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Dienstag, 14. September 2021

Sanetsch - Axis (7a)

Auf dem Sanetsch war ich das erste Mal vor fast 30 Jahren, noch ganz am Anfang meines Kletterdaseins. Sehr eindrücklich fand ich die Routen dort oben und wunderbar das Leben an diesem abgeschiedenen Ort. Im Lauf der Jahre kehrte ich dann das eine oder andere Mal zurück. Nur relativ selten eben, liegt der Pass halt eben weit abseits, egal woher man kommt und sich gerade befindet. So hatte ich auch noch nie eine "richtig schwierige" Route geklettert, nur gerade für die die steilste Wandpartie flankierenden 'Douce Violence' und 'Ivan' hatte es gereicht. Somit war das eine Lücke, die schon lange einmal gefüllt werden wollte. Dass es nun dazu kam, ist in erster Linie der Verdienst von Tobias und der Tatsache, dass die Axis (7 SL, 7a) im Sammelband Moderne Zeiten gelistet ist. Er als Sammler wollte da unbedingt hin, ich als Aficionado von steilem, bestem Fels liess mich noch so gerne überzeugen. Und ich kann sagen, es hat sich mehr als gelohnt! Fünf Sterne, keinen weniger verdient die Axis, die mit bester Felsqualität und so richtig geiler Kletterei vom ersten bis zum letzten Meter überzeugt.

Die Paroi des Montons am Sanetsch mit dem Verlauf des Remy-Klassikers 'Axis' (7a, 1984).

Nun ja, die nicht eben kurze Anreise zum Sanetsch war ja schon im vorigen Abschnitt erwähnt. Um die Fahrerei noch ein wenig zu limitieren, setzten wir auf den Zugang von Norden, von wo im Talschluss bei Gsteig eine kleine Seilbahn zum Staudamm hinaufführt. Deren Betriebszeiten von 8.30-17.00 Uhr reichen gut als Zeitfenster für so gut wie alle Routen da oben, mit 22 CHF (18 CHF mit Halbtax) auch zu einem fairen Preis. Von der Bergstation sind es knapp 2km der Strasse entlang bis zum Abzweig des Zustiegspfads. Die sind in 20 Minuten gut zu laufen, die Mitnahme eines Bikes (7 CHF pro Weg mit der Bahn) schien uns nicht gerechtfertigt. Um noch ein wenig Zeit zu sparen, setzten wir schliesslich auf die Kickboards unserer Kinder. Die kann man viel einfacher und kostenfrei mitnehmen und ~10 Minuten pro Weg lassen sich damit einsparen. Zudem war's natürlich ein Novum, denn auf ein solches Gefährt im Zusammenhang mit einer MSL-Tour hatte ich noch nie gesetzt.

Das ist ja ein Stausee und somit keine echte Naturlandschaft, trotzdem schööön hier oben!

Zustieg per Tretroller, das ist mal etwas Originelles :-)

Der Zustiegspfad ist gut ausgetreten und mit roten Punkten markiert, es sind rund ~250hm. Vom Wandfuss geht's über steile Schrofen das Diagonalband empor, zuletzt mit leichter Kletterei links auf eine Kanzel unter der steilsten Wandpartie (T5), wir brauchten rund 40 Minuten von der Bergstation. Die Routen sind alle mit Farbe angeschrieben, wobei diese doch schon deutlich abblättert. Trotzdem konnten wir den Start der Axis zweifelsfrei identifizieren. Da schon auf den ersten 10m die Crux der Route wartet, machten wir noch einige Aufwärmübungen, spähten ausgiebig nach den Grifflein an diesem Überhang und legten dann in der Gegend von 9.50 Uhr los. 

Ready to rumble! In L1 (7a) geht's praktisch ab dem ersten Meter gleich volle Kanne los.

