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Mittwoch, 27. August 2025

Bouldering in Helsinki

Nein, nach Helsinki zum Bouldern zu reisen, das wäre mir vermutlich nicht einfach so in den Sinn gekommen. Der unweit (ca. 1h östlich) gelegene Burden of Dreams (9A) ist mir definitiv zu schwierig und obwohl wir sogar Familie in der Stadt haben, nahm ich die Reise bisher nie auf mich. Doch als sich Larina für die Jugend-WM im Sportklettern qualifiziert hatte, war der Moment da. Hey, und wie sich zeigte, war es auch zum Bouldern richtig cool. Zwar ganz klar nicht ein Premium-Boulderspot auf unserem Planeten, dafür gibt’s aber überall in und um die Stadt verteilt Boulderblöcke, so dass sich die sportliche Aktivität ohne viel Zusatzaufwand mit einem City Trip verbinden lässt.

Bouldern in Helsinki ist ein Genuss! Hier in der Extended Pippeli Extension (7A) in Koivusaari.

Infos

Wir waren in Lautaasaari stationiert, einer Insel ca. 3km westlich vom Stadtzentrum. Das war ein guter Ausgangspunkt, zudem lag mit dem Koivusaari einer der besten Blöcke in Helsinki in Gehdistanz. Generell spielt es jedoch keine wesentliche Rolle, wo man residiert. Die Boulderspots sind weit verstreut und mit dem sehr gut ausgebauten ÖV bestens erreichbar (Tipp: HSL-App nutzen). Wobei wir den ÖV nur für den Weg hin und zurück zum Flughafen nutzten. Sonst waren wir mit immer mit dem Velo unterwegs. Das funktionierte perfekt, das Velowegnetz ist super ausgebaut (da könnte sich die Schweiz eine Scheibe davon abschneiden!) und die maximale One-Way-Distanz, die wir zu fahren hatten, lag bei 18km. Wir konnten von privat gute Velos ausleihen, es gibt jedoch ein preisgünstiges, öffentliches City-Bike-System für jedermann.

Wir waren stets mit dem Velo unterwegs zum Bouldern.

Jahreszeitlich waren wir Ende Juli/Anfang August vor Ort. Es war so richtig sommerlich und warm, zu Beginn sogar heiss. Ein sehr willkommener Kontrast zur regnerisch-kühlen Schweiz, aus welcher wir angereist waren. De fakto war es für ambitioniertes Bouldern eher auf der warmen Seite. Die Blöcke sind allesamt aus bombenfestem Granit, der Fels fühlt sich meist eher glatt an. Sprich, es geht nicht so auf die Haut, dafür fühlt es sich gerade bei Wärme eher schwitzig und nicht so grippy an. Bzgl. Jahreszeit will ich mich hier nicht zum Experten aufspielen. Der Winter ist aber lang, kalt und dunkel, sprich die Sommermonate sind sicherlich besser und der Frühling sei trockener wie der Herbst. 

In dieser "Gletscherspalte" wäre es im Winter ganz sicher nicht boulderbar.

Falls nötig, gibt es in der City auch diverse Bouldergyms und Kletterhallen. Das war für mich zum Glück nicht nötig, ich war nur bei Boulderkeskus in Espoo, um das Rental Pad abzuholen (Link zum Pad Rental). Das Landegelände war in den von uns besuchten Gebieten in aller Regel freundlich. Sprich generell eben und kaum verblockt, aber auch nicht Wiese oder Sand wie in Bleau. Kurzum, ein paar Steine hier, eine Wurzel da oder sonst ein Absatz im Terrain. Ganze ohne Matte ist ambitioniertes Bouldern kaum sinnvoll möglich und mit Risiko behaftet. Das für 15 Euro/Tag geliehene Moon Saturn war ein guter Deal und sehr wertvoll – mit dieser einen Matte waren auch alle gekletterten Boulder gut machbar.

Das war der Grund, warum Helsinki aufs Tapet kam. Und es passt zum Thema Kletterhalle. Bild: IFSC.

In Sachen Topos gibt es nichts Gedrucktes, man kann/muss auf 27Crags zurückgreifen. Um alle Infos und insbesondere die Fototopos zu sehen, muss man eine Premium-Version lösen (kostenfreie Testversion für 7 Tage, dann 8.90 Euro pro Monat). Das lohnt sich absolut – mit diesen Infos sind die Blöcke gut zu lokalisieren und die Probleme zu identifizieren. Ein bisschen umständlich und gewöhnungsbedürftig ist das Handling der Webseite. Vor allem fühlt es sich für mich ein bisschen doof an, am Fels anzukommen und dann doch gleich wieder ins Handy zu gaffen und herzumzuscrollen, um die Boulder zu identifizieren. Da wäre mir ein Papiertopo definitiv lieber.

Session 01: Koivusaari (Topo / Infos)

Nur ein einziger Block, aber was für einer! Gegen 5m hoch steht er wie ein umgedrehter Tetraeder direkt am Meer, an der Spitze einer kleinen, unbewohnten Insel. Von der gleichnamigen Metrostation ist er in wenigen Minuten zu Fuss zugänglich, ein Auto könnte man noch näher abstellen und mit dem Velo fährt man direkt an den Einstieg. Der Block hat mehr oder weniger drei Seiten. Auf der E-Seite gibt es leicht überhängende Wandkletterei, die SSW-Seite hat eine dachartige Basis mit Plattenaustieg und Richtung NW ist es ca. 30 Grad überhängend. Die Schwierigkeiten reichen von 5A bis 7C+, wobei es eher ein Spot für Fortgeschrittene ist – für Helsinki-Verhältnisse stark besucht. Das kam mir bei der ersten Session nur zugute. Da war ich nämlich noch ohne Matte unterwegs, doch Climbing Team Poland war gerade da und so konnte mich ihnen angreifen. Wobei ich den Athleten (welche den zeitgleich stattfindenden Semi verpasst hatten) nur staunend zuschauen konnte. Mit den Coaches hingegen konnte ich Beta sharen und battlen, das war perfekt. 

Koivusaari, what a beautiful spot!

Folgende Boulder konnte ich klettern:

Yhlä (5+): Gutes Problem, überhängend und leistig, der Mantle-Exit durchaus noch knifflig.

Yhlä Direkt (6B): Ähnlich wie das Original, einfach der Mantle ist deutlich höher und heikler, braucht somit etwas Mut. So viel schwieriger ist die Sache jedoch auch wieder nicht.

