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Freitag, 22. Juli 2022

Zervreilahorn - Alphornklänge (6a)

Dieser Bericht ist die Nachspeise zu einer grösseren Geschichte, nämlich unserer Erstbegehungs-Trilogie mit Nightcrawler, Holy Smoke und Maverik, welche sich alle rechts neben der hier beschriebenene Route befinden. Sonst hätte ich vermutlich für die in diesem Beitrag beschriebene Route den langen Weg ans Zervreilahorn nämlich ehrlicherweise kaum gemacht. Das heisst aber nicht, dass sie unlohnend wäre - nein, man kann in ihr den wohl einfachsten Wanddurchstieg auf diesen eindrücklichen Klettergipfel haben, die Gegend ist umwerfend schön und so wird man auch mit diesem Ziel ganz sicher ein tolles Erlebnis mit nach Hause nehmen. Wir aber nutzten sie tatsächlich mehr als Nachmittagsaktivität am Anreisetag und natürlich zur Erkundung des Geländes im Hinblick auf die Neutouren.

Die Zervreilahorn SE-Wand mit dem Verlauf der Route Alphornklänge (6a).

Die ganze Geschichte begann mit organisatorischen und logistischen Hindernissen. Schlussendlich lief der Hase so, dass wir a) zuerst Jerome in sein Trainingslager verabschiedeten, wir dann b) zu viert nach Zervreila reisten und am Nachmittag die 'Alphornklänge' kletterten, sich danach c) Kathrin dem Heimweg und am Folgetag ihrer Arbeit widmete und d) wir zu dritt (Larina, Viktor, Marcel) nach einer Nacht vor Ort mit dem Bohrer in der Holy Smoke unterwegs waren. Das nächste Hindernis bestand mit dem Anmarsch zum Berg mit Unmengen an schwerer Ausrüstung - zum Glück war Kathrin dabei, welche die negative Tragebilanz der Tochter wieder halbwegs ins Reine zu bringen vermochte... auch Bikes hatten wir nur 3 Stück mitnehmen können, doch für den mehrheitlich abwärts führenden Hinweg konnte Daddy das Klettertaxi spielen (don't tell the police, though!). Auch die Schlepperei brachten wir mit noch frischen Kräften einigermassen zügig und ohne grosse Lamenti über die Bühne. Nichtsdestotrotz waren wir froh, auf dem Boden unter dem Zervreilahorn die schwere Last endlich deponieren zu können (nähere Infos zum Zustieg bis dahin, siehe hier).

Das Zervreilahorn in Griffweite - einfach jedes Mal ein erhabener Anblick!

Vom Depot gibt es nun 2 Möglichkeiten, zum Einstieg der 'Alphornklänge' zu kommen. Einerseits den üblichen Weg zum Wandfuss hinauf und dann durch das erste Couloir (normaler Zustieg zum NE-Grat) mit etwas leichter Kraxelei auf das SE-Wandband hinauf. Das Band muss dann nach links gequert werden, auch hier muss manchmal noch Hand angelegt werden, meist aber hat es Wegspuren, welche sich spätestens nach dem Einstieg der Braveheart jedoch verlieren. Nun weglos über etwas steilere Grasplanggen weiter nach links, bei Trockenheit kein Problem. Der Einstieg befindet sich bei den tiefsten Felsen, bei einer markanten Platte, ein BH mit Irniger-Lasche markiert den Start, angeschrieben war die Route im Sommer 2020 jedoch nicht. Alternativ (unsere Variante, eher besser und schneller) kann man vom Depot nach links queren, man ersteigt eine Moräne und folgt dieser, um schliesslich in der Falllinie der Einstieg von Braveheart und Maverik über Geröll an die Wand hochzusteigen. Die Stufe lässt sich da mit ein paar Kletterzügen gut bewältigen (zusätzlich Reepschnur und Fixseil vorhanden). Bald ist man auf dem Band und nach kurzer Linksquerung am Einstieg. Wir gingen die Tour in 2 Seilschaften an, Viktor und Kathrin kletterten vor uns, während ich mich mit Larina einband. Um 14.45 Uhr stieg ich schliesslich los.

L1, 45m, 5a: Zu Beginn stark geneigte Plattenkletterei, der eher abschüssig strukturierte, teils auch etwas sandige Fels und die nicht allzu üppige Absicherung erheischen aber trotzdem sorgfältiges Steigen. Weiter geht's über ein Art Pfeiler, zum Ende dann in etwas grasigem Gelände zum Stand.

