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Sonntag, 5. Juni 2022

Moor - Strapaziergang (7c)

Nur 10 Tage nach dem letzten Besuch eine weitere Visite am Moor: während ich die Abwechslung der verschiedenen Gebiete durchaus liebe, so diktieren manchmal Wetter, Verhältnisse, Zeitbudget und vor allem die Präsenz von motivierten Partner:innen die Wahl des Kletterziels. So konvergierte die Entscheidung hier aufgrund von verschiedenen Faktoren erneut für den steilen Fels im Toggenburg. Aus den modernen, alpinen Sportkletterrouten standen nur noch vornehmlich anspruchsvolle bis sehr anspruchsvolle Ziele zur Verfügung. Wie üblich wählten wir mit dem Strapaziergang die auf dem Papier einfachste der noch verbleibenden Möglichkeiten. Auf der Anreise hatten wir die nötige Zeit, um darüber zu philosophieren. Für einen jungen, aufstrebenden Kletterer wäre die Strategie, die schwierigen Routen auf zukünftige, 'stärkere' Zeiten zu verschieben bestimmt richtig. Wenn man hingegen als älteres Semester seinen Zenit überschritten hat, so wäre es wohl schlauer, jeweils die schwierigste noch machbare Route zu klettern - die einfacheren liegen ja vermutlich auch später noch im Rahmen des Machbaren. Diese Überlegungen waren insofern theoretischer Natur, als dass uns der Strapaziergang (7 SL, 7c max., 7a+ obl.) schon genügend happig schien...

Die stolze Wand des Moor in ihrer ganzen Pracht mit dem Verlauf vom Strapaziergang (7 SL, 7c)

So machten wir uns Solar Powered elektromobil auf den Weg - nicht nur zum Ausgangspunkt in  Wildhaus, sondern auch von da mit Start um ca. 8.30 Uhr bequem mit Unterstützung auf der asphaltierten Strasse pedalierend bis zum P.1389 unterhalb der Schafbergwand. Dort deponierten wir die Zweiräder und stiegen auf der üblichen und mir inzwischen gut bekannten Fährte hinauf zum Schafboden und weiter der Pfadspur entlang Richtung Jöchli bis auf ca. 1880m. Ab dort in logischer Linie steil und weglos, aber recht gut gängig über einen Sporn, wobei das Gelände deutlich feuchter und grüner wie beim letzten Mal war und die Schwierigkeiten dadurch höher schienen. Der Einstieg zum Strapaziergang befindet sich auf einem Vorbau links der markanten Höhle neben der Bikini Zone (... ;-)). Er muss exponiert kraxelnd im Schrofengelände erreicht werden, ein Ausrutscher liegt da nicht mehr drin (ca. T5+, II). Erfreut nahmen wir zur Kenntnis, dass die schon von Weitem sichtbaren Wasserstreifen unsere Route wie erhofft nicht direkt tangierten. Der Zustieg hatte uns Bike-sei-Dank nur ca. 1:20h gekostet. Wir rüsteten uns zur Kletterei und stiegen um ca. 10.20 Uhr ein. Ein Hinweis für jene, die bei kälteren Temperaturen klettern wollen: allzu viel früher als um diese Zeit erreicht die Sonne die Einstiegslängen nicht.

Kurz vor dem Wandfuss, wo die Kraxelei auf den Vorbau zum Einstieg beginnt.

L1, 30m, 6b+: Der Auftakt vollzieht sich in schrofigem Gelände im T6-Stil, immerhin ist das Gestein schön fest. Der kompakte Fels lässt aber nicht lange auf sich warten. Bald stellt sich eine Platte in den Weg, die dank einigen Leisten einfacher zu haben ist, wie man erst meinen könnte. Man freue sich aber nicht zu früh. Im Finish der Länge gibt es einen sehr delikat anzukletternden Haken. Diese Stelle bringt vielleicht nicht die Finger, aber definitiv die Psyche auf Betriebstemperatur.

L2, 15m, 6c: Ein kurzer Abschnitt, welcher einen aber doch für eine Weile beschäftigt. Steil und athletisch geht's über eine Ecke hinweg, die vernünftig steckenden Bolts wollen noch mit Klemmgeräten ergänzt werden. An sich handelt es sich bei dieser Länge um eine lässige, abschnittweise durchaus knifflige Turnerei. Der Fels ist allerdings nicht von Topgüte, er wirkt etwas splittrig und tönt da und dort hohl. Da die Erschliesser aber gut ausgeräumt haben, passt es schon.

In L2 geht's trotz "nur" 6c-Bewertung überhängend zur Sache. 

