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Montag, 14. Juli 2025

Handegg - Badwannä-Tango (6b+)

Die Route Badwannä-Tango verläuft in der arsch- oder (weniger vulgär) eben spiegelglatten Spiegelwand und wurde im 1989 von Bruno Müller und Hans Zgraggen in äusserst kühner Manier mit minimaler Absicherung eröffnet. Jahrzehnte später war kaum mehr jemand gewillt, solche Risiken für eine Wiederholung einer No-Name-Reibungsroute einzugehen und sie fiel in völlige Vergessenheit. Neu zum Leben erweckt wurde sie durch die Sanierung der Gebrüder Müller im 2023. Dabei wurden im Vergleich zum Originalzustand viele zusätzliche BH platziert. Damit kann man heute von einer (fordernden!) Plaisirtour sprechen - für meinen Geschmack ist der Tanz auf dem glatten Parkett aber immer noch eine sehr aufregende Sache, welcher laufend für Adrenalinausstösse sorgt.

Blick auf die Spiegelwand, drei Minuten vor Erreichen des Einstiegs. Für den Routenverlauf konsultiere man das Topo von Erschliesser Bruno Müller. Aus dieser Perspektive ist zwar der Grossteil der Route einsehbar. Die Linie wäre aber arg verzerrt und nicht repräsentativ, deshalb verzichte ich an dieser Stelle lieber darauf.

Weil bei der Kraftwerkzentrale der KWO ein neuer Stollen gebaut wird, ist der übliche Zustieg von ebenda im Sommer 2025 gesperrt. Der kürzere, bessere und einfacher zu findende Alternativweg ist jener vom Bügeleisen-Parkplatz (P.1289). Man geht kurz der Strasse entlang wieder talwärts, nimmt dann eine Fuhre rechterhand auf und nutzt die Brücke, um den Fluss zu queren. Klar sichtbare Wegspuren führen erst durch Blöcke hindurch, dann die Höhe haltend ca. 100m nordwärts, bevor man über Wiesland aufwärts geht und schliesslich ein trockenes Bachbett erreicht, welche zu den Felsen (Einstieg der Route Chamäleon) führt, siehe Karte unten. Wir hatten keine Orientierungsprobleme und gelangten zügig dahin, das Gelände bietet aber durchaus die Möglichkeit, sich ins Blockchaos oder einen  krautigen Dschungel zu verkoffern.

So verläuft die Zustiegsvariante vom Bügeleisen-Parkplatz P.1289. Karte: map.geo.admin.ch

Vom Fuss der Felsen (die man "normal" von rechts her erreicht), steigt man über eine Felsstufe mit Fixseil ca. 30m hinauf, bevor man auf Wegspuren ein kleines Wäldchen durchschreitet. Bei dessen Ausgang linkshaltend hinauf. In einer felsigen Zone quert man die wasserführende Rinne. Falls im Frühjahr noch Schneereste in dieser liegen, kann dort Lawinen- bzw. Eisschlaggefahr herrschen. Man kann die Stelle jedoch zügig überqueren (Ohren spitzen!). Jenseits geht's dann über Geröll hoch zum Einstieg am Fuss der markanten Verschneidung. Es ist derselbe Ort wie für die Herrenpartie, der mir natürlich bekannt war, weil ich diese Route 5 Jahre zuvor mit Larina geklettert hatte. Um 11.45 Uhr hatten wir uns mit reichlich Sonnencrème eingeschmiert und auch sonst alles parat, es konnte losgehen.

L1, 35m, 5c: Auf los geht's los, und dies unmittelbar rechts der Verschneidung gleich mit zwei fordernden Sektionen auf glatter Reibung. Der erste Haken steckt hoch, der zweite ebenso. Man muss parat sein und die Sache hat das Flair von einem Eintrittstest. Oben geht's dann etwas einfacher einer kleinen Verschneidung entlang, am Ende zieht man nach links zum Stand der Herrenpartie.

Trotz "nur 5c" fordert schon die Startlänge richtig. Das nachfolgende Team macht sich für den Sohläblitz bereit.

L2, 40m, T4: Über krautige Bänder quert man nach rechts. Sichern kann man nicht, dies ist jedoch auch nicht nötig, weil das Gelände problemlos begehbar ist. Es gilt, den richtigen Punkt für die Fortsetzung zu identifizieren. Sehr schwierig ist das nicht. Am rechten Ende der grasigen Bänder, wo nur wieder deutlich felsigeres Gelände in die wasserführende Rinne rechts führen würde, steckt ein einzelner BH mit Austrialpin-Lasche um Stand zu machen.

L3, 40m, 6a+: Los geht's noch moderat, mit einem weiten Abstand nach dem zweiten Haken zur Crux. Die drei nahe steckenden Haken lassen vermuten, dass es dort zur Sache geht. Dies tut es, und zwar heftig mit Reibung pur. Knapper am Wegrutschen hätte es sich nicht anfühlen können, aber es ging. Ob ich diese Stelle im Rückblick nach dem Meistern aller weiteren Herausforderungen noch gleich eingeschätzt hätte?!? Das ist eine gute Frage, welche ich nicht abschliessend beantworten kann. Zuletzt dann mit erneut weitem Abstand in strukturiertem Gelände zum Stand.

Am Anfang von L3 (6a+) gibt's noch ein paar einfacher Meter, ab der Position der Kletterin geht's dann aber volle Kanne auf Reibung zur Sache. Die Route meidet übrigens die Wasserläufe weitestgehend, nur in L7 und L8 kommt man bei normalen Bedingungen mit diesen in Berührung. Wobei diese Stellen so eingerichtet sind, dass man sie trotzdem klettern kann.

L4, 40m, 6b+: Zuerst führt dieser Abschnitt über ein kleines Dächlein hinweg, was aber noch nicht das Hauptproblem darstellt. Dieses besteht in gleich mehreren sehr reibungslastigen Passagen. Die forderndste davon vielleicht bald nach Beginn mit dem Klipp des dritten Hakens. Wobei diese Aussage ohne Gewähr bleibt: einmal ungut erwischt, oder einmal Zweifel im Kopf, das macht hier einen grossen Unterschied im Empfinden. Sicher ist: es bleibt fusstechnisch fordernd bis zum Ende. Und ich konnte die Sache sauber bewältigen 🤗

Ein absoluter Reibungsknaller wartet in L4 (6b+).

L5, 40m, 6a: Fast schon erwähnenswert ist die Tatsache, dass es hier zu Beginn einige Leisten gibt, welche der Gletscher nicht glattzupolieren vermochte. Für uns die Hauptsache bei diesem Abschnitt war ein weiter Abstand mittig. Quert man tief nach links und steigt dann hinauf, so löst sich das vernünftig auf. Das Problem war nur, dass die Vorsteigerin hier zu lange direkt stieg und dann am Ende viele Meter über der letzten Sicherung eine sehr gewagte Reibungsquerung zum silbern glänzenden Retter meistern musste - zum Glück erfolgreich! Das ist halt auch immer das "Risiko" bei solch weiten Abständen. Ein Sturz bei dieser Querung hätte wohl kaum folgenlos geendet, ein 15m-Rutscher über diese Platte ist jetzt nicht das, was man/frau zur Wellness braucht.

Die heikle Querung nach einer Linien-Fehlwahl gemeistert: L5, 6a.

L6, 40m, 5c: Deutlich tieferer Grad, davon merkt man auf den ersten drei, noch wassergewachsen glatten Reibungsmetern nicht viel. Insbesondere der saubere Klipp vom ersten Haken fordert. Danach geht's dann tatsächlich in besser strukturiertem Gelände leichter voran.

Dieses Foto zeigt zwar den Start von L7 (6b) mit dem im Text erwähnten Plattenrücken. Aber auch in L6 (5c) führt die Route für einmal Strukturen entlang, wie sie hier auf dem Bild sichtbar sind. Das macht das Fortkommen natürlich gleich deutlich einfacher.

L7, 40m, 6b: Im ersten Teil stecken die Haken auf einem Plattenrücken. Es lassen sich jedoch sehr gut die Strukturen abseits von diesem zur Fortbewegung nutzen, somit bleiben die Schwierigkeiten tief. Oben heisst es dann zwischen zwei (wohl sehr oft vorhandenen) Rinnsalen plattig nach links zu queren. Dank intelligent platziertem Bolt funktioniert das prima und es war auch nicht schwierig. Während man vielleicht schon über eine mühelose Begehung dieser 6b frohlockt, so wartet die Crux ganz am Ende. Möglicherweise ginge es recht easy, wenn man auf der Wand rechts der Plattenkante antreten könnte. Diese war bei uns pitschnass, glitschig und damit nicht nutzbar. Dies ist wohl oft oder fast immer so, ist doch der letzte BH so platziert, dass man links im trockenen Gelände klettern kann/muss. Dort wartet allerdings eine kurze, aber heftige Reibungsstelle. Man muss 2x äusserst glatt antreten und aus einem seichten Winkel den nötigen Druck auf die Füsse bringen - uff, näher am Rutschen könnte man kaum sein, aber es ging.

Die Wasserläufe spielen in L7 (6b) eine Rolle. Da vorausschauend eingerichtet, kommt man gut durch.