Tiefblick auf die pfeilerartige Struktur in der zweiten Hälfte von L1 (5a).

L2, 45m, 5b: Zuerst ein steiler Auftakt an henkligem Fels durch eine gestufte Verschneidung, dann über einige Stufen hinweg in griffigem Gelände, trotz teilweisem Bewuchs eine schöne und genussreiche Länge, gut mit BH abgesichert.

Ausblick auf L2 (5b), die mit griffig-steiler Kletterei aufwartet.

L3, 35m, 5b: Hier quert man zuerst in einfachem Gelände stark nach rechts um die Ecke, bevor es dann an einer Verschneidung bzw. mehr in der liegenden Wand links davon aufwärts geht. Hier ist die BH-Absicherung eher knapp ausgefallen und mobile Sicherungen kann man zwar legen, die Placements dünkten mich aber nicht restlos überzeugend.

Darum waren wir gekommen! Ja, auch für die Tiefblicke, aber vor allem um die Wand von links her lesen zu können.

L4, 35m, 6a: In einem grossen spiegelverkehrten 'S' geht's weiter. Erst über eine Art Rampe aufwärts, dann griffig an einem Riss, der zu einem Graspodest leitet. Nun folgt die nominelle Crux der Route mit einer etwas kniffligen Traverse an einem feinen Riss in plattigem Gelände nach links, die sich aber schlussendlich doch recht easy auflöst und auch sehr eng mit BH abgesichert ist. Zuletzt noch 'gewusst wie' nach links zum Stand, originell auf einer Kanzel.

Familie Dettling in Aktion in L4 (6a). Mama zieht gerade einen (wenn nicht den) schwierigsten Move der Route, Daddy gerade zu Beginn der nominell schwierigsten Passage der Route und selbst die Tochter sieht man noch als kleines Pünktchen am Standplatz.

L5, 45m, 5c+: Nach links hinaus und fotogen die steile Wand hinauf, ein paar optimal platzierte Strukturen lassen dies ohne grosse Schwierigkeiten zu und die gut gesetzten BH lassen keinen Stress aufkommen. Danach wird das Gelände einfacher und gestuft, die Absicherung ist eher spärlich - Vorsicht, hier sind keine Fehler erlaubt!

Die fotogene Querung am Anfang von L5 (5c+), hinten das Furggeltihorn (3042m).

L6, 40m, 5c+: Der Auftakt über eine steile, griffige Stufe mit kleiner Verschneidung muss selber abgesichert werden. Kein grösseres Problem und auch nicht allzu schwierig, allerdings gleich über dem Standband, man sei sich dessen bewusst. Nun geht's über Bänder an eine steile Wandstufe heran, wo man in einen Piaz gelangen muss - dies fand ich fast die schwierigsten Moves der ganzen Route, zudem steckt der erste BH recht hoch und davor lässt es sich auch nicht ganz optimal sichern - Vorsicht!

Das Gelände am Anfang von L7 (5b) sieht imposant und schwierig aus, umso mehr wenn noch kein Kletterer so entspannt dasteht. Es löst sich aber alles sehr gut auf, Griffe, Tritte, ja ganze Bänder sind da und erlauben eine mühelose Passage.

L7, 50m, 5b: Eine vermeintlich schwierige Querung in kompaktem Gelände nach rechts oben steht nun an, jedoch sind die sehr griffigen Risse und Schuppen vom Stand nicht einsehbar. Schlussendlich geht's dann rechts neben einer grossen Verschneidung gerade hinauf zum Ausstieg, über ziemlich wildes Terrain mit abstehenden Schuppen, teils liegt auch loses Gestein herum. Gut machbar, trotzdem ist die nötige Vorsicht angezeigt, um keine Ware in die Tiefe zu senden.

Zum Ende hin (L7, 5b) wird das Gelände ziemlich wild und alpin, d.h. grosse abstehende Schuppen wollen erklommen werden, ebenso liegen sowohl grössere Blöcke wie auch kleinere Steine im gebänderten Gelände. Es ist einiges an Umsicht in Bewegung und Seilführung nötig, damit keine Steine gelöst werden. Immerhin ist der Standplatz unten ausserhalb der Schusslinie.

