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Sonntag, 14. Oktober 2018

Sulzfluh - Austriakenriss (6a)

Diese Route ist unter verschiedenen Namen bekannt: nämlich als Direkte Südwand der Sulzfluh, dann mit den Namen ihrer Erstbegeher als Hiebeler/Bachmann und wie es im Titel steht, eben auch als Austriakenriss. Letzteres tönt irgendwie nach "viele Haken", das ist aber nicht unbedingt die richtige Assoziation. Es handelt sich um eine klassische Tour aus dem Jahr 1949, welche Eingang ins Pause-Buch "Im Extremen Fels" gefunden hat. Wie so oft bei derartigen Unternehmungen bietet sie eine für heutige Verhältnisse eher aussergewöhnliche, aber doch immer noch lohnende Kletterei.

Morgenstund hat Gold im Mund. Unterwegs an die Sulzfluh, hier zu sehen die SE-Wand und die Gamstobelwand.
Die Südwestwand der Sulzfluh hatte ich früher bereits 2x durchstiegen, nämlich 1998 auf der Neumann-Stanek sowie 2003 auf der selten begangenen, aber durchaus interessanten CKC-Führe, welche in Punkto Schönheit und Schwierigkeit noch höher als der Austriakenriss einzustufen ist. Nun kam für einen Tag, an welchem gemäss den Vorhersagen bereits schlechtes Wetter sein sollte, der Ruf von Pause-Sammler Tobias. Ein genaueres Hinschauen zeigte im Rätikon ein Wetterfenster für die erste Tageshälfte, und selbst als Pause-Nicht-Sammler konnte ich mich der Anziehung dieser Kaminkletterei nicht entziehen. Die Bilder einer früheren Begehung auf dem Rocksports-Forum zeigen nämlich einerseits durchaus interessante Kletterei, und andererseits war ich auch auf die dunklen Kamine gespannt. Für diese sind trockene Verhältnisse unabdingbar, welche zum Ende einer lange Hitze- und Trockenperiode natürlich gegeben waren.

Der Zustieg führt zuerst zur Carschinahütte und von dort dann zur Wand. Rechts im Bild die Drusentürme.
Nach einem sehr frühen Aufbruch daheim starteten wir wie bereits bei der Tour zur Schijenflue beim Parkplatz Äbi unterhalb von Partnun, es war wenige Minuten nach 6.00 Uhr. Vorbei am Alpenrösli ging es zur Carschinahütte, wo die Gäste um 7.15 Uhr eben mit dem Frühstück auf der Terrasse beschäftigt waren. Das zeigt, das Wetter war tatsächlich noch gut, auch wenn im Südwesten bereits einige dunkle Wolken zu erkennen waren. Also hielten wir uns nicht auf, und stiegen unter die SW-Wand der Sulzfluh hinauf. Das ist eine etwas mühselige Geschichte, die Geröllhalde ist teils doch ziemlich lebendig und man muss sich gut die Passagen aussuchen, wo man nicht mit jedem Schritt vorwärts deren zwei rückwärts rutscht.

Letzter Teil vom Zustieg und Routenverlauf des Austriakenriss, erstbegangen von Hiebeler/Bachmann 1949.
Während man früher den Zustieg über den oberen Sockel wählte, wählt man seit einem Felssturz im 2010 die Linie über ein tieferes Band. Dieses ist erst problemlos nach rechts zu queren, danach können zwei mit Bohrhaken eingerichtete Seillängen zu den eigentlichen Einstiegen geklettert werden. Diesen schenkten wir keine Beachtung und stiegen etwas weiter rechts einfach der Nase nach in Falllinie vom Start des Austriakenriss hoch. Das Gelände ist dort gut gestuft, der Fels von vernünftiger Qualität, über ein paar kurze Zweier-Stellen geht das nirgends hinaus, somit lässt sich der Weg zum Einstieg ohne weiteres seilfrei begehen. Dazu muss ich noch sagen, dass ich den alten Zustieg übers obere Band doch als deutlich mühsamer, exponierter und heikler in meinem Hinterkopf abgespeichert habe. Um 8.00 Uhr waren wir schliesslich bereit und stiegen ein.

L1-L3, 80m, 4b: Wegen den geringen Schwierigkeiten und um Zeit zu sparen, verbinden wir diese Seillängen und steigen ein kurzes Stück gemeinsam. In ziemlich kleinsprittigem Fels geht's zuerst über eine Art Rampe zur auffälligen Verschneidung nach rechts hinauf. Ein Wändchen nach etwa 15m stellt für den Grad 3c doch gewisse Herausforderungen, der Rest ist einfach. Die Verschneidung klettert sich dann ziemlich genussreich, hier ist der Fels ausgewaschen und daher auch deutlich solider. Am Ende der Verschneidung setzt dann die eigentliche L3 an, welche mit einer gschüdrigen Traverse in einfacher Kraxelei nach links hoch führt.

Auf geht's, über eine Art Rampe erreicht man die grosse Verschneidung. Das Wändchen mit der Crux von L1 ist eben überwunden.
L4-L5, 50m, 5c+: Auch diese beiden Seillängen lassen sich verbinden, mit vorausschauenden Verlängerungen und 50m-Seilen ist dabei kein Simultanklettern nötig. Der erste Abschnitt führt zuerst eine kurze Verschneidung hoch und traversiert dann nach rechts. Hier beginnt der lässige Hangelriss, der steil nach rechts hoch führt. Teilweise schöner Fels wechselt sich ab mit etwas brüchiger Ware, an einer Stelle ist ein grosser Block ausgebrochen, was etwas knifflige Moves zur Folge hat. Insgesamt eine vergnügliche Sache, als ich am Stand ankomme, so stelle ich fest, dass ich in ca. 40 Minuten Dauerkletterei bereits mehr als die Hälfte der Route zurückgelegt habe.

Tobias folgt im Hangelriss von L5 (5c+), der interessante Kletterei in teilweise schönem, teilweise brüchigem Fels bietet.
L6, 40m, 6a: Hier folgt nun die nominelle Crux über die sogenannte Birne hinweg. Der Sinn dieser Bezeichnung erschliesst sich mir zwar nicht ganz, aber item. Die Kletterei führt erst der Fortsetzung vom Hangelriss entlang, dann rechts um die Ecke und athletisch mit kräftigen Zügen über ein Dach hinweg. Danach noch etwas dranbleiben und zwei Aufschwünge links herum bewältigen, dann ist diese tolle Seillänge mit wirklich lohnender Kletterei in sehr schönem Fels geschafft!

Tobias startet in die nominelle Cruxlänge L6 (6a). Hier ist der Fels prima und die Kletterei wirklich toll.
L7, 40m, 5c+: Ein spannendes und sehr abwechslungsreiches Teilstück: leicht geht's zur ersten Stufe hoch, das alte Topo sagt hier V+ A0 oder frei VI. Die Stelle lässt sich tatsächlich klettern, zwei, drei Züge in steilem Gelände an eher auflegerigen Strukturen sind aber klar schwieriger, als es in den Rahmen vom Plaisirgrad 5c+ passt. Danach geht's über eine etwas heikle, grasige Stufe in den tiefen Kamin hinein. Huch, wo geht's lang? Na, es kann nur in athletischer Turnerei durch den "Tunnel" hinter dem Klemmblock durchgehen. Vom Top der Blöcke dann in Spreiz- und Stemmkletterei weiter, bis man schliesslich nach rechts hinaus klettert und auf einem Absatz zum Stand gelangt. Der Fels im Kamin übrigens moosig und von den Dohlen verschissen, aber fest und mit toller Struktur. Eine sehr eindrückliche, aussergewöhnliche Sache, mir hat's viel Spass gemacht!

Der Autor in der Crux von L7, vermutlich der schwerste Kletterstelle der Route. Die höhlenartige Kletterei danach in den tiefen Kaminen lässt sich fotografisch leider nicht gut festhalten und bleibt damit der Phantasie des Betrachters überlassen. Nachschauen vor Ort lohnt sich für Neugierige durchaus...
L8, 40m, 5c+: Ein weiterer Stemmkamin führt zu einem Überhang, der etwas rechtsherum in athletischer Kletterei überwunden wird. Ganz so herausfordernd wie es auf den ersten Blick aussieht, ist es schliesslich nicht. Damit sind die grössten Schwierigkeiten überwunden, dem linken Ast des Kaminsystems entlang erreicht man in relativ gutmütiger Kletterei den vorletzten Stand. Weitestgehend guter Fels übrigens auch in dieser Länge.