L8, 35m, 6b: Hier spielt sich der Start an der selben Plattenkante ab, wie die vorherige geendet hat. Die nass-glitischige rechte Seitenwand spielte also auch hier eine Rolle. Ich entschied mich dafür, trotzdem einige Leisten für die Füsse zu nutzen. Das ging, jedoch zum Preis nasser Sohlen, was für die Fortsetzung logischerweise problematisch, aber schliesslich kein Showstopper war. Denn nach diesem Auftaktboulder warten noch viele sehr anspruchsvolle und auch zwingende Schritte auf glattem Reibungsparkett. Oben gibt's mal noch eine etwas doofe Stelle, wo eine schuhbreite Kante sehr unangenehm im Sturzraum droht. Hier könnte man aus mehreren Metern Höhe sehr abrupt gestoppt werden. Langsam im Groove und mit dem erlangten Selbstvertrauen ging das... aber uff!

Da hat die Nachsteigerin in L8 (6b) gut lachen: so kann nix passieren, in dieser Position befindet man sich im Vorstieg aber über der im Text erwähnten und auf dem Foto gut sichtbaren Kante, wo man aus mehreren Metern Höhe sehr abrupt gestoppt werden könnte. Und generell: es gibt hier viele zwingende Schritte auf Reibung.

L9, 35m, 6b: ACHTUNG, in dieser SL fehlt zur Zeit (Stand Juli 2025) der zweite BH, da er abgeschert wurde. Dadurch ist sie im Vorstieg nicht kletterbar. Nun, das wusste ich natürlich noch nicht, als ich mich auf den Weg machte. Das Maillon in der ersten Sicherung und der offensichtlich weite Abstand (ca. 12m) zur nächsten waren zwar durchaus eine Warnung. Aber ich wollte es versuchen. Gleich über den ersten BH hinweg wartet eine tricky Stelle, dann auf einfacher werdender Reibung hinauf. Gute fünf Meter später blickte ich dann eben auf den abgescherten Stummel, der nächste Bolt nochmals mindestens soweit entfernt. Nein, das konnte ich nicht riskieren. Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Reibung wieder abzuklettern - eine haarige Sache, aber ich schaffte es. Um nicht schon nach Hause gehen zu müssen, war die einzige Alternative, mit einem Abseiler zum etwas tiefer gelegenen Stand der Herrenpartie zu wechseln. Wir kletterten dann deren L8, eine 50m lange 5b auf Reibung. Von deren Station konnten wir erneut einen kurzen Abseiler zum Stand 9 vom Badwannä-Tango ziehen. Somit waren wir quasi "back on track". Weil ich natürlich jeden Schritt vom Tango praktiziert haben wollte, liess ich mich zu meiner Umkehrstelle ab. Natürlich konnte ich die Stelle im Nachstieg meistern, aber hier einen Rückzieher zu machen, war absolut vernünftig gewesen. Nach dem nächsten Klipp gibt's noch eine zwingende, glatte Reibungsstelle, bevor es dann strukturierter an den Stand geht.

Das ist der Bösewicht in L9 (6b). Hinweis: Foto ist um 90 Grad gedreht.

L10, 45m, 6a: Das Topo suggeriert, dass man nun etwas Zurücklehnen und entspannter Richtung Top schreiten kann. Doch man wird sehr bald eines besseren belehrt. Der Abstand zum ersten Haken ist weit, löst sich aber gut auf. Damit ist es nicht gegessen: es kommen noch viele weitere, gewagte Schritte auf Reibung. Taffe Sache, schien uns kaum einfacher als die drei 6b-Längen zuvor.

Black Beauty in L10 (6a).

L11, 35m, 6a: Nein, es ist noch nicht fertig! Einen Hammer gibt's gleich vom Stand weg, es heisst vor dem ersten Klipp über eine "falsch gebaute Treppe" in dunklem, vom Wasser gewaschenen Fels zu schleichen (abwärts geschichtet, d.h. es hat Leisten, diese bilden aber kleine Dächlein). Dem gewonnen Selbstvertrauen sei Dank ging's... Auch weiter führt die Route dann nicht den Strukturen links entlang, sondern hält sich nochmals rechts durchs kompakte Plattengelände. So gilt es auch hier wiederum auf die Optimallinie zu spekulieren, insbesondere kam mir dies ganz zum Schluss im Abschnitt zum Stand hinaus so vor, wo nochmals ein extraglatter (und natürlich zwingender) Abschnitt wartet.

Steht man wie hier in L11 (6a) auf einer kleinen Delle, so ist plötzlich alles ganz entspannt. Fehlen diese jedoch komplett, so kriegt die Sache gleich eine neue Dimension. Erst recht, wenn zum Ende einer Seillänge auch noch das Gewicht des Stricks schon spürbar ist.

L12, 30m, 5c: Hier geht's nun tatsächlich etwas leichter voran. Man kommt am Anfang gleich bei einigen sehr grossen Schuppen vorbei, wo man sich sehr leicht die Frage stellen kann, wie diese überhaupt in der Wand bleiben?!? Rundherum gerissen liegen sie quasi einfach da auf dem glatten Untergrund - möge einfach die Erde nicht gleich einen Hustenanfall kriegen! Enden tut der Badwannä-Tango nach meiner Logik am Irniger-Kombistand von Schiefer Traum rechts auf einer Kanzel, links befinden sich noch die beiden originalen Rostgurken vom Tango die helfen, den entsprechenden Punkt zu identifizieren.

Relikte aus früheren Zeiten... gibt's hier und da in der Spiegelwand. Diese Ringbohrhaken mit stark in die Länge gezogenen Laschen findet man in L8 der Herrenpartie. Generell ist anzumerken, dass das Material in diesen Platten schon leidet und nicht ewig hält. Eben, der abgeschlagene BH im Badwannä-Tango, einige weitere Laschen sind durch Steinschlag, Eis- oder Schneedruck auch plattgemacht (jedoch noch nutzbar).

L13, 40m, 5b: Dieser Abschnitt gehört eigentlich zu Schiefer Traum. Doch einerseits ist es logisch, noch bis zum Top weiterzuklettern. Andererseits wurde es uns erst gewahr, dass wir fremd unterwegs waren, als in L12 die 50m komplett ausgestiegen waren und kein (offizieller) Stand kam. Ein solcher konnte jedoch an einem sanierten BH und einer alten Rostgurke gerade vor dem Dächli improvisiert werden, von wo es dann in gestreckten 50m zum Ende reichte (d.h. wir kletterten L12, L13 und L14 in zwei gestreckten 50m-Längen). Jedenfalls: es geht hier über einige Stufen aufwärts, zuletzt nach rechts querend über ein Dächlein hinweg auf die höher liegende Endplatte, wo nach 10m der richtige Stand kommt.

L14, 35m, 5b: Ebenfalls Schiefer Traum, mit einer nochmals wirklich coole Seillänge in hier nun etwas weniger glattpoliertem, dafür nicht mehr ganz so sauberen Fels (d.h. von einigen Flechten bewachsen). Es gilt auch hier der Reibung zu vertrauen, einige Ansätze von Rissen und Verschneidungen und zuletzt eine Art Wasserrille helfen aber auch beim Fortkommen.

Die letzten Meter zum Top in L14 (5b), man erkennt gut die unterschiedliche Färbung vom Fels.

Ein paar Minuten nach 18.00 Uhr hatten wir nach 6:15h der Kletterei viele Meter absolviert und entschieden uns, an dieser Stelle definitiv Schluss zu machen. Rechts steckten zwar noch weitere Bolts und vermutlich wären noch 1-2 Seillängen mehr möglich. Es ist jedoch alte Ware (nicht saniert) und es ist auch nicht klar, zu welcher Route dies gehört und wie schwierig es wäre. So fädelten wir die Seile und glitten in die Tiefe. Erst war es praktischer, Schiefer Traum zu folgen, mittig wechselten wir dann mit einer 50m-Strecke zurück in Badwannä-Tango. Generell sind die Abschnitte jedoch zu lang, um sie verbinden zu können, so dass 12 Manöver nötig waren, bis wir um ca. 19.15 Uhr wieder am Einstieg waren. Seile aufrollen, Material verpuffen und absteigen waren die nächsten Programmpunkte, ein paar Minuten vor 20.00 Uhr setzten wir uns dann aufs bequeme Polster und fuhren heimwärts. Das war ein sehr aufregender Tag mit richtig cooler Kletterei gewesen. Hin und wieder macht es schon extrem Spass, sich der Science Friction hinzugeben.

Barfuss-Abseilen, das funktioniert hier tiptop. Wobei aufgrund vom von der Sonne aufgeheizten Fels die Füsse unangenehm gewärmt werden können. Sowieso ist es eine gute Frage, bei welcher Temperatur die Reibung zwischen Kletterfinkengummi und Fels optimal ist?!? Ich denke, in den dunklen Zonen war die Felstemperatur durchaus bei mindestens 30-35 Grad, d.h. eben so, dass man es als warm bis heiss empfindet. Das ist wohl oberhalb vom Optimum?!?

