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Samstag, 2. Juli 2022

Handegg / Bügeleisen - An Early Morning Walk (7a)

Nach dem langen Tag im Vreneli an den Wendenstöcken hatten wir uns gleich vor Ort aufs Ohr gelegt, zum Heimfahren war es sowieso zu spät und wir viel zu müde. Um 7 Uhr morgens waren wir schliesslich wieder auf den Beinen, beim Zmorge schlich langsam die bleierne Müdigkeit aus den Gliedern und wir fragten uns, wo wir in den kommenden Stunden vor der zeitigen Heimkehr noch etwas Kletterspass geniessen könnten. Der Entscheid fiel schliesslich auf ein starkes Kontrastprogramm zum Vortag: am Bügeleisenpfeiler an der Handegg wollten wir die 5 SL kurze, erst im 2020 erschlossene plattige Granitroute An Early Morning Walk von Bruno und Kurt Müller probieren.

Sicht auf die Handegg-Wände westlich der Grimselstrasse, aufgenommen aus dem Siebenschläfer. Abgebildet sind der Verlauf der klassischen Bügeleisen-Route (6a) wie der schwierigeren Schwester An Early Morning Walk (7a)

Auch dieses Vorhaben könnte man aufgrund der weit jenseits der 30 Grad Marke angesagten Hitze als eine komplette Fehlplanung bezeichnen, wird doch das Bügeleisen bei sonnigen Verhältnissen gerne auf dem Namen gerechte Temperaturen aufgewärmt. Da aber gleichzeitig Föhn angesagt war, der einem an diesem Fels gerne schlottern lässt, zählten wir auf ausgleichende Wirkung und genau so war es dann schliesslich auch. Unsere Tour startete um ca. 8.45 Uhr an der Grimselstrasse, der kurze Zustieg nimmt ca. 15 Minuten in Anspruch und war mir von der Tour mit den Kindern in der klassischen Bügeleisen-Route schon bekannt. Der Einstieg in die AEMW befindet sich etwas links oberhalb des tiefsten Punkts bei einem einzelnen Bohrhaken mit Petzl-Lasche. Etwas nach 9 Uhr waren wir bereit und stiegen ein.

L1, 35m, 5b: Von unten könnte man das auf den ersten Blick noch als seilfrei machbares Nahezu-Gehgelände einstufen. Naja, womöglich waren unsere Sinne noch von den gestrigen, gewaltigen Wandfluchten an den Wendenstöcken betäubt. Die Seillänge ist der Bewertung entsprechend tatsächlich unschwierig, aber ein wenig Klettern muss man durchaus. Mit 5 BH ist die Länge ausreichend, aber nicht extrem üppig abgesichert.

L2, 45m, 6a+: Langes Teilstück, wo man die Schwierigkeiten etwas nach seinem Gusto aussuchen kann. Die Seillänge verläuft erst an von Vegetation und Erde geputzten Schuppen oder wahlweise deutlich schwieriger ausschliesslich rechts davon in der Wand - die Position der Haken lässt beide Interpretationen zu. Weiter oben zieht die Linie dann auf die grosse, kaminartige Verschneidung hin. Zwecks einfacherer Kletterei kann man sich an diese halten, muss sich dann jedoch immer weit nach rechts strecken, um die Bolts zu klippen. Die ganze Sequenz konsequent direkt in Hakenlinie und ohne die Föhre am Ende zu klettern ist auch möglich, sprengt den Rahmen einer 6a+ jedoch unseres Erachtens (sehr) deutlich - aber man hat die Wahl, wie sehr man sich hier fordern will.

Unterwegs in der langen L2 (6a+).

L3, 35m, 6a: In einem grossen Linksbogen umklettert man die Buschzone oberhalb vom Stand. Dieser Teil läuft unter 'vergnügliche Kletterei' ohne besondere Schwierigkeiten. Später zieht's dann an und vor allem zum Stand hin wartet noch ein echtes Gustostücklein. Über den (tief steckenden) letzten BH hinweg ist es kurzfristig enorm glatt. Direkt über den Haken geklettert (eine Umgehung haben wir nicht gesehen) spielt sich das nach unserem Dafürhalten an der Haftreibungsgrenze ab und war nur mit einer ziemlich komplexen Bewegungsabfolge lösbar. Es könnte sogar die schwierigste Einzelstelle der ganzen Route sein, die Moves in L5 (7a) empfanden wir als von ähnlicher Kragenweite aber sicher nicht schwieriger, auch wenn's dort gleich mehrere davon gibt. Somit würden wir diese Länge als zumindest eine 6c taxieren. Die schwierigsten Schritte einmal gemacht, heisst's dann noch kühles Blut zu bewahren und in einem kleinen Runout die Füsse mit sloprigen Seitgriffen schön ans Parkett zu drücken, um den Stand zu erreichen.

Sieht gechillt aus, wie Viktor die letzten Moves von L3 (6a, eher 6c) klettert. Die sind, nach der glatten Crux davor, tatsächlich nicht mehr so schwierig. Im Vorstieg aber, schon ein rechts Stück vom letzten Haken entfernt, aber doch ziemlich fordernd.