L1, 35m, 7a: Nach kurzem Geplänkel geht's wie erwähnt zur Sache - konkret heisst's kleine, scharfe Crimps ohne Rücksicht auf Verluste zuzuballern und die Füsse über den Überhang zu bringen. Aufgrund der Vielzahl von ähnlich guten bzw. eben schlechten Strukturen mag es dazu unzählige Ansätze zu geben und es ist alles andere als einfach, auf die (persönlich) richtige Beta zu setzen. Kommt noch hinzu, dass das Einhängen des dritten BH heikel ist, weil es da einfach keinen komfortablen Klippgriff gibt. Aber nicht falsch verstehen, die Bolts stecken eng da (A0 gut möglich), aber man ist noch nahe am Boden und wenig in Schwung, so muss es auch gleich mit der Psyche passen. Der Leser mag's ob diesen ausführlichen Worten erahnen, ich konnte diese Stelle leider nicht im Onsight passieren, schade! So ging's von BH #4 nach dem Zimmern einer Sequenz retour auf den Boden, um die Stelle im zweiten Angriff sauber zu passieren. Ohne Pause ging's gleich los und es klappte - aber nur am Limit, das ja sonst eigentlich >7a liegt. Der Grip fühlte sich irgendwie mässig an, die Power ebenso, sicher war die Beta nicht perfekt optimiert und so musste wohl oder übel die Brechstange zum Einsatz kommen. Ich vermag nun nicht zu sagen, ob's wirklich so schwierig ist oder ob es an mir lag. Nach diesem kräftigen Auftakt geht's dann von BH #4 wo man leidlich schütteln kann noch anhaltende 25m super schön in steil-griffig-wasserzerfressenem Gelände im Bereich 6b+ hinauf zum Stand - am Ende von der letzten Zwischensicherung auf dem schräg geneigten Band einige Meter nach links, da wäre er dann.  

Nach dem harten Auftakt folgt in L1 (7a) noch sehr genussreiche Kletterei im Bereich 6b+.

L2 & L3, 35m, 6b: Die Route wählt hier eine originelle Linie mit einem grossen Quergang nach rechts auf den Pfeiler hinaus, wobei sie dem schönsten Fels und dem Weg des geringsten Widerstands folgt. In den älteren Topos ist dieser Abschnitt als zwei Seillängen mit Stand in der Mitte aufgeführt. Dieser existiert allerdings nicht (mehr?) und man kann das wirklich problemlos in einer Länge klettern. Der Auftakt dem diagonalen Riss entlang - erst gängig, aber dann doch mit einem kräftigen Zug hinauf zur Nische, wo die 'Amusement Sauvage' kreuzt. Richtung 2 Uhr geht's weiter, der grosse Quergang in der kompakten Wand klettert sich überraschend einfach, weil sich genau an der richtigen Stelle jeweils gescheite Griff- und/oder Trittleisten offerieren - genial. Kurz vor Ende mündet noch die Piola-Route 'Equinoxe' ein, der Stand dann an der Kante drüben, gemeinsam mit der 'Starions', mit welcher man sich auch die folgende Seillänge teilt.

Tobias im grossen Quergang von L2 & L3 (6b), der Stand kommt rechts an der Kante draussen.

Ja, der Luis Trenker hätte an diesem fantastischen Quergang sicher auch helle Freude gehabt!

L4, 25m, 6c: Eine absolut fantastische Seillänge! Nach links hinüber zum Pfeiler, der gleich zum Auftakt mit einer zähen, bouldrigen Stelle aufweist. Der Fels hier vorübergehend ganz speziell, quasi "Dual Texture" - sprich weitflächig glatt mit vereinzelten Tropfloch-Rauigkeiten, echt genial. Dann in sehr stark strukturiertem Gestein griffig-athletisch aufwärts, die Formationen erinnern beinahe an Kalymnos (kein Wunder, haben sich die Remys später dort so daheim gefühlt ;-)). Am Ende der Seillänge dann kurze Verwirrung. Die älteren Topos zeigen den Stand hier links aussen. Dort befindet sich auch einer, der gehört aber zur 'Equinoxe'. Richtig ist es hingegen, den BH folgend nach rechts zu steigen, am Ende nochmals mit einer kniffligen Querung.

Die 'Dual Texture'-Stelle mit der Crux zu Beginn von L4 (6c).

Das Bild erzählt die Geschichte: die Wand ist enorm steil und der Fels einfach vorzüglich (L4, 6c).

L5, 40m, 6c: Hier muss man sich zuerst bewusst sein, dass die 'Starions' vom Stand nach rechts wegzieht. Die 'Axis' nimmt den logischeren Weg Richtung 11 Uhr, wo man gut griffig in einem wenig ausgeprägten Winkel an Höhe gewinnt. Danach wird das Terrain sogar noch gängiger und trumpft mit grossen Sanduhren auf. Selbst hier wurde im Zuge der Sanierung ein BH gesetzt, fast ein wenig schade da man problemlos selber fädeln könnte und die Strukturen bombensolide sind. Dann zieht's aber an, es wird steil und bald auch ziemlich knifflig. Hier ist eine Stelle im 6b+/6c-Bereich obligatorisch zu meistern und es folgt danach in einfacher werdendem Gelände ein ziemlicher Runout - nachdem man einige Meter über den letzten BH hochgestiegen ist eher links halten, es folgt dann schon wieder ein Bolt. Zum Ende der Seillänge dann deutlich linkshaltend in fantastischem Fels mit Löchern. Trotz der Querung ist der Verlauf logisch und gut sichtbar, die Gefahr sich in die hier nochmals kreuzende 'Equinoxe' zu verkoffern klein.

