In einem ersten Beitrag habe ich erklärt, wie wir an einem im Norden quellwolkigen Tag den Poncione di Ruino als formidables Kletterziel ausgewählt und die Via Danielli-Pohl als erste Route geklettert hatten. Am frühen Nachmittag waren wir zurück am Wandfuss und hatten noch gut Zeit, um eine zweite Route anzupacken. Attraktiv sind sie alle, in der Literatur wird die Musique gaie... aber in den höchsten Tönen gelobt, ebenso soll sie eine sehr gute BH-Absicherung aufweisen. Ein Check des Ladestands in Unterarmen und Bizeps gab für dieses Vorhaben grünes Licht und so konnte es nach wenigen Schritten des Dislozierens von unserem Sitzplatz zum Einstieg gleich losgehen.
Auf dem morgendlichen Weg zur bereits sichtbaren Wand des Poncione di Ruino. |
Die Route beginnt unmittelbar links vom tiefsten Punkt der Wand und ist dort ziemlich unscheinbar mit blauer Farbe angeschrieben. Charakteristisch sind auch die BH-Laschen der Marke Eigenbau, wie man sie sonst nicht antrifft. In der Gegend von 14.00 Uhr waren wir wieder in die Finken geschlüpft und startbereit. Tja, das mit den Kletterschuhen ist so eine Sache. Ein neues Paar einzuklettern ist mir ein solcher Graus, dass ich dies auf nachlässige Weise weiter und weiter hinausgeschoben hatte. Plötzlich war es soweit, die alten Treter hatten ein massives Loch in der Sohle und taugten rein gar nichts mehr. Ein alternatives Paar gab's nicht und wie angenehm es ist, im Hochsommer mit neuen Finken auf MSL zu gehen, kann man sich ja vorstellen. Seit einigen Jahren nutzte ich ja ausschliesslich das Modell Python von La Sportiva. Um in dieser speziellen Situation über einen möglichst schnell bequemen und sensitiven Schuh zu besitzen, habe ich mir mit grossen Hoffnungen einen Satz Dragos von Scarpa angeschafft. Immerhin ging diese Strategie zu meiner vollen Zufriedenheit auf - bin gleich auf der ersten Tour ohne schmerzende Zehen und mit guter Sensibilität geklettert! Dass der Hersteller selber diesen Schuh mit einer Bewertung von 1/5 als nicht tauglich für MSL bezeichnet, ist dann allerdings eine Sichtweise ;-)
L1, 40m, 6c+: Gleich am ersten Aufschwung steckt ein BH unmittelbar neben einem perfekten Cam-Riss, was das Motto dieser Sportklettertour gleich von Beginn weg klarstellt. Interessant und genussreich zu beklettern sind schon die ersten Meter. Diese leiten über in einen eher plattigen Abschnitt, aber der Fels ist auch hier mit der nötigen Struktur gespickt. Wieder steiler und griffiger geht's an einer Art Pfeiler in die Höhe und man erreicht die Klimax am Schluss. Die Wand ist da deutlich überhängend, die Risse lassen sich vorübergehend nur mehr mit dem ersten Fingerglied greifen und das Trittangebot wird auch schmal. Athletisch und powerig geht's zur Sache, der Weg zum letzten BH ist auch einigermassen zwingend (perfekt gesichert aber, ideales Sturzgelände obendrein).
Kräftige Kletterei an schönen, ergonomischen Griffen zum Abschluss von L1 (6c+). |
L2, 25m, 7a: Vom Stand sieht die folgende Passage in einer Ecke nicht nach der Crux aus. Es gibt Struktur für die Füsse, Griffe scheinen auch vorhanden und übermässig steil wird es nicht. Wir vermuten schon, dass die Schlüsselstelle erst in der plattigen Linksquerung am Ende der Länge wartet. Aber ich werde bald eines besseren belehrt. Die Sache ist nicht einfach wegzustehen wie es den ersten Eindruck macht, die Griffe sind zwar ok aber eher seitlich ausgerichtet und die Neigung ist deutlich auf der ungünstigen Seite der Vertikalen. Ich kann aber den erforderlichen Biss und die nötige Rési an den Tag legen und onsight passieren, yay! Schliesslich tauchen dann bessere Griffe auf, in der Mitte der Länge geht's sogar gut voran und während die Plattenquerung am Schluss durchaus nochmals Planung der Moves verlangt, so ist sie echt schwierig dann eben doch nicht.
Die plattige Querung am Ende von L2 (7a) verlangt nochmals etwas Aufmerksamkeit... |
L3, 25m, 6b+: Eine tolle Seillänge, welche mit einigen Piazrissen aufwartet. Der erste folgt bald einmal nach dem Stand. Die Bolts stecken hier (sinnvollerweise) in gerader Linie - wer (indoor) gelernt hat, dass man seine Bahn nicht verlassen darf, der muss sich hier auf etwas einstellen ;-) Eine zweite Cruxy-Sektion folgt gegen das Ende hin. Jonas meint "ohne einen etwas mutigen Zug geht das nicht", was ich ihm im Nachstieg absolut bestätigen kann. Ganz am Ende folgt noch ein etwas längerer Hakenabstand, den man gerne mit einem Camalot 1 entschärft.
