (5c+).
L3, 6a: Nach meinem Empfinden die schönste Seillänge. Athletisch-steile Turnerei an Rissen, griffigen Schwarten und Verschneidungen, so macht's Freude. Noch dazu könnte man die ganze Seillänge mobil absichern (jedoch nicht nötig, da Bolts vorhanden). Ich fand's doch einen ganzen Zacken einfacher wie L2. Eher schmaler und etwas unbequemer Stand am Ende.

L4, 5c+: Die schwierigsten Moves gleich zu Beginn aus dem Stand raus. Danach geht's immer geradeaus in einfacher werdender Kletterei. Griffig und genussvoll, 'ça deroule', es geht zügig vorwärts (siehe Foto oberhalb, das sagt wohl alles!).

Aussicht vom Stand nach L4 auf die bevorstehende L5 (5b). Super Kletterei an den griffigen Rillen!
L5, 5b: Kurze, aber sehr schöne Seillänge, die an griffigen Strukturen etwas nach links aufwärts zu einem endlich wieder einmal richtig geräumigen und bequemen Standplatz führt.

L6, 5b: Es folgt ein 10-15m langer horizontaler Quergang nach rechts zu einem Klebehaken. Dort dann gerade hinauf zu ein paar Moves bei einem alten Ringhaken, die genaueres Hinschauen erfordern. Schliesslich in easy Kletterei zum Stand, den man sowohl nach 30m beim Doppelhaken wie auch nach 45m am Muniring einrichten kann.

Mrs. Easy Peasy am Ende von L6 (5b) - Platten jeglicher Art und Schwierigkeit werden im Affenzahn erklettert.
L7, 4c: Die einzige Schwierigkeit besteht in wenigen Zügen (links oder rechts möglich) gleich nach dem Muniring. Danach gemütliche Kletterei in sehr schönem Fels, sogar eine Sanduhr ist zu finden (was im Granit ja doch eher selten der Fall ist!).

L8, 5b: Über eine plattige Wandstelle zu (unnötigem, man könnte dort schon ideal legen) BH, der sich zu Beginn von einem sehr schönen, cleanen Riss befindet. Ein paar Klemmgeräte legend und Fingerklemmer platzierend geht's genussvoll auffi. Das Finish dann easy dafür Runout zum Stand.

Super schön strukturierter Fels (kommt auf dem Foto nicht so zur Geltung) am Ende von L7 (4c).
L9, 6a: Achtung, man verkoffere sich nicht direkt hinauf in die 6b+ der Mummery. Um die Kupferplatte zu klettern, hält man sich vom Stand über ein Band ein paar Meter nach rechts. An einigen Schuppen (Cams legen!) hinauf. Nun folgt eine weitere Cruxsequenz der Route, einer diagonalen Rissspur nach rechts oben folgend. Sehr schön! Stand gemeinsam mit der Mummery auf einem Latschenband.

L10, 5a: Die Fair Hands Line führt rechts direkt durch die Wand (die linke Linie ist die Mummery). Nochmals sehr schöne Kletterei in strukturiertem Fels, vermutlich eher ein bisschen schwieriger wie 5a?!? Zuletzt dann plattig und easy aber Runout zum Ausstieg.

5a = Wanderweg, so lautet wohl das Motto. Kurz vor dem Routenende, die erste Hälfte dieser Länge ist dann allerdings schon noch ein ganzes Stück schwieriger wie die letzten Meter, jedoch nochmals super strukturiert.

Ein paar Minuten nach 15 Uhr hatten wir nach rund 4:00 kurzweiligen Stunden der Kletterei den Ausstieg erreicht. Das war jetzt für mich natürlich nicht die grosse Herausforderung gewesen, aber trotzdem eine sehr genussreiche Sache. Für den Rest der Familie hatte es ebenso gut gepasst. So lagerten wir in aller Ruhe etwas die Beine hoch, genossen die Sonne und nahmen einen Vesper, bevor wir uns auf den Rückweg machten. Dieser führt horizontal querend nach rechts (im Aufstiegssinn), nicht den Verhauern nach links oben folgen. Hier und da ein bisschen kraxelnd erreicht man nach rund 10 Minuten die Geleise der Gelmerbahn. Nun sind's nur noch gegen 2000 Treppenstufen zurück zur Talstation. Die Neigung an der steilsten Stelle beträgt über 45 Grad - immer wieder eine eindrückliche Sache! Zuletzt verbleibt noch die kürzlich heiss diskutierte Frage nach einer Sanierung. Meine Meinung:

  • Die schwierigen Stellen sind alle mit grundsoliden Klebehaken gut geboltet, >5c muss man sicher nirgends mehr als 2m über einem Bohrhaken klettern. An den einfacheren Stellen gibt's hingegen tatsächlich weite Runouts mit Gefahrenpotenzial, die oft nicht (oder nicht zuverlässig) mobil zu entschärfen sind. 
  • Unter der Prämisse, dass man keine mobilen Sicherungen legt und die Abschnitte in einfacherem Gelände sicher (d.h. sturzfrei) klettern kann, stecken die Bolts am richtigen Ort. Wer's drauf hat und ein bisschen bold ist, braucht nicht mehr als ein paar Exen. Ob's die ideale Prämisse ist, ist natürlich sehr diskutabel.
  • Es stecken immer wieder Bolts an Stellen, wo man sehr gut mobil sichern könnte. Man könnte wohl 50% der Bolts entfernen und die Route würde weder gefährlicher noch psychisch wesentlich anspruchsvoller (mal von der Tatsache abgesehen, dass man dann an zuverlässigen mobilen Sicherungen statt Bolts klettert). Irgendwie schade, dass die Route nicht in diesem Stil eingerichtet ist. War sie es zur Zeit der Erstbegehung überhaupt?!? Das Topo im Schweiz Plaisir von 1992 zeigt nicht wesentlich weniger fixe Sicherungen wie heute.
  • Mir scheint es am sinnvollsten, die Route so zu belassen, wie sie sich heute präsentiert (an einigen Stellen wäre noch der alte, immer noch steckende Grümpel sauber zu entfernen). Es ist keine Plaisirroute modernen Zuschnitts, jedoch auch kein Harakiri.
  • Wenn man konsequent sein wollte, so könnte man sogar noch einen wesentlichen Teil der Bohrhaken entfernen. Nicht wenige davon stecken unmittelbar neben perfekten, sicheren Placements. Ob man diese 'eingesparten' Bolts dann an den einfacheren, nicht gut absicherbaren Stellen wieder platzieren soll?!? Wohl irgendwie auch nicht zwingend nötig.
  • Die Route voll mit kurzen Abständen durchzubolten scheint mir wenig sinnvoll. Es gibt ja in unmittelbarer Nähe genügend Routen in diesem Stil. Am Pfeiler selber kann man ansonsten die ein wenig schwierigere, mit deutlich mehr Haken ausgestattete Mummery erklettern (welche sich seit unserer Begehung anno 2009 auch schon mit einer Nachrüstung auseinander setzen musste, sie war schon damals gut gesichert).
Haken hin, Haken her, der Abstieg über die Treppe der Gelmerbahn ist jedesmal wieder eindrücklich!
Facts

Handegg - Fair Hands Line 6a (5c+ obl.) - 10 SL, 355m - von Känel/Stettler 1978 - ****;xxx
Material: 1x50m-Seil, 10-12 Express, Camalots 0.3-1

Grosser Klassiker des Schweizer Sportkletterns, der bereits 1978 erstbegangen wurde und auch heute noch sehr lohnende Kletterei bietet. Für Grimselverhältnisse wird einem ein steiles und abwechslungsreiches Menü geboten. Platten, Risse und viele griffige Schuppen bieten hohen Klettergenuss, reine Schleicherei kommt nur sehr selten vor. Die Route wird im Plaisir als "soso" abgesichert bezeichnet. Ich würde eher zu "gut" (d.h. xxx) tendieren. Die schwierigen Stellen sind definitiv gut eingebohrt, in einfacheren Passagen gibt's hingegen hin und wieder weite Abstände, wo man über 20m weit stürzen und sich arg wehtun könnte. Da muss man einfach darüberstehen und sicher klettern. Es empfiehlt sich, ein Set Camalots von 0.3-1 mitzunehmen. Diese kommen jedoch nur punktuell zum Einsatz. So stecken leider neben perfekten Placements Bohrhaken und dort wo die Abstände weit sind, lässt sich dann nur selten etwas unterbringen. Ein Abseilen/Rückzug über die Route ist von überall her problemlos möglich (2x50m-Seil erforderlich). Der originelle und rasche Fussabstieg ist aber natürlich die Methode der Wahl, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Das beste Topo findet man im Plaisir Sélection, den man z.B. bei Bächli Bergsport erwerben kann.

2 Kommentare:

  1. Hoi Marcel, noch ein Punkt, den dir wahrscheinlich nicht aufgefallen ist: Der Fussabstieg entlang der Bahn ist irgendwie psycho, wenn die Bahn fährt. Wenn dir die Bahn entgegenkommt, da wo das Foto aufgenommen wurde, dann musste dich wirklich an den Fels pressen und hoffen dass kein Passagier irgendwas aus der Bahn raushängen lässt. Zudem frage ich mich, ob und wie lange der Fussabstieg entlang der Geleise eigentlich noch toleriert wird.
    Wir waren damals einfach zur Bergstation hochgestiegen (erfordert aber das Übersteigen des Zugseiles der Bahn, was auch heikel sein kann, wenn die Bahn in Bewegung ist). Dünkt mich aber insgesamt sicherer als der Fussabstieg.
    LG, Jonas

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    1. Hoi Jonas,

      Die Bahn war tatsächlich in Betrieb und hat uns beim Abstieg 2x passiert. Wir haben ein wenig acht gegeben und haben an Stellen gewartet, wo genügend Platz um auf die Seite zu stehen vorhanden war. Aber schon richtig, an den engsten Stellen muss man wirklich aufpassen und sich im Falle des Falles auf die Seite pressen. Wir wurden vom Personal übrigens freundlich aufgenommen - die Fahrerin hat unserer Tochter am Schluss sogar für die Begehung der Fair Hands Line gelobt und ihr dazu gratuliert. Daher hoffe ich, dass die Sache mit dem Abstieg einigermassen entspannt gesehen wird. Wir Kletterer sind hier aber sicher nur geduldet und können mit entsprechendem Verhalten dafür sorgen, dass dies auch so bleibt.

      Lg, Marcel

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