Platoon (6C): Klassiker in diesem Grad mit einem dachartigen Start an Jugs, der Ausstieg auf die Platte an seitlich ausgerichteten Leisten stellt dann das Hauptproblem dar.

Rock (7A): Ähnlicher Charakter wie Platoon, sprich athletischer Start an Leisten mit weiten Zügen und (für mich) einem tricky Heelhook, der Ausstieg in die Platte ist dann eher nur noch das leichtverdauliche Dessert. Da musste ich schon investieren, konnte aber schliesslich mit einem Send davonziehen. Wobei mir ein vorbeispazierender Finne noch weismachen wollte, dass zwei (für mich) entscheidende Griffe wegdefiniert seien. Doch einerseits wäre das Problem statt gefühlt 7A eher im 7B+/7C-Bereich (definitiv härter wie die 7B gleich daneben), andererseits war meine Lösung konform mit den diversen Beta-Videos.

Ein traumhafter Abend, das Meer auch noch mit angenehmen Badetemperaturen.

Session 02: Haukilahti (Infos / Topo)

Um die Bouldermatte in Espoo abzuholen mussten wir 15km nach Westen radeln, und dann natürlich inklusive dem Luftwiderstand auch wieder zurück. So bot es sich an, auch gleich eines der Gebiete in dieser Zone zu besuchen. Am besten, grössten und vielseitigsten schien mir das gewählte in Haukilahti zu sein. Es befindet sich in einem Park/Waldstück, jedoch nur ca. 100m von den nächsten Häusern entfernt. Die Hauptwand ist ein ca. 40m breiter, 3-5m hoher, grob nach W ausgerichteter Riegel mit einer Auswahl von Problemen von 4A bis 7B. Meist +/- senkrecht oder maximal leicht drückend, die harten Boulder sind alle kleingriffig, sehr technisch und v.a. sehr trittarm. Überhängend-athletisch-gutgriffige Probleme existieren hingegen kaum. 

Engeli Sit (7A), ein richtig cooler Boulder im Gebiet Haukilathi.

Hier waren wir allein zugegen und kletterten bzw. versuchten die folgenden Boulder:

Lohkarerikko (4+), Kiva helpoo (4+), Libido (5), Halkkis (5), Luu Ulkona (5), Halipula (6A), Nylkytys (6A+): Gute Aufwärmboulder mit netten Moves, die ich allesamt flashen konnte.

Engeli Sit (7A): Harter und kleingriffiger Start, wenn man einmal den Henkel links vom Stehtstart (6B+) in den Fingern hat, geht’s etwas einfacher dahin. Wobei der Exit an der sloprigen Kante eben doch noch fordert. Nicht nur kräftemässig, aber der Fels ist glatt und das trocknende Pulver an den Pfoten hat sich bis da längst verflüchtigt. Trotzdem, für eine 7A gelang mir das recht zügig.

Engeli Left Exit (6C+): Eigentlich dasselbe wie oben, nur mantelt man am Ende nicht direkt, sondern quert hangelnd an der Kante 3m nach links, wo man dann deutlich müheloser ins Flache aussteigt. Wohl tatsächlich einen Tick einfacher wie das Original.

Das Kniffeln in zwei weiteren Problemen (Fjerleppen 7A, Positiivinen Yllätys 7A+) war schlussendlich leider nicht von Erfolg gekrönt. Vielleicht dann nächstes Mal bei kühleren Temperaturen, die wären ganz bestimmt hilfreich.

Bei solch schöner Aussicht konnten wir jeweils mit dem Velo nach Hause fahren.

Session 03: Meilahti (Topo / Infos)

Mit Chris (chmoser.ch) war ich im 2006 das erste Mal am Fels, später dann auf einigen legendären MSL wie z.B. der Millenium an den Wendenstöcken. Das ist schon lange her und damals hatte wir beide noch keine Kinder. Tja, die Zeiten ändern sich: wir waren schon länger nicht mehr gemeinsam klettern und unsere Kids sind heute 15-jährig und starteten beide mit dem Swiss Team an der WM. So ergab sich nach der Lead-Quali für Chris und mich immerhin wieder einmal eine gemeinsame Bouldersession, wofür wir das Gebiet Meilahti auswählten. Dieses bietet sehr unterschiedliche Sektoren. Einige liegen im Wald (aber nur ca. 30m von der Strasse entfernt), da habe ich nur ganz kurz hingeschaut und wurde gleich von einer Mücke gestochen. Da der Himmel bewölkt war, stand uns jedoch auch der Seaside-Sektor offen. Diese terrassenartigen Felsen befinden sich in sehr sonniger Lage direkt an der Meeresbucht. Es gibt ca. 44 Boulder von 3 bis 7C. Meist eher kurze senkrechte oder leicht überhängende Probleme, die schwierigen Boulder sind alle sehr technisch und kleingriffig, athletisch-griffiges gibt's kaum. Die schöne Lage in Nähe zum Siedlungsgebiet bringt den Nachteil mit sich, dass sich hier allerhand Volk tummelt. Dementsprechend viel Abfall liegt leider herum, insbesondere auch Glasscherben (Vorsicht!). Und nein, es sind natürlich nicht die Boulderer, denn dort wo nur diese frequentieren, ist es picobello sauber.

Meilahti Seaside Sector, auch ein schöner Platz zum Bouldern.

Kurz nach uns kam auch das Climbing Team Canada hierher und in einer gemeinsamen Session ergaben sich für mich die folgenden Boulder:

Sormiruuvi (4), Menkat (4), Listahitti (5) und einige weitere Varianten wurden zum Aufwärmen genutzt und allesamt im Flash geklettert.

Ampiaispesä (6B): Schon eine ziemlich knifflige Sache mit einem weiten Zug. Körpergrösse durchaus vorteilhaft, aber auch mit dieser nicht ganz einfach. Die von mir gewählte, rechte 6B-Ausstiegsvariante tat dann nicht mehr so viel dazu.

