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Samstag, 27. Juni 2020

Handegg - Herrenpartie (6b)

Die ersten Routen an der Spiegelwand bei der Handegg wurden wie viele anlässlich der Erschliessungswelle zum Ende der 1970er-Jahre von Hans Howald und Gefährten eingerichtet. Sie führen durch sauberen, über weite Strecken vom Gletscher polierten Granit und bieten vorwiegend Reibungskletterei. Aufgrund der spärlichen Absicherung gerieten diese im Lauf der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit. Aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde der Sektor mit der Sanierung von Herrenpartie und Schiefer Traum im 2015/2017. Nun verirren sich - absolut zurecht -  wieder vermehrt Kletterer an diese Wand hinauf. Weil der Zustieg ein wenig länger und auch ein wenig alpiner wie zu vielen anderen Grimsel-Sektoren ist, geniesst man jedoch immer noch ein wenig mehr Einsamkeit. Auch wir wollten die Spiegelwand erkunden, aufgrund von (im Frühjahr stets präsenten) Schneeresten wählten wir schliesslich die etwas einfacher zugängliche Herrenpartie.

Sicht vom Bügeleisen gegenüber auf die Handegg-Wände mit dem Zustieg und dem Verlauf der Herrenpartie.
Der Zustieg erfolgt vom Kraftwerk Handegg, bitte die im Plaisir West ausgewiesenen Parkplätze benutzen, man darf sein Auto nicht überall hinstellen. Man läuft dann am Kraftwerksgebäude vorbei, unmittelbar dahinter beginnt der ausgeschilderte Pfad, welcher in wenigen Minuten auf die aufgeschüttete Ebene hinaufführt. Hier hält man sich nach links, biegt um die Ecke und passiert den Einstieg vom Katzenpfad. Am linken Ende dieser Felszone geht's ca. 30m steil durch ein Couloir hinauf (Fixseil, freigeklettert ca. 3a), über welches man ein Erlenwäldchen mit Pfadspuren erreicht. Durch dieses hindurch in wieder offenes Gelände. Man quert die felsige Zone, d.h. den Auslauf der Schlucht zwischen Spiegelwand und Ölberg, nach links zum Fuss der Spiegelwand. Hier hält sich bis in den Sommer hinein ein Schneefeld, welches den Zugang zum Originaleinstieg der Herrenpartie, bzw. der etwas rechts davon verlaufenden Sanierungsvariante erschwert. In diesem Fall muss man entweder alpines Gerät mitführen (und die potenzielle Randkluft beachten) oder den alternativen Einstieg links in der Verschneidung wählen.


Im Zustieg mit Aussicht auf die Spiegelwand, gerade vor der heiklen Zone (siehe Beschrieb unten).
Achtung: solange oberhalb in der Schlucht noch Schneeresten liegen, kann in der Querung der Auslaufzone und beim unteren Einstieg erhebliche Eisschlag- bzw. Schneerutschgefahr herrschen. Zur Zeit unserer Begehung lagen grosse, von unten nicht einsehbare Blöcke auf Abpfiff und prompt kam es im Tagesverlauf zu 2 massiven Abgängen. Daher wachsam sein und im Zweifel über die Verschneidung links einsteigen, die heikle Zone im Zustieg hat man in wenigen Sekunden überquert. Der Weg zur Verschneidung führt (bei Ausaperung) durch eine geröllige Zone, solange das Schneefeld noch vorhanden ist, muss man links recht steil etwas exponiert über eine Art Moräne schnafeln und dann zum Einstieg queren. Um 10.30 Uhr waren wir bereit zum Starten, die Sonne hatte uns eben erreicht.

