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Donnerstag, 7. Juli 2022

Poncione di Ruino - Via Danielli-Pohl (6c+/7a)

Herrliche Kletterei in reinem Chamonix-Stil. Bezeichnet als «Route von seltener Schönheit für unsere Breitengrade, ein Muss für jeden Tessin-Kletterer.» Zwei jungen, in den Bergen ums Leben gekommenen Bergfreunden gewidmet. Erste freie Begehung durch Bruno Moretti, Sommer 1982 (Zitat aus dem SAC-Clubführer Gotthard, Ausgabe 1995). 

Auf eine MSL mit Jonas soll es gehen, doch die Gebietswahl gestaltet sich eher schwierig. Die Textwetterberichte vermelden zwar "meist sonnig", doch im Kleingedruckten ist ersichtlich, dass es in den nördlichen Voralpen ausbreitende Quellbewölkung geben wird. Wir studieren die Animation in der Meteoschweiz-App vorwärts und rückwärts und kommen zum Schluss, dass in den Kalkgebieten auf der Alpennordseite wohl bald die ungeliebten, feucht-kalten Verhältnisse mit stark eingeschränkter Sicht vorherrschen würden. Im Urgestein des Gotthard-Massivs zu klettern schien die deutlich bessere Wahl. Wir entschieden uns schliesslich für den Poncione di Ruino im Val Bedretto - für uns beide eine Long Standing-Pendenz. Das war genau richtig, wir wurden in jeder Hinsicht belohnt: keine Quellwolken, Sonne satt und so richtig affengeile, steil-athletische Granitkletterei in orangefarbenem Gestein, wie man es sonst wirklich meist nur in Chamonix findet.

Die Südwand des Poncione di Ruino mit dem Verlauf der Via Danielli-Pohl. 

Unsere Tour startete um 8.05 Uhr in All'Acqua (1600m), vorerst stand uns ein ziemlich langer Zustieg von rund 900hm bevor. Auf einem guten Weg führt dieser erst zur Capanna Piansecco (1980m), von dort wählt man den z.Z. ausgeschilderten Pfad Richtung Passo di Rotondo, folgt gut sichtbaren Spuren bis auf 2280m und quert dann weglos, die Wand bereits im Blick, an den Einstieg auf rund 2500m. Die Lauferei nahm uns gerade 1:30h in Anspruch. Bei bestem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen hielten wir am Wandfuss eine kurze Rast und bereiteten uns auf die Kletterei vor. In der Gegend von 10.00 Uhr stiegen wir in die Via Danielli-Pohl ein. Sie beginnt zentral in der Südwand, unmittelbar unter der markanten, rissdurchzogenen Platte.

Eine schöne und ziemlich einsame Gegend. Unten in Bildmitte die Capanna Piansecco.

L1, 40m, 6c+/7a: Wir starteten direkt unter dem angepeilten Riss, da befinden sich auch die (mässig gut sichtbaren) Initialen "D.P.". Gleich schon die ersten Meter direkt hinauf sind gar nicht mal so einfach, stecken oder liegen tut nichts - Crashpad und Spotter wären durchaus angenehm. Diese Stelle ist aber wohl vermeidbar, wenn man ganz rechts drüben bei der Verschneidung beginnt und nach links hinausquert. Nach diesem Einstiegsboulder wird es dann zwar einfacher (4er-Gelände), bald aber erreicht man Höhen wo selbst ein Crashpad nichts mehr helfen würde... die erste Sicherungsmöglichkeit erfolgt mit dem ersten BH in 12-15m Höhe, was erst recht irgendwie unnötig erscheint, weil die Bolts nachher fast im Metertakt folgen. Dem markanten Riss durch die Platte geht's entlang, die Schwierigkeit nimmt unmittelbar zu. Die Crux folgt dann auf den letzten 15 anhaltenden Metern zum Stand. Ein bisschen etwas zum Greifen gibt's immer, die Tritte sind aber oft rar, die Moves deswegen anstrengend und wacklig. Aber, das ist das Wichtigste: mir geht's ziemlich am Limit auf, ich kann onsight durchsteigen :-) Genau im richtigen Moment taucht entweder ein Noppen für einen passableren Tritt oder ein seichter Klemmer für etwas Entspannung im Riss auf. Im SAC-Führer und im Extrem Sud wird die Länge mit 6c+ bewertet, im Topoguide mit 7a - für mich könnte letzteres gefühlsmässig durchaus hinkommen. Wie bereits erwähnt stecken die BH im Hauptteil der Länge sehr dicht, weiter gibt's noch Schlaghaken und Möglichkeiten für mobile Sicherungen, man könnte diesen Abschnitt auch A0 bewältigen.

