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Donnerstag, 4. Februar 2021

Kandersteg - Allmenalpfall (WI4)

Im Eiskletterführer Hot Ice wird der Allmenalpfall auf Position 9 der besten Schweizer Eisfälle aufgelistet. Doch trotz dieser Tatsache und dem Fakt, dass er gut erreichbar quasi mitten in Kandersteg steht, erhält er gar nicht so viel Aufmerksamkeit. Das liegt wohl daran, dass er sich nicht im Epizentrum Oeschiwald befindet, sondern an den sonniger exponierten Osthängen des Tals. Da er ab Mitte Februar in den Morgenstunden tatsächlich schon etwas Sonne erhält, gilt es die Begehung gut zu planen. Belohnt werden die Mühen auf jeden Fall, mir hat die Kletterei exzellent gefallen.

* Ein Bericht von meinem zur Zeit vorletzten Eisklettertag im Februar 2019

Blick aus dem Kessel unter dem Einstieg hinauf zur Route. Wie so oft ist hier alles perspektivisch ziemlich verzerrt. Sprich, der Eisfall sieht kürzer und flacher aus, als er sich dann klettert. Und auch der Weg bis zum Einstieg sieht ziemlich nach sanftem Gelände aus, doch sind diese Hänge zum Schluss tatsächlich an die 45 Grad steil!
Vom Bahnhof geht's westlich der Bahnlinie entlang in Richtung Allmenalpbahn, welche im Winter nicht in Betrieb ist. Über geräumte Strassen erreicht man den Waldrand, dort wo sich auch der Beginn des Kandersteger Klettersteigs befindet. Man verlässt dessen Verlauf aber sofort und muss den Vorbau P.1464 rechts umgehen. Bald geht's steil aufwärts durchs Gehölz, die Orientierung nicht eben einfach und wenn (wie zum Zeitpunkt unserer Begehung) keine Spur liegt, kann das eine anstrengende Sache sein. Eindrücklich, aber noch bunter wird es, wenn man aus dem Wald tritt, um die Ecke biegt und im Kessel unter dem Einstieg steht. Hier kann einem steile Wühlerei drohen und man muss sich nicht nur wegen der Lawinengefahr absolut sicher sein, sondern es drohen bei Tauwetter auch Eis- und Steinschlag aus den Felsen rechts. Das Ambiente ist aber grandios, ebenso wie die Vorfreude auf die Kletterei, welche bereits hellblau leuchtend lockt. Der Weg vom Bahnhof an den Einstieg hatte uns gerade etwa 1 Stunde gekostet, bei guter und vorhandener Spur geht's bestimmt noch mindestens eine Viertelstunde schneller.

Der letzte Abschnitt unserer ersten Seillänge reicht von der Steilheit an die Senkrechte heran.
Die Kletterei am 250m langen Eisfall umfasst 5-6 Seillängen. Nach etwa 20 moderat steilen Einstiegsmetern geht's dann bald zur Sache und es folgt der steilste Abschnitt der ganzen Tour. Auf rund 10 Metern reicht die Steilheit an die Senkrechte heran. Die Eisqualität zum Zeitpunkt unserer Begehung war grundsätzlich in Ordnung, aber mangels Begehungen halt nicht ausgeräumt und ausgehackt. Sprich, das Eis war generell wenig strukturiert und trittarm, an den flacheren Stellen auch stellenweise krustig überschneit. Unter diesen Voraussetzungen fühlte sich die WI4 nicht wesentlich weniger anspruchsvoll an wie die oft begangenen, schwieriger bewerteten Eisfälle à la Pingu, Rattenpissoir oder Haizähne im Oeschiwald. Das ist sozusagen der Preis, den man hier für die Exklusivität bezahlt. Einen guten Stand findet man frühestens nach 50m, ein echtes Flachstück sogar erst nach gestreckten bzw. gar überreizten 60m vom Einstieg. Wir brauchten schliesslich wider besseres Wissen zwei Seillängen, um diesen Punkt zu erreichen.