Facts

Handegg / Spiegelwand - Badwannä-Tango 6b+ (6b obl.) - 14 SL, 530m - Müller/Zgraggen 1989 (saniert 2023) - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, Cams/Keile nicht nötig bzw. kaum einsetzbar

Reibung pur auf Gletscherschliff und das von der verschärften Sorte. Mehr gibt es zum Programm kaum zu sagen und Abwechslung zu diesem Kletterstil gibt es so gut wie gar nicht. Heisst aber natürlich nicht, dass die Route deswegen nicht lohnend wäre. Ganz im Gegenteil, durch diese eindrückliche Plattenflucht zu steigen ist ein grandioses Erlebnis. Die Schwierigkeiten sind von A-Z anhaltend und es warten unzählige herausfordernde Passagen. Ob die Bewertungen wie vorgeschlagen zutreffen ist wie immer bei solchen Touren eine strittige Frage. Bei einer athletischen 6b ist das bei mir nie und nimmer der Fall, hier beim Tango dagegen fühle ich mich immer wieder am Limit des gerade noch Durchführbaren. Man kann die Route als gut abgesichert bezeichnen. Die Bolts sind intelligent platziert. Sprich immer dann, wenn es ohne (mit meiner Risikotoleranz) nicht mehr ginge, kommt auch wieder einer. Dazwischen bleibt aber viel Platz für das (Glücks)spiel ob der Schuh hält oder nicht. Dazu muss man die nötige Psyche und das Können mitbringen. Einige wenige Stellen mit immer noch forderndem Reibungscharakter, aber jeweils leicht tieferen Schwierigkeiten (z.B. Anfang L1, Anfang L3, Runout L5, Abschnitt über Band L9) erfordern einen sicheren Vorstieg, da dort ein Sturz das Potenzial von gröberen Verletzungen als bloss heftigen Abschürfungen mitbringt. Und eben, solange der BH in L10 fehlt, kann man die Route gar nicht auf dem Originalparcours begehen. Weitere Infos und das Topo zur Route auf der Seite von Erschliesser Bruno Müller, ansonsten helfen auch der Plaisir West Band I und das SAC-Tourenportal mit Topos von den anderen Routen im Sektor weiter.

Es steckt in der Spiegelwand Material aus verschiedenen Generationen. Dieser Standplatz in der Route Schiefer Traum hat mit Kette die Originalversion (?) von Hans Howald aus dem Jahr 1979, der Muniring wurde wohl irgendwann in den 1990ern ergänzt (?), der Irniger-Stand (mit leider rostendem, verzinkten Maillon Rapide) stammt von der letzten Sanierung im Jahr 2015. Achtung übrigens, in der Route Schiefer Traum fehlen zur Zeit (Stand Juli 2025) mehrere BH-Laschen.


Samstag, 2. Juli 2022

Handegg / Bügeleisen - An Early Morning Walk (7a)

Nach dem langen Tag im Vreneli an den Wendenstöcken hatten wir uns gleich vor Ort aufs Ohr gelegt, zum Heimfahren war es sowieso zu spät und wir viel zu müde. Um 7 Uhr morgens waren wir schliesslich wieder auf den Beinen, beim Zmorge schlich langsam die bleierne Müdigkeit aus den Gliedern und wir fragten uns, wo wir in den kommenden Stunden vor der zeitigen Heimkehr noch etwas Kletterspass geniessen könnten. Der Entscheid fiel schliesslich auf ein starkes Kontrastprogramm zum Vortag: am Bügeleisenpfeiler an der Handegg wollten wir die 5 SL kurze, erst im 2020 erschlossene plattige Granitroute An Early Morning Walk von Bruno und Kurt Müller probieren.

Sicht auf die Handegg-Wände westlich der Grimselstrasse, aufgenommen aus dem Siebenschläfer. Abgebildet sind der Verlauf der klassischen Bügeleisen-Route (6a) wie der schwierigeren Schwester An Early Morning Walk (7a)

Auch dieses Vorhaben könnte man aufgrund der weit jenseits der 30 Grad Marke angesagten Hitze als eine komplette Fehlplanung bezeichnen, wird doch das Bügeleisen bei sonnigen Verhältnissen gerne auf dem Namen gerechte Temperaturen aufgewärmt. Da aber gleichzeitig Föhn angesagt war, der einem an diesem Fels gerne schlottern lässt, zählten wir auf ausgleichende Wirkung und genau so war es dann schliesslich auch. Unsere Tour startete um ca. 8.45 Uhr an der Grimselstrasse, der kurze Zustieg nimmt ca. 15 Minuten in Anspruch und war mir von der Tour mit den Kindern in der klassischen Bügeleisen-Route schon bekannt. Der Einstieg in die AEMW befindet sich etwas links oberhalb des tiefsten Punkts bei einem einzelnen Bohrhaken mit Petzl-Lasche. Etwas nach 9 Uhr waren wir bereit und stiegen ein.

L1, 35m, 5b: Von unten könnte man das auf den ersten Blick noch als seilfrei machbares Nahezu-Gehgelände einstufen. Naja, womöglich waren unsere Sinne noch von den gestrigen, gewaltigen Wandfluchten an den Wendenstöcken betäubt. Die Seillänge ist der Bewertung entsprechend tatsächlich unschwierig, aber ein wenig Klettern muss man durchaus. Mit 5 BH ist die Länge ausreichend, aber nicht extrem üppig abgesichert.

L2, 45m, 6a+: Langes Teilstück, wo man die Schwierigkeiten etwas nach seinem Gusto aussuchen kann. Die Seillänge verläuft erst an von Vegetation und Erde geputzten Schuppen oder wahlweise deutlich schwieriger ausschliesslich rechts davon in der Wand - die Position der Haken lässt beide Interpretationen zu. Weiter oben zieht die Linie dann auf die grosse, kaminartige Verschneidung hin. Zwecks einfacherer Kletterei kann man sich an diese halten, muss sich dann jedoch immer weit nach rechts strecken, um die Bolts zu klippen. Die ganze Sequenz konsequent direkt in Hakenlinie und ohne die Föhre am Ende zu klettern ist auch möglich, sprengt den Rahmen einer 6a+ jedoch unseres Erachtens (sehr) deutlich - aber man hat die Wahl, wie sehr man sich hier fordern will.

Unterwegs in der langen L2 (6a+).

L3, 35m, 6a: In einem grossen Linksbogen umklettert man die Buschzone oberhalb vom Stand. Dieser Teil läuft unter 'vergnügliche Kletterei' ohne besondere Schwierigkeiten. Später zieht's dann an und vor allem zum Stand hin wartet noch ein echtes Gustostücklein. Über den (tief steckenden) letzten BH hinweg ist es kurzfristig enorm glatt. Direkt über den Haken geklettert (eine Umgehung haben wir nicht gesehen) spielt sich das nach unserem Dafürhalten an der Haftreibungsgrenze ab und war nur mit einer ziemlich komplexen Bewegungsabfolge lösbar. Es könnte sogar die schwierigste Einzelstelle der ganzen Route sein, die Moves in L5 (7a) empfanden wir als von ähnlicher Kragenweite aber sicher nicht schwieriger, auch wenn's dort gleich mehrere davon gibt. Somit würden wir diese Länge als zumindest eine 6c taxieren. Die schwierigsten Schritte einmal gemacht, heisst's dann noch kühles Blut zu bewahren und in einem kleinen Runout die Füsse mit sloprigen Seitgriffen schön ans Parkett zu drücken, um den Stand zu erreichen.

Sieht gechillt aus, wie Viktor die letzten Moves von L3 (6a, eher 6c) klettert. Die sind, nach der glatten Crux davor, tatsächlich nicht mehr so schwierig. Im Vorstieg aber, schon ein rechts Stück vom letzten Haken entfernt, aber doch ziemlich fordernd.

L4, 20m, 6b: Eine kurze Seillänge, auf der es einem aber sicher nicht langweilig wird! Schon der Beginn aus dem Stand fordert gleich, der erste BH steckt hoch und das Klippen ist nicht geschenkt. Eine Mantle-Sequenz folgt als nächstes - muss man einmal kapieren, so schwierig war es dann allerdings nicht. Nach dem folgenden Klipp folgt die Crux, wo es erneut an Seitgriffen heisst, Druck auf die Sohlen zu bringen. Eine zapfige, bouldrige 6b-Stelle die etwas Zutrauen in die Reibung verlangt (und für in diesem Stil nicht geübte 6b-Kletterer wohl unmöglich erscheint...). Um das Thema von vorher nochmals aufzunehmen: uns dünkte diese Crux massiv einfacher wie jene von L3. Der Rest der Seillänge legt sich in der Neigung zurück und bietet noch dazu die typischen, seichten aber hier vernünftig griffigen Risse und bietet so keine nennenswerten Schwierigkeiten mehr.

Unterwegs in L4 (6b), wo das Finish ziemlich gemütlich ist. Der Kletterer neben ist im Bügeleisen.