Vorzügliche, anhaltend taffe Risskletterei im oberen Teil von L1 (6c+/7a).

L2, 25m, 6a+: Grosso Modo dem Riss entlang geht's weiter, ganz am Anfang macht's eine Linksschleife deutlich einfacher. Die Crux folgt im oberen Teil, wo man sich kurzzeitig schon mal richtig kräftig im Piaz festhalten muss. Die Absicherung mit BH auch hier prima, zusätzlich hat's auch noch Schlaghaken und Möglichkeiten für Cams.

Cool das Licht, Ambiente und die Fortsetzung dem Riss entlang in L2 (6a+).

L3, 15m, 5c: Der schönen Schuppe entlang aufwärts, dieser dann horizontal entlang hangeln, am Ende eine Schritt absteigen und schon ist man am nächsten Stand. Laut SAC-Führer und Extrem Sud eine 5a, das wäre vielleicht auf dem einfachsten Weg untenrum über eine Art Band richtig. Der (bei der Sanierung neu gewählte?) Weg der Schuppe entlang ist aber mit Sicherheit schwieriger und erfordert ein paar kräftige Züge. Zwecks Effizienz könnte man diese Länge übrigens auch gut an L2 anhängen.

Die (untenrum umgehbare) Hangelschuppe in L3 ist wohl eher schwieriger wie die offizielle 5a.

L4, 35m, 6a+: Sehr schöne Linie links der Verschneidung entlang. Der Auftakt ist noch gemütlich, gegen oben hin ziehen die Schwierigkeiten dann an. Insbesondere das athletische Finale ist richtig cool - diese Stelle könnte auch richtig schwierig sein - aber nein, die Risse sind hier scharf geschnitten und so richtig griffig, so turnt man genial in die Höhe.

Tolle, athletische Verschneidungskletterei in L4 (6a+)

L5, 35m, 6b+: Auf dieser Seillänge gibt es 2 Varianten, wobei wir nicht lange überlegen mussten und auf die schwierigere, direkte hinsteuerten. Kurz der Schuppe entlang aufwärts und dann, noch in Sichtweite vom Stand, direkt über die Stufe mit den nahe steckenden BH hoch. Was vermeintlich schwierig aussieht, löst sich richtig gemacht prima auf und erfordert nur 1-2 schwierigere Moves (ansonsten A0 gut möglich). Nachher folgen auf dieser Linie nur noch Schlaghaken und Cam-Möglichkeiten, aber keine BH mehr. Während man erst genussreich durch eine Art Verschneidung klettert, führt der zweite Teil augenscheinlich durch ein weniger schönes, einfaches Couloir. Somit bin ich nach Hälfte der Seillänge nach rechts in steileres, attraktiveres Gelände abgebogen und vermutlich auf die 5c-Variante getroffen?! Das war echt coole Kletterei an einer Verschneidung mit 2 BH, für eine 5c auch noch heftig knifflig. Bei beiden Varianten kommt man schliesslich zum Stand mit Köpfelschlinge und Ring-BH auf einer Terrasse.

In L5 (6b+) wählte ich zuerst die direkte Linie, wechselte aber später zum attraktiveren Ausstieg der 5c-Variante. Dieses bietet am Ende für den Grad ganz schön knifflige Moves!

Nach L5 endet die eigentliche Route (oder vielleicht auch nicht...). Jedenfalls ist der Berg noch nicht fertig und mit unserem Alpinistenherz beschliessen wir subito und einstimmig, dass wir zumindest 1x im Leben am Top des Poncione gestanden haben müssen. Kommt noch hinzu, dass das Gelände durchaus attraktiv zu beklettern wirkt. Allerdings zeigen die Topos ein uneinheitliches Bild und keines davon scheint uns wirklich zu 100% mit der Realität vereinbar. Allen gemeinsam ist, dass sie den Weg eher linksrum westseitig zeigen und dazu schreiben es sei brüchig... naja, dies können wir so nicht bestätigen.

L6, 45m, 5ab: Allen Topo-Ratschlägen zum Trotz, wir wählen den vor Ort absolut logischen, natürlichen Weg leicht rechtshaltend über eine kurze Wandpassage und später der Kante entlang aufwärts. Auf den ersten 15m ist die Kletterei steil und griffig. Der Fels ist vielleicht etwas flechtig, aber ansonsten von prima Qualität und mit Cams kann man dieses Stück auch gut absichern. Nachher legt sich das Gelände etwas zurück und wird einfacher, ist aber immer genussreich zu beklettern. Man trifft unterwegs auf einen NH und nach 45m auf einen gebohrten Stand mit 2 BH und Abseilmöglichkeit. Das wäre der letzte Umkehrpunkt, wenn man über die Route zurück möchte.

