Hitzewelle mit Rekordtemperaturen im Juni, da gibt's einen 'place to be', die Titlis Nordwand. Im Vorfeld sind wir uns nicht ganz sicher, ob nach dem schneereichen Frühling 2019 bereits ideale Bedingungen herrschen. Doch wir wollen es probieren und die relativ neue 'Pipistrello' (7b+) aus dem Jahr 2017 angehen. Sie befindet sich gleich links der bereits weitherum bekannten 'Süpervitamin', welche mir damals ein formidables Klettererlebnis beschert hat. Und es wird ein gelungener Tag: wir sind früh genug unterwegs, damit wir dem im Tagesverlauf immer stärker tropfenden Schmelzwasser entkommen und erhalten die übliche Ladung mit spannenden Moves, viel Luft unter den Füssen und zahlreichen Henkeln in den Fingern.
Routenverlauf der Pipistrello mit dem Zustieg aufs Band (Foto wurde nicht am Tag der Tour aufgenommen!). |
Unsere Tour startet um 7.50 Uhr beim Schlänggen-Parkplatz. Trotz der Hitze im Flachland ist es im Talgrund von Engelberg noch richtig kühl und ich montiere umgehend meine Fleece-Jacke. Sobald wir etwas emporsteigen, geht's aber temperaturmässig gleich aufwärts. Doch bis zur Hohfaldalp geht's angenehm schattig durch den Wald. Erst hinauf zum Galtiberg wird's dann schweisstreibend. Als wir um 9.10 Uhr nach 80 Minuten Aufstieg im Angesicht der Wand stehen, bläst uns dann aber wieder eine kühle Brise von den noch massiven Schneefeldern entgegen. Wir schirren uns auf und gehen über den zum Glück nicht ganz harten und nicht extrem steilen Schnee der Rampe entgegen. Die Randkluft gegen den Fels hin ist gross, aber mit einem Sprung an geeigneter Stelle zu meistern. Etwas Bammel haben wir vor der Passage an den Fixseilen aufs Band, da wir mutmasslich die ersten sind, welche diese Saison in der Titlis Nordwand aktiv sind. Doch sie sind alle intakt und auch die noch vorhandenen Schneeresten lassen sich problemlos umgehen. So sind wir um 9.30 Uhr am Einstieg. Wir geniessen das angenehme Klima, erholen uns etwas vom Aufstieg, nehmen einen Znüni und steigen um 10.00 Uhr ein.
Der Blick vom Einstieg auf die Riesenwalze am Horizont ist irgendwie... beängstigend. |
L1, 45m, 6b: Der Einstieg befindet sich ca. 5m links der SU-Schlinge der Süpervitamin. Es gibt jedoch keine Kennzeichnung und der erste Haken steckt erst rund 10m 'off the deck'. Also Augen auf und Vorsicht. Der Einzel-BH ca. 10m links der Süpervitamin-Schlinge gehört zum zur Zeit noch nicht fertiggestellten Projekt von Sämi Speck. An sich handelt es sich um eine gemütliche, plattige Seillänge an Knobs - wenn da nicht in der Mitte eine kurze, aber ziemlich glatte Boulderstelle wäre.
Lässige Plattenkletterei an Knobs in L1 (6b). |
L2, 40m, 6a+: Weiter geht's in ähnlichem Stil an Knobs. Da nur 3 BH stecken, ist der Routenverlauf nicht so einfach zu identifizieren. Aber einfach der Nase nach, im Zweifel ausser ganz am Ende tendenziell eher links halten, ohne jedoch in Sämis Route abzudriften. Zusätzlich absichern ist hier gar nicht so einfach, Knobs die man abbinden und zuverlässig als Zwischensicherung nutzen könnte, konnte ich jedenfalls keine identifizieren und gelegt habe ich schliesslich nur einen Camalot 1. Aber da die Kletterei nicht so schwierig ist, passt es schon.
Ein bisschen weiträumige Absicherung in L2 (6a+), aber vielleicht findet man ja Knobs zum Abbinden...?!? |
L3, 50m, 6b: Keine Knobs mehr, schon steilerer Fels, der dafür mit der bekannten Titlis Nordwand Griffigkeit auftrumpft. Man zielt auf die markante Verschneidung hin, ich denke nach Niederschlagsperioden könnte es hier auch länger noch etwas feucht bleiben, was wegen dem etwas mehligen Fels unangenehm sein könnte. Wir konnten dem vorhandenen Wasserstreifen aber gut ausweichen. Das Finish an der Verschneidung muss man mit Cams mobil abgesichert werden (wir legten 0.4 und 0.5, eine Grösse mehr oder weniger dürfte auch gehen), der Mantle am Ende auf's schottrige Bödeli hat es noch etwas in sich.