Spreiz- und Stemmkamin am Anfang von L8 (5c+), der Überhang hinter dem Kletterer einfacher wie man vermuten könnte.
L9, 30m, 5b: Die logische Fortsetzung wäre hier durch die Verschneidung oberhalb vom Standplatz gegeben, welche die direkte Fortsetzung des Kaminsystems darstellt. Die beiden Kletterer im Rocksports-Bericht haben diesen Weg gewählt und den Verhauer vermutlich nicht bemerkt, somit dürfte dieser Weg auch nicht viel schwerer oder einfacher wie die Originalvariante sein. Diese quert nämlich nach rechts hinaus und führt dann einem steilen Riss entlang auf dem Pfeiler aufwärts. Schöne Kletterei in gutem, rauem Fels.

Um 10.45 Uhr sind wir nach 2:45 Stunden Kletterei bereits am Ausstieg angelangt. Das Wetter hat auch prima mitgespielt, inzwischen ist der Himmel zwar mit Wolken überzogen. Doch weder live noch auf dem Radar sieht es so aus, als ob es demnächst zu regnen beginnen würde. So halten wir einen Vesper und laufen später durchs Gemstobel talwärts. Hier lohnt es sich, nicht dem markierten Wanderweg zu folgen, sondern in die Geröllhalden linkerhand zu queren. Hier findet man meist recht guten Surf bis weit hinunter, ideal zeitsparend. Über den Gamstritt geht's vorbei an den Klettereien am Ostausläufer der Südwand aufs Wiesengelände hinunter. Bald sind wir retour in Partnun, nach einem kühlen Getränk schliesslich auf dem Heimweg und da das Wetter weiterhin hält, verbringe ich den Nachmittag mit dem Kindern im Freibad. Da sieht man wieder einmal, was auch an einem Tag mit pessimistischer Wetterprognose drinliegen kann!

Facts

Sulzfluh - Austriakenriss 6a (5c+ obl.) - 9 SL, 280m - Hiebeler/Bachmann 1949 - **;xx(x)
Material: 1x50m-Seil, 12 Express, Camalots 0.3-2, kleines Keilset

Eindrückliche klassische Kletterei durch die imposante SW-Wand der Sulzfluh. Der einfachere Einstieg bietet 4 mässig schöne Seillängen in eher kleinsplittrigem Fels, die man aber auch rasch hinter sich gebracht hat. Es folgen zwei Seillängen mit imposanten Hangelrissen, zwei tiefe, dunkle Kaminseillängen und ein Pfeilerausstieg. In diesem, wesentlichen Teil ist der Fels meist gut, ja teilweise sogar richtig schön und kletterfreundlich. Die Kamine sind jedoch nur in trockenem Fels geniessbar, sonst ist die Mischung von Moos, Vogeldreck und Schmierauflage sicherlich höchst unangenehm. Insgesamt eine durchaus lohnende Unternehmung für Klassiker-Fans und Leute, die einmal die Grosstaten früherer Generationen würdigen wollen. Die Route wurde 1996 saniert, alle Stände wurden dabei mit Muniring & BH ausgerüstet. In allen Seillängen stecken hie und wieder auch gebohrte Zwischenhaken, zusammen mit den alten Rostgurken und einigen mobilen Gerätschaften ergibt sich eine durchaus gute Absicherung - ich empfand die Route weder gefährlich noch psycho. Ein Rückzug lässt sich wohl bewerkstelligen, ist jedoch sicherlich weder bequem noch empfehlenswert, daher besser nur bei guten Bedingungen und mit etwas Marge einsteigen.

Sonntag, 16. August 2015

Schijenflue / Scheienfluh - Westverschneidung (7a bzw. VI A2)

Die Führe durch die imposante und glatte Scheienwand hoch über dem Partnunsee ist ein Meisterwerk von Peter Diener und Max Niedermann aus dem Jahr 1957. Sie galt lange Zeit als schwierigste Route in der Ostschweiz und erheischt auch heute noch gehörigen Respekt. Mittels einer Reihe von anspruchsvollen Rissen, welche die glatte Marmorwand durchziehen, erreicht man die steile Verschneidung, welche die ganze Wand durchzieht. Während man sich früher über weite Strecken an Normalhaken und Holzkeilen bediente, wurde die Route anscheinend in den 1980er-Jahren nach einem Konkurrenzkampf zwischen mehreren Seilschaften rotpunkt begangen. Details zu dieser ersten freien Begehung sind jedoch nur wenige bekannt. Es wäre schön, wenn sich diese Geheimnisse lüften liessen (siehe Kommentare).

Die Schijenflue Westwand mit dem Verlauf der klassischen Westverschneidung.
Auch heute noch stellt die Route ein sehr lohnendes Kletterziel von dolomitischem Ausmass dar. Weil sie zudem Teil der 100-Touren-Sammelserie von Walter Pauses "Im extremen Fels" ist, verirren sich jedes Jahr im Schnitt etwa 5 Seilschaften hierhin. Meinereiner hatte ich diese Wand und Route schon lange auf dem Radar. Die Realisierung scheiterte lange an der fehlenden Sanierung des oberen Wandteils, der häufig massiv aus den Rissen drückenden Nässe die eine Begehung nur nach Trockenperioden sinnvoll macht, der schattigen Lage auf 2500m die hochsommerliche Temperaturen erfordert und einem Kletterpartner der gewillt war, dieses anspruchsvolle Husarenstück mit seiner klassischen Kletterei anzugreifen.

Umso dankbarer war ich daher für die Anfrage von Tobias. Auch wenn ich noch mit dem Verdauen meiner Süpervitamin-Injektion beschäftigt war, so wollte ich mich hier nicht lumpen lassen. Zumal hier mit einer 7a, zwei 6c und ein paar einfacheren Längen auf dem Papier keine übergrossen Herausforderungen warteten. So wurde der Wecker wieder früh gestellt, so dass wir um  7.10 Uhr vom P6 ob Sankt Antönien (bei Äbi, ca. 1600m, 6 CHF/Tag) starten konnten. Unser Marsch führte am Gasthaus Alpenrösli vorbei zum Partnunsee. An dessen Beginn stiegen wir weglos über Wiesen, Alpenrosenstauden und Geröll mehr oder weniger in Falllinie gegen die Wand hinauf. Das Gelände ist an sich gut begehbar, doch wir trafen weiter oben auf einen von weiter hinten (am Partnunsee) kommenden und zum Schijenzahn führenden Pfad, womöglich lohnt es sich auch, dessen Beginn zu suchen. Um 8.45 Uhr waren wir nach einer viertelstündigen Pause am Einstieg schliesslich bereit und stiegen ein.

Bald geht's los. Die Rissreihe zieht vom linken Bildrand diagonal nach rechts oben.
L1, 25m, 5c: Während original bzw. zu früheren Zeiten von links her (heikel) über eine grasige Rampe eingestiegen wurde, verfolgt man spätestens seit der Sanierung (und mindestens teilweise auch schon davor) den Riss direkt von unten. Die Felsqualität ist hier nicht überragend, jedoch genügend fest um sicher klettern zu können. Die steilen Risse im oberen Teil erfordern das erste Mal ein herzhaftes Zupacken (eher 6a).

Auftakt in L1 (5c), bereits steile und anspruchsvolle Kletterei. Der schuppige Fels teils auch nicht über jeden Zweifel erhaben.
L2, 35m, 6c: Nun folgt bereits eine der nominell schwersten Passagen und schon vom Stand aus lässt sich erkennen, was es geschlagen hat. Eine überhängende Verschneidung mit glatter Seitenwand und einem parallelen Riss im Grund will erklettert werden. Der Riss startet mit Faustbreite und wird dann weiter. Ich gebe meine Ambitionen bald auf und bediene mich der 3 nahe steckenden BH, welche etwas rechts aussen stecken. Wer freiklettern will, sichert hier besser mit grossen Cams direkt im Riss, ansonsten ist der wichtige dritte BH nämlich kaum einzuhängen und der Seilverlauf stört bei der Kletterei. Der Rest der Seillänge bietet dann nicht mehr ganz so schwere, jedoch weiterhin anspruchsvolle Kletterei. Es steckt nach der Anfangscrux dann auch nur noch 1 BH, so dass selber abgesichert werden will.