L3, 30m, 7b: Kurz um die Ecke, dann gilt es, horizontal eine Steilplatte zu queren, wobei auch noch mobil gesichert werden muss. An psychischem Anspruch fehlt's weder für die Vorsteigerin noch für den Nachsteiger. Ohne gescheit auf die Füsse zu stehen und kleine Crimper zu krallen geht hier gar nichts. Immerhin, das sei erwähnt, das Placement in der Mitte dieses Quergangs ist wirklich sehr gut und die objektive Gefahr eines gigantischen Pendelsturzes darum entschärft. Eine diagonal zu kletternde Wandstufe, wo die Griffe in die falsche Richtung zeigen fordert dann mehr athletisch. Dafür ist das Finish entlang von einem Piazriss vergleichsweise günstig zu haben.

Die Plattenquerung zu Beginn von L3 (7b) hat es in sich - ein weiter Pendler droht...

L4, 35m, 7a+: Über herausragend schönen und sehr gut strukturierten Fels geht's in Wandkletterei hinauf, an dieser Stelle kreuzt man die 'Mittler Moor'-Route (BH und einige NH). Ziemlich gerade geht's weiter, eine überhängende Wandstufe lässt zunehmende Schwierigkeiten vermuten. Die Bestätigung dieser Annahme erfolgt unmittelbar, nach kurzem Piaz-Anschleichen wartet ein heftiger Boulderzug mit der Crux. Es sei erwähnt, dass diese Stelle nässeanfällig ist - auch bei unserer Begehung war es nicht ganz trocken, dank Struktur und rauem Fels aber machbar. Bald lässt es wieder nach, im 6bc-Gelände klettert man elegant, luftig, bei weiten Abständen und teils mit Cams sichernd, zum Stand.

Tolle Kletterei am Ende von L4 (7a+), alles in allem wohl die schönste Länge der Route.

L5, 35m, 7c: Nun gilt's ernst, das Originaltopo verspricht uns eine Bouldercrux gleich zu Beginn dieser Länge. Die findet man an wenig überraschender Stelle am Wulst gleich zu Beginn. Doch während der Text uns hoffen liess, die überwiegende Meterzahl der Seillänge in gut kletterbarem Terrain vorzufinden, so war das definitiv eine Zeitungsente. Klar, so verzweifelt schwierig wie am ersten Haken bleibt es nicht, dafür aber richtig anhaltend und beständig komplex. Der Fels ist recht gut, weist scharfe Strukturen und Troplöcher auf, wirkt aber hier und da auch etwas fragil - wobei trotz Holzhammer-Riegelei (ohne geht's nicht!) alles standhielt. Am Stand nach L5 trifft man auf das Wandbuch, welches uns nicht nur die sehr lesenswerten Räubergeschichten von der Erschliessung offenbarte ;-), sondern auch aufzeigte, dass wir 10 Jahre nach der Erstbegehung gerade einmal die fünfte Begehung machten. Bei einer Route mit solchem Anspruch (aber ohne klingenden Namen und Nimbus) ist das aber vermutlich auch nicht so erstaunlich. Ein wichtiger Tipp noch zum Schluss: obwohl im Originaltopo steht, diese Länge sei komplett gebohrt, ist es kein Fehler auch hier die Cams mitzunehmen.

Gääche Sache, dieser Moor!

L6, 45m, 6b+: Am Stand nach L5 trifft man nicht nur auf das Wandbuch, sondern auch auf eine Route, welche von rechts kommend am selben Ort Zwischenstation bezieht. Bei dieser handelt es sich um ein ungelüftetes Rätsel: sie ist älter als der Strapaziergang, aufgrund vom verwendeten Material wohl aus den späten 1980er- oder frühen 1990er-Jahren. Schon verrückt, dass offenbar jemand den riesigen Aufwand für eine solche Erschliessung geleistet hat, ohne je etwas darüber publik zu machen oder kundzutun. Auf jeden Fall folgt man dieser Linie in L6 über die ersten 2 (etwas antiken) BH und steigt dann mit einer 6b+ der Sorte 'allegro' kühn rechts weg. Immerhin, es löst sich alles auf. Auch Haken folgen danach nicht mehr viele, aber hier und da liegt ein Cam und es bleibt alles im grünen Bereich. Später trifft man dann wieder auf den Verlauf der unbekannten Linie und steigt schliesslich in brüchig-schrofigem Gelände auf ein Band aus.

Etwas brüchiger Ausstieg auf's Band am Ende von L6 (6b+). Hinten der Tristen mit seiner einladenden Gipfelmulde. Eigentlich jedes Mal wenn ich am Moor klettere, frage ich mich, wie es wohl so wäre, da den ganzen Tag an der Sonne zu liegen... ;-) Für diejenigen, die es ausprobieren wollen: man kommt tatsächlich von dieser Seite hoch!

