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Dienstag, 10. November 2015

Hinter Glatten - Wätterhäx (7a)

Die Wand am Hinter Glatten stellt ein optimales Ziel für den Herbst dar. Die Sonne scheint hier selbst bei Winterzeit ab 8.30 Uhr morgens an die Wand und bleibt bis kurz vor ihrem Untergang präsent. Der im Frühjahr oft vom Schmelzwasser überronnene Fels präsentiert sich zu dieser Jahreszeit vollständig trocken und mit 7-8 SL haben die Routen gerade die richtige Länge für die bereits kurzen Novembertage. Zudem kann man hier bei deutlich kürzerem Zustieg und Anfahrt in Bezug auf Steilheit und Absicherung ähnliche Herausforderungen wie an den berühmten Wendenstöcken finden. In Bezug auf die Qualität überzeugt das Gestein über weite Strecken mit griffigen Henkeln, rauen Auflegern und scharfen Tropflöchern. Im Gegensatz zum grossen Vorbild fehlen hier aber auch ein paar rustikale Passagen nicht.

Die steile Wand des Hinter Glatten mit dem Verlauf der Wetterhäx aus der Froschperspektive.
Es sollte nach Nirvana, Tüfelswerch und Einbahnstrasse mein vierter Besuch am Massiv werden - die Infos zu den anderen Routen finden sich in meinem Online-Kletterführer. Am Hinter Glatten gibt es für mich noch einige spannende Projekte, die Wahl fiel schliesslich auf die Wätterhäx. Vom Bohren und Sportklettern an den Tagen zuvor waren Kräfte und Haut bereits etwas geschwunden, somit sollte die Route nicht die ganz grossen Schwierigkeiten oder Hakenabstände, aber trotzdem spannende Kletterei bieten. Das war zumindest der Plan, die Route entpuppte sich schliesslich aber als anspruchsvoller wie gedacht. Am Hinter Glatten gibt es ganz generell nicht viel geschenkt, das Grading in der Wätterhäx ist stiff und die Hakenabstände sind alles andere als plaisirtauglich. Unser Tourentag begann wie üblich bei der letzten Kurve auf der Glarnerseite vom Klausenpass. Grösstenteils durch durch das ausgetrocknete Bachbett stiegen wir in einer guten halben Stunde zur Wand hinauf. Um 9.45 Uhr war alles bereit und ich konnte loslegen.

L1, 45m, 6c: Die Anspannung beginnt bereits auf den ersten Metern. Der erste BH steckt hoch, die Kletterei dahin ist nicht gänzlich trivial und der Fels etwas unsicher. Nach dem Klipp warten bald knifflige 6b/+ Moves, die richtige Griffkombi will erkannt werden und obligatorischer könnte die Sache nicht sein. Im Mittelteil fordern dann richtig weite Runouts in ziemlich anhaltendem Gelände, 7 Bolts auf 45m Kletterstrecke ist nun halt keine üppige Absicherung. Die Crux folgt dann am Ende. In senkrechter Wand an kleinen Seitleisten hinauf zum abschliessenden, athletischen Überhang. Hier an den Henkeln bietenden Blöcken am besten einfach ziehen und nicht trödeln, anklopfen und auf Festigkeit prüfen unterlässt man besser auch gleich... Alternative gibt's eh keine und sonst bekommt man nur den Bammel.

Athletische Kletterei über krass aussehende Dachzonen hinweg warten in L1 (6c). Die Henkel sind da, ziehen statt studieren heisst die Devise.
Von oben sieht's gutmütiger aus. Hans meistert das finale Dach der Auftaktlänge (L1, 6c).  
L2, 30m, 6b+: Noch moderat über den ersten Überhang drüber und gutmütige Troplochquerung nach links. Die athletische Passage danach erfordert herzhaftes Zupacken an ein paar guten Leisten und dann kühles Blut, um den weiten Runout in Richtung des nächsten Bolts durchzuziehen. Einfach dranbleiben, das Gelände wird eher einfacher und man findet sogar Gelegenheit, in einem Querschlitz einen soliden Cam zu versenken. Die klettertechnische Crux folgt dann allerdings erst nach dem dritten BH, anhaltende Tropflochkletterei die auch über dem Haken nicht sofort nachlässt. Erst die letzten Meter zum Stand hin sind dann etwas gemächlicher.

