Rätikon Sabra, das stand schon viele Male auf dem Zettel, als es um die Auswahl einer Route ging. Irgendwie kam es doch nie dazu, restlos genau zu erklären ist das nicht. Möglicherweise ist es eine Kombination der mit 8 SL auf dem Papier kurz scheinenden Kletterstrecke und einiger nicht durchwegs positiver Online-Rezensionen. Aber spät(er) ist nicht nie, der Tag kam wo wegen abendlicher Verpflichtungen, einem nicht zu 100% gewitterfreien Wetter und einem schon weit zurückliegenden letzten Rätikon-Besuch die Sabra genau das richtige Ziel war. Zudem sollte ich ja sowieso für den im 2024 geplanten Kletterführer recherchieren, das passte umso besser. Mit der Aussicht auf diesen sollte man online vielleicht nicht alle Körner verpulvern - den textlastigen, einen Kletterführer weit sprengenden Blog gibt's nun trotzdem, für ein aktualisiertes Topo und das Wandbild mit dem Routenverlauf verweise ich aber gerne auf das zu erscheinende Schriftstück.
Die Kirchlispitzen mit der Sabra ganz rechts an der noch grösstenteils schattigen 7. Spitze. |
Ich habe es auf diesem Blog nun schon mehrmals erwähnt: die Strasse von Schuders zum Parkplatz bei der Kletterhütte oberhalb des Grüscher Älpli ist neu kostenpflichtig (10 CHF/Tag, bezahlbar mit den Apps Twint oder Parkingpay, Details am Ortseingang von Schuders). Ich präferiere inzwischen das E-Bike für die Strecke: es ist gleich geschwind oder tendenziell schneller wie mit dem Auto (bis Melkplatz 26min hin, 18min retour), es schont die Karrosse und vermeidet Parkplatzprobleme, welches es an Wochentagen in der Vorsaison zwar kaum gibt, im Sommer und Herbst an Weekends aber durchaus. Zur Erinnerung, man darf sich nur auf dem Platz unterhalb vom Kletterhüttli stationieren, wo es für ca. 8 Fahrzeuge Platz hat. Vom Melkplatz stiegen wir zügig in ca. 25 Minuten hinauf zum Einstieg, der sich ca. 20m links vom mir wohlbekannten Start der Kamala befindet. Um 9.45 Uhr hatten wir alles parat und legten mit der Kletterei los.
Die beste Variante, um ins Gebiet zu kommen... |
L1, 25m, 6b+: Der Start befindet sich bei einem angelehnten Pfeiler bei einer stark verwitterten Sanduhrschlinge. Dieser bietet problemlose erste Meter zur kompakten Wand hinauf, wo es dann gleich volle Kanne losgeht. Die Absicherung ist gut, dennoch will engagiert gestiegen werden. Es wartet mehr oder weniger senkrechte Wandkletterei an schönem Fels - teilweise mit leichter Staubschicht von der Feuchtigkeit, welche hier wohl doch hin und wieder drückt. Sollte letzteres der Fall sein, so erachte ich die Länge als unpassierbar. Das hat auch mit einem längeren Abstand zum letzten BH hin zu tun, welcher in einem zwar nicht sehr schwierigen, aber doch ziemlich kühnen Quergang erreicht werden will.
Trotz der moderaten Bewertung: schon in L1 (6b+) muss man richtig parat sein! |
L2, 25m, 6c+: Dieser Abschnitt bietet eine etwas eigenwillige Routenführung. Der erste BH ob dem Stand ist gut sichtbar und wird mit einer Linksschleife erreicht. Dann quert man weit nach rechts und klettert in einem grossen Bogen dem schönsten Fels und den homogenen Schwierigkeiten entlang (?!?). Der Ausweg aus diesem Wandteil führt aber unweigerlich durch den überhängenden Abschluss der Rissverschneidung. Diese kann bestimmt auf zig verschiedene Arten bewältigt werden, von Riss-Jamming über Kamin-Fortbewegung, Ausspreizen und derlei 3d-Manöver ist vieles vorstellbar. Auch das ist übrigens eine Stelle, wo die Feuchtigkeit lange drückt. Insgesamt handelt es sich hiermit um die vermutlich am besten abgesicherte Seillänge der Route.
L3, 50m, 5c+: Nun ja, gerade attraktiv sieht dieser Abschnitt vom Standplatz unterhalb nicht aus. Das Gelände wirkt eher splittrig und lässt rustikale Verschneidungskletterei bei spärlicher BH-Sicherung vermuten. Schlussendlich entpuppt es sich als weniger schlimm wie befürchtet. Nicht alles was lottrig aussieht fällt gleich auseinander und während auf die gestreckten 50m tatsächlich nur 3 BH stecken, so befinden sich diese genau am richtigen Ort, dazwischen können mobile Sicherungen in anfoderungsgerechten Abständen platziert werden.