QR Code (7A, FA): Um die Matten nicht verschieben zu müssen, begann ich dann mit dieser definierten Variante rein in der linken Seitenwand der Verschneidung zu spielen. Erst noch unsicher, ob es (für mich) überhaupt drin läge, kristallisierte sich die Machbarkeit dann nach und nach hinaus. Während nach einiger Zeit die leistigen Intro-Moves auf nahezu inexistenten Tritten sassen, ging beim Schlussmove auf die rettende Leiste leider immer das Scheunentor auf. Bei sehr präziser Ausführung und mit voller Kraft wäre das potenziell zu halten gewesen... was sich aber schlussendlich doch nicht materialisierte. Während sich Chris und das Team Canada auf den Weg machten, wollte ich noch nicht aufgeben und mir diesen Send unbedingt holen. Beim Videostudium meiner Versuche kam mir nach einer Weile schliesslich die Idee: mit einem Double Clutch Dyno sollte es gehen. Nach etwas Tuning und einiger Hartnäckigkeit klappte es schliesslich - yes! Dies gerade mit dem Einsetzen von einem leichten Regen und in Präsenz von einem kundig-starken Local, der mit seinen Kindern am Spazieren war und mir bestätigte, dass diese zwar definierte, aber durchaus "logische" Variante so wohl noch nie gemacht worden war. Höchst zufrieden konnte ich schliesslich meine Matte schultern und nach Hause radeln. Seht selbst, es ist ein wirklich cooler Boulder (auch wenn der Double Clutch auf dem Video ziemlich Mickey Mouse aussieht...). Hier zusätzlich der Link zum Youtube-Short.


Session 04: Kaitalahti (Topo / Infos)

An diesem Tag hatten wir länger Zeit und entschieden uns darum für dieses weiter entfernte, im Osten der City gelegene Gebiet auf der Insel Laajasalo. Das bedeutete, erst einmal knapp 20km dahin zu radeln. Dieser Sightseeing-Trip war jedoch bei bestem Wetter ein grosses Vergnügen und ein integraler Bestandteil des Tagesprogramms. Wir beschränkten uns schliesslich auf den Subsektor Green Goddess (es gäbe noch drei weitere), in welchem 31 Boulder von 3+ bis 7C beschrieben sind. Obwohl de fakto nicht weit vom Siedlungsgebiet und vom Meer entfernt, bot das Gebiet doch einen etwas anderen Charakter wie die zuvor besuchten. Es war ein kleiner Magic Wood, in welchem man sich "ab vom Schuss" fühlte und wir den ganzen Tag keine anderen Personen zu Gesicht bekamen. Auch der Fels war etwas anders: rauer, teilweise etwas mit Flechten bewachsen (ähnlich wie in den alpinen Gebieten der CH à la Gottardo) und darum auch hautfressender wie anderswo in Helsinki. Die Kletterei zwischen leicht überhängend bis teilweise auch athletisch-dachartig. Der Vorteil bestand so natürlich im guten Grip. Sowieso liess es auch an diesem sonnig-warmen Tag prima Klettern, da die bekletterten Wände eher nach Westen ausgerichtet sind und teilweise im Schatten der Bäume. Das tönt alles sehr positiv und wir hatten hier wirklich eine geniale Session, begleitet von Jani und Steve mit ihren Kids (minus jenem Familienmitglied, welches ebenfalls mit dem Swiss Team an der WM war).

Kathrin am Aufwärmen in Kaitalahti, rechts von ihr startet die Kaitalukko (7A).

Folgende Boulder fanden Eingang in die Ticklist:

Kanttisläbi Sit (5+), Roope Ankan Cräkkiluola (5+), Runaway Chickens (6A) und einige Varianten davon gehörten alle zum graduellen Aufwärmprogramm und konnten geflasht werden.

Kaitalukko (7A): Hier zeigte sich wieder einmal schön, wie morpho das Bouldern sein kann. Da ich meine Beine nirgendwohin versorgen konnte und zudem mit meinen XL-Pfoten auch nicht der Oberhirsch im Halten von kleinen Leisten bin, fühlten sich die Startmoves bei diesem Problem hammerhart an und rückten erst nach längerem Tüfteln in den machbaren Bereich. Für die 12-jährige Audrey waren die hingegen ein flashbares 'piece of cake' und der für sie schwerste Move weiter oben am Boulder war für mich insgesamt der einfachste. Aber, und das zählt schlussendlich: wir haben es beide geschafft - erste Outdoor-7A für Audrey, bravo!

Jerome motiviert für Kaitalukko (7A), welche man liegend beidhändig an der Leiste links startet.

Mamas Problem (6A+/6B): Der Rest der Crew und insbesondere die (durchaus topmotivierten) Mamas kamen in der Kaitalukko auf keinen grünen Zweig und verlegten sich auf eine absolut logische, im Topo aber nicht beschriebene Variante 2m rechts davon, welche mit unserem einzigen Pad ohne grossen Zusatzaufwand gleichzeitig genutzt werden konnte. Ein wirklich cooler Boulder, wenn's einer ist, dann gehört der FA Kathrin.

Laatikaisen Kantti (6B+) & Kaatikaisen Lantti (7A+): Die 6B+ ist ein dachartiger Boulder, welcher an einer sloprigen Kante aufwärts zieht, absolut à la Magic Wood. Mir fiel der wirklich leicht, während die restliche Crew hier doch längere Zeit investieren musste. Das war insofern kein Problem, als dass es für auch noch einen definierten Eliminate im Grad 7A+ gab, der jedoch auch schnell erledigt war.

Trendikäs Maustemakkara (6B) & N'Duja (7A): Die beiden Probleme weisen den selben Sitzstart an einem Riss auf. Während bei der 6B die rechte Kante des Blocks dazugehört und man sich in genialer Fridge-Romping-Compression in die Höhe arbeitet, ist diese bei der 7A wegdefiniert. Damit kriegt der Boulder einen komplett anderen Charakter, erst bizepslastig am Riss, dann Leisten ballern in der Wand. Beide Versionen sind aber super zu klettern!

N'Duja (7A): bizepslastig habe ich geschrieben und das ist hier gut sichtbar.

Session 05: Koivusaari (Topo / Infos)

Da unsere Heimreise erst nach dem Mittag startete, gab es am letzten Tag nochmals Gelegenheit für eine Session. Dafür hätten sich insbesondere die Blöcke von Myllykallio angeobten, welche quasi vor der Haustür unseres Domizils lagen und von mir natürlich schon längst inspiziert worden waren. Da dort aber nur 2 Boulder mit Schwierigkeiten >6B vorhanden sind und der Wunsch bestand, nochmals im Meer zu baden, verlegten wir uns nochmals auf den nur wenige Minuten weiter entfernten Koivusaari-Bloc, der ja auch extrem viele coole und harte Probleme bietet. Mit dem Velo ging's bis an den Einstieg und es konnte gleich losgelegt werden mit:

"Mit dem Velo an den Einstieg", das ist nicht einfach so dahergeschrieben ;-)

Pippeli (6A): Die Kante an der Nordecke des Blocks checkt wohl eher bei 6C ein. Weder den Arsch vom Boden wegzubringen, noch der absolute Power-Move #1 und auch nicht der finale Sloper-Ausstieg bzw. Mantle sind geschenkt. Ein geniales Problem aber, Bouldern in Reinkultur!

