Für uns sollte es im Sommer 2015 nach Skandinavien gehen, worüber hier in loser Folge berichtet wird. Ob es im Angesicht des Hammerwetters im Alpenraum der richtige Zeitpunkt dafür war, darf natürlich in Frage gestellt werden. Doch irgendwann muss man sich einfach entscheiden, und zwar meistens bevor man genaue Kenntnis über die Meteorologie hat. Sowieso, der Drang immer wieder neue Länder und Klettergebiete zu entdecken ist unabhängig vom Wetter da, und diesem soll man durchaus auch nachgeben.
Vor allem auf Wunsch der Kinder beschlossen wir, die Reise mit einem Wohnmobil anzutreten, und aus der Schweiz anzufahren. Das erfordert einige Autokilometer, ca. 1600km alleine bis nach Bohuslän, dem ersten Klettergebiet, das wir auf skandinavischem Boden besuchten. Vom Bodensee fuhren wir in einer ersten Etappe bis ins Frankenjura, wo es an der Stadeltenne sogar noch für eine kurze Abendkletterei reichte. Bis und mit dem Grad 8- liessen sich die nur rund 15m kurzen, aber sehr lässigen Routen auch rasch klettern, doch noch selten habe ich mich in einer 9- (d.h. 7b+) so saft- und kraftlos gefühlt wie dort. Naja, es war auch sehr warm und die flachen, polierten Löcher hält man dann auch nicht besser. Zudem war ich nach den ganzen Reisevorbereitungen und dem Schlusseffort bei der Arbeit auch nicht optimal vorbereitet.
Im Hafen von Rostock, die grossen Hafenanlagen und Fähren für uns Binnenländler immer wieder eindrücklich! |
Aus dem Frankenjura folgte dann eine lange Fahrt nach Rostock, wo wir eine Fähre nach Gedser in Dänemark nahmen. Natürlich gibt es auch noch viele andere Möglichkeiten, um aus der Schweiz nach Norwegen zu kommen, ja sogar um von Norddeutschland nach Schweden zu gelangen. Doch diese passte für uns am besten. Nach einer Fahrt über mehrere dänische Inseln gelangten wir schliesslich via Kopenhagen und die Öresundbrücke (unbedingt Kombiticket mit der Fähre kaufen, ansonsten sind dort wahnwitzige 52 Euro Maut für ein Auto oder 104 Euro für ein Wohnmobil fällig) nach Malmö in Schweden. Da muss man dann nochmals etwas Sitzleder beweisen, um die restlichen ca. 500km nach Bohuslän zu meistern. Alternativ gäbe es noch das Gebiet Kullaberg ganz im Süden auf dem Landzipfel nördlich von Helsingborg, sowie zahlreiche Klettermöglichkeiten in und um Göteborg, die wir jedoch bewusst ausliessen.
Der Galgeberget Västväggen, den wir beklettert haben, vom Parkplatz aus gesehen. |
Nun, Bohuslän selber ist eigentlich ein ganze Provinz an der südschwedischen Westküste. Das unter diesem Namen bekannte Klettergebiet liegt auf einer von Fjorden eingefassten Halbinsel, die westlich von Munkedal und Uddevalla liegt. Die Gegend ist leicht hügelig und mit Wäldern bestockt, landschaftlich schön! Schon wenn man einfach nur hinfährt, so fallen die vielen Granitfelsen auf. Zwar meist nicht besonders hoch, aber kompakt und zum Klettern einladend. Der vor kürzester Zeit im Sommer 2015 neu erschienene und aktuell erst lokal erhältliche Führer listet gleich mehrere Hundert Routen auf. Die meisten davon weisen keine fixe Absicherung auf, und wer nicht Tradklettern kann oder will, der braucht eher nicht anzureisen. Wir besuchten die beiden klassischen Sektoren Galgeberget und Välseröd, welche hier im Folgenden beschrieben werden.