Tütato, Runauto! Ab der Position des Kletterers folgt in L5 (6c) eine der zwingendsten Kletterstellen der Route. Auch wenn bei der Sanierung vor dem ursprünglichen Bolt etwas tiefer ein zusätzlicher gesetzt wurde, muss man sich hier immer noch ziemlich engagieren. Die Route führt später übrigens in L6 und L7 über die beiden Höcker an der Kante, links vom Kopf des Kletterers. 

Der Fels einfach mega, die Kletterei genial - auch hier am Ende von L5 (6c).

L6, 40m, 7a: Traumlänge in Hammerfels mit kniffligem Ende! Am Anfang in gelb-rauem Fels griffig hinauf, um in einer noch griffigeren Linksquerung den steilen Wulst/Überhang nach links zu überqueren. Das gibt ordentlich Luft unter den Hintern und wird mit genialer Kletterei in perfektem, grauem, wasserzerfressenem Fels belohnt - moderat schwierig und einfach genial. Hier steckten früher wohl nicht viele Haken, seit der Sanierung ist es aber gut gesichert, nur zur finalen Querung hin muss man kurz und problemlos mal ein wenig 'wegrennen'. Und diese Querung dann: es sind zwar nur etwa 5m und damit ein Bruchteil der Länge, aber sie verdient in der Beschreibung mehr Platz. Plötzlich und für die Route atypisch ist der Fels glatt und erfordert katzenhafte Schleicherei. Von unmittelbar davor betrachtet, scheinen die Reibungstritte gar nicht mal so schlecht, einmal in der Passage drin ist's aber unangenehm abdrängend, man kann die Füsse nicht wie gewünscht belasten und für die Hände gibt es so gut wie nichts. Balance und Vertrauen sind gefragt, zum Ende der Passage hin dann auch die Intuition, um die nötigen Mikrogrifflein zu erspüren. Schliesslich rückt der 'strategisch positionierte' und deswegen unbequeme Stand in Reichweite. Man kann ihn klippen, bevor die schwierige Kletterei vorbei ist - um die Passage wirklich komplett zu klettern, muss man noch weiter bis zu den Henkeln beim ersten BH der folgenden Länge und sich dann wieder ablassen... Zu erwähnen ist noch, dass die 'Amusement Sauvage' gerade hinauf an denselben Stand führt.

Ausblick auf die glatt-abschüssige Balancecrux und den unbequemen Stand am Ende von L6 (7a).

Vor dieser Querung wartet in L6 (7a) jedoch auch super strukturierter, kletterfreundlicher Hammerfels.

L7, 30m, 6c: Hier wartet die Route mit einem weiteren Special Effect auf - in Form einer henklig-fotogenen Dachquerung, die man fast imperativ zu ein paar Stunts nutzen muss :-) Einmal drüben, ist aber wieder Seriosität gefragt, denn es wartet nochmals eine zupfige Steilplattenstelle in bestem, silbrig-grauem Fels. Der zweite Teil der Länge bietet dann einfacheres Gelände. Hier war mir der Verlauf vor Ort nicht ganz klar und auch im Nachhinein vermag ich nicht sicher zu sagen, was genau hier die Intention ist. Die BH leiten einen nach links, im Nachhinein habe ich aber von oben einen einsamen Kronenbohrhaken rechts unten gesehen, so dass der Originalparcours nach der schwierigen Stelle wohl gerade hinauf ging?!? Das bedeutet aber, etwas unlogisch und ohne erkennbare Sicherungsmöglichkeiten kühn zu steigen. Man erreicht schliesslich eine Art Band, wo sich horizontal um wenige Meter versetzt gleich mehrere Standplätze befinden. Man wähle jenen, der einem am meisten zusagt... welcher der richtige für die Axis ist, vermag ich nicht garantiert zu sagen.

Time to play in L7 (6c), wenn schon die Schwerkraft gerade mal Pause macht :-)

L8, 25m, 5b oder 6a: Die älteren Topos zeigen hier eine Fünferlänge entlang einer kleinen Verschneidung bzw. einer Art Rampe. Die gibt's und sie ist unschwierig zu klettern. Links davon befinden sich auch Bohrhaken in der grau-steilen Wand - das ist wohl der neue Parcours, der im Rahmen der Sanierung gelegt wurde und die eigentliche Schlusslänge der Axis definiert - spielt aber natürlich im Gesamtkontext keine grosse Rolle, da beides im Vergleich zum Rest unschwierig ist. Die letzten 10m klettert man schliesslich in stark quarzhaltigem Sedimentgestein mit runden Formen - eine geniale Abwechslung zum Ende. Auch wenn's so aussieht und manche davon schreiben, Granit ist das meiner Meinung nach nicht - wer geologisch bewandert ist möge mich korrigieren, sollte ich damit falsch liegen. Der Stand dann auf einem bequemen Band gut sichtbar.

