Die Kinder sind ausgeflogen und das Wetter ist prima, so bietet sich für Kathrin und mich die Gelegenheit zum Klettern. Weil sehr hohe Temperaturen angesagt sind und mein Akku nach dem strengen Tag an den Wendenstöcken und einer kurzen Nacht (Blog folgt...) noch nicht wieder voll geladen ist, scheint eine MSL-Route in alpiner Umgebung die richtige Wahl. Da wir aber um das Kinderprogramm planen müssen, liegt weder eine allzu lange noch eine zu weit entfernte Tour drin und wie entschliessen uns, wieder einmal den Churfirsten ab Schrina-Hochrugg einen Besuch abzustatten. Mit der Via Anita (5 SL, 6b) klettern wir schliesslich eine Tour, die man auf dem Papier als sehr gemütliches Programm einstufen könnte. Nun denn, ganz so anspruchslos war es nicht.
Sicht vom Silberi-Gipfel auf Walensee, westliche Churfirsten und Richtung Glarnerland. |
Meine beiden Besuche in diesem Gebiet (Linker Silberi, 1994 und Wildenmannli am Selun, 1999) liegen weit in der Vergangenheit zurück. Genau wie damals starteten wir um ca. 10.30 Uhr in der Nähe von P.1388 auf der Alp Schwaldis. Der Zustieg hinauf an die Churfirstenwände umfasst fast 700 Höhenmeter und führt zwar zuerst über einen Wanderweg, wird zuletzt aber gääch und führt über Steilschrofen an die Einstiege. Mit noch etwas müden Beinen, suboptimal Carbo-geloaded und der schon heftig einheizenden Sonne fühlte es sich streng an. Auf rund 1700m steigt man dann in Direttissima gegen den Silberi hinauf. Von meinen früheren Erfahrungen habe ich hier eine gute Wegspur in Erinnerung. Wir fanden diese zwar auf, sie ist aber deutlich weniger ausgetreten wie damals (?), stellenweise verliert sie sich sogar im Kraut. Als wir um 11.30 Uhr unter den Wänden standen, trafen wir den finalen Entscheid zur Routenwahl. Die Tabaluga (6 SL, 6c) am Selun schien unser Zeitbudget zu sprengen, erfordert der Zustieg über weglos-steile Schrofenhänge und die mutmasslich fordernde, nach den strengen Massstäben des Erschliessers Thomas Wälti bewertete Kletterei sicher einiges an Zeit. Darum also hinauf zum Silberi, wo es auch schöne und mir noch unbekannte Routen gibt. Das letzte Teilstück hinauf zum Wandfuss ist steil und ausgesetzt. Ob T5 oder sogar T6 sollten die Spezialisten entscheiden. Ein Ausrutscher wäre auf jeden Fall fatal, eine Erinnerungsplakette an einen tödlichen Unfall im 2005 weist eindringlich darauf hin. Um ca. 12.15 Uhr starteten wir beim markanten Sattel (Stand mit 2 BH vorhanden) mit der Kletterei.
L1, 45m, 6b: Ein Schrofenvorbau führt ca. 15m auf ein Band hinauf, wo sich nochmals ein Stand befindet. Um späterem Seilzug vorzubeugen ist es keine schlechte Idee, hier nochmals Station zu beziehen. Mit entsprechend verlängerten Exen geht's auch ohne (=unsere Variante). Über eine erste Wand schleicht man sich zu einem Wulst hinauf, welchem man 'um die Ecke' ausweicht. Es wartet ein knifflige Bouldercrux, die man früher mit UIAA 7- (d.h. 6a+) bewertet hat. Auf dem neueren (Sanierungs)topo steht 6b, wobei das '+' wieder ausradiert wurde... Nach heutigem Plaisir-Massstab ist das vermutlich alles zu tief!?! Wobei ich jetzt im Nachhinein Berichten im Netz entnehme, dass meine Variante direkt über den Haken offenbar nicht die leichteste Beta war. Nachher folgt formidable Wandkletterei in prima Fels mit Seitgriffschwarten und einigen griffigen Schüppli. Dieser Abschnitt ist anhaltend anspruchsvoll, wir hätten jetzt sogar dieser Passage eine 6b nach moderner Plaisir-Einstufung gegeben.
