Die Duracell ist eine brandneue Route aus dem Jahr 2016 am Piz dal Nas, dem steilsten Felszapfen in der ohnehin schon stark überhängenden Titlis Nordwand. Erst vor wenigen Tagen hatte das Erstbegehungsteam die letzten Haken gesetzt und die Linie befreit, welche nun ihrer ersten Wiederholung harrte. Angela war darauf aus, ihre Sammlung in dieser Wand wieder zu komplettieren, ich hatte mit dem Lochblick und der Süpervitamin auch schon beste Erfahrungen gemacht. Als man dann bei der Schnittmenge von Hitzetag, Trockenheit, Freizeit und geladenen Akkus ein "Check" machen konnte, musste man nicht mehr lange studieren, wohin es gehen sollte. Wobei, das mit den geladenen Akkus ist ja so eine Sache: zuvor hatte ich trainiert, dann 2 Tage pausiert, also sollte deren Zustand eigentlich voll sein. Doch hat mich die Ladestandsanzeige auch schon des Öfteren getäuscht, die ist irgendwie notorisch schwierig zu interpretieren. Wie es sich zeigen sollte, dieses Mal aber nicht: es gelang eine sturz- und hängerfreie Begehung :-)
Das Topo der Erstbegeher zur brandneuen Route Duracell in der Titlis Nordwand. |
Los ging's um 7.10 Uhr bei der Fürenalp-Bahn. Auf dem mir bestens bekannten Weg zum Klettergarten Schlänggen musste ich meinem kleinen Sohn am Telefon noch klar machen, warum wir nicht gleichzeitig die Akku- und die strombetriebene Stichsäge brauchen, welche er im Baumarkt-Katalog entdeckt hatte. Das war nicht ganz einfach, da wir doch schliesslich auch eine Akku- und eine strombetriebene Bohrmaschine besitzen. Mit dem Erklären vom Unterschied zwischen Sportkletterei und Sportholzerei und weiteren interessanten Diskussionen mit meiner Seilpartnerin ging der Aufstieg wie im Flug vorbei. Bereits nach 1:20 Stunden und damit deutlich schneller als die letzten beiden Male waren wir am Punkt, wo der Aufstieg aufs Band beginnt. Etwa anachronistisch beginnen die meisten Routen in der Titlis Nordwand ja nicht am Wandfuss, sondern etwas unterhalb der Wandmitte und beschränken sich so auf die steile Kletterei. Zur Duracell muss dieses Band ganz nach links hinüber gequert werden. Teils Gehpassagen, teils abschüssigeres mit Fixseilen versichertes Gelände, immer jedoch exponiert und absturzgefährdet über dem Wandsockel. Etwa 15 Minuten später waren wir auf der bequemen Einstiegsterrasse angelangt, um 9.00 Uhr starteten wir mit der Kletterei.
Schon noch speziell, dass man einfach so zu Fuss mitten in eine der steilsten Felswände der Schweiz reinlaufen kann. |
L1, 20m, 5b: Gemütlicher Auftakt in geneigtem Fels, der aber sehr interessant mit diversen Löchern gespickt und total lässig zu klettern ist. Die prima Absicherung mit 3 BH sorgt auch gleich für gutes Vertrauen in die Route und steigert die Vorfreude auf das was kommt...
L2, 35m, 6b+: ...und das ist eine Länge, welche in Bezug auf die Absicherung schon deutlich mehr "allegro" ist. Sieben Bolts, welche teils deutlich überstiegen werden wollen, säumen den Weg. Passt aber schon, zumindest solange es trocken ist. Wenn noch Feuchtigkeit drückt, so könnte einen die (anfällige, aber aktuell trockene) etwas staubige Passage unter dem Dach wohl herausfordern. Die Kletterei ist lässig. Steil bereits und griffig, dann eben die etwas staubige Platte, gefolgt von einem Dach und athletischer Henkelzieherei mit weiten Moves - nicht geschenkt für den Grad.
L1 bietet gemütliches Aufwärmen, in der hier abgebildeten L2 (6b+) will dann aber schon ein erstes Mal zugepackt werden... |
L3, 45m, 6c: Nach einem Auftakt mit bereits etwas knifflig-steiler Wandkletterei, wo für einmal die idealen Henkel fehlen, geht's in einer überhängenden Verschneidung an griffigem, wasserzerfressenem Fels aufwärts. Es stecken 9 BH, gut abgesichert, aber man muss trotzdem marschieren dazwischen. Mich pumpt's doch schon bereits ein bisschen und ich frage mich insgeheim, wie es wohl um meine Akkus steht, und ob die bis zum Ende der Route reichen werden. Ja, tun sie - der Pump liegt wohl daran, dass diese Länge total bereits etwa 4m überhängt und für eine 6c nicht geschenkt ist. Klar, es ist jetzt nirgendwo mega schwierig, aber eben auch durchgehend streng und nie einfach.