L5, 40m, 7a: Nun sollte es ja laut Einstufung nochmals deutlich schwieriger werden und da wir bisher schon diverse Moves am Limit geklettert hatten, standen wir nicht überaus optimistisch vor dieser Länge. Das schon sichtbare, an den Zwischenhaken vorhandene Bail-Gear war auch nicht unbedingt ein Booster für die Moral. Nichtsdestotrotz, wir mussten es probieren und das Beste geben. Über die ersten 3 Haken löste sich die Sache auf der richtigen Linie gut auf. Aber dann folgt eine knifflige Linkstraverse mit den Füssen im Nichts und den Händen an einem seichten Loch - es schien unmöglich, aber entweder machte die Schwerkraft gerade Pause oder unsere Kalibration der Reibung war auf der zu pessimistischen Seite. Hat man sich einmal über diese schwierigen Moves gerettet, so wird man sich gewahr, dass für die 'wahre Rettung' in Form des nächsten Klipps nochmals ein heikler Schritt auf Reibung folgt. Auch über die nächsten drei Bolts wechseln sich Ruhepunkte zum Durchschnaufen mit Aufstehern am Limit ab. Mich persönlich dünkte der letzte davon die schwierigste Stelle der SL, aber womöglich war's nur dumm angestellt oder der Bammel, es da noch zu vergeben. Jedenfalls, und das zählt am Ende: es gelang uns beiden OS/Flash - irgendwie mit mehr Glück als Verstand, aber geschafft ist geschafft. Auf den letzten Metern lassen die Schwierigkeiten dann übrigens nach, man trifft mit der klassischen Bügeleisen-Route zusammen, mit welcher man sich den Ausstiegsstand teilt.

Grimsel Vibes: die klassischen Handegg-Sektoren Spiegelwand und Ölberg, links oben die Gelmerhörner.

Um ca. 12.15 Uhr und somit nach 3:00 Stunden sehr unterhaltsamer aber fordernder Kletterei waren wir am Top. Dieser Platz ist nicht sonderlich bequem und zudem pfiff der Föhn wie verrückt, so dass wir gleich die Seile fädelten und in die Tiefe glitten. Mit den 2x60er-Stricken ging es in 4 Manövern (5 -> 3 -> 2 -> 1 -> Boden). Obwohl der Wind die Seile stark talabwärts vertrieb, blieben wir zum Glück von einem Verhänger verschont. So waren wir bald am Boden, wo der Föhn zwar kaum mehr sein Unwesen trieb, dafür eine Affenhitze herrschte. So machten wir uns schnurstracks auf den Weg zur Strasse, die erwünschte zeitige Heimkehr stellte an diesem Tag kein Problem dar. Wir rollten talwärts, deckten uns baldmöglichst mit kühlem Getränk und einem Glacé ein und zogen das Fazit. Nach einem langen Klettertag, mit schon rechtschaffener Müdigkeit in den Knochen, macht es sich immer bezahlt, eine Tour mit möglichst grossem Kontrast zur vorangehenden zu wählen. Idealerweise ist das Unternehmen eher kurz, dafür soll es aber einem so fordern, dass für Müdigkeit oder Lethargie kein Platz bleibt. Absolut optimal war uns das hier nach unserem Gusto gelungen - tolle Sache!

Facts

Handegg / Bügeleisen - An Early Morning Walk 7a (6b obl.) - 5 SL, 175m - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig bzw. einsetzbar

Eher kurze, aber dennoch sehr interessante Kletterei auf einer plattigen Granitflucht. Der Fusstechnik kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, das Bügeleisen ist aber steiler wie andere Sektoren am Grimsel und bietet nicht reine Reibungskletterei, sondern erfordert es die Sohlen an Griffen aller Art auf das Parkett zu pressen. Die offiziellen Bewertungen (v.a. in L2-L4) stammen von in dieser Art der Kletterei sehr versierten Leuten und dürften ohne spezielle Affinität zu diesem Stil als tough erscheinen. Und eine 7a dieses Zuschnitts stellt ja dann sowieso schon fast das obere Ende der Möglichkeiten dar. Man darf sich also durchaus auf MSL-Sportklettern einstellen! Die Route ist mit Top-Inoxmaterial eingebohrt, die Erschliesser verwenden für den Charakter der Absicherung den Begriff "fair". Das trifft es nach meinem Empfinden prima. Man kann von einer guten Absicherung sprechen, allerdings ist sie durchaus ambitioniert gehalten und es gibt manch einen Move an der (=meinen) Grenze, der absolut zwingend ist. Gefährliche Stürze sind nicht zu befürchten, aber mit A0 ist relativ wenig zu holen, der Anspruch ist massiv höher als z.B. in Herrenpartie oder Sagittarius. Bericht und Topo zur Route findet man auf rauchquarz.ch, der Seite des Erstbegehers Bruno Müller - vielen herzlichen Dank für die Route und die vorzügliche Berichterstattung darüber!

Freitag, 19. Juni 2020

Gelmerfluh - Sagittarius (6b)

Weil es "im Restaurant Handeck so feine Pommes-Frites gebe" wollten die Kinder nach dem Auffahrts- nun auch das Pfingstweekend am Grimsel verbringen. Nun denn, Motivation ist alles, mit der Absicht neben kulinarischen Genüssen auch noch die eine oder andere Granittour zu klettern, fuhren wir erneut mit im überhängenden Kalk müde sportgekletterten Fingern ins Haslital. Da ganz offensichtlich noch wenig los war, ergab sich für Larina und mich am Pfingstsonntag schliesslich die spontane Gelegenheit, die enorm populäre Sagittarius an der Gelmerflue zu klettern. Diese wurde im 2003 vom Team Filidor um Jürg von Känel mit vielen Bolts super eingerichtet, wobei die Route teils alten (noch heute sichtbaren) Spuren folgt. Sie bietet nach 3 noch eher durchschnittlichen Auftaktseillängen vor allem im mittleren und oberen Teil wirklich hervorragende Kletterei mit viel Abwechslung. 

Das sind Ausblicke! Der 30m-Riss im mittleren Teil der Sagittarius (L7, 6a+) bietet wirklich fantastische Granitkletterei!
Der Zustieg vollzieht sich ab Chuenzentännlen P.1597 an der Grimselstrasse. Der Zustieg folgt einem gut ausgetretenen Pfad, allerdings ist gerade das erste Stück am dem PP wenig ausgeprägt, so dass ein wenig Spürsinn gefragt ist. Das Weglein führt nach rechts hoch zum Fuss der rechten Gelmerfluh-Platten, von wo man nach links der schon vom PP erkennbaren Rampe folgt. Diese ist breiter und einfacher zu begehen, als es a priori den Anschein macht, trotzdem warten auch ein paar mässig exponierte Kraxelstellen in etwas plattigem Fels (T4+, teils I-II). Im Frühjahr halten sich oft lange Schneereste, was die Sache heikel machen kann - im extrem trockenen 2020 gab es jedoch bereits Ende Mai nur letzte, kleine Batzen, die harmlos und umgehbar waren. Nach total 20 Minuten erreichten wir den bequemen Platz unmittelbar vor den Einstiegen, wo man sich bereit machen und das Material sicher verstauen kann - erstaunlich, wie manche Leute hier an diesem betriebsamen Ort mit viel Vertrauen ihre Schuhe an exponierten Plätzen deponiert hatten... so tritt wohl öfters mal einer, losgelöst durch ein ausgeworfenes Seil oder eine unachtsam abseilende Person den Weg in die Tiefe an. Item, eine erste Seilschaft war bereits in der Mitte der Sagittarius unterwegs, eine zweite hatte eben den ersten Stand erreicht und von hinten rückten weitere Leute heran. So hiess es einsteigen, wofür man vom Depot noch etwas nach links hinauf zum beschrifteten Start steigen muss. Um 10.30 Uhr ging es schliesslich los.

Wandbild mit dem (perspektivisch etwas verzerrten) Verlauf der Sagittarius. Ich fand immer (und finde immer noch), dass die Wand von der Strasse gar nicht so überaus attraktiv aussieht. Aber es täuscht hier wirklich, die Kletterei ist viel lohnender, wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
L1, 5a & L2, 5c+: Die ersten beiden Abschnitte können auch mit 50m-Stricken gut zu einer Seillänge zusammengefasst werden. Zuerst geht's noch etwas alpin über Stufen und das Grasband nach links, schliesslich an etwas runden Rissen mit einer kurzen Reibungspassage hinauf, wo schon bald der erste Stand folgt. Der zweite Teil ist deutlich schwieriger: weiterhin gibt's runde Risse, eine kleine Verschneidung und auch ein paar Leisten in der Platte - hier muss definitiv schon da und dort geschaut und schlau angetreten werden.

L3, 6a: Die im Topo mit Kusiplatte benannte Sequenz weckt einige Erwartungen, es handelt sich aber um eine der am wenigsten lohnenden Seillängen der Tour. Zuerst geht's gut griffig und easy durch eine fast kaminartige Rinne über einen etwas steileren Aufschwung, bevor man schliesslich zur wenige Meter hohen, glatten Platte gelangt. Diese kann mit einem etwas schwierigeren Schritt in einer Delle direkt geklettert werden, alternativ geht's rechtsherum mit Hilfe der rissigen Strukturen wohl einfacher und notfalls sicherlich A0.

