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Mittwoch, 20. September 2023

Gonzen / Annagrethli - Gretchenfrage (6b+, 2 SL, Erstbegehung)

Das Annagrethli ist ein schlanker, rund 80m hoher Felsturm, welcher der gewaltigen Gonzenwand südlich vorgelagert ist. Verschiedene kurze MSL-Routen führen auf seinen isolierten Gipfel. Dieser steht in einer spannenden Gegend, wo es für Entdecker und Alpinwanderer allerlei zu besichtigen gibt. So ist der Turm insbesondere bei Einheimischen beliebt und wird, vor allem über den Normalweg (4b) regelmässig bestiegen. Doch auch Sportkletterer können inzwischen einen ausgefüllten Tag am Spitzli verbringen. Sei es mit einem Enchainement der Route KletterBar(6b) am Ghudlet Gonzen, oder durch die Kombination der hier präsentierten Neutour mit den anderen 3-SL-Touren am Annagrethli, die da wären: Chumbawamba (6c+), Dreikant (7a+) und Männer Mut Herz Blut (7b+)

Daniel in Aktion, d.h. am Einrichten von L1 (6b+), welche direkt am SE-Pfeiler verläuft.

Erschliessung

Nein, als "von langer Hand" geplant kann ich diese Neutour aus meiner Perspektive nicht bezeichnen. Die Vorgeschichte beginnt mit einem ungeplanten Wettkampferfolg und seiner spontanen Feier, was mir schliesslich sehr kurzfristig einen freien, aber auch vorerst kletterpartnerlosen Sonntag bescherte. Wahrscheinlich kennt ihr es ja alle bestens, die Reaktion darauf besteht üblicherweise darin, einmal Messages in alle Richtungen abzusenden. Eine Antwort kam von Daniel, er sei auf dem Sprung an den Gonzen, um dort am Annagrethli auf einer Solo-Mission etwas einzurichten. Ich solle mich doch anschliessen, falls es mich interessiere. Das tat es - weil aber Daniel gleich am Fuss des Berges wohnhaft ist, wies ich doch einen beträchtlichen Rückstand auf. Dass er mit schon gepacktem Sack startbereit auf mich wartete, schien aber die falsche Strategie. So vereinbarten wir, dass er bereits aufbräche und ich ihm so rasch wie möglich folgen würde.

Im Zustieg mit Blick auf die Südgratplatte am Gonzen, wo es auch reizvolle Kletterrouten gibt.

Das beschert mir nun meine allererste Neutour ohne Schlepping, d.h. wo ich vollständig auf einen Sherpa zählen konnte. In meinem Rucksack befanden sich nur gerade Gurt, Kletterfinken und Chalkbag. Noch dazu nutzte ich das Bike als Joker, mit welchem man (genügend Energie oder Batterie vorausgesetzt) fast bis zur Gonzenwand hinauf fahren kann. Die Höhenmeter purzelten im Nu und bald konnte ich die mir bis dato unbekannten Follaplatten beschreiten. Deutlichen Wegspuren sei Dank ist das keine Hexerei, wenig später hatte ich mit einer Traverse unter dem Breiten Turm hindurch das Annagrethli erreicht, wo Daniel eben den ersten Bohrhaken platziert hatte. Sozusagen ziemlich genau rechtzeitig war ich also da, um ihn ans Seil zu nehmen und beim Einrichten der ersten Seillänge zu sichern. Nach der Expressanreise eine willkommene Gelegenheit, um etwas durchzuschnaufen.

Daniel unterwegs in L1 (6b+).

Schliesslich war es Zeit für den Nachstieg, bei welchem ich die Seillänge gleich befreien konnte. Daniel war so grosszügig, den zweiten Abschnitt der Route mir zu überlassen. Eine steile Zone zu Beginn markierte die Crux, dann ging es über schöne Platten zum Gipfel. Zufrieden über die geglückte Neutour standen wir am Top. Daniel wurde von der Familie nach Hause gerufen, was am Annagrethli nicht nur im übertragenen Sinn oder via Smartphone, sondern auch fast in direkter Kommunikation möglich ist. Um mich für seine Schlepperei zu revanchieren, übernahm ich den zweiten Teil der "Drecksarbeit". Um eine genussvollere Kletterei zu ermöglichen, wollte die Route an einigen Stellen noch gesäubert werden. Am hängenden Seil wurde dies erledigt, am Ende konnte ich unser Werk am fixierten Seil dann nochmals bis zum Gipfel durchsteigen. Das vorerst letzte Kapitel dieser Neutour schrieb dann Daniel kurze Zeit später mit einer RP-Begehung im Vorstieg.

Auf dem Gipfel (wo eine Schweizer- oder sonstige Flagge nach Wahl gehisst werden kann).