...und in L3 (6c) kann man sich bereits den ersten Pump holen. Anhaltend und gerade die Schlusszüge haben es in sich. |
L4, 35m, 6c: Im Topo steht zwar 7a+, aber meines Erachtens macht das wenig Sinn. Doch im Einzelnen: hier wartet betont senkrechte Wandkletterei, für einmal (zumindest abschnittsweise) eher kleingriffig. Der in der Mitte glatte Fels mit den Streifen und ein paar Crimps erinnert sogar sehr an Kalymnos-Wandklettereien wie die Path to Deliverance. Die 7a+ ergibt sich, wenn man beim vierten BH (der im grauen Streifen liegt, siehe Fotos) den linken gelben Streifen zur Fortbewegung nutzt. Nimmt man den rechten, so liegt die Schwierigkeit bei 6c. Nun ist's so, dass einen das Gelände automatisch nach rechts drängt, wenn man im Onsight dem einfachsten Weg folgt, links hinauf wäre unlogisch. Heisst aber nicht, dass ich kein Verständnis für die Angabe der Erstbegeher habe: so wie ich beim Abseilen inspizieren konnte, hat's eben links entgegen dem ersten Anschein doch ein paar Griffe und vor allem quert man oberhalb des besagten vierten Bolts eben wieder nach links zurück. Wenn man's also mal kennt, so ist die Wahl des linken Streifens (7a+ Variante) schon auch nachvollziehbar. Im Ausstieg dann noch eine knifflige Stelle an einer Verschneidung, dann hoch in die Höhle mit den vielen losen Steinen am Boden. Den rechten (Abseil)stand kann man auch auslassen und gleich noch nach links queren.
In L4 (6c), der rechte gelbe Streifen bildet die 6c-Variante, der linke die 7a+. Der Bolt steckt genau in der Mitte im Grauen. |
L5, 25m, 7a+: Auch wenn's bereits etwas Effort gefordert hatte, die Ladestation in der Höhle war für uns noch nicht zwingend zu benutzen, also ging's gleich weiter. Augenscheinlich folgt hier nun der steilere und noch schwierigere Part. Los geht's gleich fulminant mit stark überhängender Kletterei an den für die Wand typischen, positiven Henkeln und Töffgriffen. Wobei eben an zwei Stellen zwingend ein Move an einem kleinen Griff zum nächsten Henkel erforderlich ist, was durchaus Saft fordert. Auch wenn's lässig zu beklettern ist, die Felsqualität in dieser Seillänge ist sicherlich nicht überragend. Die Features, welche man zum Klippen des ersten (vor allem) und vierten Hakens benützt, schienen mir auch etwas fragil und ausbruchsgefährdet... Mit etwas Herzklopfen habe ich sie trotzdem benützt (der Onsight war wichtiger...), natürlich haben sie gehalten. Nachdem man nach etwa 15m dann in etwas einfacheres Gelände entlassen wird, ist der Stand deutlich auf der rechten Seite zu suchen.
Von unten ist die Wand fotogener wie von oben. Angela folgt in L5 (7a+), welche zuletzt einfacher und etwas durchzogen ist. |
L6, 25m, 7b: Es wird sogar noch etwas steiler, eine wirklich ganz lässige Seillänge mit total etwa 7m Überhang! Uns schienen die Einzelstellen in L5 etwas schwerer, hier ist's dafür etwas länger anhaltend und eventuell ein bisschen pumpiger. Wobei, eigentlich hat's hier wirklich durchgehend Henkel, Töffgriffe und grosse Suppenschüsseln, wirklich erstaunlich die Felsstruktur. Wer die Kraftreserven hat, kann hier den Onsight wirklich fast nicht vergeben. Am dritten Bolt vorbei erfordert eine Passage kurz etwas durchziehen und der fünfte will mit etwas Kühnheit über eine etwas intensivere Sequenz angeklettert sein. Wobei aber gesagt sei, dass die Absicherung hier (und in den anderen 7ner-Längen) tadellos, ja eigentlich +/- klettergartentauglich ist. Während die Bewertungen der Sechserlängen uns eher tough schienen, fanden wir hier im Vergleich dazu die Einstufungen schon auch passend, aber eher auf der wohlwollenden Seite.