Extended Pippeli Extension (6C): Teilt den harten Auftakt an der Nordkante mit dem vorher beschriebenen Boulder. Dann heisst es aber, der rechten, sloprigen Kante entlang mehrere Meter nach rechts zu klettern und zuletzt beim höchsten Punkt auf den Gipfel auszusteigen. Der zweite Teil fordert die Ausdauer stark. Und obwohl nicht extrem hoch, ist es wegen der sloprigen Natur und den eingenommenen Positionen mit hohen Hooks an der Kante ziemlich committing. Ich bin froh, dass ich hier mit einem Full Effort durchziehen konnte. Die Bewertung sehe ich ganz klar eher bei 7A.

Long John (7A): Die 7A kann man sich hier offiziell schreiben, doch diese kurze Variante links der Nordkante mit ein paar Zügen an Leisten und einem Mantle-Ausstieg dünkte mich eigentlich in jedem Aspekt einen Tick einfacher wie die originale Pippeli. So in etwa 6B/6B+ wäre wohl eine sinnvolle Einstufung.

Stars (6B+): Bevor der Chalkbag endgültig zugeschnürt wurde, konnte noch diese "Altlast" von der Session 01 erledigt werden. Offiziell mit Stehstart, mich dünkte der Sit logischer. Macht das Problem um zwei coole Züge an Leisten länger, ändert den Grad aber kaum. Denn die Crux besteht im hohen Ende an Slopern, wo man eine gewisse Entschlossenheit an den Tag legen muss.

Fertig gebouldert. Und Zeit, die Speicher mit einem Big Pro wieder aufzuladen.

Resümee

Wow, das war jetzt wirklich eine sehr coole Woche in Finnland gewesen. Meine Erwartungen waren nicht allzu hoch, sie wurden aber weit übertroffen. So viele coole Boulder in wunderschönem Ambiente und dies bei bestem, sommerlichem Wetter. Dazu noch eine sehr aufregende Prise Comp-Climbing zur Unterhaltung, perfekt. Vielen Dank an Barbara und ihre Familie für die Gastfreundschaft, Jerome & Kathrin für die coole Zeit unterwegs und natürlich auch an alle Fellow Climbers, welche mit mir am Fels waren.

Samstag, 16. August 2025

Bockmattli - Schattenspiel (7c+)

Der Bockmattli Ostturm fristet etwas ein Schattendasein im Lichte seiner beiden westlichen Nachbarn. Dies liegt an verschiedenen Gründen wie der Zugänglichkeit und dem Routenangebot. Immerhin, für die Toptour Gravitation (8b) habe ich es vor rund 10 Jahren einmal in diesen Sektor geschafft. Ebenso steht der Trubadur (7a+) schon seit bald 30 Jahren auf meiner Projektliste. Einmal war ich mit Kathrin in dessen Richtung losgezogen, dann aber mussten wir wegen viel Restschnee in der Zustiegsschlucht auf die Dreimal kurz gelacht (6c) umdisponieren. Nun, auch dieses Mal wurde es eine andere Route: aus der Nähe schien uns das Schattenspiel (7c+) attraktiver, beim Trubadur schienen die Risse sehr grasig zugewachsen und feucht, was kein Klettervergnügen versprach.

Blick auf Trepsenstock, Ostturm und die Ostkante vom Grossen Turm im Bockmattli.

Wie üblich ging's per Bike zur Schwarzenegg, dann aber im Gegensatz zum üblichen Trott nicht Richtung Gross Chälen, sondern auf dem Trepsenweg unter den Türmen durch, welche sich aus dieser Froschperspektive sehr eindrücklich und einschüchternd zeigen. Man zweigt dann besser früher als später vom Wanderweg ab, konkret im Bereich der Schlucht zwischen Ostturm und Grossem Turm. So kann man durchgehend in gerölligem Gelände steigen, während es weiter östlich sehr krautig ist und man morgens dementsprechend durchnässt würde. Das Ziel ist aber schon die Schlucht links vom Ostturm. Von unten sieht es absolutely heinous aus, schon nur den Einstieg zu erreichen. Es löst sich dann aber doch recht gut auf: zuerst überhängend aber noch bodennah durch den Kamin (links 2 BH von beschränktem Nutzen), dann gestuft und zuletzt sehr exponiert aber doch vernünftig gängig in einer Linksschleife zum Einstieg.

Die m.E. beste Variante beim Kamin in der Zustiegsschlucht geht wie hier von mir geklettert direkt.

Achtung: der etwas improvisierte Standplatz am Einstieg (1 BH, 1 gebohrte SU, 2 NH) ist (Stand 2025) in schlechtem Zustand, d.h. der BH vom Steinschlag defekt und das Schlingenmaterial verrottet. Wir bereiteten uns auf die Kletterei vor und stiegen um 9.00 Uhr schliesslich ein.

Defekter Lotterstand am Einstieg, an welchem man auf dem Heimweg zwingend abseilen muss.

L1, 30m, 7a: Vom Ansehen her wirkt der Fels zu Beginn schön löchrig, was sich schliesslich beim Klettern nicht ganz so wie gewünscht manifestiert. Alles fühlt sich ein wenig rund an und es ist steil, so dass man rasch auf Betriebstemperatur kommt. Die Crux folgt dann mittig am vierten BH. Auch dieser war in einem schlechten Zustand: kolossal rostig, er steckt in eher brüchigem Fels, welcher um den Haken schon ausgebrochen ist. Ob der halten würde? Ich zweifle, aber da der BH darunter nicht weit weg ist, kann man es riskieren. Es folgt die Rési-Crux und ein etwas wackliger nächster Klipp, zum Glück blieb die Gurke ungetestet. Zuletzt gilt es noch, eine etwas ausdrehend-unbequeme Verschneidung zu meisten, dann ist Stand.

Recht komplexe und kräftig-ausdauernde Kletterei in L1 (7a). Zudem liefert das Bild einen guten Blick auf den letzten Teil vom Zustieg. Vom Schneefeld am oberen Bildrand geht's über ein paar Stufen in der Rinne hoch, zuletzt dann beim Wechsel vom dunklen zum hellen Gestein in einer Schleife (linksherum in Realität, via rechten Bildrand hier auf dem Foto) zu den Säcken, die am defekten Einstiegs-Standplatz deponiert sind.