L1, 40m, 3b: Aufgrund der Darstellung im Plaisir könnte man in Versuchung kommen, diese Länge seilfrei oder mit Turnschuhen zu begehen. Das scheint mir gar nicht empfehlenswert, doch eigentlich erkennt man schon von unten, dass man es hier nicht mehr mit Semi-Gehgelände zu tun hat. Wesentlich einfacher wie die letzten paar, mit 5b bewerteten Herrenpartie-Längen dünkte mich dieser Abschnitt jedenfalls nicht. Ein bisschen schade, dass die Variante wenige Meter rechts der Verschneidung über die schöne Platte nicht auch saniert ist, die wäre sicher attraktiv. Vermutlich aber gehört sie zum 'Soläblitz'. Es stecken 2 Uralt-Bolts, vermutlich ginge es auch so - den Schneid es auszuprobieren hatte ich vor Ort aber nicht. Für die kleine Verschneidung im oberen Teil dieser Alternativlänge bräuchte man vermutlich auch mobiles Material.

In der Einstiegsverschneidung (L1, 3b) - mich dünkt, dass diese Länge nach Plaisirbewertung eher ein Fünfer ist.
L2, 40m, 5a: Im Plaisir ist dieser Abschnitt komplett als Gehgelände aufgeführt. Tatsächlich kann man auf dem grasigen Band mühelos nach rechts gehen, allerdings müsste man sich dann drüben ohne Stand und Sicherung den Vorsteiger in der nominellen L1 kümmern, was wenig empfehlenswert scheint. Besser also eine Seillänge machen - übers Band, dann noch über 2 Bohrhaken hinauf (ca. 5a) zum Stand mit Drahtseil, gemäss der Plaisir-Zählung quasi der nullte Stand der Herrenpartie.

L3, 30m, 5a: Über erst noch etwas gestuftes Gelände geht es aufwärts, bevor man nach links quert. Das löst sich alles viel einfacher auf, als man von unten meinen könnte. Auch das Bächlein, das hier herunterrann, liess sich problemlos queren, man musste kaum nasse Griffe und Tritte benutzen.

Die letzten, gemässigten Meter (L3, 5a), bevor es dann bald richtig ernst gilt. Auf 11 Uhr der Kletterin die absturzbereiten Schneemassen.
L4, 35m, 6a: Nun gilt es ernst, gleich vom Stand weg folgt die erste richtig schwierige Kletterstelle. Im Originalzustand war das eine echt kühne Sache, der alte Bohri steckt erst sehr weit oben. Heute ist die Stelle jedoch bestens abgesichert, man darf auf dieser Strecke bereits 3x klippen. Etwas Struktur mit ein paar kleinen Leisten und Tritten hilft einem hier vorwärts, Klasse! Es geht dann etwas einfacher dahin, bis man zum Schluss unmittelbar neben der grasigen Verschneidung nochmals fein klettern darf.

Am Ende von L4 (6a) zwingen uns erste Rinnsale auf eine leicht schwierigere Linie links der Haken.
L5, 40m, 5c: Erst noch in der Verschneidung, dann klettert man über diese hinweg auf die Platte. Da offenbarte sich für uns endgültig, dass die Herrenpartie zwar durchaus mittig im trockensten Bereich zwischen den zwei markanten Wasserstreifen durchführt, aber eben durchaus noch manches Neben-Rinnsal vorhanden war. Etwas erschwert musste man einen ca. 1m breiten, trockenen Streifen etwas neben der gut benetzten Hakenlinie benutzen - wobei, in einer Route wo es kaum Griffe und Tritte hat, sollte eigentlich auch das gehen (war dann auch der Fall, mir schien dieser Abschnitt jedoch schwieriger wie 5c). Der weit aussehende Hakenabstand löst sich übrigens perfekt auf.

Klettern unter erschwerten Bedingungen in L5 (5c) - aber es ging!
L6, 40m, 6b: Die Crux! Am Anfang geht's erst noch gut, wobei man nach dem ersten Haken sein Gespür für die Reibung bereits einmal kalibrieren kann. Ein paar unerwartet auftauchende Leisten erlauben aber generell zuerst ein noch recht kommodes Vorwärtskommen. Zuspitzen tut sich die Sache nicht unerwartet dort, wo schon Hans Howald 1979 seinen Bohrer für die damals einzige Zwischensicherung auf dieser Seillänge angesetzt hat. Vom heute vierten Bohrhaken weg gilt es ernst, in Reibungskletterei am Haftungslimit muss man mit präzisen Bewegungen in die Höhe schleichen - immer wieder ein aufregendes Gefühl, cool! Früher war diese Stelle nur mit VI- (d.h. 5c) bewertet. Ich vermute aber, dass man damals 2-3m weiter rechts an der kleinen Verschneidung geklettert ist, was etwas leichter (aber dafür nicht immer trocken) sein dürfte. Wenn man nicht schon vorher ins Rutschen gekommen ist, so kriegt man schlussendlich wieder ein paar Leisten in die Hand und kann etwas kontrollierter Voranschreiten. Doch am Ende dieser Länge, vom alten Muniring hinauf zum neuen Stand wartet nochmals eine knifflige Passage (siehe Video).