Schwere Kletterstelle hier am Anfang von L2 (6c). Irgendwie sieht's auf dem Foto gar nicht so schlimm aus, aber hier durchzusteigen ist nicht trivial. In dieser Spreizposition geht's meines Erachtens nicht, wenn dann muss direkt im Riss gejamt werden (Hände tapen empfehlenswert). Zudem braucht's dann grosse Friends, um im Riss zu sichern, da man während dem Jamming die Bolts nicht einhängen kann. Die linke Seitenwand ist total glatt, die rechte offeriert leider auch keine wirklich nutzbaren Griffe.
Im oberen Teil von L2 (6c) folgt weiterhin anspruchsvolle Risskletterei, die grösstenteils selber abzusichern ist.
L3, 30m, 5c: Ja gell, eine 5c, da könnte man meinen das sei rasch und billig erledigt. Sie entpuppt sich jedoch als anspruchsvolle, etwas rampfige Kletterei an einem breiten, v-förmigen Riss, der durchaus ziemlich Engagement verlangt.

So sieht L3 (5c) von unten aus, aus dieser Perspektive kaum zu sagen, wie schwer/mühsam die Länge ist...
...aufgrund von diesem Bild lässt sich hingegen erahnen, dass der Autor auch schon einfachere 5c-Längen geklettert hat. Gut zu sehen auf diesem Bild, dass die glatten Seitenwände hier keine Griffe hergeben, die äusseren Kanten vom Riss rund sind und man sich deshalb in einer Mischung von menschlichem Klemmkeil und Raupe nach oben arbeitet.
L4, 45m, 4a: Der Riss verläuft nun nicht mehr so steil aufwärts, sondern zieht mehr horizontal nach rechts und weitet sich zu einer Art Band. Die Felsqualität ist hier nicht berauschend, es hat doch einiges an losem Material. Fixe Sicherungen stecken keine und selber Absichern geht auch nicht perfekt, sicheres Klettern ist Pflicht. Der Stand auf dem Pfeilerkopf für einmal nicht an einem Muniring, sondern an den Expansionsankern die zur Route Kaiserschnitt gehören.

L4 ist zwar nur mit 4a bewertet, aber auch nicht ganz einfach...
...im oberen Teil wartet dann klassisch-alpines Gelände.
L5, 35m, 6b: Mit einem einfachen Quergang geht's rechts um die Ecke und man bekommt endlich die grosse Verschneidung in Sicht. Hat man diese nach einer weiteren, etwas flechtig-dreckigen Traverse erreicht, wartet gleich eine anspruchsvolle Freikletterstelle. Die linke Wand ist wie so oft ziemlich glatt, rechts ist's dafür etwas splittrig und besonders griffig auch nicht - schwer für den Grad!

Vom Pfeilerkopf führt ein Quergang in die grosse Verschneidung hinein. Der erste Teil von L5 (6b) ist gutmütig und schön...
...danach folgt die flechtig-dreckige Traverse, und unmittelbar darauf eine schwere Kletterstelle (im Vordergrund zu erahnen).
L6, 35m, 6c: Ziemlich kompromisslose, steile und anhaltende Verschneidungskletterei. Die Crux nach etwa einem Drittel der Seillänge - glatter, trittarmer Fels, schlechte Griffe, komplexe Moves. Die vier BH stecken hier gefühlt recht weit auseinander, dazwischen gibt's noch alte Rosthaken und zwei, drei Gelegenheiten um selber zu legen. Für 6c auch eher hart.

Anspruchsvolle Verschneidungskletterei im glatten Marmorfels von L6 (6c).
Detail aus L6 (6c). Selten mal ein BH, ein paar alte Gurken im Riss, marmoriert-glatte Seitenwand, steile Kletterei.
Das letzte Teilstück in L6 (6c) dann etwas einfacher, dafür mit vielen orangen Flechten überzogen.
L7, 30m, 5b: Hier erreicht man eine kurze, nicht ganz so steile Zone der Verschneidung. Die Länge bietet einen herbalpinen, grasigen Auftakt und danach für einmal wirklich nicht allzu schwere Kletterei mit weiteren Gras-Intermezzi zu einem Podest, das einen tollen Blick auf die Cruxlänge erlaubt.

Der grasige Auftakt von L7 (5b) ist gemeistert, danach folgt schöne Kletterei...
...und am Ende gibt's nochmals eine knifflige Stelle in der Verschneidung.
L8, 25m, 7a: Mit Freude stellten wir fest, dass der grosse Verschneidungsüberhang auf den ersten Blick ziemlich trocken schien. Wobei sich schliesslich zeigte, dass die Stelle eben halt nur ziemlich trocken war, denn in ihrem Grund war die Verschneidung weiterhin feucht bis nass und auch reichlich schmierig. Im ersten Teil stört das durchaus, sind doch Klemmer und Piazmoves am Riss durchzuführen. Aber wir sollten nicht klagen, nachdem der Sommer 2015 nun wirklich sehr heiss und trocken war, ist es wohl beinahe illusorisch, hier auf perfekt trockene Verhältnisse zu hoffen. Meine Aspirationen für eine Onsight-Begehung wollte ich deswegen jedoch nicht vorschnell aufgeben und tatsächlich gelang es mir, in sauberem Stil bis in den inneren Dachwinkel hinaufzukommen. Dort kam meine Begehung aber dann ins Stocken. Erst sind einige Kaminmoves zwingend, um dann auf Gegendruck am Riss im Dachgrund nach links hinaus zu queren. Leider stecken hier die BH sehr tief unten, bei den Kaminmoves ist nicht klar, auf welche Seite man sich am besten dreht und wodurch man das Seil führt. Auch hat man sich zu entscheiden, ob man die BH einhängen will oder das alte Gelump im Riss unter dem Dach. Ersteres ist natürlich sicherer, zweiteres dagegen für die Psyche, Seilführung und Kletterei viel angenehmer. Schliesslich läuft es darauf hinaus, dass ich an den BH sichere und die im alten Material eingehängten Exen als Griffe benutze. In der Not frisst der Teufel Fliegen und säuft Weihwasser... Am Ende vom Dach, dort wo der Riss wieder mehr gerade hinaufführt, lässt sich diese Strategie jedoch nicht mehr fortsetzen. Altes Material hat es nämlich plötzlich keines mehr, ob diese Stelle wohl freigestürzt wurde? Klar ist jedenfalls, dass die 4m zum nächsten BH nun ehrlich und zwingend freigeklettert sein wollen. Es sind knackige Moves, mindestens 6b oder eher sogar 6c ist obligatorisch und vor allem steckt auch der BH danach eher hoch und ist mühsam zu klippen. Nachdem das gemeistert ist, warten noch einige steile, aber etwas einfachere Moves, bevor es nach rechts raus zu Stand auf einem schmalen Band in sehr luftiger Position über dem Überhang geht. Wir können uns ins Wandbuch eintragen und notieren die 370. Begehung von diesem Testpiece. Ob diese Seillänge mit 7a korrekt bewertet ist, vermag ist nicht wirklich zu sagen - auf jeden Fall hat sie meine Onsight-Fähigkeiten überstiegen, was bei normalen Sportkletter-7a's jetzt eher selten passiert. Aber es ist halt auch keine normale Sportkletter-Seillänge...

Schon zu Beginn von L8 (7a) wartet anspruchsvolle Kletterei, die Crux folgt dann oben am Überhang.
Luftige, psychisch anspruchsvolle Kletterei. Hier im Teilstück, wo kein altes Material steckt und zwingend geklettert werden muss. 
Ziemlich trocken... der alte Holzkeil mit vermoderter Schlinge hilft wenn nötig über die Stelle hinweg.
L9, 20m, 5c: Steile und schöne Risskletterei, für einmal entsprechen die angetroffenen Schwierigkeiten in etwa dem, was auf dem Papier steht. Es geht übrigens dem rechten Sekundärriss entlang, nicht dem Hauptriss im Grunde der Verschneidung. Der Stand dann sehr luftig auf einem Sitzpodest, der Blick geht frei hinunter bis zum Wandfuss.

Tobias sichert am Stand nach L9 (5c), nachher geht's links in der steilen Verschneidung weiter.
Luftiger Sitz nach L9 (5c), von hier geht's frei bis zum Wandfuss hinunter.
L10, 25m, 6b: Steile, sehr athletische Seillänge an grossgriffigen Schuppen und Rissen. Schon der Anfang verlangt den Griff in die Trickkiste, mit einem Heelhook geht's deutlich am einfachsten, auch noch speziell in einer Route von 1957. Pumpig ist es, doch ich kämpfe mich durch, um diese Seillänge sauber freiklettern zu können. Doch am Abschlussüberhang  scheitert dies: es ist steil, kleingriffig, sehr athletisch. Mit 2x Exe in den dort steckenden NH als Griff benutzt, passt's für mich etwa mit 6b - freigeklettern kann man das definitiv nicht in diesem Grad.