L2, 45m, 7a: Es geht gleich steil weiter, auf den ersten paar Metern noch leidlich griffig. Bald zieht's aber an, alles wird sloprig-abschüssig und es heisst, sich gekonnt mit einem weiten Zug in eine stabile Position zu manövrieren. Leider stecken die Haken da etwas kreuz und quer, wer im Bereich der Crux nicht gut verlängert, zahlt später mit Seilzug. Mittig folgt dann einfacheres Gelände (6b), wo man in der Wand nahe einer etwas grasigen Rampe klettert. Zum Schluss hingegen geht's nochmals steil und crimpy neben und an einer kleinen Verschneidung zur Sache, dieser Teil ist etwas staubig und wohl oft auch nass.

Der Schlussabschnitt in L2 (7a) bietet nochmals steile und ausdauernde Kletterei.

L3, 40m, 6b: Auch hier geht's gleich wieder steil los, zum Glück aber gutgriffig. Nach dem Klipp des zweiten BH machte ich dann grosse Augen: wie zur Hölle soll man mit 6b-Moves zum 3m horizontal versetzten dritten kommen? Nach unserer Ansicht ist der zweite Haken ein Verhauer, die Rampe führt untenrum der etwas brüchigen Rampe entlang, so löst es sich gut auf (siehe Foto). Weiter geht's dann athletisch über einige Dächlein hinweg, später schliesslich einem zunehmend grasig werdenden Riss/Rampe entlang, wobei die Kletterei doch recht cool bleibt und nicht unangenehm ist.

Die im Text beschriebene Stelle zu Beginn von L3 (6b) mit dem Verhauer-BH.

L4, 15m, 6c: Kurz aber oho, so lautet das Motto für diesen nach links querenden Abschnitt. Der Beginn ist etwas öttelig, d.h. nicht einfach (auch nicht schwierig), der Fels nicht überzeugend und die Platzierung der BH macht es auch nicht bequem. An einer ersten kompakten Wandzone wartet ein Committing Move, so richtig fordernd ist dann aber das Finish. Da entfernt man sich mit einer Gegendruck-Linksquerung an Unter- und Seitgriffen zünftig vom Haken und riskiert an beiden Seilenden einen unangenehm wirkenden Pendelsturz. Wie schlimm es wäre bleibt zum Glück ungeprüft, somit kann ich nur beruhigen, indem ich schreibe, die Moves lösen sich dann schon besser auf, wie man aufs Erste befürchtet.

Hier am Ende von L4 (6c) heisst es zupacken. Die Schlüsselstelle ist sowohl im Vor- wie auch im Nachstieg anspruchsvoll und zwingend zu klettern. Der drohende Pendelsturz ist nicht unbedingt gefährlich, unangenehm wäre er aber sicher.

L5, 30m, 7c+: It's crux time! Diese Seillänge liegt in ihrer Schwierigkeit deutlich höher wie der Rest. Los geht's erstmal technisch-tricky, es will die beste Lösung erkannt werden (es gibt sie). Weiter führt eine steile und echt coole Sequenz an griffig-strukturiertem Fels bis unter ein Dächlein hoch, wo dann die Crux folgt (7a+/7b bis dahin). Diese besteht aus zwei richtig taffen Moves an miesen Seitgriff-Slopern bei sehr dürftigem Trittangebot, bis die Griffel nach einem weiten Move in ein positives Schüppli versorgt werden können - das Ganze übrigens in sehr luftiger Position. Ich habe nicht sehr lange experimentiert, diesen 2-Mover konnte ich auf die Schnelle aber nicht lösen. Hätte man dies getan, so darf man sich im weiterhin anspruchsvollen Rest einfach nicht mehr abschütteln lassen. Das ist fordernd, denn es ist a) steil-pumpig, b) etwas unübersichtlich und c) auch noch etwas chossy, sprich der Fels ist nicht schön, es gibt Griffe zum Ausreissen und Tritte zum Wegtreten, mit einer sorgfältigen Auswahl geht's aber schon. Der Teil ab der Crux zum Stand ist nochmals als ca. 7a+ einzustufen, im Durchstieg gibt's dann übrigens keinen wirklichen Rastpunkt.

Im Schlussteil der Cruxlänge (L5, 7c+) muss man kräftig dranbleiben. 

L6, 40m, 6c: Auch hier geht's wieder steil los und die Kletterei ist recht fordernd. Das ist nicht so leicht verdaulich, mit dem nötigen Selbstvertrauen und adäquaten Kraftreserven aber doch gut lösbar. Nach ca. 15m legt sich das Gelände dann etwas zurück und man kommt leichter zur Schlusswand, wo an schönem Fels bei einer Mischung von Riss und Wasserrille auf ein Podest an der Kante geklettert werden muss. Zuletzt dann links der Kante zum Stand. Achtung: das ist zwar einfach, aber expo. Man ist da schon sehr weit über dem letzten BH und würde im Sturzfall sicherlich sehr ungünstig im flacheren Gelände darunter an den Fels prallen.

Zu Beginn von L6 (6c) muss man sich doch ganz ordentlich festhalten im Steilgelände.

L7, 45m, 6a: Tja diese letzte Seillänge hat uns auch etwas auf dem falschen Fuss erwischt. Online hatten wir gelesen "evtl. kleine bis mittlere Cams für die letzte Seillänge", im Extrem Ost steht Cams 1 & 2. Wir führten schliesslich 0.3-0.75 mit und wähnten uns mit diesen 4 Pieces gut gerüstet, aber das war nicht der Fall. Die Seillänge beginnt mit einer durchaus noch schönen Plattenpassage, wo nach 3m der erste und einzige BH kommt. Dann die Verschneidung hinauf (Achtung, lose Blöcke/Schuppen), bevor man ca. 12m auf die Schlussplatte aussteigt. Dort geht's noch 25m bei abnehmender Felsqualität hinauf. Klar ist's einfach, aber stecken tut nix, die 4 Cams waren bald einmal ausgeschossen, das Gelände ist unangenehm und ein Sturz absolut zu vermeiden. Immerhin, die Zweifel ob oben überhaupt noch etwas kommt, waren unbegründet. Den Stand mit 2 BH vor dem Übergang zu Wald/Wiese wird man schon finden, denn brauchen tut man ihn ja unbedingt.

Zum Finish in L7 (6a) ein bisschen Scheissgelände mit schlechter Absicherung, insbesondere dann, wenn man nicht ausreichend viele Cams und Keile mitführt. Die Aussicht auf Chöpfenberg, Brüggler und Wageten macht jedenfalls sicher mehr Freude.