Um 17.45 Uhr hatte Larina als letzte unseres 4er-Trupps den Ausstieg erreicht, macht also gerade rund 3:00 Stunden für die Kletterei. Wir stiegen auf's Gipfelplateau aus, um noch ein wenig die Aussicht und die Abendsonne zu geniessen. Ab rund 16.00 Uhr war die Wand nämlich in den Schatten getreten und während es zwar nicht allzu kalt und gut erträglich war, so merkte man doch, dass die 3000er-Grenze nicht allzu weit entfernt war. Natürlich wollten wir über die Route abseilen, um so noch mehr Blicke ins Terrain, insbesondere in die nach links offenen Verschneidungen unseres 'Holy Smoke'-Projekts werfen zu können. Vom Ausstiegsstand geht's 50m runter zu einem routenunabhängigen Stand, der schon im Aufstieg von Stand 6 gut erblickt werden kann (Vorsicht, teils etwas 'gschüderigs' Gelände!). Nun sind es nochmals 50m direkt hinunter zu einem weiteren, routenunabhängigen Stand. Zumindest mit 2x60m reicht es ab da zu Stand 3 und mit einem Zwischenstopp bei Stand 1 retour an den Einstieg, d.h. 5 Manöver sind nötig. Vom Einstieg kann man einen weiteren Abseiler direkt hinunter ins harmlose Gelände unter der Wand ziehen (nur 1 BH mit dünnem Maillon vorhanden) oder man wechselt hinüber zum Fixseil, das vom Einstieg der Braveheart zum Abseilen genutzt werden kann.

Top of Zervreilahorn!

So hatte uns Terra Firma wieder. Für Kathrin stand nun eine längere Heimreise an, erst zu Fuss, gefolgt von einer ausgiebigen Velotour (das Valsertal und das Lugnez hinaus geht ja alles bergab, oder?) und der Fahrt nach Hause, was schlussendlich in einer kurzen Nacht resultieren sollte. Wir blieben zwar stationärer in der Lokation, allzu lange schlafen konnten wir aber auch nicht. Um 6 Uhr am nächsten Morgen war Tagwache, so dass wir pünktlich mit der 'Arbeit' am eigentlichen Projekt beginnen konnten. So viel sei jetzt schon verraten, unsere Erstbegehung gelang am Folgetag, im üblichen Zervreila-Semi-Trad-Stil konnten wir die Linie an einem Tag vollenden und erreichten spätabends den Gipfel. Sodann stand auch uns eine lange und anstrengende Heimreise bevor. Von den vielen mitgeführten Bolts hatten wir nur relativ wenig gebraucht und das Material verteilte sich beim Abstieg auf nur noch drei Schultern - läck so kaputt wie nach diesen 2 Tagen war ich schon länger nicht mehr! 

Wunderschöne Abendstimmung auf Zervreila!

Facts

Zervreilahorn - Alphornklänge 6a (5c obl.) - 7 SL, 300m - M. Illien, A. & S. Schweizer, D. Zürcher - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-2

Der vielleicht einfachste Wanddurchstieg am Zervreilahorn bietet schöne Kletterei, weitgehend im fünften Franzosengrad und steht darum auch weniger stark kletternden Akteuren offen. Trotzdem stellt die Route gewisse Anforderungen in Bezug auf Routenfindung und alpine Fähigkeiten. Die Absicherung mit BH ist an den schwierigen Stellen gut, in den einfacheren Passagen gibt es auch weitere Abstände. Teils ist die Absicherung auch etwas inhomogen, so dass der Vorsteiger im Bereich 5bc doch einigermassen souverän unterwegs sein sollte. An einigen Stellen kann/muss auch mit Cams ergänzt werden, ein Set von 0.3-2 reicht jedoch gut aus. Zu beachten ist auch, dass die Route teils Bänder mit losen Steinen quert und es einige lose Schuppen und Blöcke am Weg gibt. Mit dem nötigen Sachverstand kein Problem - aber wie erwähnt, Grundkenntnisse im alpinen Klettern sind hier schon nötig, ein reinrassige Plaisirroute für alpine Einsteiger ist es nicht. Das absolut empfehlenswerte Originaltopo kann man hier herunterladen (vielen Dank!), die Route ist auch im SAC-Kletterführer Graubünden verzeichnet (der jedoch die SE-Wand des Zervreilahorns leider mit diversen Fehlern behaftet beschreibt!!!) .

3 Kommentare:

  1. danke auch für diesen bericht! etwad off-topic: aber was bedeutet „1p.a.“ im topo?

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  2. 1 point d'aide = 1 künstlicher Hilfspunkt, d.h. mit 1x am Haken ziehen sollte man die ganze Route mit 5c durchkommen.

    Was man bei dieser Route bestimmt sagen kann: die Crux in Bezug auf das Hochkommen liegt kaum in der nominellen Schlüsselpassage (da diese eben eng gebohrt ist).

    Lg, Marcel

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