Tolle, steilplattige Kletterei an Seitgriffschwarten und Schüppli im oberen Teil von L1 (6b). |
L2, 25m, 6a+: Ein echt cooler Auftakt in prima Fels mit griffigen Briefkastenschlitzen führt zu einer steilplattigen Stelle, wo meine Lösung die im Sanierungstopo angekündigte 6a+ auch eher gesprengt hat (allerdings hat mir Kathrin nachher von einer besseren Beta mit kleinem Umweg berichtet und die Berichte im Web bestätigen diese, im Original war diese Länge sogar nur mit 5c eingestuft!). Man erreicht schliesslich ein veritables Dach, das man an seinem rechten Ausläufer mit athletischen Moves an Henkeln überquert. Nachher legt sich das Gelände zurück, wird weniger schön. Die Route führt entgegen der Darstellung in den Topos hier deutlich querend nach links zu Stand unter einem nächsten Wulst.
Tolle Sicht ins Seeztal und weiter ins Heidiland am Ausstieg von L2 (6a+). |
L3, 45m, 6a+: Gleich am Wulst befindet sich die Einzelstelle mit der Crux. Da muss man sich schon kurz festhalten und einen entschlossenen Move machen - wenn man deutlich besser klettert, dann ist 6a+ schon ok (aber ob 6a-Kletterer den so hinkriegen würden?!?). Nachher wird das Gelände deutlich einfacher. Leicht nach links tendierend folgt man dem schönsten Fels mit der besten Kletterei. Es kommen BH, aber diese stecken nicht üppig. Man steigt schliesslich auf ein Band aus und kreuzt den Verlauf von Linker Silberi, der gut sichtbare Stand der Via Anita befindet sich aber noch 10m weiter oben und wird über eine Stufe im 3./4. Grad erreicht (Vorsicht, Seilzug und Gefahr von einem Sturz auf's Band, evtl. Zwischenstand auf dem Band sinnvoll).
Ausstieg auf's gschüdrige Band kurz vor Ende von L3 (6a+), unten die Hütten von Schrina-Hochrugg. |
L4, 40m, 6a: Eine sehr schöne Turnerei an gutem, griffigem Fels bietet den Auftakt in diese Länge. Wandartig geht's in die Verschneidung hinein, die man aber bald nach rechts verlässt. Dort am Pfeiler nochmals prima Kletterei, bis man einen breiten Horizontalriss vor der nächsten Wandstufe erreicht. Hier in etwas brüchigem, einfachem Gelände nach rechts. Man kreuzt nochmals Linker Silberi, d.h. klettert an dessen Stand mit 2 Mammut-Longlife-BH vorbei um ca. 5m rechts den Stand der Via Anita zu finden.
Querung am Ende von L4 (6a) mit Wow-Ausblick Richtung Glarnerland. |
L5, 35m, 6a+: Zuerst geht's steil an einem Offwidth-Riss in die Höhe. Keine Bange, man muss hier keine rustikalen Techniken einsetzen, es hat mehr den Charakter von athletischer Wandkletterei. Bald einmal präsentiert sich das Gelände etwas weniger steil und üppig griffig. In tollem Fels kommt man an Schwarten voran, bis sich im oberen Teil direkt geklettert nochmals eine richtig knifflige, plattige Stelle in den Weg stellt (sicher umso mehr, wenn man über eine beschränkte Reichweite verfügt, evtl. ist auch hier eine grossräumige Umgehung zu Gunsten tieferer Schwierigkeit möglich). Dann hinauf zum Stand, der sich ca. 10m unter dem Gipfelgrat befindet.
Lässige Kletterei in L5 (6a+), die Felsqualität lässt erst ganz am Ende nach. |
Um den Grat, den Gipfel und die Abseilstelle zu erreichen, ist eine weitere kurze Seillänge mit Totmannsicherung hinter dem Grat nötig. Um ca. 15.20 Uhr und somit rund 3:00h Kletterei sind wir oben und gehen zum Steinmann. Das Gipfelbuch in der Gamelle berichtet nicht von vielen Kletterern, welche die Routen am Silberi begehen. Mir scheint, als ob diese Wände etwas in Vergessenheit geraten sind. Vielleicht wenig erstaunlich, stammt die letzte Führerausgabe doch aus dem Jahr 1995 und ist längst vergriffen, in den Plaisirführern waren diese Touren nie vermerkt (und sie gehören aufgrund des alpin-heiklen Zustiegs da auch nicht hin). Bemerkenswert sind die Ausblicke in die steile Südwand am Frümsel mit unserer Pro Specie Rara (4 SL, 7a+), welche bis dato nach meinem Wissen noch keine Wiederholung erhalten hat.