Wer würde freiwillig darauf verzichten? Die Fortsetzung der Route nach L5 ist durchaus ästhetisch und bietet zwar einfachere, aber durchaus lässige Kletterei. Jonas folgt der logischen Linie über eine kurze Wandpassage auf die Kante. Selbst das Abseilen bei einem Weitergehen entpuppte sich übrigens als komplett unproblematisch.

L7, 25m, 4a: Wir wollen aber weiter zum Gipfel. Nach rechts querend käme man relativ unschwierig dahin, ich wähle aber die beste Kletterlinie einer Verschneidung links der Kante entlang. Man gelangt so ein lokales Maximum auf dem Grat, folgt diesem nach rechts und klettert ein paar Meter auf einen flachen Platz in der Scharte ab. Hier gibt's keinen Stand, man kann aber gut an Cams oder Blöcken nachnehmen.

Am lokal höchsten Punkt in L7 (4a), der Gipfel befindet sich im Rücken des Fotografen.

Um 12.45 Uhr und somit nach rund 2:45h Kletterei haben wir diesen Punkt erreicht und nehmen die Seile auf. Zum Gipfel sind es noch rund 20hm, diese führen aber durch einfaches, gestuftes und kaum exponiertes Gelände und erfordern nicht zwingend eine Seilsicherung. Kurze Zeit später können wir am höchsten Punkt zum Handshake ansetzen und ein Selfie schiessen - sowie grandiose Ausblicke und einen erstaunlichen Tiefblick auf die Nordseite geniessen.

Cumbre!

Sämtliche Topos suggerieren, dass wir nun heikel, exponiert und ungesichert im vierten Grad zu einer Abseilstelle abklettern müssten. Das erweist sich aber als komplett unnötig. Unmittelbar unter dem Gipfel (7-8m südwärts, man kommt im Aufstieg direkt daran vorbei) befindet sich nämlich der finale Stand (BH & NH) der Diedro Petazzi bzw. Ten Years After. Von diesem seilt man ca. 20m ab zum Ende deren steiler Kletterei, von wo es dann 4 lange Manöver zurück zum Einstieg sind. Im Detail, laut Topo im Extrem Sud: Von S6 20m zu -> S5, ab da 45m zu -> S4, ab da 40m zu -> S3, ab da 48m (!) gerade hinunter zu -> S1 von Ficus Tremens, ab da 40m -> Boden. Das geht super zügig, so hatten wir bald wieder die Seile aufgeschossen, das Material sortiert und konnten um 13.30 Uhr einen Vesper am Einstieg nehmen. Um die Rucksäcke schon zu packen und nach Hause zu gehen war es aber noch viel zu früh, der Tag zu schön und die Kletterei zu gut. Wir würden also erneut einsteigen, keine Zweifel. Die Frage war bloss noch in welche Route... das wird dann im nächsten Beitrag beantwortet :-)

Facts

Poncione di Ruino - Via Danielli-Pohl 6c+/7a (6a obl.) - 7 SL, 240m - Balestra, Petazzi et al. 1975 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams 0.3-2

Der SAC-Führer rühmt diese Route als eine der schönsten des Tessins und tatsächlich trifft man hier auf exzellenten, steilen und sauberen Granit mit stets interessanter Kletterei plus Gipfelerlebnis. Ein Wermutstropfen ist die inhomogene Verteilung von Schwierigkeiten und Charakter. Die erste Seillänge steht in freier Kletterei nur einigermassen amibitionierten Sportkletterern offen (A0 aber gut möglich), nachher halten sich die Schwierigkeiten im Plaisirbereich, während das Finale leicht, dafür eine Episode im Stil des cleanen Alpinkletterns ist. Die Route ist bis nach dem ersten Drittel von L5 üppig mit Inox-BH saniert. Teilweise stecken auch noch NH, so dass die Schwierigkeiten wenig obligatorisch sind und mit Griff zum Haken entschärft werden können. Cams liessen sich mancherorts platzieren, nötig ist dies  aufgrund der Hakendichte bei Beherrschung des Anspruchs aber erst ab L5. Ein Set von 0.3-2 dürfte man als ausreichend empfinden. Topos zur Route findet man im SAC-Führer Tessin, im Extrem Sud und im Topoguide Band II. Wie im Text erwähnt, fand ich die Darstellung ab L5 in allen 3 Werken mässig zutreffend, besser ist die Situation im oberen Teil des Poncione plus die Abseilstrecke in diesem frei verfügbaren PDF abgebildet.

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