Ausblick auf die Cruxlänge (7b), das Materialseil zeigt schön die Steilheit der Wand. |
Die (etwas haltlose) Gegenperspektive. Yours truly im Nachstieg der 7b-Crux noch easy drauf... |
L7, 30m, 6b: Locker, leicht und flüssig wechselte ich vom Flash-Nachstieg in der 7b auf den Vorstieg in dieser 6b. Doch der Fluss kam bald zum Stocken, will doch schon der erste BH nichttrivial angeklettert sein. Ob's an mir (fehlende Pause, dumm angestellt) liegt, oder doch einfach etwas schwerer wie angegeben ist?!? Schwer zu sagen, ich plädiere auf Zweiteres. Auch danach will jeder Move geplant und sauber ausgeführt sein. In diesem steilplattigen Abschnitt fehlen plötzlich die positiven Griffe, die bisherige Taktik von Anziehen und zum nächsten Henkel greifen funktioniert da definitiv nicht mehr, die Füsse wollen sauber gesetzt sein. Super schön und lässig aber! Am Schluss dann nicht nach rechts zum sichtbaren Stand der Route "Piz dal Nas", sondern links hinauf, wo sich die Haken etwas versteckt halten.
Auch das Finish von L7 (6b) bietet etwas alpines Gelände. Davor ist's aber sehr kompakt und für den Grad harte Währung. |
L8, 25m, 7a+: Vom Standplatz aus ist die Länge schwer einzustufen und in Abschnitte zu unterteilen, sprich man weiss nicht so recht, wo's schwer wird. Schon die erste Wand in teils etwas schmierig-glattem Fels ist nicht so easy wie gedacht. Nach einem Rastpunkt wartet eine technische Zauberstelle an eher kleinen Strukturen nach rechts, gefolgt von einem kleinen Runout in eine Nische hoch (der vielleicht forderndste Abstand der Route mit ein paar kleingriffigen Moves 1-2m über dem Bolt - passt aber schon, gutes Sturzgelände). Zuletzt dann noch an Henkeln die stark überhängende Abschlusswand mit weitem Schlusszug, somit wäre das währschafte und abwechslungsreiche Menü dieser Seillänge gegessen.
Ausblick auf L8 (7a+) mit dem schmierig-glatten Beginn und der Zauberstelle, wo Angela gerade klettert. |
L9, 25m, 6a: Die Ladestandsanzeige meldet mir, dass es mit ein paar weiteren Längen in Kragenweite der vier vorangegangenen dann bald einmal knapp mit dem Strom werden würde... in dieser Hinsicht ist sie wohl zuverlässig, aber das ist jetzt egal. Es wartet nämlich nur noch der Schlussabschnitt mit griffiger Kletterei an einem breiten Riss entlang im 6a-Bereich. Das sollte für diejenigen, die es hier hinauf geschafft haben, dann natürlich in fast jeder Lebenslage zu meistern sein. Der zweite Teil der Länge dann in etwas gschüderigem, geneigtem und einfachem Gelände, Steine hüten ist angesagt.
Um 14.00 Uhr nach 5:00 Stunden Kletterei haben wir das Top erreicht und damit die erste Wiederholung der Route zustande gebracht. Notabene noch im besten aller Stile, was will man mehr?!? Wir wechseln die paar wenigen Metern hinüber auf den bequemen Platz auf der Nase, die Route endet etwas links davon und meidet so den extrem überhängenden Schlussabschnitt. Hier sind wir an der Sonne, doch das wohlbekannte Nordwand-Hochgefühl, wenn einem am Ausstieg die Sonne das erste Mal wieder ins Gesicht scheint, stellt sich nicht auf diese Art ein - es war nämlich beim Klettern stets sehr angenehm gewesen (T-Shirt beim Moven und Nachsichern, Faserpelz für die zweite Hälfte der Vorstiegs-Sicherungsarbeit) und hier wird es mit der Zeit beinahe schon zu heiss, heute wäre man in einer Südwand wohl gegrillt worden.
Die Seilschaft in der Süpervitamin (7b), der Vorsteiger hat eben gerade mit der Cruxlänge begonnen. |
Wir chillen und sehen einer Seilschaft zu, wo der Vorsteiger gerade in die uns beiden bestens bekannte 7b-Crux der Süpervitamin startet. Souverän meistert er den ersten Teil, der ruhige Kletterstil und das Fehlen von hektischen Bewegungen deuten auf grosse Reserven hin. Auch die Crux wird mit Entschlossenheit souverän gemeistert, was die Aussichten auf das Beobachten einer interessanten Flugeinlage doch ziemlich schmälert. Aber dann passiert's: just an jener Stelle, wo ich bei meiner Begehung den Abflug 3m über dem Haken (siehe Bericht) nur um Haaresbreite vermeiden konnte, geht's in die Tiefe. Wobei: damals, voll gepumpt mit Adrenalin, fightete ich an jener Stelle vermeintlich um mein Leben und hielt mich mit allem fest, was ich noch in und an mir hatte. Von hier aus der Distanz sieht's (obwohl für MSL-Verhältnisse ein respektabler Abgang ist) aber doch fast etwas unspektakulär aus. Aber das ist ja genau auch das Tolle am Klettern, dass der subjektive Thrill eben so viel höher ist wie die effektive Gefahr durch einen Sturz.