Tobias kämpft sich die überhängende Verschneidung von L10 (6b) hinauf.
L11, 20m, 4a: Am Ende der vorangehenden Seillänge überwindet man den Abschlussüberhang und erreicht eine schöne Wasserrillen-Platte. Hier wird man sich bewusst, dass der Gipfel nicht mehr weit entfernt ist. Das trifft dann auch zu, im schönsten Fels der gesamten Routen steigt man genussvoll zum Ausstiegsstand am Rand vom flachen Gipfelplateau, zum Steinmann am Top sind es nur wenige Meter.

Die letzten 20m bieten Wasserrillenkletterei in perfektem Fels. Der Rest vom rauhen, strukturierten Fels liegt hingegen am Wandfuss, d.h. ist vor langer mit einem Bergsturz verloren gegangen. Daher klettert man in L1-L10 auf dem marmorierten Gestein, welches früher im Bergesinneren lag.
Um 13.15 Uhr nach 4:30 Stunden in der Wand hatten wir es geschafft. Das war nun eine echt fordernde Tour gewesen, ja grossartiges Kino. Ich für meinen Teil hatte die Route doch etwas unterschätzt. Eine 7a und ein paar einfachere Seillängen, 1957 erstbegangen, das sollte wohl im Angesicht der jüngst gekletterten Routen eine machbare Aufgabe darstellen. Doch mit der ungewohnten Kletterei und den eher tiefgestapelten Freikletterbewertungen musste dann bald einmal in den Modus von klassischer Alpinkletterei umgestellt werden. Doch auch so war die Route eine interessante Herausforderung - die Erstbegeher hatten hier wirklich grossen Mut und Kühnheit bewiesen, sich mit dem damaligen Material in eine solche steile Linie zu wagen erforderte grosse Bereitschaft. 

Blick vom Stand nach L11 auf den Gipfelsteinmann, der nur wenige Meter entfernt ist.
Perspektive aus der Gegenrichtung, hier oben wäre beinahe Platz für ein Fussballspiel...
Nach einer bequemen Zmittags-Rast auf der flachen Gipfelwiese liefen wir dann talwärts. Dazu steigt man erst in teilweise leichter Kletterei über die Südflanke der Schijenflue ab, bis man den Grassattel vor dem südlichen Nebengipfel erreicht. Hier hat man einen tollen Einblick in den oberen Wandteil. Vom Sattel wendet man sich dann gegen Osten und steigt auf Wegspuren in die weite Ebene beim Plasseggenpass ab. Ein Stück weit wandert man exakt auf der Grenze zwischen dem Rätikon-Kalk und dem Urgestein der Silvretta-Gruppe und auch sonst ist es eine malerische Gegend, die Wanderung ist wirklich genussvoll. Nach der Ebene geht's dann eine steile Kehle hinunter, am Klettergarten der Wäberlisch Höhli vorbei zurück an den Rand von Partnun. Nach 1:20 Stunden ab dem Gipfel treffen wir ein paar Minuten nach 15.00 beim Parkplatz in Äbi ein und der Kreis schliesst sich. Ich bin ziemlich platt, das Abenteuer mit meiner 14. Pausetour und die Efforts in der Süpervitamin machen sich bemerkbar.

Schöne, weite Gegend beim Plasseggenpass.
Sicht auf die Sulzfluh (links) und das Karstgelände der Schijenflue-Ostseite (rechts).
Facts

Schijenflue - Westverschneidung 7a oder 6b+ A0 (6b+ obl.) - 11 SL, 325m - Diener/Niedermann 1957 - ***;xx(x)
Material: 1x50m-Seil, 14 Express, Camalots 0.3-2, Keile nicht nötig

Eindrückliche, sehr steile Kletterei von dolomitischem Zuschnitt, bei der Risse und Verschneidungen dominieren und Wandkletterei eher selten auftritt. Der Fels ist meistens fest, oft jedoch ziemlich glatt, manchmal auch splittrig oder flechtenbewachsen und daher selten wirklich schön. Grundsätzlich ist die Route aber auch nach heutiger Vorstellung ohne grössere Gefahrenmomente begehbar. Will man die Tour komplett in freier Kletterei gehen, so muss man schon einiges an Können aufbringen. Die offiziellen, auch hier angegebenen Freikletterbewertungen dünkten mich doch arg tiefgestapelt, zudem handelt es sich um für die heutige Generation sehr ungewohnte und oft auch etwas unangenehme Kletterei. Die Absicherung kann man als gut bezeichnen. Mit Muniringen sanierte Stände und jeweils ein paar wenige BH pro Seillänge sorgen dafür, dass Seilschaftsabstürze und gefährliche Flüge mit langen Ausnagelaktionen nicht möglich sind. Als zu üppig empfand ich die Sanierung keineswegs, auch im unteren Wandteil nicht. Klar, am Anfang von L2 wäre es auch mit weniger als den 3 BH gegangen, ansonsten stecken die Bolts im unteren Teil aber nicht wesentlich dichter wie oben. Für eine komplett technische Begehung, wo der sechste Freiklettergrad nicht überstiegen wird, steckt inzwischen stellenweise eher zu wenig Material. Da müsste man dann teilweise schon arg in die Trickkiste greifen oder Hammer und Haken mitführen. Als realistischere Anforderung würde ich da schon 6b+ A0 angeben, wobei wie im Text erwähnt ein Teilstück in diesem Grad dann zwingend zu klettern ist. Ebenfalls zu beachten: ein Rückzug aus der Tour ist eher schwierig.

Die Geschichte der Route, erstbegangen durch die Spitzeleute der damaligen Schweizer Alpinklettergeneration.
Topo

Anstiegsskizzen finden sich im alten SAC-Führer Rätikon von Vital Eggenberger, hier ist noch der Zustand vor der Sanierung und die klassischen Bewertungen angegeben. Im neuen SAC-Führer Graubünden ist die Route ebenfalls aufgeführt, hier leider ohne Symbole für die Zwischensicherungen und mit eher generalisierter Linie. Ein weiteres Topo findet sich im Panico-Führer Rätikon Süd. Langer Rede kurzer Sinn, ich habe ebenfalls ein Topo angefertigt. Es steht zum Download zur Verfügung: klick!


Montag, 17. November 2014

Ciavazes - Grosse Micheluzzi (VI/A0 oder ca. 6a+)

Die Micheluzzi am Ciavazes: unbestritten ein absoluter Dolomiten-Klassiker aus dem Jahr 1935, in welchem sich auch heute noch die Seilschaften stauen. Dies ist nicht weiter erstaunlich, denn die Kletterei über Platten, löchrige Steilzonen, entlang von Rissen und Verschneidungen sowie dem einzigartigen 90m-Quergang ist auch aus heutigen Sportkletter-Gesichtspunkten absolut lohnend. Ein weiterer Trumpf ist die Lage nur wenige Minuten neben der Strasse zum Sellapass. Dies war für uns ganz entscheidend war, denn einerseits waren wie üblich auf den Nachmittag Schauer angesagt, andererseits musste auch erst evaluiert werden, ob denn aufgrund der Regenfälle am Vortag Fels- oder Wasserfallklettern angesagt war.

Wieder einmal am Piz Ciavazes zu Gange - eindrückliche Wände mit prima Kletterei unmittelbar neben der Strasse.
In der Tat, so rosig sah die Situation am Ciavazes nicht aus. Diverse Wasserstreifen zierten die Wände und bei näherer Betrachtung schien es ausgeschlossen, dass eine der modernen Routen (z.B. die Roberta 83, die ich gerne angegangen wäre) wirklich sinnvoll machbar wäre. Da aber wetterbedingt sowieso nur ein relativ enges Zeitfenster zur Verfügung war und wir uns an den Vortagen schwierigeren Sportklettereien hingegeben hatten, entschieden wir uns ohne Groll für die Micheluzzi. Auch diese war zwar nicht einwandfrei trocken, doch traute ich mir dank der geringeren Schwierigkeiten zu, auch die eine oder andere Nässezone bewältigen zu können. Versüsst wurde das Ganze schliesslich durch die Tatsache, dass wir in dieser begeherten Tour ohne Konkurrenz agieren konnten, und die Seilschaften in den alpinen Sportkletterrouten nebenan tatsächlich wegen Nässe in ihren Routen alle früher oder später den Rückzug anzutreten hatten. Um 8.30 Uhr waren wir bereit, und stiegen ein, noch bevor die erst um etwa 9.00 Uhr den Wandfuss erreichende Sonne uns wärmte. 