L7, 50m, 6b: Auf dem Strapaziergang wird diese gesamte Schlusswand in einer Seillänge erledigt. Ein BH gleich zu Beginn lockt einen in den kompakt-schönen Fels. Darauf folgend müssen jedoch ca. 30m an Kletterstrecke mobil abgesichert werden. Es gibt nicht üppig Placements, aber zusammen mit moderaten Schwierigkeiten reicht's gerade so, dass die Nackenhaare schön anliegend bleiben. Wer auf der logischen Linie steigt, findet später zu den 3 BH, welche durch die leicht überhängende, henklige Schlusswand leiten. Dieser entstiegen, führen ein paar schöne Wasserrillen zum finalen Stand.

Schöne Wasserrillen kurz vor dem Top der Route am Ende von L7 (6b).

Ein paar Minuten nach 16.30 Uhr und somit nach rund 6:15h Kletterei waren wir am Top angelangt. Ja, das war ein zäher Fight gewesen! Hohe Schwierigkeiten und knappe Absicherung machen den Mix, dass unsereins da nicht einfach hochspaziert. Schlussendlich hatten wir aber doch mehr oder weniger die ganze Route freigeklettert, einzig in der Cruxlänge könnte es noch zwei, drei Missing Links gehabt haben - wobei wir natürlich nur vom Entschlüssen der Stellen sprechen und nicht etwa von einem Rotpunkt oder gar Onsight. Etwas Biss war auch wegen den Windverhältnissen nötig. Ein zügiger SW-Wind mischte sich mit heftigem thermischem Aufwind an diesem labilen Tag. An den fortwährend exponierten Hängeständen pfiff es einem gehörig durch Mark und Knochen - die solide Daunenjacke wäre am Körper definitiv besser platziert gewesen wie daheim im Schrank. Aber, und das zählt eben am Schluss: wir hatten es nach dem Motto 'when the going gets tough, the tough get going' geschafft. Es ist einfach cool, mit Leuten unterwegs zu sein, die auch bei solchen Bedingungen den nötigen Sportsgeist zeigen - danke Angie!

Der erste Abseiler bietet nochmals einen Blick auf L7 (6b).

So warfen wir am Top unverzüglich die Seile aus - bzw. das Einfachseil und die Rapline, welche im Angesicht der atmosphärischen Strömungen in alle Himmelsrichtungen verblasen wurde. Kommt noch hinzu, dass man im teils grob strukturierten Gestein der beiden obersten Seillängen Verhänger befürchten muss. Ein solcher blieb denn auch nicht aus, aber zum Glück war er ohne grössere Umstände zu beheben. Weiter geht's dann in steiler Abseilfahrt, mit dem Körpergewicht beladen zeigten die Stricke zum Glück nicht die gleich grossen Auslenkungen wie sie das ohne Beschwerung taten. Wohlbehalten gelangten wir an den Wandfuss, stiegen vorsichtig zurück über die steilen Grashänge, erreichten zügiger gehend das Bikedepot und in rasanter Abfahrt den Ausgangspunkt in Wildhaus. An diesem Tag war wieder einmal jeder Muskel durchbewegt worden, darüber bestand auf dem Heimweg kein Zweifel.

Facts

Moor - Strapaziergang 7c (7a+ obl.) - 7 SL, 240m - Riediker/Stalder 2012 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-2

Der Name dieser Route ist für die meisten Kletterer sicher das Programm: einfach durchspazieren werden hier sicher nur wenige, ohne gewisse Strapazen in Kauf zu nehmen geht es nicht. Geboten wird einem abwechslungsreiche Kletterei in meist gutem Fels. Die schwierigsten Stellen bieten technisch anspruchsvolle, knifflige und wenn dann fingerkräftige, aber nicht überaus athletische Kletterei. Mir hat die Route zwar gefallen, aber dies dann doch weniger gut wie Moorpheus. Ich würde die Qualität von Fels und Kletterei im Vergleich als schlechter bezeichnen, darüber hinaus sind auch noch die Anforderungen weniger homogen - was jetzt aber nicht heisst, dass ich ein Besuch nicht lohnen würde! Die fixe Absicherung ist knapp gehalten, was die Route anspruchsvoll macht. Die soliden Inoxbolts sind aber fair und vernünftig platziert, gefährliche Stellen gibt es kaum. An vielen (einfacheren) Kletterstellen muss mobil gesichert werden. Die Placements sind häufig weder sehr zahlreich noch von perfekter Güte - meist geht's dann aber doch grad, um im gewünschten Rahmen für Sicherheit zu sorgen. Wir hatten Cams von 0.2-2 dabei, was ausreichend war. Für die Grösse 3 konnte ich keine wesentlichen Einsatzmöglichkeiten erkennen und auch den 2er haben wir nur unnütz am Gurt mitgeführt. Hilfreicher wären entweder Keile oder allenfalls ein zweites Set der Grössen 0.3-0.75 gewesen. Ein Topo zur Route und weitere Infos zum Gebiet findet man im SAC-Kletterführer Alpstein.

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