Galgeberget Västväggen
Den westexponierten Västväggen erblickt man schon, wenn man auf den wenige Kilometer westlich von Brodalen gelegenen Parkplatz einbiegt. Der Wandfuss ist in 2 Minuten auf topfebener Wiese zu erreichen und bis auf ein paar Schlammpfützen und grasende Rinder auch als sehr kinderfreundlich zu werten. Wobei gesagt sei, dass man hier bei den meisten Routen schlecht oder gar nicht umlenken kann, und mehr oder weniger zwingend Nachsteigen und dann Abseilen muss. Ist man mit Kindern vor Ort, so müssen diese genügend alt sein, um sich selbständig am total ungefährlichen Wandfuss aufzuhalten. Ein paar Linien am rund 40m hohen Granitdom sind klar herausgeschnitten, auch wir hielten uns an diese meistbegangenen Routen – das empfiehlt sich durchaus, denn meistens sind diese Klassiker am lohnendsten, am besten absicherbar und auch der Bewuchs mit Flechten und sonstigem Grünzeug ist deutlich vermindert. Wir kletterten folgende Routen:
DNA, 40m, 6a, ****: Tolle und nach Belieben sehr gut absicherbare Kletterei, über weite Strecken an mehreren, parallelen Rissspuren. Die Crux folgt schon bald im unteren Wandteil, wer will kann die Seillänge am Baum in der Mitte auch in zwei aufteilen. Am Top wird an einem Baum Stand gemacht, zum Abseilen (1x40m oder 1x15m und 1x25m) wechselt man zu einem weiteren Baum mit Abseilschlingen 10m nördlich.
Kathrin unterwegs in der Bagatell (6b+), im linken Riss ist Hang'em High (7b+). |
Palimpsest, 40m, 5c+, **: Da die Kletterfinken am Top geblieben waren, musste eine weitere Tour bis ganz hoch geklettert werden. Auch diese Tour bietet unterhaltsame Kletterei an einem breiten, teils leicht botanischen oder erdigen Riss. Der Anfang ist einfach, knifflig ist’s dann eher im oberen Teil. Die Route ist recht gut, jedoch nicht mehr nach Belieben absicherbar, einige Passagen nahe der Hauptschwierigkeit sind auch zwingend zu meistern. Führt direkt zum Abseilbaum (1x40m oder 1x15m und 1x25m).
Bagatell, 25m, 6b+, ****: Nun könnten wir ja eins drauflegen, und mit dieser offensichtlich sehr beliebten Linie in sauberem, beinahe pinkfarbenem Granit sollten wir sicherlich richtig liegen. Abwechslungsreich geht’s entlang von dünnen Rissen, die Keile und kleine Cams sehr willig aufnehmen in die Höhe – die zwei schwersten Stellen bieten eher Wand- als Risskletterei. Hier kann man sich ideal an diesen Grad rantasten, der Baum am Ende erlaubt zudem auch ein Umlenken.
Hang’em High, 25m, 7b+, *: Die schwedischen Achter mal zu probieren reizte schon, erst recht da dies im Toprope geschehen konnte. Der erste Teil bietet sehr lohnende, athletische Kletterei entlang von einem überhängenden Fingerriss. Oben dann in die Verschneidung hinein und sehr glatt und praktisch grifflos übers abschliessende Dach hinweg. 7b+ really? Da schienen mir die Moves schon nur im Toprope komplett undurchführbar, zudem ist der Fels dort unangenehm mit Grünspan und Flechten belegt – massiv unternutzt die Route, gerne hätte ich bei einer Rotpunkt-Begehung im Vorstieg zugesehen, viele davon gab es bisher bestimmt nicht.
Galgeberget Sydväggen
Am Vestväggen sind im Topo zwar 16 Routen eingetragen, doch wie so oft in Tradgebieten handelt es sich bei vielen um wenig interessante Varianten der Hauptlinien, vernachlässigte und dreckige Mauerblümchen oder Psychorouten, in denen man sein Leben riskiert und die daher nie begangen werden. Die drei wesentlichen, bekletterten und besten Routen hatten wir geklettert und damit den Sektor bereits abgehakt. Kein Problem soweit, denn am Sydväggen gleich um die Ecke warten weitere Klettereien. Hier liegt der Einstieg in einem flachen Tannenwald, ebenfalls ohne Gefahren für den Nachwuchs. Auch einige einfachere, kurze Klettermöglichkeiten lassen sich hier gut einrichten.
Sauberer Splitter Crack in der Ormbitten am Sydväggen, so macht Tradklettern Laune. |
Ormbiten, 40m, 6a+, ***: Startet am Vorbau mit dem auffälligen, Z-förmigen Splitter Crack. Bis zum Band mit Baum warten keine Schwierigkeiten, die rechtshaltende Wandkletterei oberhalb sieht kühn aus und fühlt sich auch etwas so an. Die Linie schien mir nicht ganz so eindeutig definiert, überraschend auftretende Querrisse geben jedoch immer mal wieder Griffe, Tritte und Sicherungsmöglichkeiten her. Stand oben an zurückversetztem Baum, Fussabstieg ostwärts oder man suche einen Abseilbaum, der näher an der Kante liegt.