Larina folgt auf der Kusiplatte (L3, 6a) - diese ersten 3 Seillängen sind noch nicht ganz das Gelbe vom Ei.
L4, 5c+ & L5, 5c+: Vom bequemen Stand am Pfeiler steigt man ganz wenig auf und quert dann das Couloir in die Wand rechts, wo ein supercooler Abschnitt folgt. Gleich zu Beginn der Wand eine schwierige Stelle auf Reibung, danach turnt man genussreich an diagonal verlaufenden Strukturen in die Höhe. Sofern man über 60m-Seile und genügend Exen verfügt, kann man den etwas links aussen liegenden, mässig bequemen Stand auslassen und gleich in L5 weiterklettern. Diese führt ohne besondere Schwierigkeiten erst einer diagonalen Rissspur entlang. Die Crux folgt gegen das Ende hin an einer kurzen Verschneidung, wo an der runden Kante gedülfert und ziemlich glatt angetreten werden muss. Zuletzt nach links hinauf zum Stand.

Ab hier ändert der Fels und die Kletterei ist viel schöner. Unterwegs in den zusammengehängten L3 & L4 (5c+).
L6, 6a+: Mit der schwarz(-weissen) Kante wartet eine weitere Signature-Stelle der Route. Von weiter unten sieht's noch etwas unnahbar aus, schliesslich präsentiert sich links der Kante aber eine griffige Rissschwarte, die auch bereitwillig Cams fressen würde (ist aber alles eng geboltet). Schliesslich gibt man den Riss auf und entert in etwas schwierigerer Kletterei die Kante, was einen schliesslich leichter zur Crux bringt, die aus einem schwierigen Reibungsschritt in die Verschneidung rechts besteht. Griffe gibt's da so gut wie keine, es heisst hinstehen und darauf vertrauen, dass die Füsse auf der leicht sandigen Platte nicht rutschen (oder am Bolt ziehen, A0 möglich). Ich empfand das als den schwierigsten oder zumindest heikelsten bzw. unkontrollierbarsten Move der Route. Da war ich echt kurz unsicher, aber der Fuss hielt schliesslich...

Sehr schöne Kletterei in L6 (6a+). Larina gerade beim Entern der Kante, die Crux über die schattige Platte im Vordergrund.
L7, 6a+: Der 30m-Riss, das Highlight der Sagittarius! Bevor man an diesem sagenhaften Splitter in die Höhe turnen kann, heisst es aber erst eine Wandstelle zu bewältigen - geht gut direkt, etwas absteigend womöglich einfacher. Dann heisst es vorerst cruisen, stehen doch gleich 3 Risse zur Verfügung - wie gemacht, um zu steigen. Auch Cams könnten hier à discretion versorgt werden, aber in der Sagittarius ist das nicht im Programm (alles eng geboltet). Je weiter man kommt, desto schwieriger wird der Riss, am kniffligsten ist das horizontal nach rechts verlaufende Stück. Zuletzt dann wieder einfacher und eher piazmässig an Schwarten zum Stand.

That's a justified grin! Der 30m-Riss (L7, 6a+) ist die herausragende Seillänge der Sagittarius.
L8, 6b & L9, 6a: Mit Tom's Dach folgt nun die nominelle Schlüsselstelle. Gleich vom Stand weg nach links unter einem kleinen Wulst an ein paar Leisten mit den Füssen auf Reibung nach links, gefolgt vom Mantle auf den guten Tritt an der "Dach"kante. Auf den nächsten 2-3m muss gescheit auf Reibung angetreten werden, danach über das wunderschöne Flachdach (=Platte) üppig strukturiert und genussreich zum unbequemen Stand. Nach meinem Empfinden war das ein 'petit 6b', kein Vergleich z.B. mit der 6b+ Reibungscrux im Siebenschläfer, ebenso massiv einfacher wie die dortigen 6b-Längen oder die 6b-Crux der Herrenpartie, eher vergleichbar mit den Anforderungen am Bügeleisen, welches nur mit 5c+ oder 6a bewertet ist. Aber sei's drum, Kletterbewertungen sind und bleiben individuell-variabel-diskutabel, das weiss man ja schon lange. Wer 60m-Seile und genügend Exen hat, kann den Stand mitten in der Platte auslassen und gleich weiter auf die folgende Länge. Diese verläuft erst weiter auf der Platte (geht gut), der zweite Teil kommt dann steiler, dafür griffiger vorher. Coole Moves an Leisten wollen geplant und sauber ausgeführt werden, super!

Unterwegs in der tollen L9 (6a), hinter der Akteurin die rötliche Platte (Toms Flachdach) über welche L8 (6b) verläuft.
L10 - L13, 5b-6a: Die restlichen 4 Seillängen haben nun einen ganz anderen Charakter, sind sich alle sehr ähnlich und äusserst genussreich zu klettern. Der Fels wird hier steiler, ist aber unverschämt griffig mit vielen Knubbeln und granatenähnlichen Strukturen - etwas Vorsicht ist jedoch nötig, da nicht alle davon bombenfest verankert sind (geht aber schon, keine Sorge). Die Absicherung ist weiterhin super, die angegebenen Schwierigkeiten schienen mir generell, aber auch selbst im Vergleich mit den plattigeren Längen im unteren Teil als etwas zu hoch eingestuft - mir schien das alles eher im unteren bis mittleren Fünferbereich zu sein. Die ganz markanten Passagen fehlen hier, L10 führt nach der Crux zu Beginn direkt über den Pfeiler, in L11 verlässt man diesen nach links, L12 ist gleich zu Beginn nochmals etwas steiler und schwieriger, L13 ist schliesslich sehr kurz. Wir brauchten für diesen letzten Abschnitt nur gerade mehr eine gute Stunde, ein weiterer Beleg dafür, dass es sich um Cruising-Gelände handelt.

Durchaus etwas Exposition und schön griffiges Gelände trifft man in den Seillängen 10-13 der Sagittarius.
Um 14.30 Uhr hatten wir also nach 4:00h gemütlicher und genussreicher Kletterei das Top erreicht, welches wenig oberhalb vom letzten Stand einen vorzüglichen Pausenplatz bietet. Trotz Pfingstsonntag und Grossandrang war soweit alles perfekt aufgegangen. Die beiden Seilschaften vor uns kamen zügig voran, von hinten drängelte niemand nach, so dass wir ohne Hast und mit ein paar Futter- und Umschaupausen an den Ständen unterwegs sein konnten. Der Abstieg erfolgt durch Abseilen über die Route, eine separate Piste gibt es leider nicht. Somit sind unweigerlich alle nachfolgenden Seilschaften zu kreuzen - nicht ganz optimal, geht aber schon. Im oberen Teil sind die Seillängen leider gerade ein wenig zu lang, um Stände überspringen zu können. Andererseits wäre es wegen der Gefahr von Seilverhängern auch wenig ratsam. Hier ist umsichtiges Verhalten und gute Seilpflege angesagt. Die zahlreichen Schuppen sind seilfressend und dieses einfach freizuzerren birgt das Risiko, Steine zu lösen und die zahlreichen Personen weiter unten zu gefährden. Ab L9 geht's dann im plattigeren Gelände rascher voran, hier können schliesslich (selbst mit 50m-Seilen) noch 3 Stände übersprungen werden, so dass man nach 10 Manövern wieder beim Depot steht. Wer gut zu Fuss ist, steigt wohl am besten wieder über das Band ab. Wir wählten den 50m-Abseiler (Stand gleich links beim Depot), der uns auf dem Schnee am Wandfuss deponierte. Bei Ausaperung muss man hier nochmals 30m abseilen (der Stand wäre zugänglich gewesen, bei sehr viel Schnee ist er dies aber u.U. nicht!), doch da der Schnee schön weich war, liess es sich gut absteigen. Um 16.30 Uhr waren wir retour an der Strasse, jetzt war es höchste Zeit für die versprochenen Pommes-Frites!!!



Facts

Gelmerfluh - Sagittarius 6b (5c+ obl.) - 13 SL, 400m - Jürg von Känel et al. 2003 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams/Keile nicht nötig

Hochfrequentierter Plaisir-Klassiker mit abwechslungsreicher Kletterei über Platten, Risse und griffige Wandabschnitte. Der Zustieg ist kurz, was natürlich zur Beliebtheit beiträgt. Trotz der Kürze erfordert er leichte Kraxelei und sollte auch nicht auf die allzu leichte Schulter genommen werden, solange im Frühjahr noch Schnee auf dem zu querenden Band liegt. Die Route selber scheint mir wenig von Wasserstreifen betroffen und dürfte damit früh im Jahr und auch nach Regenfällen bald wieder geniessbar sein. Der Absicherungsstandard "Plaisir super" ist hier sicher gerechtfertigt, überall wo es schwierig ist, stecken die Haken eng, nur im einfacheren Gelände muss man hier und da mal ein wenig über  die Haken steigen. Die Bewertungen sind im Grimsel- bzw. Granitvergleich eher milde ausgefallen. Somit erstaunt es nicht, dass es hier viel Andrang von Kletterern aus allen Herren Länder gibt. Stark variierendes Können und Erfahrung der Seilschaften, unterschiedliche Geschwindigkeiten und Vorstellungen von Kooperation und Standhandling können eine ebenso grosse Herausforderung wie die Kletterei an sich bieten. Man plane seine Begehung also entsprechend! Das Topo findet man im Plaisir West 2019, Band I sowie auch in älteren Ausgaben desselben Werks.