Steil, athletisch, fordernd in L2 (6b+). Hans späht nach dem dritten BH, der erst viel weiter oben steckt.
Die Felsqualität hier unübertrefflich, rau strukturierter Superfels mit Tropflöchern, Auflegern und Leisten garniert.
L3, 45m, 6c+: Nun folgt gleich eine noch krassere Seillänge. Der Blick auf die steile, mit Dächern gespickte Wand lässt schon eine harte Prüfung erahnen. So kommt es dann auch. Das rund 1m ausladende Dach nach ein paar Metern wird mit athletisch-kräftigen Bouldermoves bezwungen, super genial! Nach einer kurzen Verschnaufpause wartet dann ein massiv überhängender Wulst. Wie von Zauberhand hat die Natur hier positive Leisten geschaffen, trotz dem guten Griffangebot muss man aber echt Guzzi geben, um nicht abgeworfen zu werden. Meine Flucht nach vorne gelingt! Dort, wo sich das Gelände wieder zurücklegt, heisst es dann cool bleiben. Die Griffe bleiben gut, doch der mitgebrachte Pump und der weite Runout sind die hier zu beachtenden Faktoren. Auf den letzten 20m wird die Kletterei einfacher, es steckt aber nur noch 1 BH und die Felsqualität lässt nach. Pfff, da war ich echt froh, als die Standhaken geklippt waren!

Dachartiger Boulder zu Beginn von L3 (6c+), eine ziemlich abgefahrene Sache!
Das Finale von L3 (6c+) dann nicht mehr ganz so steil und leichter, aber mit extrem weiten Hakenabständen.
L4, 45m, 5c: Die ersten 3 Längen hatten uns bereits massiv gefordert und Zeit gekostet, der Ausstieg schien noch meilenweit entfernt. Da kam eine Verschnaufpause gerade recht. Wobei diese jedoch vor allem den Unterarmen zugute kam, die Psyche konnte nicht rasten. Zwei BH säumen hier den Weg, der Fels ist teils reichlich lottrig. Vorsichtig und überlegt muss man die Wand bis zum Querband hinauf klettern. Den kolossal rostigen Abseilstand ignorieren und übers Band weiter nach rechts zum richtigen Stand.

Hans auf dem Weg in L4 (5c), die Felsqualität in Realität eher bescheidener, wie es hier auf dem Foto aussieht.
Yours truly auf dem Querband, kurz bevor es mit der Cruxlänge wieder Ernst gilt. Hinten Chammliberg, Schärhorn, Ruchen und Gross Windgällen.
L5, 45m, 7a: Ziemlich herber Auftakt, am zweiten BH vorbei und die 3m danach ist es einfach bereits richtig schwer und obligatorisch (ca. 6c). Zudem grüsst der dritte BH in weiter Ferne. Die letzten Meter dahin sind dann zwar relativ gutgriffig - allzu weit über dem zweiten BH und erst recht beim Anklettern des dritten liegt aber definitiv kein Sturz drin, sonst kracht man aus 15m Höhe aufs Band hinunter. Endlich wieder geklippt, wird's gleich wieder knifflig, bevor dann nach dem nächsten BH die grosse Querung nach links in äusserst scharfem Tropflochgelände folgt. Anstatt dass es hier nach 30 Klettermetern einen bequemen Stand hat, muss man hier gleich noch die Crux anhängen. Das dünkt mich reichlich wenig sinnvoll: ich hatte auf dieser Länge an den jeweiligen Ecken 2x mit einer 120er-Schlinge und 2x mit einer 60er-Schlinge plus jeweils 2 Exen verlängert. Trotzdem kam ich vor lauter Seilzug im zweiten Teil der Seillänge kaum mehr vorwärts, ja es zog mir beinahe den Gurt aus. Schade, das entwertet diese an sich tolle Seillänge stark! Nach der Querung nun also die Crux: es ist unersichtlich, ob man am Bolt am Ende des Quergangs vorbei erst tief queren, oder eher über den Pfeiler hochsteigen soll... die Linie bzw. die folgenden Sicherungen sind aus der Kletterstellung nicht zu ersehen. Ich wähle die im Vorstieg angenehmere, korrekte Variante tief nach links, der durchaus logische Weg über den Pfeiler hinauf hätte hingegen in die Sackgasse geführt. Krallend an kleinen Tropflöchern und auf kleinen Rauigkeiten stehend muss man dann im Überhang die folgenden beiden Haken schön verlängern und Balance sowie Kraft haben, um gegen den extremen Zug das Seil auszuziehen und einzuhängen. Danach dranbleiben bei eigentlich genialer, überhängender Henkelkletterei an einer Sanduhr vorbei zum Stand hinauf. Wenn man nur nicht so gepumpt wäre und der Störefried nicht ständig so nach unten ziehen würde!