Durch die heftigen Gewitter am Abend zuvor war's noch nicht ganz trocken. Trotzdem kamen wir gut durch...
L1, 30m, V-: Der Einstieg ist dank dem gut ausgetretenen Geröllplatz problemlos zu identifizieren. Stecken tun dann allerdings wirklich nur die 2 NH, welche im Topo eingetragen sind. Dies überraschte mich etwas, irgendwie hatte ich mehr erwartet. Allerdings ist die Kletterei hier auch weitgehend einfach, teilweise auch etwas grasig, aber kein Problem.

L2, 30m, V+: Hier wartete nun schon das erste nasse Teilstück, natürlich genau dort, wo im Topo die Crux eingetragen ist. Einen der drei dort steckenden Haken kann ich trotzdem klinken und den löchrigen Wulst etwas links der Ideallinie (in geschätzt ca. 6a-Kletterei) bezwingen. Danach noch eine schön zu kletternde Verschneidung, und rechts raus zum Stand.

Kathrin kurz vor der nassen Crux in L2 (V+), die aber links vom Wasserstreifen umgangen werden konnte.
L3, 30m, V: Weitgehend einfache Länge mit einer weniger steilen Plattenzone und einem 15m-Quergang zu Beginn. Die Hauptschwierigkeit besteht aus dem steilen, selber abzusichernden Abschlussboulder aus der Verschneidung hinaus und aufs Pfeilerlein rauf.

L4, 40m, VI/A0: Gleich nach dem Stand wartet nach meinem Erachten die klettertechnische Crux der Route. Diese wird sogar durch einen Klebehaken abgesichert, jedoch ist der im Topo verzeichnete NH davor nicht mehr vorhanden. Somit wird das Einhängen des (zu hoch steckenden) Klebebolts zur Crux, evtl. könnte man mit kleinen Keilen oder Mikrofriends A0 bis A1 durchkommen. Natürlich kann man hier auch gut freiklettern, allerdings ist der Fels bereits ziemlich poliert und einfache Moves sind es nun auch nicht gerade. Man muss ziemlich plattig antreten und mit einigen schlechten Seitgriffen den nötigen Druck auf die Füsse bringen. Mit einem banalen 5c+ kann man die alte Bewertung nach meiner Meinung nicht ersetzen, ich denke 6a+ muss man hier auf jeden Fall veranschlagen. Der Rest der Seillänge folgt zuerst einer Art Rampe und führt dann durch eine Verschneidung. Er ist deutlich einfacher, will aber selber abgesichert werden.

Der Autor unterwegs in L3 (V). Das Gelände übrigens ziemlich kompakt, das Gras stört kaum.
L5 & L6, 40m, V+: Der erste Teil des Quergangs bis zum BH-Stand bei Abzweig der Buhl-Variante ist banal auf einem etwas grasigen Band. Danach am besten die nächste Länge gleich anhängen: es geht ziemlich kühn in die steile Plattenwand hinaus, zuerst etwas runter, danach an diversen Löchern wieder diagonal hoch. Ein paar NH stecken, somit ist die Situation für Vor- und Nachsteiger gut erträglich.

L7, 20m, V+: Kurze Seillänge, welche erst der Lochreihe entlang weiter nach rechts führt, für den angegebenen Grad im Vergleich zu anderen Stellen eher einfach, wie ich fand. Danach kommt dann schon bald das erste Abkletterstück. Dieses ist jedoch wirklich gut griffig und banal (ca. III/IV). Auch die Nachsteigerin traute sich hier problemlos, den NH zu Beginn des Abkletterstücks auszuhängen.

Tolle und ausgesetzte Kletterei in der ersten Hälfte des grossen Quergangs. Kathrin folgt am Ende von L6 (V+).
L8 & L9, 45m, VI: Die eigentlich L8 führt horizontal oder gar leicht absteigend nach rechts. Achtung, diagonal ansteigend hat es Verhauer-Material! Es wartet eine mit V+ angegebene Stelle, die jedoch kein nennenswertes Problem darstellt. Den schlechten Stand mit 3 NH und Seilverhau nach L8 wird man auslassen wollen, und hängt L9 gleich an. Hier geht der Quergang weiter, und es warten zwei Abkletterstellen, welche mit VI angegeben sind. Diese sind nun nicht mehr ganz so banal, jedoch deutlich einfacher wie die Stelle in L4, d.h. halt einfach etwas normal für 5c+. Die erste Abkletterstelle ist nur kurz, hängt man hier eine 120er-Schlinge doppelt genommen in den NH, kann der/die NachsteigerIn nach dem Abklettern von einem guten Tritt aushängen. Das zweite Abwärtsstück ist dann etwas länger und auch etwas unübersichtlicher, hier hilft jedoch eine fix installierte Reepschnur (bzw. man könnte auch schreiben Strickleiter) der Nachsteiger-Psyche falls nötig auf die Sprünge. Zudem steckt unterhalb ein solider BH (im Topo nicht verzeichnet), so dass auch die Absicherung gut ist. Dann nochmals 7m nach rechts zu BH-Stand.

Ideales Gelände, um die Beziehung zum Nachsteiger und dessen Psyche etwas gründlicher zu erforschen. Fast 50m Quergang in L8/L9 (VI).
L10, 30m, V: Hmm, der tropfende Wasserfall ist nicht mehr weit weg von uns, und gemäss Topo führt die Route weiter nach rechts. Hatten wir die Zeichnung ursprünglich noch so interpretiert, dass die Route neben dem Wasserstreifen durchführt, so müssen wir hier unsere Meinung leicht revidieren. So schlimm geht es dann zum Glück doch nicht aus: der Quergang an einer Untergriff-Schuppe ist noch trocken, und die löchrige Wandstufe danach geht gut im Trockenen links der Ideallinie (die tatsächlich mitten durch den Wasserfall verläuft). Dann allerdings eher schwerer wie V, eher so 5c+ würde ich sagen. Danach muss man die Verschneidung hoch, durch welche der Bach entspringt. Da sie tief ist, wird man zum Glück kaum nass, und da sie nur III ist, geht sie auch problemlos. Der Stand dann auf dem Pfeilerkopf an zwei nicht allzu mächtigen SU, welche sich direkt im Wasserfall befinden. Zum Glück kann man sich selber etwas unterhalb auf dem Pfeilerkopf positionieren und bleibt trocken.

Um sich die Dusche zu ersparen, kletterten wir in L10 (V) etwas schwerer links der Ideallinie.
L11, 50m, V: Zuerst geht's links über eine löchrige Wandzone hoch, danach zeigt das Topo die Ideallinie in einer Rechtsschleife an. Ich habe aber keine Lust, in den Wasserfall hineinzuklettern, direkt die Verschneidung hoch geht's aber auch gut. Dies wird sicher oft so gemacht, es empfiehlt sich auch, um den Seilzug zu minimieren. Allerdings ist es etwas schwerer wie V (eher so 5bc). Der Rest der Seillänge führt dann in naturgegebener Linie einer Verwerfung entlang auf den Pfeiler hoch, die Absicherung dabei teils etwas spärlich. Man überklettert dann den alten Stand auf dem Pfeilerkopf, quert nach links und ächzt die Schuppe hoch, zum gut sichtbaren BH-Stand (Achtung Seilzug, mit 50m-Seilen reicht's gerade knapp).

L12, 30m, V-: Recht kühne Wandkletterei, vor allem für den tief angegebenen Grad ist's steil und auch gar nicht so einfach. Stecken tut hier nicht viel, so dass auch die Orientierung etwas Spürsinn braucht. Für mich stellt sich dann vor allem die Frage, ob man L13 gleich anhängen kann. Am Ende von L12 befinden sich nämlich keine BH, und der NH-Stand ist eher mässig. Wenn es dann doch nicht reicht, ist's allerdings auch blöd, so möble ich den Stand mit reichlich Fummelei auf...

Für den Grad recht kühne Kletterei in mehrheitlich kompaktem und steilem Gelände: L12 (V-)
L13, 27m, IV+: Etwas nach rechts haltend, dann nochmals kühn über eine löchrige Wandstufe hoch. Der Rest der Länge durch die liegende Verschneidung ist dann einfach, und bald erreicht man den BH-Stand, der sich auf dem Band befindet. Obwohl ich es natürlich nicht ausgemessen habe, so vermute ich doch, dass es selbst mit 50-Seilen knapp reicht, um L12 & L13 zu verbinden (mit 60m-Seilen reicht es garantiert). Das ist durchaus zu empfehlen, weil man so den mässigen NH-Stand nach L12 vermeidet.