Die letzte Länge (L8, 5b oder 6a) ist ziemlich easy und im Rückblick wenig fotogen.

Um 14.25 Uhr und damit nach gut 4:30 Stunden Kletterei hatten wir das Top nach absolut hammermässig genialer Kletterei erreicht. Nachdem ich gleich zu Beginn nochmals auf den Boden (der Realität ;-)) zurückgeholt wurde, konnte ich den Start der Route im zweiten Go punkten und ab dem vierten BH den Rest der Route onsight klettern. Vom Routenende heisst es Abseilen, so zeigen es alle Topos ausser jenes aus Moderne Zeiten, welches von 100m im 3./.4. Grad zum Gipfel spricht. In mir steckt noch genügend alpinistischer Geist, als dass ich das sehr gerne verifiziert hätte. Die Vernunft spricht aber dagegen - wer weiss, wie genau diese Angabe stimmt; wir haben nur minimalst Gear dabei und fixe Sicherung gibt's wohl keine mehr und vor allem müssten wir dann in den Kletterfinken zu Fuss absteigen und mit substanziellem Umweg nochmals zum Einstieg hinauf um die deponierten Sachen aufzulesen. Also werfen wir die Seile aus. Es geht zuerst 50m zu einem Stand auf der Rampe, ca. 5m direkt oberhalb von jenem von L6 der Axis. Dann 30m der Rampe entlang zu einem Stand an der Kante und von dort in 3 weiteren Etappen auf's Grasband am Einstieg. Tranquillo packen wir unsere Sachen, laufen zur Strasse runter und trottinettlen zurück zur Bahn, wo wir um 15.40 Uhr eintreffen und gleich zu Tale fahren können.

Sanetsch Vibes: paradiesische Gegend dort oben, und erst die Kletterrouten...

...wir aber müssen heim, back down to earth, sozusagen. Aber wir kommen wieder!

Facts

Sanetsch - Axis 7a (6b+ obl.) - 8 SL, 230m - C. & Y. Remy 1984 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig

Die erste extreme MSL-Route in der Westschweiz, Trademark Remy im 1984 - das ist eine Ansage! Man kriegt hier aber nicht nur Geschichte geboten, sondern vor allem absolut geniale Kletterei in erstklassigem Fels. Kurzum und vor allem bezüglich des Gesteins etwas vom Besten, was ich je klettern konnte! Die Tour ist die 5* auf jeden Fall wert - nur auf sehr grosse Länge, eine markante Linie à la Blaue Lagune oder ein richtiges Gipfelerlebnis muss man verzichten. Die Route wurde im 2002 von den Erstbegehern "saniert". Das bedeutet konkret, dass alle Stellen, wo früher mit Keilen oder an Sanduhren gesichert wurde, mit Bohrhaken ausgerüstet wurden, sowie der eine oder andere längere Abstand in einfacherem Gelände entschärft wurde. Wie üblich wurde dazu entweder rein verzinktes Material oder Zink/Inox-Mischung verwendet. Die schwierigen Stellen blieben bei dieser "Sanierung" alle unangetastet. D.h., man klettert diese nach wie vor mit originalen Hakenabständen und an den Kronenbohrhaken von 1984. Diese sehen aber optisch noch gut aus und die Stellen >=6b waren schon damals gut gesichert. Insgesamt ist die Route bis auf zwei, drei Reminiszenz-Runouts in einfacherem Gelände sehr gut eingebohrt (Niveau xxxx). Sehr verwunderlicherweise ist das Topgebiet Sanetsch in den neueren Ausgaben (ab 1994) des Extrem West nicht mehr aufgeführt. Die vollständigste, aber auch nicht mehr ganz aktuelle und mässig präzise Beschreibung gibt's im Führerwerk der Erstbegeher von 2010, "Escalades Jura, Vaud, Chablais, Bas-Valais, Sanetsch". Das beste und präziseste Topo zur Route ist wie so oft jenes von Thomas Behm. Es ist noch vor der Sanierung entstanden, wir haben ein Update auf die aktuelle Situation gemacht.

Das hervorragende Topo von Thomas Behm, geupdated auf die Situation seit der "Sanierung" 2002.


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