In der Cruxpassage der Route (L5, 7a). Eigentlich schon schwer genug, wenn nur nicht das Seil so nach rechts hinten zöge...
Hans auf den letzten Metern der Cruxlänge (L5, 7a). Die Grasbüschel sind unten auf dem Querband 40m tiefer.
L6, 30m, 6b: Beim Akku war der Power Level langsam auf ziemlich tief angelangt. Aber nix da, zwei Längen gilt es noch sauber durchzuziehen. Die hier folgende dann nun beinahe die entspannteste und bis auf die 5c auch einfachste der ganzen Route. Eine ansteigende Linkstraverse in rauem Superfels über zwei griffige Dächer hinweg. Grosser Genuss und schön luftig dazu!

Toller Fels und geniale Kletterei mit zwei Dachüberquerungen in L6 (6b).
Locals im benachbarten, lotrechten Tüfelswärch (7a), auch eine geniale Route welche ich im 2010 klettern konnte.
L7, 40m, 6c: Für die Abschlusslänge gilt es auch noch einmal, parat zu sein. Hier stecken insgesamt 6 BH, zwei davon auf den ersten 3m nach dem Stand... da muss der Rest dann entweder einfach sein, oder sonst sind die Runouts umso grösser. Nun, die klettertechnische Crux folgt tatsächlich gleich nach dem zweiten, ich empfand sie als für den Grad im Vergleich zum Rest der Route für einmal relativ gutmütig. Danach klettert man dann erst einmal für etwa 12m einer schwach angedeuteten Verschneidung entlang. Der Fels ist absolut formidabel, die Kletterei nicht megaschwer und henklig, aber doch steil und ohne beliebig viele Verschnaufpausen. Nochmals Anspannung pur, bis der folgende Bolt geklippt ist. Nach einer weitern, athletischen Stelle wird man dann auf die einfacheren Schlussplatten entlassen. Runoutig hinauf zum Stand, ein Sturz in diesem weit gesicherten, geneigten Gelände vermeidet man im Interesse des eigenen Wohlergehens definitiv besser.