Sonntag, 14. Juni 2020

Handegg - Bügeleisen (6a)

Das Bügeleisen ist ein auffälliger Felspfeiler auf der orografisch linken Seite des Haslitals, genau gegenüber der Handegg-Wände mit ihren vielen bekannten Touren. Der helle Fels und die Kompaktheit lassen vermuten, dass man hier auf lohnende und herausfordernde Platten trifft und genau so entpuppt es sich dann auch. Wobei die Kletterei durchaus einen etwas anderen Charakter als gegenüber hat. Es ist etwas steiler, dafür ist der Fels ein wenig üppiger strukturiert. Auffallend sind auch die vielen stumpfen, diagonal verlaufenden Risse, die man immer wieder in seine Klettersequenz einzubauen hat. Mit dem kurzen Zustieg und einer Länge von nur 5 SL bzw. 200m handelt es sich eher um Halbtagestouren, die man im Vorbeigehen oder als Apéro bzw. Dessert zu einer anderen Tour mitnehmen kann.

Übersichtsbild mit Zustieg und Verlauf der Bügeleisen-Route. Ja, eigentlich erklettert man da nur einen kleinen Teil vom Berg. Hinten Golegghorn, Stampfhorn und Ritzlihorn. Das Foto wurde im Siebenschläfer gegenüber an den Handeggwänden aufgenommen.
Nachdem uns die Mama zwecks Steigerung des derzeit gebeutelten Bruttosozialprodukts verlassen hatte, galt es für uns drei übrig gebliebenen eine geeignete Tour zu finden. Ganz so hoch hinaus wie am Vortag mit dem Siebenschläfer zu gehen, schien dabei nicht die richtige Strategie zu sein. Entweder etwas moderates im Bereich von 10-12 Seillängen oder etwas schwierigere, aber dafür kürzere Touren standen zur Auswahl. Die Kids entschieden sich für das Bügeleisen, das war auch für meinen Geschmack eine attraktive Wahl. Direkt an der Grimselstrasse, beim Beginn einer mit Fahrverbot belegten Waldstrasse gibt's ein paar wenige Parkplätze. Dieser folgt man für 50m, wo ein mit Steinmännern markierter, guter Pfad abzweigt, der erst links und später rechts der Geröllreisse durchs Unterholz führt - sollte irgendwann Bushwhacking nötig sein, so ist man falsch unterwegs. Nach ca. 15 Minuten erreichten wir den Einstieg, wo eine andere Familie bereits mit der ersten Seillänge beschäftigt war. So konnten wir uns gemütlich auf die Tour vorbereiten und kletterten um ca. 10.15 Uhr los.

L1, 5a: Nachdem wir gut hatten beobachten können, was in dieser Länge auf einen wartet, entschloss sich Jerome zum Vorstieg. In bravouröser Manier schlich er über die erste Reibungsplatte, danach geht's auf einer Art Plattenrücken einfacher dahin, bevor sich im zweiten Teil ein nicht so einfach zu lesender, griffiger Wulst in den Weg stellt, bevor man den etwas unbequemen Stand erreicht.

L2, 5a: Wir nahmen einen Führungswechsel vor, die nächsten beiden Seillängen würde Larina im Vorstieg machen. Die zweite Länge bietet keine Reibungskletterei, sondern es geht einer diagonal verlaufenden Verwerfung entlang griffig in die Höhe, zum Schluss gibt's noch etwas Wandkletterei. Schöne Kletterei, gut abgesichert, der einzige Wermutstropfen ist der erneut etwas unbequeme Stand.

Ausblick auf L3 (5c), die Akteurin hat gerade den erwähnten Runout gemeistert (und diesen mit Schlinge an der Legföhre entschärft :-)).
L3, 5c: Im ersten Teil der Seillänge klettert man in ähnlichem Stil wie zuvor in der griffigen Wand und an diagonal verlaufenden Strukturen. Zum Abschluss der ersten Hälfte verunsichert ein "fehlender Bohrhaken" die Vorsteigerin. Klar, das Gelände ist da einfacher, aber passen die dortigen 8m Hakenabstand wirklich noch zur Einstufung "Plaisir super"? Wie auch immer, es geht schon, stürzen vor dem nächsten Klipp wäre aber definitiv keine gute Idee. Schwierig wird es aber erst etwas später, plötzlich verschwinden die soweit guten Griffe und es heisst gekonnt unter Ausnützung von ein paar "Unebenheiten" über das plattige Gelände moven. Mit einer einfachen Linksquerung erreicht man eine schöne Plattform, welche den einzigen, richtig bequemen Stand der Route bietet.

L4, 5c+: Die letzten beiden Seillängen soll nun noch Papa vorsteigen. Die Route folgt nun den offensichtlichen, diagonal verlaufenden Rissen. Diese sind des Öfteren ziemlich stumpf ausgefallen. Mit einem Mix von Brotlaib-Pinching und hie und da einem Piaz arbeitet man sich in die Höhe. Mal geht's recht gut voran, dann ist es plötzlich wieder überraschend knifflig - eine sehr gut abgesicherte Länge, aber nicht geschenkt!

L5, 6a: Über die erste Stufe hinauf geht's ähnlich den diagonal-stumpfen Rissen entlang noch relativ gemässigt vorwärts, bis man plötzlich über eine sehr feingriffige Platte nach links zu traversieren hat. Not so easy, die Schwierigkeit ist wohl auch etwas von der Reichweite abhängig. Wieder etwas griffiger und einfacher geht's weiter, eine eng abgesicherte Stelle lässt eine weitere Crux vermuten. Diese lässt sich aber mit einer guten Linienwahl entschärfen, bevor man in anhaltender und genussreicher Kletterei das Top erreicht.

Tiefblick auf die letzten Meter zum Top in der letzten Seillänge (6a).
Dieses befindet sich bei einem Muniring wenige Meter bevor der Fels mit Latschen bewachsen ist. Um 12.45 Uhr und damit nach ca. 2:30h Kletterei sind wir dort. Da man nicht bequem sitzen kann, beschliessen wir gleich wieder in die Tiefe zu gleiten und fädeln die Seile. Weil hinter uns nochmals zwei Seilschaften nachkommen, wollen wir nicht über die Route, sondern direkt über die südlich ausgerichtete Felspartie abseilen. Das interessiert mich zusätzlich, weil hier zwei Linien mit neuen Inox-Bolts in die Höhe ziehen. Ob es sich dabei um (teilweise) neue Routen oder um sanierte, schon länger bestehende Touren handelt, hat sich für mich nicht zu 100% geklärt. Schade kriegt man dazu keine genauen Infos, offenbar wurde an diesem Pfeiler schon viel mehr geklettert, als man aufgrund des publizierten Materials vermuten könnte. Allerdings, das sei auch gesagt, die Routen sehen einerseits ziemlich schwierig und andererseits anspruchsvoll gesichert aus (in beiderlei Hinsicht kein Vergleich mit der von uns begangenen, klassischen Bügeleisen-Route). Mit zwei gestreckten 50m-Manövern setzen wir den Fuss wieder auf den Grund. Nun gilt es aber noch, neben der Wand abzusteigen. Das Gelände ist steil und mit rutschigem Gras bewachsen, ohne Seilsicherung geht's nicht (nur mit Kletterfinken und den Kids erst recht). Der Plan B besteht darin, etwas rechts durch die Büsche zu gehen. Das geht seilfrei und ist soweit ok, sofern man nicht gerade eine Allergie gegen Alpenrosen und Legföhren hat. Nur ganz zuletzt, kurz vor dem Einstieg müssen wir für eine 4m hohe, überhängende Felsstufe tatsächlich nochmals das Seil zu Hilfe nehmen. Das Fazit: für alpin taugliche Personen bildet dieser Abstieg bei Andrang eine Alternative zum kompletten Abseilen über die Route, generell würde ich aber eher zu letzterem raten.

Facts

Handegg - Bügeleisen 6a (5c obl.) - 5 SL, 200m - Balsiger/Streich 1980, saniert von Känel/Müller 2018 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams/Keile nicht nötig

Schöne, schon morgens besonnte Halbtagestour über den auffälligen Pfeiler. Die Kletterei kommt etwas griffiger und vielleicht ein wenig abwechslungsreicher daher wie in anderen Touren der Umgebung, das Schleichen auf Reibung im Gletscherschliff ist hier praktisch inexistent. Eigentlich ist der Fels durchaus als sehr gut zu bezeichnen, er weist aber etwas mehr Flechten und schwarzen Belag wie an den Handeggwänden gegenüber auf. Seit der Sanierung im 2018 ist die Route sehr gut abgesichert: an den schwierigen Stellen stecken die Bolts klettergartenmässig, wenn das Gelände etwas einfacher ist, kann man jeweils auch ziemlich bald wieder klippen, nur in deutlich einfacherem Terrain gibt's auch mal einen weiteren Abstand, wo man mehrere Meter über die Bolts steigen muss. Das zur Zeit aktuellste Topo zur Route findet man im Plaisir West 2019, Band I. 