Fertig Platten, nun ist die Kletterei schon einmal senkrecht: L3 (6b). |
L4, 50m, 6c: Es wartet gleich ein Leistenboulder vom Band weg mit etwas brüchigen Tritten. Obacht, da könnte das Geläuf schon Schaden nehmen. Die Schwierigkeiten nehmen dann ab, die Hakenabstände zu, die Felsqualität bleibt nicht ganz überzeugend. Das letzte Drittel ist dann nochmals schwieriger, steil, athletisch und henklig. Da man sich hier über einem Band befindet, fühlt sich das etwas expo an, der Fels ist auch nicht super-mega. Doch vielleicht ginge der Sturz nicht bis aufs Band oder man fällt aussen daran vorbei...
Der Einstiegsboulder (Crux in L4, 6c) ist bereits gemeistert. |
L5, 50m, 7b+: Eine geniale Monsterlänge im Stil der Süpervitamin-Crux, die sich gleich ein paar Meter rechts davon befindet. Total ca. 7m überhängend. Erst ein paar einfache Meter auf ein Band hoch, welches dann zu Beginn der schwierigen Kletterei etwas unangenehm im Sturzraum lungert. Ob das mehr ein mentales oder ein tatsächlich objektives Problem ist, muss ich offen lassen. Es wartet powerige Kletterei an Leisten und Henkeln. Bald einmal kommt eine kräftige, bouldrige Stelle. Gut überlegen, entschlossen durchziehen, weiter dranbleiben übers nächste Bäuchlein und danach kühn weitersteigen! Nachher ist dann quasi 'nur noch' die Ausdauer gefragt, es lässt aber bis zum Ende nicht nach, ist einfach pumpig und die Hakenabstände erfordern auch beherztes Vorwärtssteigen! Die Einstufung von 7b+ finde ich im Kontext der Titlis Nordwand absolut korrekt. Ich konnte die Seillänge im Nachstieg solide flashen (yes!), mir fiel das jetzt deutlich einfacher wie kürzlich die Cruxlänge der Nikita an den Gastlosen, die offiziell 7b ist, ich aber schon in meinem damaligen Bericht mit mindestens 7b+ veranschlagt hatte.
Hier ist's nun einfach steil und pumpig! Ausblick auf L5 (7b+). |
L6, 40m, 7a: Gleich nach dem ersten BH wartet die erste Crux, eine athletische und für einmal nicht so üppig griffige Stelle. Hier könnte man doch ziemlich heftig vom 3m oberhalb des Hakens in die erste Zwischensicherung donnern, Vorsicht! Weiter geht's dann vermeintlich einfacher in eine überhängende Verschneidung, die aber gar nicht so gut zu nutzen ist. Gleich nach dem 'death block' (pfleglich behandeln) wartet nochmals eine zähe Stelle, bevor man dann in etwas einfacheres, aber immer noch anstrengendes Gelände entlassen wird. Irgendwie wurde ich mit dieser Seillänge nicht ganz so warm. Irgendwie fehlt der Kletterei etwas die Eleganz und die Felsqualität ist auch nicht top.
Das Bild zeigt die Steilheit der oberen Seillängen an der Titlis Nordwand sehr schön! Und jene der Nase erst recht. |
Um 14:15 Uhr und damit nach 4:15h Kletterei sind wir am Top. Eigentlich waren es ja 'nur' 6 Seillängen, aber wir verspüren doch eine gewisse Müdigkeit und vor allem Durst! Aber kein Wunder, die Seillängen sind ja alle recht lang, steil und nicht geschenkt. Mit Freude stelle ich fest, dass ich auch nach meiner vierten Tour in der Titlis Nordwand noch nie das Seil belasten musste und alle Seillängen frei durchsteigen konnte - irgendwie schon verrückt, bei einem solch steilen Gemäuer! Ausser einem beeindruckenden Tiefblick gibt's am Top der Pipistrello nicht viel zu holen, so dass wir uns schon bald auf den Weg in die Tiefe machen. Die obersten 2 Seillängen sind massiv überhängend und die Seilenden baumeln weit weg vom Fels in der Luft. Konzentration und Beherrschen der Abseiltechnik sind absolut unerlässlich, sonst kann es böse enden! Aufgrund der Wärme hat die Schneemelze zugelegt, so dass die Wasserfälle an Intensität zugenommen haben. Je nach Wind wird man in den oberen Seillängen kühl geduscht, die Einstiegsplatten sind inzwischen komplett nass. So seilen wir die unteren 3 Längen über die Süpervitamin ab, in der Hoffnung etwas weniger feucht am Einstieg anzukommen. Das gelingt mehr oder weniger, aber dank der warmen Temperaturen ist die Erfrischung auch nicht weiter störend. Als wir zurück am Einstieg sind, erscheint dort auch schon die Sonne.