Ausblick auf die fantastische Eismauer, die wir in unserer dritten Seillänge erklettert haben. 20m oben streift das letzte Licht der Sonne den Eisfall seitlich. Wie beim Eisklettern üblich haben wir keinen einzigen Strahl vom wärmenden Gestirn abbekommen.
Nun wartet eine fantastische, breite und ziemlich homogen um die 75 Grad steile Eismauer von erneut rund 60m Höhe. Es war schlicht ein Riesenspass, sich hier in die Höhe zu pickeln. Eine etwas flachere Sequenz führt schliesslich zum schon von weither sichtbaren Schlussbouquet. Die letzte Seillänge bietet erneut fantastische Eishackerei mit über längerer Zeit 80 Grad Steilheit. Dabei ist es wichtig, sich nicht zu weit nach links zu halten. Von unten sieht das zwar prima aus, das Eis wird links oben jedoch immer dünner und der Ausstieg ist nur ganz rechts möglich. Über einen kurzen Schneehang gelangt man schliesslich zum ersten, soliden Baum. Erneut sind es gestreckte 60m von der letzten Verflachung unterhalb. Da wie bereits erwähnt die Allmenalpbahn im Winter nicht in Betrieb ist, ist das Abseilen die einzig sinnvolle Option für den Abstieg. Für die ersten beiden Strecken stehen Bäume zur Verfügung, für die beiden folgenden müssen Abalakovs eingerichtet werden. Mit 4 Manövern à 60m reicht's gerade retour zum Einstieg.

Viel Ambiente in unserer dritten Seillänge!
Es verbleibt der Rückweg: durch die steile Rinne geht's im Abstieg freilich deutlich besser wie aufwärts. Im Wald unterhalb war der Schnee während unserem Abstieg bereits heftig angefeuchtet und stollte an den Steigeisen. Noch ganz anders war die Situation am Eisfall selber gewesen: der war nämlich kalt geblieben, die dortige Schneeauflage war sogar noch pulvrig. Noch erstaunlicher war dann jedoch das Klima am Bahnhof: mit einem Kaffee in der Hand setzten wir uns an der Sonne auf die Bank und warten auf den Zug. Hier konnten wir uns gleich etlicher Schichten entledigen, selbst im T-Shirt war's schön angenehm. Gut, wer oft in die Berge geht, kennt diese schnelle Temperaturwechsel ja zur Genüge. Eigentlich hätte es sich gut noch etwas verweilen lassen, um die Eiskletterer-Blässe in einen Skifahrer-Teint umzuwandeln. Freilich stiegen wir dann aber doch ein, als der Zug einfuhr.

Facts

Kandersteg - Allmenalpfall D+ II WI4 - 5-6 SL, 250m - *****
Material: 2x60m-Seile, ca. 14 Eisschrauben, Abalakov-Material

Der Allmenalpfall ist absolut zurecht ein Klassiker, in diesem Schwierigkeitsgrad dürfte es sich um eine der schönsten Routen in der Schweiz handeln. Die Kletterei ist homogen und ohne Flachstücke, zwei Sektionen von je rund 10m reichen an die Senkrechte heran (je nach Eisbildung und Linie). Die breite Eismasse und die Lage in einem wilden Kessel geben der Sache trotz der Nähe zur Zivilisation ein alpines Ambiente. Trotz der hohen Qualität der Kletterei und der Nähe zum Epizentrum Kandersteg herrscht am Allmenalpfall viel weniger Verkehr wie im Oeschiwald. Die Route selber ist nach NE ausgerichtet und erhält bis Mitte Februar nur ca. 1 Stunde seitliches Streiflicht von der Sonne. Die im Aufstiegssinn rechts vom Fall liegenden Felsen und die dort möglicherweise hängenden Säulen, Zapfen oder gleich ganze Eisfälle werden jedoch viel stärker beschienen und sorgen vor allem auf dem Zustieg und kurz vor dem Einstieg für Stein- und Eisschlaggefahr. Daher ist ein gutes Zeitmanagement zentral. Ebenso wenig darf man die Lawinengefahr im teils über 45 Grad steilen Zustiegskessel unterschätzen. Einmal auf der Route sind die objektiven Gefahren durch Eis- und Steinschlag sowie Lawinen dann deutlich geringer.

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