In dieser steilen Wand verläuft unsere Pro Specie Rara (4 SL, 7a+). Auf dem Foto wirkt der Fels etwas vornüber gekippt. Dies entspricht aber absolut der Realität und ist nicht aufgrund von schräg gehaltenem Fotoapparat entstanden - die Kletterei in dieser Route ist steil, athletisch und eindrücklich! |
Um wieder nach Hause zu kommen, nutzt man am besten die Abseilpiste, welche beim Ausstieg von Linker Silberi und damit ca. 15m westlich des Ausstiegs der Via Anita beginnt. Einen Steinmann gibt's da inzwischen keinen mehr, man kann aber schon beim Klettern hinüberspähen wo dieser Ausstieg ist und die Kette ist vom Grat relativ einfach einzusehen und aufzufinden. Über drei 50m-Strecken gleitet man zurück zum Einstieg, dabei einen routenunabhängigen Stand sowie einen von Rechter Silber nutzen. Diese zu finden ist wenig problematisch, wenn man jeweils in der Falllinie bis kurz vor das Seilende abfährt. Zurück am Einstieg ist die Sache noch nicht gegessen, der Abstieg über die obersten, ausgesetzten Schrofenhänge erfordert nochmals volle Konzentration und erlaubt keine Fehler. Hat man die ersten 100hm einmal geschafft, so wird es weniger heikel. Das steile, krautige Gelände mit nur schwacher Spur erfordert aber immer noch Aufmerksamkeit. Um ca. 17.20 Uhr und damit rund 2:00h nach Erreichen des Gipfels sind wir zurück an der Strasse. Das Auto rekuperiert auf der Talfahrt schön, die gewonnene Energie reicht nachher bis weit in die Linthebene. Bei uns hingegen dauert nicht nur die körperliche Erholung nach dem kletterintensiven Weekend länger, die gewonnen Eindrücke aus diesem tollen Tag werden noch viel länger andauern.
Facts
Frümsel / Silberi - Via Anita 6b (6a obl.) - 5 SL, 190m - Marcel Schmed et al. 1988/2010 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, evtl. Cams 0.3-0.75
Schöne Kletterei durch die zentrale Südwand am Silberi. Der Fels ist meist prima, rau und mit Top-Reibung. Einige mässig solide Blöcke und Schuppen sowie etwas loses Gestein auf Bändern erfordern jedoch alpine Erfahrung. Dies gilt ebenso für den steilen Zustieg. Die im Original wohl ziemlich kühne Route wurde 1993 ein erstes Mal mit Mammut-Longlife-BH saniert. Im 2010 fügten die Erschliesser in den unteren Längen weitere Bolts hinzu und richteten einen neuen Ausstieg zum Gipfel mit 2 Seillängen ein. Die Absicherung ist an den Schlüsselstellen sehr gut (xxxx), an den einfacheren Stellen muss man durchaus auch mal über die Haken steigen (xxx). Hier und da könnte man kleine Cams platzieren, wer nicht deutlich über dem verlangten Niveau steht, dürfte ein Set von 0.2-0.75 durchaus als nützlich empfinden, auch wenn es sicher ohne geht. Ob sich die Route im Angesicht ihrer limitierten Länge und des eher weiten und etwas heiklen Zustiegs lohnt, muss jeder für sich selber entscheiden. Sicherlich findet man anderswo gleich viel oder mehr Routenlänge und ebenbürtigen Fels mit kürzerem Zustieg. Andererseits waren wir komplett alleine in diesem Gebiet, haben ein kleines Abenteuer genossen, einen selten besuchten Gipfel erreicht und der Tiefblick auf den Walensee überzeugt sowieso - chacun à son gout, also!
Topo vom Erschliesser Marcel Schmed - vielen herzlichen Dank! |
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