Montag, 8. Juni 2020

Handegg - Siebenschläfer (6b+)

Pioneered by Hans Howald 1979 im Zuge der ersten Freikletterbewegung der Schweiz, das ist der Siebenschläfer. Früher war ein gerüttelt Mass an Kühnheit nötig, um weitab der letzten Sicherung über die glatten Platten zu schleichen. Mit der Sanierung im Jahr 2000 fand die Route aber dann sogar Eingang in die Plaisirführer. Um seine Knochen muss man sich im Siebenschläfer heutzutage zum Glück nicht mehr fürchten, doch nach wie vor bleibt eine komplett freie Begehung durchaus eine Herausforderung. Ebenso geblieben sind die Wunderwerke der Natur, d.h. vom Gletscher geschliffene Formen, welche eine höchst aussergewöhnliche Kletterei über polierte Platten, badewannenähnliche Strukuren und auch ein paar Steilaufschwünge mit oft bouldrigem Charakter bieten. Für mich verdient der Siebenschläfer das Prädikat 'Weltklasse', er ist die beste Granit-Reibungstour, die ich bis dato klettern konnte.

Auf in den Siebenschläfer, man kann schon die typischen, rund geschliffenen Mulden erahnen!
Der Winter 2020 war extrem schneearm und das Frühjahr trocken, so dass man bereits Mitte Mai für die Auffahrtstage an der Handegg ideale Bedingungen erwarten konnte. Nachdem wir am Vortag erst noch ein wenig am überhängenden Kalk die Finger gestreckt hatten, wollte sich der eine Teil der Familie dem Katzenpfad widmen, während Larina und ich den Siebenschläfer angehen wollten. Anreisen und Zusteigen konnten wir so gemeinsam: man parkiert gemäss den Angaben im Plaisir West beim Kraftwerk Handegg (Verbote beachten!), geht über das Kraftwerksgelände und wählt den ausgeschilderten Pfad dahinter. Nach einigen Minuten erreicht man eine Ebene. Hier geht's bei einem Steinmann in die Büsche hinein, der deutliche Pfad führt nach total rund 15 Minuten an den Einstieg. Dieser befindet sich am tiefsten Punkt vom Fels, links von einem Couloir/Rinne, erkennbar an der üppigen Absicherung mit Mammut Longlife Bohrhaken. Hinweis: einige Meter rechts davon startet eine brandneue Linie/Projekt (rostfreie Bolts mit Mammut-Plättli), welches zur Zeit noch nicht in den Topos verzeichnet ist und verwirrlich sein könnte. Zum Einsteigen bereit waren wir schliesslich um 10.30 Uhr, ideal für diese Jahreszeit. Die ersten Sonnenstrahlen trafen uns gerade, der Schatten zog sich danach entsprechend unserer Klettergeschwindigkeit immer weiter zurück, so dass die Platten und wir selber an diesem Spätfrühlingstag angenehm gewärmt wurden. 

Übersicht über die Handegg-Sektoren Spiegelwand, Ölberg und Hangholzegg mit dem Verlauf der Route Siebenschläfer.

Engeliweg

Die ersten 5 gemütlichen Seillängen gehören nominell zum Engeliweg, der aber im Prinzip keine separate Route darstellt. Da auch diese perfekt gesichert sind, konnte ich mit gutem Gewissen meiner Tochter den Vorstieg überlassen - sie konnte diese Aufgabe dann auch souverän erfüllen, bravo! 

In L1, 40m, 5b: muss man gleich zu Beginn muss man ein wenig schauen: direkt über den Rücken links vom Couloir geklettert ist es alles andere als einfach, da kneift man gerne ein wenig nach rechts aus! Auch danach folgt schon einmal eine erste Stelle, um sich an die Reibung zu gewöhnen. Zuletzt dann einfacher zum Stand. L2, 40m, 5a: führt diagonal links hinauf über die Reibungsplatte zu Stand auf dem bequemen, breiten und grasigen Band. Danach klettert man in L3, 35m, 4c erst einem Riss entlang (ein etwas weiterer Abstand, Cam legen möglich), gefolgt von geneigter Reibungskletterei. In L4, 30m, 5a ist der Beginn etwas verwirrlich, links steckt ein (wohl kürzlich hinzugefügter) Bolt, rechts einer im Abseits in der kompakten Platte. Folgt man den Bolts in der direkten Verbindungslinie, ist das gar nicht mal so einfach! L5, 40m, 5b leitet zuerst über ein kleines Dächlein hinweg, danach steilt es etwas auf, dafür ist der Fels etwas mehr strukturiert - sehr schön!

Sie ist nicht nur perfekt vorgestiegen, sondern hat auch noch schöne Nachstiegs-Fotos von Daddy gemacht!

Der Zickzack-Anfang von L4 (5a), der BH rechts steckt wirklich komplett im Schilf (lange Exen oder auslassen!)

Standplatz-Patent... nach Lehrmeinung viel zu nahe gebohrt. Aber in diesem harten Granit ist wohl unbedenklich, was im Kalk mehr Schwächung des Munirings als ein Backup wäre. Im Siebenschläfer-Teil stecken an den Ständen dann zum grössten Teil nur noch auf die Muniringe, doch jemand hatte sich die Mühe genommen, diese jeweils mit einer laaaangen Schlinge mit dem ersten BH der Seillänge zu verbinden!?!

Die letzte Seillänge im Engeliweg (5b), bereits etwas steiler und anspruchsvoller, aber etwas Struktur ist da.

Siebenschläfer

Um 12.15 Uhr und somit nach 1:45 Stunden hatten wir den Engeliweg geschafft und konnten gleich im Siebenschläfer weiterklettern. Hier nimmt der Anspruch deutlich zu, so dass ich ans scharfe Seilende wechselte. Interessant ist übrigens die Tatsache, dass der Siebenschläfer von oben ausgecheckt und eingerichtet wurde (sofern ich den  Artikel der Erstbegehungszeit korrekt interpretiere). Diese Technik gilt ja bis heute als verpönt... aber sie hat sich hier auf jeden Fall gelohnt, findet die Route doch einen machbaren, homogen schwierigen Weg durch stellenweise unmögliches Terrain und bietet so ein Feuerwerk von kniffligen, technischen Boulderstellen - ein Wunder, dass schliesslich alles aufgeht!

L6, 40m, 6b: Nun gilt es ernst! Es wird nochmals etwas steiler, die Struktur nimmt aber nicht zu. Nun müssen die Moves sorgfältig geplant und die kleinen Unebenheiten im Fels korrekt in eine Sequenz eingefügt werden. Man muss zwar gekonnt auf Reibung antreten, aber doch auch immer kleine Griffchen und Tritte nutzen, es ist keine reine Schleicherei. Die Absicherung ist hier eng gehalten (es wurden wohl kürzlich nochmals einige Bolts hinzugefügt und einige Abstände damit halbiert, total ca. 14 Express nötig!). Zum Ende hin begibt man sich dann auf einen etwas gängigeren Quergang nach links. Mit wie vielen Sicherungen musste man hier früher klarkommen? Das Topo aus dem alten Artikel zeigt 7 Haken und eine Bewertung von VI+, wobei die heutige 6b sicher absolut angemessen ist. 

In L6 (6b) beginnt der Ernst der Sache mit kniffliger Kletterei, der Quergang am Ende ist dann etwas einfacher.
L7, 35m, 6a: Über die Platte nach links und zum Riegel hoch, dieser Abschnitt bleibt im Frühjahr oder nach Regen gerne länger feucht (kann heikel sein!). Die Stufe ist etwa mannshoch, wie kommt man da darüber hinweg?!? Doch wie von Zauberhand (bzw. eben beim Auschecken von oben richtig erkannt), befindet sich genau an der richtigen Stelle ein genügend guter Sloper, wo man den nötigen Schwung für den Mantle holt - ein totaler genialer Move, der für 6a ziemlich hart daherkommt (original war diese Stelle mit VII (~6b) bewertet, A0 aber gut möglich). Das wäre vielleicht eine Real-Life-Felsstelle, die all jenen zu Gute kommt, die während der Pandemiezeit ausgiebig Tischboulder geübt haben :-) Zuletzt noch ein paar Meter über die hier ultraglatte Platte zum Stand, dank einiger Dellen geht's aber ausreichend kommod und im Gesamtkontext unschwierig.

L8, 40m, 6b+: Der komplette Ausreisser in dieser Datenreihe! Für einmal gilt's hier keine Platte zu klettern, sondern es wartet ein 30m hoher, überhängender Aufschwung mit genialer, athletisch-überhängender Risskletterei. Die erste Sequenz führt zum Angewöhnen an ein markantes, gutgriffiges Horn, wo die Planung des folgenden Abschnitts geschehen kann. Es gilt hier ein wahres 3d-Puzzle zu lösen: ein paar sloprige Leisten, die Kante der Verschneidung sowie die oben kaminartig abstehende Schuppe können genutzt werden. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen Kniff entschlüsselt hatte, mir kam es für 6b+ doch ziemlich hart vor (original VII+ (~6c), A0 möglich und anhand der vorhandenen Seilstücke wohl oft praktiziert). Möglicherweise liegt es daran, dass die hier nach links offene Verschneidung lange schattig und etwas feuchtelig ist - so fühlte sich der Grip auf den Sloperleisten miserabel an, aber es ging dann doch. Nach diesem Boulder folgen durchgehend griffige Risse mit schön scharfen Kanten, eine formidable Turnerei.