Um 13.45 Uhr erreichen wir das Top am Gamsband. Wobei, eigentlich würde die Route auch noch durch den oberen Wandteil hochführen. Dieser Teil ist jedoch (trotz oder wegen geringen Schwierigkeiten) ungebräuchlich. Der Fels soll teils sehr brüchig und lehmig sein, es warten Passagen mit losen Blöcken, so dass auch für die sonst in der Zone operierenden Seilschaften eine massive Gefährdung gegeben wäre. So gibt es denn auch keinen einigermassen aktuellen Kletterführer, wo der obere Teil drin verzeichnet ist. Darüber hinaus wäre im oberen Teil dann auch definitiv Wasserfallklettern angesagt, da müsste man echt nur nach einer Trockenperiode antreten wollen. Tja, fraglos werden wir hier auf dem Gamsband die Kletterei beenden und absteigen, den Pausepunkt notieren wir uns auch so ;-)

Free Solo Ausstiegsboulder aufs Gamsband, über welches sich unser Abstieg vollzieht.
Für die Begehung hatten wir doch 5:15 Stunden gebraucht, durch den Quergang ist die Route einfach deutlich länger wie die anderen Ciavazes-Routen, es sind doch 380m und 13 Seillängen. Das Wetter sieht aber zum Glück noch einwandfrei aus, somit ist keine Eile angesagt. Wir schnüren die Schuhe und machen uns auf den Weg. Zuerst muss noch eine kleine Stufe erbouldert werden (gut seilfrei möglich), danach quert man auf dem ausgeprägten Pfad ausgesetzt Richtung Westen. Da wir hier im Vorjahr schon nach der Priz abgestiegen waren, sind uns Weg und Steg noch bekannt. Nach knapp 60 Minuten treffen wir wieder beim Parkplatz ein. Für einmal verläuft die Rückfahrt nach Gröden ohne Regentropfen, das sollte es in diesen Ferien nicht oft geben. Als wir zurück im Domizil sind, öffnet der Himmel dann aber doch seine Schleusen - Zeit zum Rückblick!

Der hier einsehbare Abstieg übers Gamsband ist weitgehend einfach und folgt einem bisweilen ziemlich exponierten Pfad.
Die Erstbegehung der Route erfolgte im Jahr 1935 durch Luigi Micheluzzi. Jetzt muss man sich einmal vorstellen, dass er wie üblich in dieser Zeit mit dem Hanfseil um den Bauch kletterte und ihm gerade mal 6 Haken zur Verfügung standen. Heute, mit um Welten besserem Material und einem Können das (bei mir) bis in den neunten Grad hinaufreicht, habe ich in dieser Route total wohl gegen 100 Sicherungspunkte (NH, BH, SU, Keile/Friends) eingehängt. Die Leistung und Kühnheit der Pioniere kann darum nicht hoch genug eingeschätzt werden, diese Typen waren echt krass drauf damals! Neben den rein quantitativen Argumenten muss man nämlich auch noch berücksichtigen, dass die Linie vergleichsweise wenig durch natürliche Strukturen vorgegeben ist, und doch über weite Strecken Wandkletterei auf Platten und durch löchrige Zonen vorherrscht. Auch der Quergang ist als sehr kühn zu werten - klar kann man hier den einfachsten Weg vermuten, offensichtlich dass man durchkommt ist es aber überhaupt nicht!

Facts

Piz Ciavazes - Grosse Micheluzzi VI/A0 (ca. 5c+ obl.) - 13 SL, 382m - Micheluzzi/Castiglioni 1935 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-3, Keile 4-9

Ein Dolomiten-Klassiker par Excellence, der auch heute noch sehr beliebt ist. Kein Wunder, denn die Kletterei auf Platten, durch löchrige Wandzonen und entlang von Rissen und Verschneidungen ist auch aus heutigen Aspekten durchaus sehr lohnend. Zu erwähnen ist insbesondere der 90m-Horizontalquergang, welcher der Route die nötige Würze gibt. Die Felsqualität ist durchgehend gut, an wenigen Stellen leicht grasig und teils ist das Gestein schon etwas abgegriffen (mich hat das nicht weiter gestört). Während die Standplätze (wenn man die Route wie von mir beschrieben klettert) alle eingebohrt sind, stecken unterwegs (fast) nur NH. Diese, zusammen mit den regelmässigen mobilen Möglichkeiten, führen aber insgesamt zu einem Standard, den man durchaus als gute Absicherung bezeichnen kann.

Topo

Auf dem Netz und in der Literatur finden sich unzählige Topos zur Tour, welche von mehr oder weniger guter Qualität sind. Weil auf der Route selber nicht allzu viel Material steckt, und es vor allem weil es neben der Route auch welches hat und man zudem mehrere andere Führen kreuzt ist die Mitnahme eines qualitativ guten Topos sicher sinnvoll. Keine Enttäuschungen erleben wird man mit demjenigen von Mauro Bernardi aus dem Führer Klettern in Gröden und Umgebung: Band 1. Es ist auch auf dem Netz bei sentres.com verfügbar. Von dort habe ich Routenverlauf und Topo kopiert, sie sind unten dargestellt. 

Routenverlauf der Grossen Micheluzzi (Nr. 75) und der Schubert-Führe (Weg der Freundschaft, Nr. 76). Quelle: sentres.com
Bernardi-Topo der Micheluzzi (Nr. 75) und Schubert (Nr. 76). Quelle: sentres.com

Dienstag, 9. September 2014

Tällistock - Inwyler/Bielmeier (6a+)

Achtung, im Sommer/Herbst 2023 wurden in der Route durch einen Fundamentalist viele BH entfernt oder unbrauchbar gemacht. Zur Zeit ist sie nur bei Anwendung von Peckern, Schlaghaken und viel mobilem Sicherungsmaterial begehbar. Die lokalen Bergführer wollen die Route im 2024 wieder in den vorherigen Absicherungszustand mit den BH zurückversetzen. Bis dahin wird empfohlen, die Route zu meiden (siehe Kommentar unten)!

Laut dem Kommentar von Niklaus (siehe unten) wurde die Route saniert und ist wieder begehbar!

Für die heutige Tour waren wir ein ziemlich heterogenes Trio: mit Rise war ein alpiner Geniesser mit von der Partie, Tobias kann man als Jäger und Sammler der Kletterklassiker bezeichnen und meinereiner bin ich eher der Sportkletterfuzzi. Dass die Tourenwahl unter diesen Voraussetzungen nicht ganz einfach sein könnte, liegt auf der Hand, zumal noch verbliebener Neuschnee nach dem Kaltfrontdurchgang zwei Tage zuvor den Träumen oberhalb von 2500m ein dickes Njet entgegen setzte. Mit der Inwyler/Bielmeier, einem der absoluten Klassiker im Berner Oberland und Pausetour obendrein, hatten wir aber ein sehr gutes Händchen. Einwandfreie Bedingungen trafen wir an, die Route entpuppte sich als absolute Perle und vermochte unsere drei verschiedenen Geschmäcker denn auch bestens zu befriedigen. Die logische Linie durch die steile, dolomitisch anmutende SE-Wand wurde 1960 unter der Führung von Sepp Inwyler eröffnet. In Bollerschuhen und von unten zeigte der damals Zwanzigjährige ein wahres Meisterstück, denn die Route ist praktisch durchgehend sehr steil und weist neben Riss-, Verschneidungs- und Kaminkletterei auch etliche Passagen über wasserzerfressene Wendenplatten und Tropflochwände auf, welche mit den damaligen Mitteln kaum abzusichern waren und viel Kühnheit erforderten. Klar, für die heutigen Massstäbe sind die Schwierigkeiten relativ moderat, die Ständplätze wurden mit Klebehaken saniert und auch zwischendurch steckt der eine oder andere Bolt. Gerade zusammen mit dem langen und durchaus alpinen Abstieg ist es immer noch eine grosse Tour!

Wir stossen auf rund 2000m durch die Nebeldecke...