Weite Hakenabstände und ungutes Sturzgelände am Ende von L7 (6c). Nicht so schwer, da kann man sogar Fotos schiessen...
Am Top angekommen: Hans meistert die letzten Meter von L7 (6c).
Die Uhr zeigt schliesslich 15.15 Uhr, bis Hans bei mir am Top angelangt ist. Somit hatte uns die Begehung rund 5:30 Stunden Kletterzeit gekostet. Das zeigt schon, dass man hier nicht einfach drübermarschiert. Die Kletterei ist über weite Strecken anspruchsvoll, die langen Hakenabstände bieten reichlich Interpretationsspielraum für die beste Linie und erfordern an manchen Stellen entsprechend Tüftelei. Und sind die Schwierigkeiten einmal etwas tiefer, so lassen meist auch Felsqualität und Absicherung nach, so dass man auch wieder vorsichtig und langsam zu klettern braucht. Wir fädeln gleich die Seile und treten den Weg in die Tiefe an. In zwei Manövern (35m/50m!!) erreicht man das Querband, der in den Topos verzeichnete Abseilstand dazwischen wurde abmontiert. Man stelle also sicher, dass man hier nicht mir gekürzten oder arg geschrumpften 50m-Seilen antritt, sonst könnte man in die Bredouillle geraten und im Freien baumelnd zurückbleiben. Vom Band sind es dann drei weitere Abseiler (35m/50m!!/40m) zurück an den Einstieg, wobei beim mittleren Abseiler das Seil auch bis zum letzten Zentimeter ausgenutzt wird. Zurück auf dem Boden vespern wir noch etwas und treten dann den kurzen Abstieg und die Heimfahrt an. Mit der Tourenwahl waren wir äusserst zufrieden, das war nun genau die richtige Herausforderung für diesen Tag gewesen und ausserdem ein Ziel, das sich wirklich ideal für einen solchen Novembertag anbietet. Die ganze Zeit über war ich in kurzen Hosen und im T-Shirt geklettert, schon ein Wahnsinn um diese Jahreszeit. 

Grösstenteils steckt verzinktes Material, der Zustand ist meist noch ok, einzelne Haken sind jedoch bereits ziemlich rostig.
Facts

Hinter Glatten - Wätterhäx 7a (6b+ obl.) - 7 SL, 280m - Fullin/Wicky 1999 - ***;xx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1, Helm (!!!)

Trotz vereinzelt etwas brüchiger Passagen im leichteren Geländen und ein paar hohlen Blöcken oder Schuppen die man passiert, bietet die Wätterhäx über weite Strecken tolle, athletische und gutgriffige Kletterei an grossen Auflegern, positiven Leisten und scharfen Tropflöchern. Insgesamt kann man sagen, eine für die Zone absolut typische Route mit viel genialer Kletterei und ein paar rustikalen Passagen, über alles gibt es drei Sterne. Die Absicherung ist an den Stellen >=6b+ in Ordnung (xxx). Darunter und insbesondere im einfacheren, manchmal etwas brüchigen Gelände sind die Abstände weit und ein Sturz würde wohl oftmals böse enden. Deshalb lautet die Gesamtbewertung nur xx. Von den zahlreichen Runouts lassen sich nur wenige mit Klemmgeräten entschärfen. Trotzdem gibt's ein paar Placements (insgesamt ca. 4-5 Stück), welche die Mitnahme von Camalots 0.3-1 rechtfertigen. Die Route wurde in den 16 Jahren ihres Bestehens bisher 29x begangen, im Schnitt also 1-2x pro Jahr mit zuletzt abnehmender Tendenz. Im 2014 gab es nur eine Begehung und im 2015 war unsere kurz vor Saisonende die erste. Somit wird man hier kaum auf Grossandrang stossen. Allerdings sollte man hier auch nicht hinter einer anderen Seilschaft klettern und insbesondere beim Abseilen ist Vorsicht angebracht, es geht kaum ohne Steine zu lösen. Die Eigengefährung in der steilen Wand ist überschaubar, die Fremdgefährdung wäre jedoch gefährlich hoch!

Topo

Zur Route gibt es ein frei verfügbares Topo von Paolo & Sonja, an welchem ich noch einige Aktualisierungen vorgenommen und die Sicherungssymbole eingezeichnet habe. Ansonsten ist die Route im Kletterführer GLclimbs enthalten, im Extrem Ost fehlt sie unerklärlicherweise.

Vom Autor etwas aktualisiertes Topo von Paolo & Sonja zu den Routen im zentralen Wandteil des Hinter Glatten.

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