Zustieg

Für Details und Visualisierungen siehe SAC-Kletterführer St. Galler Oberland von Thomas Wälti. Von Sargans nach Prod und in den Wald hinein bis P.731 (PW-Parkplatz). Nun zu Fuss oder per Bike auf Forstwegen hinauf zum Cholplatz (P.1155). Von dort einem Weg nach links (Westen) folgen, der schliesslich zu einem Pfad wird und zur Gonzenwand hinaufführt. Etwa 30m bevor man die Wand erreicht, zweigen Pfadspuren nach links in die Follaplatten ab. Über diese (Wegspuren, teils blaue Markierungen, zwei Fixseile) hinauf bis unter die Südgratplatte. Hier links um die Ecke und am rechten Rand des Grastrichters hinauf unter den Breiten Turm. Unterhalb von diesem nach links hinüber queren zum Annagrethli. Der Einstieg befindet sich in der SE-Wand bei einem kleinen Pass hinter einem markanten, vorgelagerten Block. Der erste BH (rostfrei, mit Irniger-Lasche) auf der Einstiegsplatte ist gut sichtbar. Koordinaten CH LV95 2'751'390/1'214'515, WGS84 47.06435/9.43173, Höhe 1390m. Zeitbedarf ab Parkplatz ca. 60-75 Minuten, mit dem Bike bis zu 30 Minuten schneller.

Im Zustieg, hier geht's über die Follaplatten hinauf - alles gut und ohne Schwierigkeiten begehbar.

Routenbeschreibung

Gonzen/Annagrethli - Gretchenfrage 6b+ (6a+ obl.) - 2 SL, 80m - D.Benz, M.Dettling 2023
Material: 1x50m oder besser 1x60m-Seil, 10-12 Express, 3-4 Schlingen, Cams 0.3-2

L1, 40m, 6b+: Die unscheinbare Einstiegsplatte wartet gleich mit einem kniffligen Bewegungsboulder auf, der gonzentypisch auch gute Fussarbeit erfodert. Dann geht's einfacher zum Pfeiler heran, wo zuerst steil an guten Leisten nach rechts hinauf geklettert wird. Hat man die Kante erreicht, gilt es sich gut positionierend an sloprigen Seitgriffen fortzubewegen. Später lassen die Schwierigkeiten graduell nach, nach links hinaus querend erreicht man schliesslich den Stand.

L2, 40m, 6b+: Los geht's mit einer rissigen Einstiegsstufe, bevor die Musik direkt am Pfeiler spielt. Eine kräftige und luftig exponierte Passage wartet da! Steht man einmal oben, so liegt die Fortsetzung erst in einer Verschneidung, welche man nach rechts in eine schöne Plattenzone verlässt. Der Fels weist da famose Schlitze und Löcher auf, wo man die Absicherung mit Cams ergänzen kann. Es folgt ein griffarmer Ausstieg auf ein "Bödeli", bevor ein letzter Aufschwung erklommen wird und man schliesslich in direkter Linie zum SW-seitig Standplatz am Gipfel klettert.

Marcel am Einrichten von L2 (6b+), gerade am Ausstieg aus der steilen Crux zu Beginn.

Abseilen

Am bequemsten seilt man vom Gipfelstand SW-seitig über Chumbawamba ab. Zuerst knappe 30m hinunter über die steile Wand (wo man sich vom guten Fels und der tollen Linie der Männer Mut Herz Blut überzeugen kann) zu Kettenstand in der Verschneidung. Dann weitere, volle 30m zurück auf den Boden. Achtung, ein 60m-Seil ist dafür absolut zwingend, Vorsicht aufs Seilende bei der zweiten Strecke! Wer nur ein 50m-Seil dabei hat, kann/muss etwas umständlicher in 3x über den Normalweg abseilen (22/17/25m), wofür man zuerst an E-seitig gelegenen Schlussstand dieser Route wechseln muss. Retour ins Tal gelangt man dann gleich wie auf dem Zustieg.

Daniel macht sich auf den Heimweg - seine Residenz auf dem Foto sichtbar 😀

Material, Absicherung, Topo

Die Route ist mit rostfreien BH gut abgesichert. Hier und da, v.a. in L2, lässt es sich gut mit Cams ergänzen, die Schlüsselstellen sind jedoch mit BH ausgerüstet. Der obligatorische Schwierigkeitsgrad ist für uns nicht so einfach einzuschätzen, dürfte sich aber im Bereich 6a/6a+ bewegen. Als Topo gibt es an dieser Stelle mein ins Gipfelbuch gezeichnete Werk. Infos zu den anderen Routen am Annagrethli bzw. am Gonzen findet man im SAC-Kletterführer St. Galler Oberland von Thomas Wälti. Zuletzt bleibt nur noch die Gretchenfrage, warum die Route so heisst - naja, dieser drängt sich am Annagrethli ja fast auf und da es sich bei unserer Linie an der SE-Kante um die mutmasslich letzte lohnende Neutour am Spitzli handelt, lag er auf der Hand. Ebenso, wie dass sich um die Erschliessungstätigkeit ganz allgemein zahlreiche Gretchenfragen diskutieren lassen...

Unser Topo zur Gretchenfrage, direkt ins Gipfelbuch gezeichnet.


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