Parlek, 40m, 6b+, ****: Coole und kühne Linie, wo man den Grad sicher draufhaben sollte. Der Start entlang von dünnen Rissspuren lässt sich mit kleinen Keilen recht gut absichern, wobei auch hier schon eine 6b-Wandstelle auf Reibung wartet. Oben dann gegen die Schuppe bzw. Verschneidung halten, aber oh Schreck, die nimmt gar keine Sicherungen auf. Also an deren Fuss etwas gebastelt, danach dann absolut zwingende 6b-Wandstelle links der Verschneidung an feinen Leisten. Irgendwann schnappt man den Henkel, schwingt zurück in die Verschneidung, Mantle und hopp, dann ist’s geschafft. Nun kann man wieder sichern und gemütlich zum Top klettern. Geniale Route, doch hier sollte man sich seiner Sache sicher sein! Stand an zurückversetztem Baum, Fussabstieg ostwärts oder man suche einen Abseilbaum, der näher an der Kante liegt.
Kathrin folgt im oberen Teil der Ormbitten (6a+), die ziemlich kühne Wandkletterei bietet. Trotzdem kann man sichern. |
Damit liessen wir es gut sein, immerhin waren wir heute 210 sehr lohnende Trad-Meter geklettert. Mit Abseilen, Absteigen und Material organisieren ist es ja jedes Mal ein bisschen wie eine kleine Bergtour und nun war die Zeit um. Genau das ist der Grund, warum ich jetzt nicht der mega Tradkletter-Fan bin, doch hin und wieder macht’s eben doch Spass, zudem bietet sich diese Art der Kletterei in diesem Granit einfach an. Am Sydväggen gäbe es noch einige weitere lohnende Routen in ähnlichem Stil wie die gekletterten, doch wir mussten zurück auf den Zeltplatz am Trellebystrand, wo die grosse Wasserrutsche, die Gumpiburg, der Tschuttiplatz, der Fjord, das Glacé und alle weitere Attraktionen warteten. Bezüglich Material waren am Galgeberget meines Erachtens 1 Satz Keile und Camalots von 0.3-2 gut ausreichend. Lange Exen bzw. Schlingenmaterial sind beim Tradklettern selbstverständlich, die Stände befinden sich ausschliesslich an Bäumen. Vom Seil her sind je nach Geschmack 1x80m oder 2x50m ideal. Die Bewertungen im Führer sind in der schwedischen Skala gehalten, ich habe nach der gängigen Tabelle in die französische Skala übersetzt. Besonders hart kamen mir die Bewertungen nicht vor, eine schwedische 6+ bzw. 6b sollte in Amerika einer 5.10d entsprechen, und in meiner (nun auch schon wieder ein paar Jahre zurückliegenden) Erinnerung ist eine cleane 10d z.B. im Yosemite Valley oder im Joshua Tree keineswegs zu unterschätzen und meist serious Business – hier hatte sich dieser Grad hingegen problemlos machbar angefühlt.
Välseröd Villskuddväggen
Auf Empfehlung hin wollten wir am zweiten Tag diese unmittelbar neben einer geschotterten Nebenstrasse besuchen. Der Wandfuss und die Umgebung sind hier ebenfalls sehr kinderfreundlich und der 40m hohe Fels sieht einladend und herausfordernd zugleich aus. Die Felsqualität lässt ebenfalls keine Wünsche offen. An ein paar Nebenmassiven gibt es noch weitere Möglichkeiten, diese hatten wir jedoch nicht näher ausgecheckt. Nachdem ich mir einen Überblick verschafft hatte, schien mir die Villskudd die Tour zu sein, in welche man als erste einsteigt. Völlig zurecht, wie sich zeigen sollte. Diese Route ist der grosse Klassiker an diesem Massiv und zeigt auch gemäss Online-Logbook am meisten Einträge. Beim mittvormittäglichen Start waren wir übrigens als erste vor Ort und hatten freie Wahl, später kamen dann noch 3-4 weitere Seilschaften hinzu.
Blick auf den Villskuddväggen in Välseröd, durch diese kompakte Platte geht es hoch! |
Villskudd, 40m, 6b, ****: Absolut geniale Tradroute, welche sehr viel Abwechslung bietet. Start mit einem Hangelriss, dann einem Fingerriss entlang gerade aufwärts, eine Traverse in Wandkletterei, weiter mit einem Piazriss zu kühner Traverse an Untergriffschuppe und zum Ende noch ein idealer Handriss. Beständig gut abzusichern, dennoch teilweise etwas Sportsgeist erfordernd mit auch einer mal durchzukletternden Passage. Kam mir jetzt mindestens so schwer vor, wie die beiden mit schwedisch 6+ bewerteten Routen vom Vortag. Stand an zurückversetztem Baum, Abseilen kann man von einem BH-Stand etwas weiter rechts.