Habe nicht gewusst, dass Arcteryx auch Kugelschreiber macht - so kann man sich edel und teuer ins Wandbuch eintragen. |
Biwakplatz der Erstbegeher in der grossen Höhle nach L4, aka Ladestation. |
Nachdem die Show vorbei ist und bald eine Überdosis Sonne droht, machen wir uns ans Abseilen. Die Wand ist steil, etwas Pendeln und das Beherrschen des Handlings ist unerlässlich. Immerhin geht's aber eigentlich immer schön gerade hinunter. Auch wenn wohlbekannt ist, wie viel ich vom Einhängen von Exen beim Abseilen halte ("wenn's mit Pendeln geht, sicher nicht!") komme ich beim steilsten Abseiler in die Höhle hinein doch nicht darum herum 1x einzuklippen - auch so muss man noch tüchtig pendeln. Bald darauf sind wir retour am Einstieg. Es bleibt der Abstieg zurück übers Band. Vorsicht, in dieser Richtung ist's etwas heikler und Fehler liegen keine drin. Danach geht's zügig Richtung Tal. Wir kokettieren damit, im Schlänggen mit dem Motto "Witness the Fitness" noch eine 8a zu reissen, lassen dann aber trotzdem die Vernunft walten und laufen am fast verwaisten Garten vorbei. Noch vor 17.00 Uhr sind wir retour beim Auto und freuen uns auf ein kühles Getränk. Herzlichen Dank den Erstbegehern für die prima Route!
Byebye, bis zum nächsten Mal, ich komme sicher wieder. Die Linie der Duracell an der Nase schon sehr markant. |
Titlis Nordwand - Duracell 7b (6c obl.) - 9 SL, 240m - Markus Wicky et al. 2016 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express
Der neue "Normalweg" auf den Piz dal Nas - was von unten unnahbar und beinahe unmöglich erscheint, ist dank der henklig-positiven Felsstruktur in der Titlis Nordwand eben doch mit nicht allzu hohen Schwierigkeiten machbar. Die Route bietet lässige Kletterei, die über weite Strecken athletisch und griffig ist. Auflockerungen mit Verschneidungspassagen und technischer Wandkletterei an kleineren Griffen gibt's aber auch, somit ein sehr abwechslungsreiches Menü. Die Felsqualität ist meist gut und vor allem sehr kletterfreundlich, auf den Bändern liegen aber (wie überall in dieser Wand) viele lose Steine herum, welche nur darauf warten, den Weg in die Tiefe anzutreten. An ein paar Stellen schadet etwas Umsicht bei der Griffwahl nicht, und natürlich war das Gestein auch noch überhaupt nicht abgeklettert und somit stellenweise etwas staubig oder brösmelig (bei einer ersten Wiederholung aber nicht anders zu erwarten und auch kein Problem). Somit also sicherlich eine lohnende Unternehmung mit eindrücklicher Linie, rein von der Kletterei her hat mir die Süpervitamin (und vor allem deren hammergeniale Cruxlänge) noch einen Tick besser gefallen - doch ich vergleiche natürlich sehr Gutes mit noch Besserem. Die Bewertungen der Erstbegeher passen unseres Erachtens, einzig L7 könnte man vielleicht noch ein bisschen aufwerten. Gesagt sei, dass wir die 6er-Längen eher tough, die 7ner-Längen dafür eher gutmütig für den Grad fanden. Die Absicherung mit grösstenteils verzinkten (unten) bzw. teilweise rostfreien Fixé-BH (oben) ist tiptop ausgefallen. Die schweren, athletischen Stellen sind auf Niveau xxxx sportklettermässig eingebohrt, in den 6er-Längen muss man teils auch etwas steigen (xxx), daher vergebe ich insgesamt die tiefere Note mit drei Kreuzen - es gibt aber keine gefährlichen oder psychisch sehr anspruchsvollen Stellen. Keile/Friends könnte man auf ein paar einfacheren Abschnitten sicherlich noch unterbringen, wenn man wollte. Wir fanden's aber genau so wie die Erstbegeher nicht nötig. Das im Topo empfohlene Prusikset um nach einem Sturz wieder an die Wand zu kommen - kann mir kaum vorstellen, dass dies für den Vorsteiger notwendig ist, da die steilsten Stellen eng gebohrt sind. Vielleicht für einen sehr überforderten Nachsteiger, der wirklich an der dümmsten Stelle rausfällt, doch selbst da bin ich skeptisch, ob's nicht ohne geht.
Hier noch die kompletten Infos zum Einbohr- und Rotpunkt-Team. |