Um 14.30 Uhr und somit nach 5:30h in der Wand hatten wir das Top erreicht. Eigentlich gar nicht mal so schlecht, bis auf L5 hatte ich alles os/fl geschafft. Dort hatte ich mit ein paar Pausen bis auf 2 Moves alles klettern können. Ob die 7c+ passt, vermag ich nicht restlos zu beurteilen, geschenkt ist sie jedoch sicherlich nicht. Die restlichen Bewertungen fanden wir hingegen passend. Umgehend machten wir uns auf den Weg in die Tiefe, denn ab 15.30 Uhr waren die ersten Gewitter angekündigt. Das Abseilen funktioniert bei dieser steilen Route an sich problemlos. Allerdings: die Standplätze sind nur mit alten, verrotteten Schlingen verbunden und man fädelt das Seil entweder in antike Schnapper oder dünne, rostige Maillons. Ich würde unbedingt empfehlen, ein paar solide Maillons (rostfrei/Inox) und genügend Seilmaterial mitzubringen, noch besser wäre gleich eine Standplatzsanierung. Zu beachten ist auch, dass man mit 2x50m-Seilen einen separaten Abseilstand nutzen muss (Topo beachten), mit 2x60m wäre dies vermeidbar.

Steile Abseilerei, hier über die Cruxlänge (L5, 7c+). Wie wir uns beim Weg nach Hause gewahr wurden, gäbe es hier zu 98% die Möglichkeit, der harten und von uns nicht in freier Kletterei gemeisterten Schlüsselstelle mit einer Linkstraverse am Dach auszuweichen. Das gäbe womöglich ein homogeneres Ensemble und könnte bei einer allfälligen Sanierung beachtet werden.

Das vorsichtige Abseilen vom Einstieg über das Zustiegsgelände schien trotz dem defekten Stand am Einstieg gegenüber dem freien Abklettern vorteilhaft. So setzten wir das um und setzten wohlbehalten wieder den Fuss auf ebeneres Gelände. Blieb noch der Weg zurück ins Tal, den wir trotz dunkel drohenden Wolken trocken zurücklegen konnten. Es war also alles aufgegangen wie geplant, tiptop!

Facts

Bockmattli / Ostturm - Schattenspiel 7c+ (6c obl.) - 7 SL, 210m - Rütsche/Zanetti 2001 - **;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams 0.2-1 & Keile

Eine durchaus interessante Route in schattiger Lage. Sie führt durch steiles Gelände und bietet an ihren Schlüsselstellen steile, ausdauernde Wandkletterei. Der Fels ist dabei meistens von guter Qualität. Einige Stellen sind etwas staubig/belagig, anderswo ist es leicht brüchig und aus fast allen Rissen spriesst üppig das Gras. Die Absicherung ist bei allen schwierigen Stellen eng gehalten, mit 6c obl. sollte man gut durchkommen. Im einfacheren Gelände sind die Abstände weiter und im 6a-Schlussabschnitt steckt sogar nur ein einziger BH zu Beginn. Wer dort hoch will, dem kann ich nur empfehlen, die von mir angegebenen Cams/Keile mitzunehmen. Ebenfalls zu erwähnen ist, dass die Absicherung etwas sanierungsbedürftig wirkt. Die teilweise verzinkten Haken zeigen Korrosion und insbesondere die Standplätze sind (gerade für das Abseilen) schmalbrüstig ausgestattet. Ein Topo und weitere Infos vom Erschliesser findet man auf der Topo-DB, ebenso ist die Route im Extrem Ost beschrieben.

Dienstag, 5. August 2025

Pizzo d'Eus - Va Pensiero (7b+)

Nach unserem letzten Besuch am Pizzo d'Eus für die Vai con gli Amici hatte ich schon beinahe meine MSL-Ausrüstung verkauft. Denn das war ein haarsträubendes Unternehmen gewesen und irgendwann ist der Zeitpunkt da, wo man seine alten Knochen zu schonen wissen muss. Da mag es schon fast paradox erscheinen, dass ich nur zweieinhalb Monate später schon wieder den Weg ins Val Carecchio antrat. Doch das Tessin bot wettermässig die einzige Möglichkeit an diesem Tag. Zudem sollte die hier beschriebene Va Pensiero besser abgesichert sein und laut Kletterführer auch eine der schönsten MSL im Tessin. Stimmt das?!? Naja, einige Seillängen sind super, andere weniger super und die 7b und 7b+ Längen sind einfach brutal hart. So hart, dass wir stark daran zweifeln, dass die vergebenen Grade korrekt sind.

Mit einem Wandfoto ist es am Pizzo d'Eus schwierig, wenn die Vegetation schon in voller Blüte ist, erst recht. Darum gibt's an dieser Stelle ausnahmsweise kein Bild mit dem Routenverlauf, sondern es werden die Steinhütten der Siedlung Eus gezeigt. Diese bekommt man jedoch nur auf dem Fussabstieg vom Gipfel zu Gesicht.

Will man als Alpennordseiten-Bewohner in einer Tagestour am Pizzo d'Eus klettern, so geht es nicht ohne frühes Aufstehen ab. Noch sehr übernächtigt schälte ich mich um 4.45 Uhr aus dem Bett, um ca. 8.30 Uhr starteten wir schliesslich mit dem Zustieg. Dieser hatte sich noch verzögert, weil wir dummerweise ohne Exen auf dem Parkplatz oberhalb von Lavertezzo standen. Anstatt dass ich es selbst getan hätte, hatte Kathrin hatte die nach dem Sportklettern am Vortag in ihren Rucksack gepackt und dort waren sie noch immer. Immerhin, mit dem Zusammenklauben von allem was in meinem Haulbag und sonst im Kofferraum an Seilresten und Karabinern verfügbar war, hatten wir schlussendlich ein genügend umfangreiches Set beisammen und konnten uns an den Zustieg machen.

Das Foto ist von L5 (7b), soll aber hier unsere Bastelarbeit zum Generieren von ausreichend vielen Exen aus Seilstücken, Schlingen und allerlei Arten von alten Karabinern repräsentieren. Das erste Hindernis auf dem Weg zum Erfolg war so aus dem Weg geräumt.