L4, 40m, 6a+: Auch diese Sequenz hat mehr den Charakter einer Übergangslänge zum fantastischen oberen Teil. Hier hätte man sich bestimmt auch eine relativ einfach Linie im vierten Grad zimmern können, doch die Erschliesser wählten einen Weg der erst links eine (erstaunlich knifflige) Plattenstelle einbaut, sich dann rechts schöne Meter sucht und zum Ende einen elegant-griffigen Abschluss findet. Aus der Optik "schöne Klettermeter maximieren" wäre m.E. der Weiterweg über die kompakte Plattenzone links oberhalb des ersten BH logischer gewesen, so hätten sich 40 homogene und sehr schöne Meter im Bereich 6b ergeben (ich hab's im Nachstieg ausprobiert und würde die Route bei der Sanierung dahin verlegen).
Aussichten auf den oberen Routenteil, Jonas in L4 (6a+) unterwegs. |
L5, 40m, 6c+: Bis zu diesem Punkt war die Route vielleicht nicht gerade leichtverdaulich, aber doch noch nicht extrem anforderungsreich. Ich schreibe das, weil es ab L5 definitiv einen Gang höher zu schalten gilt. Und zwar schon bald! Über die geneigte Platte pirscht man sich noch problemlos ans aus dem Netz und Erzählungen bereits bekannte Corpus Delicti hinan. Dies besteht aus einer zu 100% zwingenden 6c/+ Reibungsstelle vom zweiten zum dritten BH. Rein metermässig ist der Abstand nicht megaweit, die zwei, drei harten Moves beginnen, wenn man mit den Füssen etwas links oberhalb des Hakens steht. Doch die Stelle ist absolut zurecht berüchtigt - mit dem eher ungünstigen Seilverlauf, den wackligen Moves und einer geneigten Plattenzone unterhalb ist der Mix absolut da, dass es einen womöglich sehr unangenehm runterpaniert. Immerhin wurde der offenbar stark in Mitleidenschaft gezogene Original-BH an dieser Stelle von einer guten Seele durch ein neuwertiges Exemplar ersetzt. Danach geht's vorerst recht gemässigt voran, bis am Ende eine taffe Sequenz nochmals fordert - je nach persönlicher Präferenz zwischen fusslastiger vs. athletischer Kletterei ist das sogar die Crux. In einer Rechts-/Links-Schleife warten coole, zügige und nicht so einfach zu lesende Leistenmoves - echt super, obschon die Felsqualität an der Stelle nur 1b ist.
Erst typische Rätikonplatten, dann powerige Leistenkletterei: in L5 (6c+) wartet das volle Programm. |
L6, 50m, 6a: Für Abwechslung ist gesorgt und die folgt hier im Rahmen einer relativ einfachen Seillänge in steilem Gemäuer, wo die Absicherung abschnittweise mobil zu erfolgen hat. Im Auftakt trifft man auf einen Schlaghaken des historischen CFC-Wegs, der hier (wohl teilweise gemeinsam?!?) verläuft. Nach einem Bolt folgt eine abdrängende Schuppe, dann griffige Kletterei über tolle Platten - man achte bloss darauf, seine Sicherungspunkte gut zu verlängern! Denn am Ende (wo man sich mangels weiterem Material möglicherweise zum Verlauf fragt) quert man erst markant an einem geradlinigen Riss vorbei nach rechts, steigt über Platten hinauf um schliesslich den Stand links auf dem Pfeiler zu finden.
L7, 45m, 6c+: Eine wahre Monsterseillänge in prima Fels! Schon gleich aus dem Stand raus geht's los und so richtig "lugg" lässt es nie mehr. Wiewohl wartet nirgends die Megahärte in Form einer extremen Boulderstelle. Doch gleich zu Beginn ist's kräftig an Löchern, Leisten und Slopern, dann bahnt man sich den Weg über sehr schönen, teils mit prima Griffen gespickten Fels. In der zweiten Hälfte wird es dann mehr und mehr fusslastig - erinnerungswürdig v.a. die Linksquerung mit einem einzigartigen 3-Finger-Schlitz (ohne den die Stelle im sonst blanken Gelände wohl kaum kletterbar wäre) mit seinem engagierten Klipp danach. Einfach dran bleiben heisst es, zum Ende wird es dann an einem Riss nochmals athletisch, wobei da selbst bei verlängerten Sicherungen (und sonst erst recht) das Seil in die ungünstige Richtung zieht.