Die Abseilerei ist sehr eindrücklich und erlaubt keine Fehler im Handling. |
Für uns bleibt noch der Rückweg übers Band und dann vor allem, die Überwindung der Randkluft zurück auf den Schnee. Im Hinweg hatten wir das ja mit einem Sprung gemacht, was sich im Abstieg nicht replizieren lässt. Wir finden aber schliesslich einen Weg, wie wir in der Randkluft emporklettern können und im Teamwork den heiklen Mantle aufs Schneefeld meistern. Der Rest vom Abstieg ist dann Formsache. Ich habe meinen Ultraleicht-Gleitschirm mitgeführt, mit dem ich bequem ins Tal gleiten möchte. Wie schon im Vorfeld befürchtet, entpuppt sich das als nicht so einfach. Auf dem Galtiberg herrscht überall zügiger Abwind, absolut unmöglich da in die Luft zu kommen. Solange es noch solch grosse Schneefelder hat, dürfte das wohl meist der Fall sein, erst recht an einem solch bockstabilen Hitzetag wie heute. So gehen wir halt zu Fuss. Oberhalb der Hohfaldalp spüren wir plötzlich die Hitze und endlich, Windstille! So will ich es doch noch versuchen. Bis aber alles parat ist, bläst auch hier der Abwind. Ich beschliesse aber zu warten und werde belohnt. Nach 10 Minuten steht die Luft nochmals kurz still und ich kann die Chance gleich nutzen. Über den Golfplatz und mit für einmal ungewöhnlicher Perspektive auf den Schlänggen gelange ich ins Tal. Noch bevor ich nach der Landung alles eingepackt habe, ist meine Begleiterin (die zu Fuss abgestiegen ist) auch schon da. Zeitlich hat sich der Flug also nicht gelohnt, Spass hat's trotzdem gemacht.
Facts
Titlis Nordwand - Pipistrello 7b+ (6c+ obl.) - 6 SL, 275m - Ruhstaller/Rathmayr/von Känel 2017 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.4-1 für L1-L3, danach nicht mehr einsetzbar.
Eindrückliche Linie durch die irre steile Titlis Nordwand in unmittelbarer Nachbarschaft zur bereits bekannteren Süpervitamin. So erstaunt es wenig, dass der Charakter der Route sehr ähnlich ist: zwei plattige Einstiegslängen an Knobs, zwei eher senkrecht-leistige Längen und der luftige, athletische und henklige Abschluss mit 2 weiteren Seillängen. Gefallen hat mir die Pipistrello etwas weniger gut als Süpervitamin und Duracell, aber besser als Lochblick. Solche Eindrücke sind aber immer subjektiv und auch vom persönlichen Erlebnis gefärbt. Wobei es in der Pipistrello schon Zonen gibt, wo der Fels nicht 1a-Qualität hat. Selbst in der Cruxlänge bedient man hier und da etwas dubiose Henkel. Zudem ist die Route noch wenig abgeklettert und immer wieder brechen an Tritt und Griff kleine Spitzli oder etwas 'brösmelet' etwas, was sich jedoch mit weiteren Wiederholungen sicher verbessert. Auf den Bändern liegen wie überall in der Titlis Nordwand viele 'Bomben' herum und Abseilen garantiert ohne Steine auszulösen ist nicht möglich. Deshalb grösste Vorsicht, wenn andere Leute unterwegs sind! Ebenso liegt der Einstieg und die ersten Seillängen genau in Falllinie eines Couloirs, was bei Schneeresten, Gewittern usw. objektiv gefährlich ist. Mit Inoxbolts abgesichert ist die Route gut, aber auch nicht besser als das. Im einfachen Gelände wurde eher materialsparend eingerichtet und während die schwierigen Stellen fair und sinnvoll gebohrt sind, so muss man auch hier im anhaltenden wenn auch griffigen Gelände deutlich über die Haken steigen. Die Angaben für mobile Sicherungsmittel im Originaltopo sind unseres Erachtens eher grosszügig ausgefallen. Gelegt haben wir total schliesslich genau 3 Cams der Grössen 0.4, 0.5 & 1. Mehr war nicht nötig oder dann konnten wir in den einfacheren Runouts keine zuverlässigen Placements identifizieren.
Das Topo der Erstbegeher. Vielen Dank Reto, Bernd & Peter! |
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