Rückblick auf die steil-glatte Reibungspassage der Crux (L6, 6b), noch im Vorstieg auf einer guten Trittleiste fotografiert.
L7, 40m, 5b+: Die letzten vier Seillängen der Herrenpartie bieten sehr schöne, nun aber markant einfachere Reibungskletterei. So kann man es gut zusammenfassen, allerdings könnte man zum Start dieser Seillänge durchaus fragen, ob der werte Herr Dettling bei diesem Fazit nicht ein wenig stark generalisiert hat. Die ersten Schritte vom Stand weg heisst's nochmals sauber schleichen, es ist gleich die anspruchsvollste Passage. Nachher geht's über den Plattenrücken wenige Meter neben dem grossen Pfeiler mit seiner etwas grasigen Verschneidung dann deutlich gemässigter vorwärts.

L8, 50m, 5b: Hier gibt's etwas Abwechslung, da man zuerst (natürlich immer noch vorwiegend auf Reibung) einer Verschneidung entlangklettert. Auch weiter oben folgen einige Rippen, die man gut als Seitgriffe nutzen kann. Insgesamt eine gemütliche Sache.

Wunderbar geniale Reibungsplatten warten im oberen Teil der Herrepartie - da hat der Gletscher saubere Arbeit geleistet.
L9, 45m, 5b: Viel gibt's hier nicht zu sagen, es gibt kaum Griffe/Tritte - reine Reibungskletterei, wo man einfach in die Höhe schleichen, laufen, spazieren, flanieren, ... kann. Speziell: bei den alten Haken sind die Ringe ganz schön in die Länge gezogen, auch bei den neuen Bolts sind die Plättli schon deutlich flachgedrückt. Hier liegt im Winter wohl oft ein Schnee- oder Eispanzer auf dem Fels, der langsam zu Tale kriecht.

L10, 35m, 5b: Der schwierigste Schritt folgt gleich nach dem Stand, danach geht's sehr schön und einfacher über einige typische Handegg-Badewannen hinweg, bevor man zum einfachen Reibungs-Schlussspurt exakt mittig zwischen Wasserstreifen ansetzen darf.

Geschafft! Die letzten Meter in L10 (5b) sind flacher, da müssen die Plattenkrallen nicht mehr zum Einsatz kommen.
An dieser Stelle endet die Route, original führte sie noch 2 Seillängen weiter. Da das Gelände oberhalb aber flacher/einfacher und weniger interessant wird und zudem viele lose Steine herumliegen, deren Auslösen die ganze Wand und alle Kletterer gefähret, haben die Sanierer entschieden, das Material oberhalb abzubauen. Es war gut 14.00 Uhr, wir hatten also rund 3:30 Stunden gebraucht - wenn man kann und will, geht es sicher auch schneller. Da uns aber ein wunderbarer Bergtag vergönnt war und wir die ganze Spiegelwand für uns hatten, nahmen wir es gemütlich, schossen ausgiebig Fotos und liessen auch einige Verpflegungspausen nicht aus. Insbesondere die Einblicke auf die oberen Längen vom Siebenschläfer waren spannend, die kannten wir ja von unserer Begehung 10 Tage zuvor bestens. So konnten wir allen Seilschaften bei ihrem Treiben zusehen, die Stellen kommentieren und jeweils prophezeien "Achtung, jetzt kommt er/sie dann ins Rutschen (oder greift zum Haken)". An der äusserst glatten und kniffligen Crux in L5 vom Siebenschläfer (6b+) bewahrheitete sich diese Prognose jedes Mal ;-) 