Mit Aussichten aufs Schweizertor in der Monsterlänge L7 (6c+) |
L8, 45m, 7a: Zum Ende folgt die am höchsten bewertete Seillänge und tatsächlich findet man da klar die schwierigsten Kletterstellen. Los geht's mit einer leicht überhängenden, griffarmen Wandstufe, die zu einer einfacheren Verschneidung führt. Die Moves sind erst hart und der Exit ins einfacher werdende Gelände heikel. Man kann da durchaus fallen und sollte das passieren, so kommt man wegen dem tief steckenden BH mit dem Belayer und dem Standband sehr viel schneller in intimen Kontakt als einem lieb ist. Man kann zwar einen 0.2er Cam platzieren der das verhindert, aber auch nur wenn man so viele Reserven hat, dass man wohl einfacher gleich durchzieht, bis man oben steht (Anmerkung der Redaktion: der Cam lässt sich auch aus einer Trittschlinge platzieren - was, wenn man sich nicht ganz sicher ist, der Gesundheit zuliebe vielleicht nicht der dümmste Approach ist). In griffigem Gelände gelangt man zu den nächsten Herausforderungen, welche in einem reibungslastigen Runout in einem seichten Winkel zu hoch steckendem Bolt und einer Boulderstelle mit nicht offensichtlicher Routenwahl bestehen. Das ist es aber noch nicht, das Schlussbouquet folgt erst danach in Form von einer grifflosen Zauberstelle (in senkrechtem Gelände, notabene). Für uns hat sich da keine machbare Lösung erschlossen, schon gar nicht in 7a-Kragenweite. Immerhin geht's da kommod A0 und die letzten 10m zum Stand stellen auch kein unüberwindbares Hindernis dar.
Kein Top-Foto und aussehen tut's ähnlich wie davor. Das ist aber am Routenende in L8 (7a). |
So erreichen wir um 16.15 Uhr nach doch 6:30h der Kletterei das Top. Nun ja, die für 8 SL doch recht lange Kletterzeit ist schnell erklärt: in den meisten Längen wird das Seil ausgeklettert, vielfach ist es über längere Passagen schwierig und während die Absicherung wohl als "gut" bezeichnet kann, so erlaubt sie kein zügiges Durchmarschieren, sondern wohlüberlegtes Vorgehen. Noch dazu sind die einfacheren Abschnitte eher spärlich geboltet, so dass dort mit selber absichern, Wegsuche und zurückhaltendem Vorgehen auch nicht aufs Tempo gedrückt werden kann. Für den Rückweg kann man entweder über die NE-Flanke abkraxeln und dann via Schweizertor zu Fuss absteigen oder auch Abseilen, wozu 7 Manöver fällig sind. Um die Schuhe nicht mitnehmen zu müssen, hatten wir uns dafür entschieden. Je nachdem wie speditiv man ist, dauert es wohl nur ein bisschen oder auch ein Stücklein länger wie der Fussabstieg. Nachher machten wir uns zügig auf die Socken, genossen den Bike-Downhill nach Schuders und fuhren einer 40. Geburtstagsparty entgegen, die genau wie die Sabra und die Erinnerungen an die Kamala daneben in Erinnerung rief, dass es schon eine gute Weile her ist, seit ich auch noch so jung war.
Facts
Rätikon / 7. Kirchlispitze - Sabra 7a (6c+ obl.) - 8 SL, 320m - Wyser/Morel/Tischhauser 1991 - ****;xxx
Material: 50m-Seil, 12 Express (min. 5 verlängerbare), Cams 0.2-0.75 (evtl. 1 und 2), Keile
Tolle Rätikontour, welche unten noch etwas verhalten startet aber auch dort schon schöne Passagen bietet. Die obere Hälfte weist dann durchgehend besten Fels und geniale Kletterei auf. Die Route ist eher länger, wie die nur 8 SL suggerieren, da diese meist lang sind, sowie komplexe und anhaltende Kletterei bieten. Da zusätzlich die Haken nicht immer in einer Linie stecken, kämpft man am Ende der Seillängen meist gegen Seilzug - man beherzige sich den Tipp, genügend verlängerbare Alpine Draws mitzunehmen und diese auch einzusetzen. Die schwierigen Stellen sind gut eingerichtet, weisen aber doch immer wieder zwingende Passagen nahe der Höchstschwierigkeit auf. An den einfacheren Stellen stecken die Bolts eher spärlich und mit grossen Abständen. Das ist aber insofern wenig problematisch, als dass dort meist gut mit mobilen Mitteln ergänzt werden kann. Die Geräte der Wahl sind kleine Cams 0.2-0.75 - entweder doppelt oder dann mit einem Satz Keile ergänzt. Grössere Cams (1-2) bringt man sicher auch mal unter, sie scheinen mir aber verzichtbar. Hinweis: Jahreszeit beachten, da im Schatten vom Schweizereck gelegen, erscheint die Sonne trotz SE-Ausrichtung erst recht spät und verschwindet aus den oberen Seillängen spätestens Mitte Nachmittag. Topo und weitere Details zu den Routen im Panico-Führer Rätikon Süd, dessen Neuerscheinung für 2024 geplant ist.