...und sind unterwegs am Tällistock. Die Inwyler/Bielmeier verläuft in Falllinie des markanten Zackens rechts der Bildmitte.
Beginnen tut die Sache jedoch bequem mit einer Seilbahnfahrt. Die Tällibahn kann vorbildlich in Selbstbedienung betrieben werden, und so sind denn auch deren Betriebszeiten von 7.00-19.30 Uhr sehr klettererfreundlich. So ist denn auch die heimelige Tällihütte (1726m), welche sich gerade bei der Bergstation befindet, nicht zwingend als Quartier zu nutzen. Für den Zustieg verlässt man den blau-weiss-blau markierten Weg, der zum Klettersteig führt, schon nach 2-3 Kehren und ca. 30 zurückgelegten Höhenmetern. Für uns wurde die Aufgabe durch dichten Nebel erschwert, zum Glück hatten wir nach unserer Anfahrt über den Sustenpass da schon die Gewissheit, dass wir bald wieder durch die auf rund 2000m liegende Decke stossen würden. Ab dem Abzweig geht man steil und weglos rechts neben einer plattig-gneisigen Felsbastion hinauf, und zwar bis man auf ca. 1840m auf ein Querband aus Kalk trifft. Man steigt am Fuss des Querbands nach links, bis es einfach überwunden werden kann (Fixseil). Oberhalb hält man sich wieder nach rechts und steigt zum zweiten Band empor, welches an offensichtlicher Stelle recht einfach überwunden wird (Fixseil). Nach einer weiteren Grasquerung nach rechts hinauf, wartet schliesslich das dritte Band. Wenn man sich da nicht am Fixseil hochziehen könnte, so müsste man hier einen steilen Dreier über etwa 30m klettern, und würde nicht auf eine Seilsicherung verzichten wollen. Danach geht's nochmals etwas im Gras hoch bis zum Einstieg (ca. 2170m), der nur gerade durch eine Sanduhrschlinge gekennzeichnet ist. Um 9.15 Uhr waren wir nach 45 Minuten Zustieg bereit zum Loslegen. Die Abmachung war, dass Tobias den Teil bis zum Quergang führt, und ich die zweite Hälfte übernehme.

Die Schlüsselstelle im Zustieg, ein etwa 25m hohes Felsband im dritten Grad. Jedoch optimal mit Fixseil eingerichtet.
Ambiente und Panorama am Einstieg mit Blick auf die Berner Hochalpen sind einfach perfekt.
L1, 40m, 4c: Der Auftakt noch recht grasig und einfach, der Vorteil des Nachsteigers liegt hier darin, die schöne aber ungesicherte Platte links daneben klettern zu können. Weiter oben dann noch zwei Aufschwünge, so dass diese Länge ihren Grad durchaus verdient.

L2, 50m, 5c: Einfacher Auftakt, vorbei an altem NH-Stand, und dann einem Muniring. Nach diesem geht es in die Crux, eine Steilzone will durch eine kaminähnliche Verschneidung oder an den Henkeln links daneben gemeistert werden.

Kurz vor der Crux in L2 (5c), sie befindet sich im Kamin gleich oberhalb von Tobias' Kopf.
L3, 20m, 6a: Vor allem für die Zeit der Erstbegehung ein sehr kühner Quergang in steiler Wand nach links hinaus. Man klettert hier in prima Tropflochfels, eine der besten Längen der ganzen Tour!

Der geniale Tropflochquergang in L3 (6a).

Quel Plaisir!
L4, 45m, 6a+: Steile Seillänge, die Crux bildet die Dachzone etwa 10m oberhalb vom Stand. Sie klettert sich einfacher wie es den Anschein macht, bis auf einen etwas schlechteren Seitgriff sind es "alles Henkel". Der Rest dann einfacher dem Riss entlang, selbst der moosig-feuchte, düstere Kamin zum Schluss löst sich prima auf.

Kurz vor der Dachzone und Crux von L4 (6a+).
L5, 20m, 5c+: Steile Kletterei dem Hauptriss entlang. Von unten gesehen könnte man hier den Bammel bekommen, doch die Sache ist irre griffig und die Wand daneben tiptop strukturiert, so dass man hier erstaunlich einfach vorwärts marschieren kann. Wer möchte, kann die nächste Länge gleich anhängen.

Sälber legge isch Trumpf! Ideal-Placement zum Schluss von L5 (5c+)
L6, 30m, 6a: Erneut eine total geniale Länge in steiler Wand, die aber mit Henkeln nur so gespickt ist, so dass die Schwierigkeiten überschaubar bleiben. Nach den ersten 10m verlässt man den Hauptriss und zieht nach links hinaus auf den deutlichen Pfeilerkopf, wo ein sehr bequemer Standplatz wartet.

Rise setzt Fuss in L6 (6a), yours truly spielt den Besenwagen.
L7, 25m, 5c+: Zuerst schöne und steile Wandkletterei, immer noch gut, jedoch qualitativ nicht mehr ganz so perfekt wie die vier Längen davor. Zum Schluss dann noch einige einfachere Meter ins Amphitheater unter den grossen Überhängen.

Arbeitsteilung am bequemen Standplatz nach L7 (5c+)

Der K2 (8611m), im Berner Oberland auch als Finsteraarhorn bekannt.
L8, 25m, 6a: Wir wechseln die Führung, und der Ausgang aus dem überdachten Amphitheater bildet der berühmte Quergang nach rechts. Von diesem war ich dann fast ein bisschen enttäuscht. Soo luftig ist die Sache nun denn auch wieder nicht, das Band auf welchem man quert ist meist 30-40cm breit, so dass man fast rüberspazieren kann. Erst am Ende der Querung, wo es dann wieder raufgeht, warten 2-3 etwas schwierigere Züge in Wandkletterei. Klar, zu Zeiten der Erstbegehung war das sicher eine sehr kühne Sache und eine prima Leistung, insbesondere da man mit den damaligen Mitteln kaum sichern konnte! Heute steckt aber fast alle 2m ein BH, so dass hier auch schwache Nachsteiger kein Nervenflattern bekommen werden.

Im berühmten, fast etwas banalen Quergang von L8 (6a).
Look mummy, I can do it without hands!
Rise in der Crux von L8 (6a), ein bisschen in die Tiefe pfeift's hier schon!
L9, 30m, 6a+: Die ersten 10m vom Stand weg bieten wendenmässige Wandkletterei an super Tropflochfels, erneut für die damalige Zeit eine sehr kühne Leistung! Danach kurz etwas einfacher zur abschliessenden, etwas plattigen Wandzone. Entgegen der Angabe im Filidor-Topo kommt die Crux meines Erachtens erst hier. Ich bin die einfachere, rechte Variante geklettert, sie verlangt technisches Geschiebe an Seitgriffen und sauberes Antreten, der Fels ist etwas staubig.

In bester Wendenmanier startet die Schlüssellänge Nr. 9 (6a+).
Um es nochmals zu verdeutlichen: Top-Fels haben wir hier!
Das letzte Stück mit den schwersten Moves ist ziemlich abschüssig und etwas glatt.
L10, 25m, 5c+: Hammer-Seillänge, die bis auf eine SU-Schlinge und einen NH clean ist. Hier muss man ziemlich zwingend 2-3 Cams/Keile legen, wohingegen dies im Rest der Route eigentlich nur punktuell zur Ergänzung nötig ist. Der kühne, gelbe, einschüchternd steile Riss klettert sich aber echt super, der Fels ist einfach total strukturiert und die Griffe und Tritte zahlreich.

Die selbst abzusichernde, steile Verschneidung von L10 (5c+), eine total geniale Länge!
Die zaubert dem alpinen Geniesser ein Lächeln auf die Lippen!
L11, 35m, 5c+: Das Filidor-Topo ist hier unpräzise, vom Stand weg quert man zuerst 10-15m horizontal auf einem Band nach links. Dann an einer Rippe (NH) aufwärts, bevor man schliesslich supertolle, griffige Wasserrillen in Vollendung in die Hand kriegt. Für den angegebenen Grad eine sehr gutmütige Seillänge (eher 5ab).

Bequeme Terrasse zum Sichern des Vorsteigers in L11 (5c+).
Am Ende von L11 (5c+) warten dann traumhafte, griffige Wasserrillen.
L12, 20m, 6a: Nun wird es doch noch alpin! Ob dem Stand etwas "gschüderigs" Gelände, d.h. unsicherer Fels und schlechte Absicherung. Man klettert bis unter das markante Dach hoch, wo man endlich einen Verhau aus zwei schlechten NH und einer Knotenschlinge einhängen kann. Danach kühn und recht schwierig für den Grad links ums überhängende Eck rum und in den glatten Kamin (dort dann NH) hinein. Dies ist eindeutig die Vorstiegscrux der Route! Hier muss man eine 6a schon sauber draufhaben, die Stelle befindet sich 1-2m über der letzten, schlechten und einzigen Sicherung. Für mich etwas unverständlich, warum man hier nicht auch einen BH gesetzt hat, denn praktisch in der ganzen Route hat es pro Länge jeweils ein paar Exemplare und an wenigen Stellen waren sie so nötig wie hier.