Coole Perspektive auf die oberen Seillängen vom Siebenschläfer.
Schlussendlich war es dann aber doch Zeit zum Abseilen. Auf den glatten Platten geht es mühelos, da das Seil jeweils selbständig in die Tiefe gleitet, perfekt. Es sind aber doch 9 Strecken, gefolgt vom alpinen Abstieg über die Moräne, die immer noch den Eisblöcken ausgesetzte Traverse, das Erlenwäldchen und schliesslich das Couloir. Dann konnten wir es rollen lassen und ab ins Restaurant Handegg. Da zeigte sich dann, dass wir doch ein wenig mehr auf die Tube hätten drücken sollen. Die Küche hatte an diesem Tag schon ab 16 Uhr geschlossen. Diese Marke hatten wir um wenige Minuten verpasst, so dass die erhofften Pommes-Frites leider ausfallen mussten. Es gibt ja aber noch einige Handegg-Touren mehr, so dass wir sicher zurück kommen werden und uns dann möglicherweise gleich eine Doppelportion gönnen werden :-)



Facts

Handegg - Herrenpartie 6b (5c+ obl.) - 10 SL, 400m - H. Howald et al. 1979, saniert 2017 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig und kaum einsetzbar

Die Route bietet nahezu ausschliesslich Reibungskletterei in geneigtem, vom Gletscher polierten und sauberem Granit. Wer an dieser Art Kletterei Freude hat, kommt also voll auf seine Kosten. Negativ bemerken mag man die Absenz von Abwechslung oder ganz markanten Passagen. Die Sanierung durch Roland & Renate Kernen und Knut Burgdorf im 2017 ist vorbildlich ausgefallen. Die Route wurde wo nötig/sinnvoll korrigiert und durch die schönsten Passagen gelegt, die Haken stecken so, dass man die Kletterei stressfrei geniessen kann, aber trotzdem noch ein gewisser Anspruch besteht - perfekt! Noch grösser sind die Änderungen beim (meist nassen) Originaleinstieg (R. 315b im Topo unten), wo man auf 2 Seillängen einer komplett neuen, besseren Linie folgt. Früh im Jahr ist aber auch dieser wegen dem grossen Schneefeld nicht zugänglich - man kann dann über die Verschneidung links aussen in die Route gelangen. Die Route ist im Plaisir West 2019 mit der linken Einstiegsvariante aufgeführt, an dieser Stelle wird das Topo vom Sanierungsteam zur Verfügung gestellt - vielen Dank!


2 Kommentare:

  1. Hi Marcel - immer inspirierend zu lesen, wie du Klettern auf hohem Niveau mit deiner Familie kombinierst. Unsere älteste ist gerade drei. Sie hat ihren eigenen Gurt und Helm, aber bevor wir auf richtige Touren gehen können wird es wohl noch etwas dauern ;-)

    Wir haben euch am Kraftwerksparkplatz getroffen, als ihr euch für die Siebenschläfer parat gemacht habt. Wir haben zeitgleich die Schiefer Traum geklettert und sind euch auf dem Rückweg wieder über den Weg gelaufen:
    https://blog.buschnick.net/2020/05/climbing-handegg-schiefer-traum-490m-6a.html
    Uns hat die Reibungskletterei eher nicht so gelegen ;-P

    Ich habe zwei Fotos mit euch (?) in der Wand:
    https://photos.app.goo.gl/yT8tLmxjrxC2fdQS9

    cheers!

    Sören

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    1. Hi Sören,

      Danke! Cooler Blog und auf dem einen Foto sind tatsächlich wir drauf (meine ich!), beim anderen bin ich mir nicht sicher.

      Sauber, dass ihr euch durch den Schiefen Traum gekämpft habt. Ich habe mich eine Woche darauf dann mit der Spiegelwand beschäftigt und der Schiefe Traum erschien mir da "unzugänglich". Ist aber eine Route, die ich sicher auch einmal klettern werde, vielen Dank für den Bericht.

      Lieber Gruss, Marcel

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