Vildvin, 35m, 6c, ***: Eine Variante zur vorangehenden Tour, welche bei der Wandkletter-Traverse nach ca. 12m nach rechts weiterzieht. Dort kann man etwas legen, doch dann sind etwa 5m mit der Crux zwingend zu klettern, diese ist für den Grad nun auch nicht unbedingt als geschenkt zu bezeichnen (für mich eher 6c+/7a). Danach wird das Gelände vorerst wieder einfacher, die Linie ist aber nicht eindeutig gegeben, und die Sicherungsmöglichkeiten sind eher spärlich. Etwas rechtsrum halten hilft, zum Schluss kann man dann auch wieder gut legen. Wer hier Ground-Up ohne Inspektion einsteigt, sollte schon sehr solide unterwegs sein.
Diesem dünnen Risssystem entlang führt die Villskudd (6b), eine ganz geniale Tradkletterei. |
En Gurka I Nunnan, 20m, 6a, ***: Nette Kletterei ganz rechts, schon etwas hinter den Bäumen versteckt. Von daher scheint's nicht ganz so attraktiv, die Kletterei entpuppt sich dann aber doch sehr gut. Entlang von schönen, steilen, sauberen und gut absicherbaren Fingerrissen geht's hier in die Höhe. Die Crux ist eine kurze Traverse nach links, dort ist's angenehm, wenn man einen kleinen Cam (kleiner als der 0.3er Camalot) links in den dünnen Riss schieben kann, sonst steht man mit den Füssen bereits 1m über der letzten Sicherung bei der Schlüsselstelle. Am Baum beim Routenende kann man ideal umlenken.
Rektum Dei, 30m, 6a, **: Abwechslungsreiche, alpin anmutende Linie in einem System von steilen Verschneidungen mit ein paar Aufschwüngen, die teils schon fast kaminartigen Charakter haben. Hat nichts von der Eleganz der Villskudd, aber trotzdem lässig und unterhaltsam. Hier sind für einmal eher Faustrisse und damit grössere Cams gefragt, die Tour lässt sich gut absichern. Ein idealer Stand am Routenende oder Abseilmöglichkeit fehlt irgendwie, wir hatten Glück dass jemand eine ca. 8m lange Reepschnur um einen Riesenzacken gelegt und mit einem Karabiner ideal präpariert hatte.
Kathrin folgt im oberen Teil der Villskudd (6b), ziemlich kühne Wandkletterei entlang von rissigen Strukturen. |
Somit war die Zeit schon wieder um, und unser Kletteraufenthalt in Bohuslän beendet. Auch der zweite Klettertag war sehr lohnend gewesen, und für eine Tour wie die Villskudd lohnt sich auch eine sehr lange Anreise! Bezüglich Absicherung war hier auch alles im grünen Bereich, ein Satz Keile und Camalots von 0.3-2 plus allenfalls 1-2 kleinere reichten gut aus. Mit einem 70er-Einfachseil ist man auch hier gut bedient, wobei wie oft beim Tradklettern Halbseiltechnik keine schlechte Sache wäre und daher 2x50m auch nicht zu verachten wären. Bleibt noch, ein kurzes Fazit zu ziehen: Bohuslän ist eine lässige Gegend. Wer gerne Tradklettern will und dabei nicht lange Touren oder gleich Bigwalls steigen will, ist hier gut aufgehoben. Hier gibt es viele regelmässig bekletterte, saubere Granittouren, von denen viele auch beinahe perfekt abgesichert werden können. Ich denke, für einen Aufenthalt von 1-2 Wochen wird es einem Trad-Aficionade hier sicherlich nicht langweilig, von daher ist das Gebiet durchaus einen Ferienaufenthalt wert. Die Anreise erfolgt dann wohl am besten per Flug nach Göteborg oder Oslo, von wo man mit einem Mietwagen ins Gebiet gelangt. Da die einzelnen Sektoren recht verstreut liegen, geht's vor Ort fast nicht ohne Auto, alternativ reicht auch ein Bike, wenn man Fahrstrecken in der Grössenordnung von ca. 20km pro Weg nicht scheut. Unterkunft findet man auf mehreren Zeltplätzen auf der Halbinsel, wobei alle auch einfache Hütten als Unterkunft anbieten, so dass man nicht zwingend im Zelt schlafen muss.
Am Trellebystrand haben sicher auch die Kinder ihren Fun, die über 100m lange, ins Gelände eingebaute Wasserrutschbahn ist ein Hit! |
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