Um diese Ecke herum und ins Chämi rein musst du geh'n! Die Vorstiegscrux der Route, mässig gesichert, in L12 (6a).
So sieht's aus, wenn man einmal im Kamin drin ist. Wobei, dann ist das Problem eigentlich gelöst.
Und so sieht es von oben aus.
L13, 40m, 2a: Einfaches Verbindungsstück hinauf zum Abschlusskamin. Erst ziemlich schuttig, wenn sich andere Seilschaften in der Wand befinden ist hier grösste Vorsicht angezeigt! Danach noch etwas leichtes Klettergelände, ein Dreier wie im Topo angegeben ist das jedoch bei Weitem nicht.

Als sie dieses tolle Schrofengelände erblickt haben, waren sie nicht mehr zu halten! Doppel-Vorstieg in L13 (2a).
L14, 40m, 5b: Wieder mal eine Seillänge, vor der man leicht den Bammel kriegen könnte! Der tief eingeschnittene Kamin lässt Böses schwanen. Dank irre strukturiertem Fels an den Seitenwänden geht es dann aber doch super, genussvoll und absolut ohne Gerampfe. Auch wenn einige NH und 4 BH stecken, ist die Sache doch etwas kühn - und ein Sturz liegt definitiv nicht drin, das Pingpong an den Seitenwänden würde bestimmt übel enden! Aber tja, ist ja nur 5b - was wahrscheinlich sogar stimmt, aber die Seillänge ist so ungewöhnlich, dass sie auf der Schwierigkeitsskala schwer einzuordnen ist. Auf jeden Fall: aussen bleiben, cool bleiben!

Das Abschlusschämi (L14, 5b) ist dann wieder Chefsache ;-)
Wirklich eine geniale Sache, die Folgen eines Sturzes in den Schlitz hinunter lassen sich vielleicht erahnen...
Um 14.45 Uhr sind wie schliesslich alle am Top angelangt. Das waren jetzt echt tolle 5.5 Stunden an bester Kletterei! Weil das Wetter nach wie vor einwandfrei aussieht, wollen wir noch den äusserst selten besuchten Gipfel des Tällistock versuchen. Vom Ausstieg auf rund 2500m sind es zwar nur etwa 80 Höhenmeter und 130m Horizontaldistanz. Trotzdem ist die Sache nicht zu unterschätzen, denn es sind doch noch einige Aufschwünge zu erklettern, die Schwierigkeiten entpuppen sich gemäss unserem Experten als T6, III. Einige der Kletterstellen sind ziemlich luftig, anregend und exponiert über der Südwand. Das Seil haben wir sowieso gleich unten gelassen, hier für zuverlässige Sicherungen zu sorgen wäre aber oft auch nicht einfach und zeitraubend. Gesagt sei auch noch, dass das Gelände ziemlich unübersichtlich ist, und der beste Weg alles andere als offensichtlich ist. Trotzdem, wir schaffen es hinauf zum zerfallenen Steinmann beim Kulminationspunkt, und machen uns nach ein paar Fotos und einem Handshake wieder an den Abstieg. Der ist nun natürlich noch schwieriger, weil die Dreierstellen auch wieder seilfrei abgeklettert sein wollen. Eine Stunde nach Aufbruch sind wir retour beim Ausstieg der Inwyler, laden unser Material auf und gehen Richtung Tal.

Unterwegs am Gipfelgrat zum Tällistock.
Fantastische Impressionen am Gipfel.
Dazu folgt man dem ENE-Grat, meist etwas unterhalb der Abbruchkante auf der Nordseite. Schwache Wegspuren und ein paar Steinmänner erleichtern die Orientierung. Das Ziel ist die Einsattelung bei P.2415, welche gemäss Topo 450m vom Ausstieg weg sein soll. Diese Angabe ist jedoch falsch, es sind auf der Karte schon 600m Horizontaldistanz, mit den paar Schleifen die man läuft und etwas auf und ab muss man mit gut 20 Minuten Gehzeit rechnen - es ist weiter als man denkt. Bei P.2415 hat man sich schliesslich zu entscheiden, wie man weiter absteigt. In Literatur und Web wird eigentlich ausschliesslich der Weg durch die Naht beschrieben. Dieser führt über eine Art Rampe mit exponiertem Kraxelgelände und ein paar Abseilern durch die SE-Wand hinunter. Der stetige Wechsel zwischen gehen, kraxeln und abseilen ist ja durchaus etwas mühsam, und soll gemäss den von mir konsultierten Quellen zwischen 2.5-3.0h (vom Ausstieg zur Tällihütte) dauern. Alternativ gibt es jedoch auch einen Abstieg nach Westen durchs Tälli. Weder Web noch Literatur geben dazu viel her, nach meiner Recherche und Kalkulation sollte dieser Weg aber möglich und schneller sein. Also wollen wir es versuchen!

Der Gipfelaufbau am Tällistock, hier ist klar ersichtlich, dass der nicht so trivial zu haben ist!
Eine der schwereren und heiklen Stellen auf dem Band beim Abstieg durchs Tälli.
Geröllholpernd und weglos, aber vorerst einfach geht es das Kar des Tälli hinunter. Auf 2200m beginnt das Gelände steiler abzufallen, und auf 2100m stellt sich endgültig die Frage, wo man hier den Durchschlupf findet. Das Terrain bricht nämlich ab, sieht wild aus und ist von oben auch kaum vernünftig einzusehen. Nach Karte ist der beste Weg eine ca. 400m lange Traverse nach links (SSW), welche auf ca. 2080m beginnt und leicht abfällt. Das entpuppt sich als der richtige Move, das Gelände ist zwar exponiert und als T6 einzustufen, aber trotzdem vernünftig gangbar. Plötzlich treffen wir auch auf einen Wildwechsel, der uns die Begehung erleichtert. Ansonsten gibt es auf diesem Abstieg jedoch keine Spuren und Markierungen, man muss den Weg wirklich selber finden und sich orientieren können. Gute Sicht zu haben ist absolute Pflicht, sonst wählt man besser die Naht! Ungefähr bei P.1997 treffen wir auf den bequemen Wanderweg, welcher zum Sätteli hochführt. Mit leicht schweren Beinen meistern wir diese 120hm Aufstieg, danach geht's dann nur noch runter zur Tällihütte und Bergstation der Seilbahn. Ohne zu eilen treffen wir nach 1:40 Stunden (ab Ausstieg Inwyler) dort ein, der Nord- bzw. Westabstieg hat sich zeitlich ganz bestimmt ausbezahlt. Ohne Wartezeit bringt uns die Seilbahn ins Tal, wir tuckern retour über den Sustenpass und verabschieden uns nach diesem tollen Klettertag schon bald darauf bei mir daheim.

Ein Blick auf die Wendenstöcke darf natürlich nicht fehlen. Heute wäre da aber nix zu holen gewesen, alles nass!

Facts

Tällistock - Inwyler/Bielmeier 6a+ (6a obl.) - 14 SL, 450m - Inwyler/Bielmeier 1960 - ****;xxx
Material: 2x (evtl. 1x bei Nordabstieg) 50m-Seil, 12 Express, Camalots 0.3-2, evtl. Keile

Toller Alpinkletterklassiker durch die steile, dolomitisch anmutende SE-Wand am Tällistock. Die wirklich kühne Leistung der Erstbegeher soll hier gewürdigt sein! Auch nach heutigen Massstäben ist die Kletterei durch Risse und Verschneidungen, über Tropflochplatten, Wasserrillen und henklige Dächer wirklich sehr lohnend. Der Fels ist meist vorzüglich und bestens strukturiert. Die Absicherung liegt für meinen Geschmack im grünen Bereich. Die Stände sind mit Muniringen saniert, meist steckt auch unterwegs der eine oder andere BH an strategisch günstiger Stelle, und etliche NH sind auch noch vorhanden. Punktuell will noch die eine oder andere mobile Sicherung gelegt sein, allzu viel Eigeninitiative ist jedoch nicht gefragt, insbesondere nicht an den Schlüsselstellen.