L4, 20m, 6b: Eine kurze Seillänge, auf der es einem aber sicher nicht langweilig wird! Schon der Beginn aus dem Stand fordert gleich, der erste BH steckt hoch und das Klippen ist nicht geschenkt. Eine Mantle-Sequenz folgt als nächstes - muss man einmal kapieren, so schwierig war es dann allerdings nicht. Nach dem folgenden Klipp folgt die Crux, wo es erneut an Seitgriffen heisst, Druck auf die Sohlen zu bringen. Eine zapfige, bouldrige 6b-Stelle die etwas Zutrauen in die Reibung verlangt (und für in diesem Stil nicht geübte 6b-Kletterer wohl unmöglich erscheint...). Um das Thema von vorher nochmals aufzunehmen: uns dünkte diese Crux massiv einfacher wie jene von L3. Der Rest der Seillänge legt sich in der Neigung zurück und bietet noch dazu die typischen, seichten aber hier vernünftig griffigen Risse und bietet so keine nennenswerten Schwierigkeiten mehr.

Unterwegs in L4 (6b), wo das Finish ziemlich gemütlich ist. Der Kletterer neben ist im Bügeleisen.

L5, 40m, 7a: Nun sollte es ja laut Einstufung nochmals deutlich schwieriger werden und da wir bisher schon diverse Moves am Limit geklettert hatten, standen wir nicht überaus optimistisch vor dieser Länge. Das schon sichtbare, an den Zwischenhaken vorhandene Bail-Gear war auch nicht unbedingt ein Booster für die Moral. Nichtsdestotrotz, wir mussten es probieren und das Beste geben. Über die ersten 3 Haken löste sich die Sache auf der richtigen Linie gut auf. Aber dann folgt eine knifflige Linkstraverse mit den Füssen im Nichts und den Händen an einem seichten Loch - es schien unmöglich, aber entweder machte die Schwerkraft gerade Pause oder unsere Kalibration der Reibung war auf der zu pessimistischen Seite. Hat man sich einmal über diese schwierigen Moves gerettet, so wird man sich gewahr, dass für die 'wahre Rettung' in Form des nächsten Klipps nochmals ein heikler Schritt auf Reibung folgt. Auch über die nächsten drei Bolts wechseln sich Ruhepunkte zum Durchschnaufen mit Aufstehern am Limit ab. Mich persönlich dünkte der letzte davon die schwierigste Stelle der SL, aber womöglich war's nur dumm angestellt oder der Bammel, es da noch zu vergeben. Jedenfalls, und das zählt am Ende: es gelang uns beiden OS/Flash - irgendwie mit mehr Glück als Verstand, aber geschafft ist geschafft. Auf den letzten Metern lassen die Schwierigkeiten dann übrigens nach, man trifft mit der klassischen Bügeleisen-Route zusammen, mit welcher man sich den Ausstiegsstand teilt.

Grimsel Vibes: die klassischen Handegg-Sektoren Spiegelwand und Ölberg, links oben die Gelmerhörner.

Um ca. 12.15 Uhr und somit nach 3:00 Stunden sehr unterhaltsamer aber fordernder Kletterei waren wir am Top. Dieser Platz ist nicht sonderlich bequem und zudem pfiff der Föhn wie verrückt, so dass wir gleich die Seile fädelten und in die Tiefe glitten. Mit den 2x60er-Stricken ging es in 4 Manövern (5 -> 3 -> 2 -> 1 -> Boden). Obwohl der Wind die Seile stark talabwärts vertrieb, blieben wir zum Glück von einem Verhänger verschont. So waren wir bald am Boden, wo der Föhn zwar kaum mehr sein Unwesen trieb, dafür eine Affenhitze herrschte. So machten wir uns schnurstracks auf den Weg zur Strasse, die erwünschte zeitige Heimkehr stellte an diesem Tag kein Problem dar. Wir rollten talwärts, deckten uns baldmöglichst mit kühlem Getränk und einem Glacé ein und zogen das Fazit. Nach einem langen Klettertag, mit schon rechtschaffener Müdigkeit in den Knochen, macht es sich immer bezahlt, eine Tour mit möglichst grossem Kontrast zur vorangehenden zu wählen. Idealerweise ist das Unternehmen eher kurz, dafür soll es aber einem so fordern, dass für Müdigkeit oder Lethargie kein Platz bleibt. Absolut optimal war uns das hier nach unserem Gusto gelungen - tolle Sache!

Facts

Handegg / Bügeleisen - An Early Morning Walk 7a (6b obl.) - 5 SL, 175m - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig bzw. einsetzbar

Eher kurze, aber dennoch sehr interessante Kletterei auf einer plattigen Granitflucht. Der Fusstechnik kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, das Bügeleisen ist aber steiler wie andere Sektoren am Grimsel und bietet nicht reine Reibungskletterei, sondern erfordert es die Sohlen an Griffen aller Art auf das Parkett zu pressen. Die offiziellen Bewertungen (v.a. in L2-L4) stammen von in dieser Art der Kletterei sehr versierten Leuten und dürften ohne spezielle Affinität zu diesem Stil als tough erscheinen. Und eine 7a dieses Zuschnitts stellt ja dann sowieso schon fast das obere Ende der Möglichkeiten dar. Man darf sich also durchaus auf MSL-Sportklettern einstellen! Die Route ist mit Top-Inoxmaterial eingebohrt, die Erschliesser verwenden für den Charakter der Absicherung den Begriff "fair". Das trifft es nach meinem Empfinden prima. Man kann von einer guten Absicherung sprechen, allerdings ist sie durchaus ambitioniert gehalten und es gibt manch einen Move an der (=meinen) Grenze, der absolut zwingend ist. Gefährliche Stürze sind nicht zu befürchten, aber mit A0 ist relativ wenig zu holen, der Anspruch ist massiv höher als z.B. in Herrenpartie oder Sagittarius. Bericht und Topo zur Route findet man auf rauchquarz.ch, der Seite des Erstbegehers Bruno Müller - vielen herzlichen Dank für die Route und die vorzügliche Berichterstattung darüber!

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