Eine Flussüberquerung trockenen Fusses schien uns im Mai 2025 schon im Vornhinein unrealistisch. Das bestätigte sich absolut, die Kneippkur im kalten Wasser war unumgänglich. Immerhin stand der Fluss nur mässig hoch und die Strömung war gering, einen Zeitverlust im Vergleich zum Steine hüpfen wie im Winter muss man trotzdem kalkulieren. Wie gewohnt nahmen wir die Abkürzung via Cürt. Mit der spriessenden Vegetation herrschte auf dem ganzen Weg bis zum Wandfuss eine unglaubliche Zeckenplage. Nonstop mussten wir Dutzende dieser Viecher vom Körper entfernen. Nach einer Pause und (da wir auf einen Fussabstieg setzten) dem Anlegen von einem Depot wurde es ca. 10.40 Uhr, bis wir mit der Kletterei starteten. Um den harten Kaltstart in der originalen L1 zu vermeiden, setzten wir für die zugänglichere Variante weiter links. Zwei andere Seilschaften hatten mir von einer ausführlichen A0-Übung in der eigentlichen Startlänge berichtet, da war ich nicht so scharf darauf, diese zu replizieren. 

Zweites Hindernis: obligatorische Kneippkur beim Überqueren des Riale di Pincascia

L1, 45m, 6b (Variante Gege): Sehr schöne Slab mit coolen Strukturen. Die Seillänge ist mit nur 8 BH eher distant gebohrt. Im einfachen Gelände heisst es Marschieren und auch die Crux verlangt hier ein gewisses Committment.

L2 & L3, 40m, 6a (Variante Gege): Auch hier findet man auf der Platte zu Beginn fantastische Strukturen, es handelt sich um eine easy 6a. Man kommt dann zum Stand und kann die nominelle L3 gleich problemlos anhängen. Auf einem Band quert man horizontal nach rechts, klettert an einem antiken Stand vorbei und bewältigt noch eine Wandstelle zum korrekten Stand der Va Pensiero. Eine 6b findet man auf diesem Abschnitt definitiv nicht.

Das Foto gibt stimmungsmässig deutlich mehr her als die "easy 6a" von L2 & L3.

L4, 25m, 6c: Coole und originelle Seillänge. Zuerst geht's entlang einer Fuge nach links, dann kräftig hinauf und zuletzt mit einem Runout (Pendelgefahr im Nachstieg) wieder nach rechts zurück. Insgesamt eine sehr pumpige Sache, wir meinen eher 6c+/7a.

Kräftige Kletterei, erst nach links und dann wieder nach rechts zurück in L4 (6c).

L5, 25m, 7b: Geile und ultrapumpige Seillänge! Zuerst geht's mal knifflig mit einem slabby Boulder aus dem Stand raus. Dann kommen in der athletischen Rechtsquerung zwar mehr oder weniger durchgehend akzeptable Griffe. Aber es ist sehr anhaltend und die Schwierigkeiten nehmen zu. Die Länge ist dicht gebohrt, trotzdem ist es oft recht unklar, was die beste Beta ist (untenrum, obenrum?). Matteo della Bordella hat mir geschrieben, dass er die Länge bei der Erstebegehung mit 7b+ bewertet hätte. Fände ich passender wie 7b. Ich konnte mich bis ca. 2/3 durchkämpfen, dann war der Tank aber leer. Ob ich es im Zweiten einfach so gezogen hätte. Ich zweifle... und bei einer echten 7b in diesem Style gibt es da keine Fragezeichen. 

Das Foto ist wenig repräsentativ für die ultrapumpige L5 (7b). Aus dieser Perspektive habe ich mir erst auch noch gedacht, dass dies wohl nicht so schwierig wäre. Doch schon nur vom Stand in die Position des Akteurs zu kommen erfordert einen taffen Slab-Boulder. Und mit den guten Griffen ist es danach dann bald einmal fertig...

L6, 30m, 7b+: Ganz anderer Charakter, die initiale Crux ist "heinous", d.h. ein bockharter, trittarmer Boulder an feinen Leisten auf Gegendruck, noch dazu sollte man mittendrin auch noch klippen (wie?). Diese Stelle konnten wir nicht freiklettern, ich meine im Minimum 7A bloc, möglicherweise auch mehr. Danach länger im 6c/7a-Bereich über tolle Strukturen, erst das Finish ist dann henklig-easy. Nach der Mitte befinden sich 2 BH recht neben der einfachsten Linie.

Schönes Ambiente im einfachen Finish von L6 (7b+).

L7, 50m, 6c: Eine affengeile Seillänge mit tollen Strukturen und Moves in ihrem ersten Teil. Ein Abschnitt in der Mitte ist wohl länger nass und kurz etwas dreckig - wenn trocken, stört das aber kaum. Das Finish dann einer Schuppe im Trad-Style (Cams zwingend!). Insgesamt eine easy 6c, auch das gibt's hier also. Achtung Seilzug!

Genuss mit Blick bis nach Lavertezzo am Ende von L7 (6c).

L8, 40m, 6a+: Tiefe Bewertung, aber nicht so leicht verdaulich. Zuerst reibungslastig, wobei es schwierige Stellen deutlich über dem Haken gibt, wo man unweit von der Haftgrenze dem Gummi einfach vertrauen muss. Es geht dann (für den Grad alles andere als einfach) über ein Dächli auf die Slab, welche zum Band hochführt. Dieser Teil ist tatsächlich easy (ca. 5a). Dafür stecken keine Bolts. Sofern trocken ok, doch leider sifft es hier häufig. Für uns ging es (nach einer durchaus trockenen Periode) grad so zwischen den Rinnsalen durch. Wenn es grossflächiger nass ist, kommt man da nicht hoch.

Plattige Kletterei mit weiten Hakenabständen charakterisiert L8 (6a+).

L9, 35m, 7b+: Was kann ich sagen?!? Es sieht abschreckend aus und klettern tut es sich nicht viel besser. Über die ersten 4 BH brutal kräftiger Gegendruck auf strukturloser, sandiger Wand. Ich meine, von BH #1 zu #2 min. 7A bloc und die Stelle von #3 zu #4 min. 7B bloc, jedenfalls deutlich oberhalb meiner Möglichkeiten. Wie meine Abklärungen im Nachhinein ergeben haben, wurde diese Länge ursprünglich (zuerst von MdB, danach von Erschliesser FF) nur als 7b+ mit 1pa an #3 gepunktet. Später ist das 1pa aus den Topos verschwunden, warum ist nicht ganz klar. Dem Vernehmen nach wurde sie vom starken Tessiner Nick Vonarburg befreit. Aber, und da bleibe ich dabei: für 7b+ ist das nie und nimmer zu haben. Jedenfalls: nach diesem harten Boulder geht's direkt in einen kolossal grasigen Riss, wo man sich durchs Gebüsch zu kämpfen hat (Cam #3 zwingend!). Einige Meter höher ist der Fels wieder sauber, wenn auch etwas sandig. Es wartet anspruchsvolle Wandkletterei, wobei einige der Schuppen ziemlich dumpf tönen (der Kleber, mit welchem sie befestigt waren, hat leider seinen Dienst quittiert). Zum Ende wartet dann noch eine cleane Untergriffschuppe mit tricky Exit (Cam #2 & #1 zwingend), gefolgt von einer Plattenstelle, wo sich jeder wünscht, einfach noch ein paar Dezimeter mehr Reichweite zu haben (oder die Beine ein paar Grad mehr spreizen zu können). Hinweis: der Teil ab der Grasinsel nach BH #4 ist ca. 7a (und davor heisst's für die meisten wohl A0, auch das ist nicht so easy).