Ausstieg aus der Steilstufe (L8, 6b+), darunter die zuvor erkletterten Platten mit einer Seilschaft in 'Eile mit Weile'.
L9, 25m, 6a: Einfacher Quergang oberhalb der Steilstufe nach rechts zum ersten Bohrhaken, wo wieder ein fantastisches Boulderproblem wartet. Gefühlvoll manteln oder mit Hau-Ruck und dynamisch?!? Tja das ist die gute Frage, jedenfalls ist es alles andere als einfach sich hier aufzurichten, bevor einen die Schwerkraft wieder in die Tiefe zieht. Der Rest der Seillänge kommt dann gutmütiger daher, zuerst nach rechts hoch und wieder etwas nach links zurück.

L10, 40m, 6b+: Ein Wunderwerk der Natur! Hier gibt diverse, rund geschliffene, muldenartige Strukturen mit einem badewannenmässigen Charakter. Über diese gilt es mit viel Vertrauen in die Haftreibung hinwegzubouldern. Eine noch etwas steil-glattere Stelle bildet dabei die Crux der ganzen Route. Sie ist perfekt eingebohrt, A0 ist auch möglich, aber wir sind ja zum Freiklettern da! Mit blossem Hinstehen werden aber die Füsse abrutschen, das wird subito klar. Griffe, an welchen man ziehen kann hat es auch nicht. Somit ist eine alternative Idee gefragt: mir gelingt es schliesslich, dynamisch auf den ersten, üblen Sloper zu moven, an welchem ich mich sofort vor dem Abrutschen nach rechts, auf einen zweiten, etwas besseren Sloper retten musste - absolut mega, da fühlt man sich gleich wie an einem Boulder-Worldcup :-) Eine solche Stelle zu bewerten ist natürlich extrem schwierig (original VII), für mich war es aber um Welten schwieriger wie eine moderne Plaisir-6b+ in Wandkletterei. Als Boulderbewertung in der Fontainebleau-Skala würde 6B+ vielleicht etwa hinkommen, in Routenbewertung ergäbe das dann eine 1-2 Buchstabengrade höhere Einstufung... wie auch immer, die Stelle ist genial und auch danach folgen weitere, nicht mehr ganz so schwierige Plattenboulder, wo hingestanden, gepresst, gestützt und gemantelt werden will, der Hammer!

Diese geniale Länge (L10, 6b+) lässt sich kaum mit dem Apparat einfangen, die muss man erleben! Am Ende hilft ein Tritt-Rail kommod über den letzten Quergang hinweg, da sind die Schwierigkeiten nicht mehr von demselben Zuschnitt wie an der Crux.
L11, 40m, 5c: Der Ausblick auf die sich sogar aufsteilende, kompakte Wand lässt Böses vermuten und im von uns mitgeführten Topo aus dem Plaisir West 2019 ging für diese Länge interessanterweise die Bewertung vergessen (im Originaltopo steht VI, in älteren Plaisir-Ausgaben 5c). Die Sache entpuppt sich dann aber als wesentlich gutmütiger wie befürchtet. Die kompakt scheinende Wand hält einige taugliche Leisten bereit, was in diesem Gelände einen massiven Unterschied macht. In der Folge warten dann in Form einer kleinen Kopie von L10 ein paar weitere Badewannen-Boulder, welche aber allesamt deutlich einfacher ausfallen wie das Original.

L12, 40m, 5c: Vom Stand geht's nach rechts in die kompakte Wand, doch auch hier ist das Gelände für einmal relativ üppig strukturiert, jedenfalls für Handegg-Verhältnisse (original VI). Nachher gredig obsi, auch hier vermochte der Gletscher nicht alles glattzupolieren, was Händen und Sohlen Widerstand zu leisten vermag.

Unglaublich, was der Gletscher hier für Arbeit geleistet hat - hektarenweise Küchenabdeckung in L12 (5c).
L13, 35m, 6b: Eine nochmals total geniale Sequenz: durch eine kompakte, wohl ungangbare Platte zieht eine feine Rissspur. Viel Griffiges bietet diese nicht, aber ein paar Dullen und Käntchen sind vorhanden und das macht den Unterschied zwischen "Esel steht am Berg" und "Kletterer marschiert vorwärts". Im finalen Drittel der Länge folgt dann ein weiterer potenzieller Rausschmeisser - immer steiler werdend in der Fortsetzung des Risses bleiben oder klettert man da kreativ besser nach rechts in die Wand?!? Du wirst hoffentlich die richtige Lösung finden. Es folgt nun ein Rechtsquergang, bevor man linkshaltend nochmals einen Badwannä-Tango in der ausgewaschenen Rinne vorzeigt.

L14, 60m, 5c: Im abschliessenden Teilstück wartet bald, ähnlich wie zuvor, nochmals ein Rechtsquergang. Dieses Mal gängiger wie zuvor, aber für eine 5c doch noch mit Oho-Effekt! Links haltend klettert man dann in ähnlichem Charakter wie zuvor hinauf, schliesslich lassen Neigung und Schwierigkeit etwas nach und nach ca. 45m Kletterstrecke trifft man auf den Muniring, der das Routenende markiert. Damit gab ich mich noch nicht zufrieden, mit einem 60m-Seil erreicht man einen weiteren Stand (zwei verzinkte, verrostete Fixé-Haken) an der Stelle, wo der Fels wieder steiler wird. Klar handelt es sich dabei um einen halbwegs logischen Endpunkt, de fakto befindet man sich aber hier schon irgendwo im Nirgendwo, denn es würden oberhalb durchaus nochmals ein paar Seillängen warten. Der Fels scheint kompakt, auch schwierig, zu schwierig vielleicht? Wurde es je überhaupt ausprobiert und hat es sich als unlohnend erwiesen? Fragen über Fragen stellen sich... und die Tatsache, mitten in der Wand zu enden ist denn auch ein kleiner Wermutstropfen für eine Route, die ansonsten gut und gerne das Prädikat "Weltklasse" verdient.

Auch wenn wir da schon auf dem Heimweg sind, dieses Foto zeigt einen Ausblick auf L14 (5c). 
Um 16.30 Uhr, nach also total rund 6:00h (bzw. 4:15h für die Siebenschläfer-Längen) absolut vergnüglicher Kletterei erreichen wir das Top - wir hatten uns die Zeit genommen, um jede Stelle in freier Kletterei zu entschlüsseln, was sich mit einer einwandfreien Begehung voll ausbezahlt hatte. Mit dem (vor)schnellen Griff zum Silberling käme man bestimmt schneller voran, aber kann dies das Ziel sein?!? Das Routenende bietet zwar durchaus die Gelegenheit, um ein wenig auf dem geneigten Granit zu fläzen. Da aber die anderen Familienhälfte den Katzenpfad bereits beendet hat und uns aus dem Hotel Handeck verfängliche Fotos mit kulinarischen Genüssen sendet, zieht es uns auch gen Tal.  So fädeln wir unsere Seile in den Ring und gleiten in die Tiefe. "Leider" sind die Seillängen im oberen Teil gerade ein wenig zu lang, als dass man mit den 60er-Seilen Stände überspringen könnte. Erst oberhalb der Steilstufe geht's, von da erreichen wir den zweitletzten Stand vom Katzenpfad, mit einer weiteren Strecke das Grasband nach L2 und nach einer kurzen Gehpassage mit dem letzten Abseiler schliesslich den Boden (total 8 Manöver). Gemütlich packen wir zusammen, laufen hochzufrieden zum Hotel Handeck und geniessen den ersten Restaurantbesuch nach der Coronazeit.



Facts

Handegg - Siebenschläfer 6b+ (6a obl.) - 14 SL, 540m - Howald/Rüedi 1979, saniert 2000 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams/Keile nicht nötig

Der Siebenschläfer ist eine reibungslastige Granitroute mit Prädikat 'Weltklasse'. Nach einem mässig schwierigen, aber doch auch schon schönen Auftakt über den Engeliweg folgt ein Feuerwerk an technischen Boulderstellen über Platten, geschliffene Granitmulden, heikle Mantles und am Steilaufschwung sogar auch noch athletische Kletterei. Es ist also für viel Abwechslung gesorgt und es wird keineswegs langweilig. Die Absicherung ist im Engeliweg und in den ersten Siebenschläfer-Längen bis und mit der Steilstufe wirklich als "Plaisir super" zu bezeichnen. Nachher steigt der Anspruch an den Vorsteiger etwas an, in gewissen Passagen muss auch über dem letzten Haken noch gescheit auf Reibung gestanden werden und es ist nicht jeder Mantle einfach mit Hakenziehen zu entschärfen. Trotzdem erreicht auch hier die Absicherung noch Stufe xxxx. Ein Topo findet man im Plaisir West (aktuelle und auch schon ältere Ausgaben), nach wie vor interessant ist das Originaltopo.