Fantastische (Piaz-)Risskletterei wartet in L3 (6b+). |
L4, 25m, 6b+: Gegen ein Dächlein hinauf geht's los, dieses passiert man auf seiner rechten Seite, stets gutes Griffmaterial in der Hand haltend. Später folgen superschöne Splittercracks. Die sind so schön, dass es offenbar auch die Erschliesser als einen Frevel empfanden, BH zu setzen - an 2 Stellen ist es mehr oder weniger zwingend, einen Cam zum Einsatz zu bringen. Ich legte die Grössen 1 und 0.4, aber anderes Gear in ähnlicher Kragenweite bringt man sicher auch unter. Die Crux erfolgt dann etwas unerwartet gegen das Ende hin. Die Stelle sieht irgendwie banal aus und gibt einem den Eindruck, dass man sich bloss blöde anstellt... vielleicht war es ja auch so. Zu erwähnen ist, dass der Fels hier im Schlussabschnitt etwas flechtig ist, einer der wenigen kleinen Makel an dieser Route.
Auch ihm gefällt's am Poncione di Ruino! |
L5, 20m, 6b+: Die Schlusslänge gehört eigentlich zur früher erschlossenen Nuovi Orizzonti, aber freiwillig weglassen tut die sicher niemand. Der Ausblick auf die orangene, rissdurchzogene Wand wird jeden Granitliebhaber mit Vorfreude erfüllen. Gut, Traditionalisten werden wohl durch die zahlreichen Bolts abgeschreckt, wenn es doch auch clean ginge... Item, gleich aus dem Stand wartet ein etwas heikler, trittarmer Piaz-Schritt - nachher geht's beständig kräftig und ausdauernd, aber nie wirklich schwierig voran. Je nach Fitnessstand ist sind die einen möglicherweise froh darüber, dass das Ende der Wand und damit der Stand bald schon kommt, die anderen werden es eher bedauern.
Noch vor 16.30 Uhr und somit nach ca. 2:15h Kletterei waren wir am Top - wow, das hatte sich nun wirklich sehr gelohnt. Daselbst gibt's aber nicht viel zu holen, Food & Getränke waren auch am Einstieg geblieben, somit haben wir gleich die Seile eingefädelt. Das Abseilen geht ob der steilen Wand schnurstracks vonstatten, in 3 Manövern ist man zurück auf dem Boden (5 -> 3 -> 1 -> Boden). Bei nach wie vor bestem Wetter und schönstem Sonnenschein packten wir mit aller Ruhe unsere Sachen und liefen dann ohne jede Eile zurück ins Tal. Erst da wurde uns bewusst, wie weit die Wanderung an den Einstieg doch eigentlich gewesen war. Schliesslich kam der Talgrund dann doch näher und das ersehnte Tourenabschlussgetränk stand in der Beiz in All'Acqua auf dem Tisch. Ja, das war nun ein richtiger Knüller gewesen, das Meteostudium und die daraus resultierende Gebietswahl hatten sich voll ausbezahlt. Besonders freute mich auch, dass ich an diesem Tag wieder so richtig den Flow beim Klettern gefunden hatte. Auf den zuletzt sehr schwierigen MSL (1,2,3) war dies doch eher weniger der Fall gewesen. Und das Mojo ist beim Alpinklettern eben schon sehr zentral - man merkt es jeweils erst, wenn es nicht mehr so wirklich da ist.
Facts
Poncione di Ruino - Musique gaie pour un demain triste 7a (6b+ obl.) - 5 SL, 140m - Devanthey/Monnet 1996 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-1
"Wenn diese Route doppelt so lang wäre, so würde sie mit Sicherheit zu den Top Ten der MSL-Routen in der Schweiz gehören" konstatierte mein Seilpartner Jonas am Ende der Schweiz. Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Die athletische Granitkletterei in bestem Gestein ist wirklich herausragend schöne. An Rissen, Slopern und Leisten geht's mit abwechslungsreichen Moves in die Höhe, oft heisst es sich geschickt zu Platzieren und auf die Füsse zu stellen. Der einzige Makel den die Route hat ist tatsächlich, dass sie nach nur 5 Seillängen schon zu Ende ist. Somit heisst es dann halt Abseilen und in einer der benachbarten Touren erneut anzugreifen. Die Musique gaie... trumpft mit einer prima BH-Absicherung auf. Dort wo die Kletterei schwierig ist, stecken die BH +/- klettergartenmässig. Hier und da könnte man Cams platzieren, so wirklich nötig erschien uns dies nur in L4, wo es an zwei Splitter Cracks längere Abstände gibt, die man fast mobil sichern muss. Ich legte da die Cams 0.4 und 1, anderes Gear in ähnlicher Grösse findet aber sicher auch Unterschlupf. Daher die Materialempfehlung für ein Set Cams 0.3-1. Zu erwähnen ist, dass leider nur verzinkte Dübel (mit rostfreien Laschen) stecken. Dank dem sauberen, praktisch vegetationsfreien Fels sehen sie trotz Baujahr 1996 (zumindest äusserlich) noch gut im Schuss aus. Auch die Standketten sind von Marke Eigenbau und sehen eigentlich solide aus. Sollte allerdings eine der Schweissnähte versagen, welche bei diesem System sicher die Schwachstelle sind, so gäbe es konstruktionsbedingt leider keine Redundanz. Aber es wird ja schon halten... Ein Topo zur Route findet man im SAC-Führer Tessin, im Extrem Sud oder im Topoguide Band II.
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