Im Vordergrund die Crux der Route, an deren Ende heisst's ab durchs Gebüsch: L9, 7b++???

L10, 50m, 6c+: Fängt hart an mit einem Mantle und danach einer kniffligen Querung auf Reibung. Die Absicherung ist an sich schon gut, aber die Moves sind zwingend und es gibt irgendwie doch ein ungeschmeidiges Abschmierpotenzial. Die 6c+ passt vielleicht schon, aber halt von der plattig-harten Sorte und im Kopf muss es auch stimmen. Die zweite Hälfte ist deutlich einfacher, und aufgrund der spärlichen Absicherung nicht so einfach zu finden. Der Verlauf tendiert eher etwas nach links. Achtung Seilzug!

L11, 35m, 6a+: Flechtig ist bei dieser Seillänge nur der Vorname! Hat eher den Charakter von einem Überführungsstück Richtung Top, genussreich ist die Kletterei nicht. Auch nicht wirklich schwierig und wenn es sich so anfühlt, dann am ehesten wegen der ungewohnten Unterlage und dem spärlichen Bolting. Kleine und mittlere Cams können etwas Abhilfe schaffen. 

Wildes Ambiente in der sehr flechtigen L11 (6a+).

L12, 25m, 7a: Nein, billig kommt man nicht zur schon nahe wirkenden Wandkante. Sondern es geht mit einem Schlussbouquet durch die rutschig-glatt-flechtige, leicht überhängende Wand mit gerade ausreichend kleinen Crimps und sloprigen Rissen. Schneller als mir lieb ist, befinde ich mich in prekärer Position über dem Haken, was meinen Kampfgeist wieder aufweckt. Mittig folgt ein ziemlicher Abstand und dann wird zum Ende noch geprüft, wie viel Benzin noch im Tank ist. Nachdem zuvor schon wieder gewisse Gedanken ans endgültige Verscherbeln vom MSL-Gear aufgekommen waren, entschädigt dieser Onsight auf dem letzten Blatt doch wieder für die ganzen Mühen. 3x hatte ich mich in letzter Not vor dem Abkippen retten können (1x davon (zumindest gefühlt) weit über dem Haken) - leider geil, kann man da nur sagen! Woher diese Energie noch gekommen ist?!? Das frage ich mich ehrlich gesagt auch...

Taffe Kletterei durch die Schlusswand in L12 (7a), what an experience!

Jedenfalls, um 20.20 Uhr fand diese Kampfbegehung ihr Ende, in 9:40h zähen Ringens hatte sich die Route schliesslich beugen müssen. Da im Moment hatte ich den Eindruck, den Ansprüchen überhaupt nicht genügt zu haben. Mit etwas Distanz bilanziere ich, dass eigentlich nur die Passagen zu Beginn von L6 und L9 nicht freigeklettert waren, und das Pumpgerät in L5 nicht gepunktet. Der Rest ging auf Anhieb, vielleicht erlege ich mir einfach zu strenge Massstäbe auf?!? Wobei, am Anfang hatten wir ja auch noch eine schwierige Seillänge umgangen, von daher verbleibt vielleicht doch eher die Bezeichnung Geschnafel für diese Performance. Eines sei noch erwähnt: im Mai ist es sicherlich oft zu heiss um am Pizzo d'Eus zu klettern. An diesem teilweise bewölkten und windigen, sowie nicht allzu heissen Tag waren die Conditions aber 1a.

Auf dem breiten und flachen Gipfel vom Pizzo d'Eus.

Ganz in Alpinistenmanier liessen wir uns den kleinen Umweg zum Gipfel nicht nehmen (20.35 Uhr), bevor es via die Hütten von Eus (20.50 Uhr) zurück zum Depot beim Abzweig vom Wanderweg ging (21.15 Uhr). Wir sortierten das Gear und liefen dann mit eingeschalteten Stirnlampen zu Tal. Bis nach Hause war es noch ein weiter Weg, um 2.30 Uhr legte ich mich nach fast 22h auf den Beinen noch für ein paar Stunden aufs Ohr, bevor die Pflicht wieder rief. Tja, ohne Fleiss kein Preis, bzw. ohne Einsatz gibt's keine Eus-Route - erst recht nicht, wenn man das von der Alpennordseite als Tagestour angeht. Only for crazy people, some may think...

Facts

Pizzo d'Eus - Va Pensiero 7b+ (7a obl.) - 12 SL, 390m - F. Fratagnoli et al. 2004 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-3

Lange und eindrückliche MSL-Route, welche in der Literatur hoch gelobt wird. Mir hat sie nicht ganz so gut gefallen. Einige Abschnitte sind wirklich sehr schön und verlaufen in hervorragend strukturiertem Gneis. Anderswo ist die Kletterei weniger prickelnd, da es sich um "unmögliche" Boulderstellen handelt, die Unterlage sandig-brösmelig ist, man sich zweifelhaften, dumpf tönenden Schuppe bedient, oder Flechten und sonstiger Bewuchs stören. Vor weiterer Punkt: die schwierigen Stellen sind hammerhart, wer sonst so 7b/+ auch mal Onsight klettert, wird da kaum eine Chance haben. Ebenso wird die Route in den bisherigen Topos als 6b/+ obligatorisch veranschlagt. Das ist für meinen Geschmack deutlich zu tief, man rechne eher mit 7a. Die Absicherung mit rostfreien BH ist meistens durchaus gut und auf Niveau xxxx. Dann aber gibt es einzelne Passagen, die aus diesem Rahmen fallen (im Text erwähnt), weshalb übers Ganze nur xxx vergeben werden können. Die Cams kommen nur relativ selten zum Einsatz, an gewissen clean gebliebenen Stellen sind sie jedoch unverzichtbar. Ein Topo und weitere Infos zum Pizzo findet man im Extrem Sud oder im SAC-Kletterführer Tessin.