Mit dem Ruchstock ist es so eine Sache: schon seit dem Ende der Erschliessung der modernen Touren durch die Südwand im Jahr 2006 hatten wir ihn auf dem Radar. Doch immer wieder scheiterte ein Besuch aufgrund der Bedingungen oder dem Priorisieren anderer Ziele. Zweimal waren wir sogar schon zum Berg unterwegs, das eine Mal war ich unpässlich, das zweite Mal trafen wir am Einstieg auf einen heftigen Wasserfall, verursacht von einem unerwarteten, nächtlichen Gewitter davor. Damals kletterten wir mit der Speck-Kante immerhin eine erste (und lässige!) Tour am Berg. Das liegt nun auch schon wieder 6 Jahre zurück und ich kann mich noch gut erinnern, dass mein Tourenpartner Jonas da eben gerade frischgebackener Vater war und ich ihm stolz von der Einschulung meiner Tochter berichten konnte. Tja, die Zeit schreitet voran, alle werden wir älter: inzwischen ist Jonas' Sprössling schulpflichtig und meine Tochter besucht seit diesem Sommer schon die Oberstufe. Nun ja, den Ruchstock mit schon ein paar Millionen Jahren auf dem Buckel wird das nicht sonderlich kümmern...
Here we go! Start in Engelberg Dorf, beim von der Sonne beleuchteten Berg links der Bildmitte handelt es sich um den Sättelistock, wo wir bereits im 2011 die tolle Physical Gravity attackiert hatten. In Bildmitte bekommt auch der Laucherenstock bereits erste Sonnenstrahlen. Der Ruchstock befindet sich rechts davon, zur Zeit noch komplett im Schatten. |
Normalerweise startet man die Tour mit der Bahn von Engelberg nach Ristis, wobei man es dann vorteilhaft so anlegt, dass man deren letzte Rückfahrt nicht verpasst. Schon das letzte Mal hatte ich von der Möglichkeit geschrieben, für 4 CHF das Bike mitnehmen zu können, um jederzeit bequem und sogar günstiger als mit einer Gondel-Rückfahrt zurück ins Dorf zu kommen. Wir nahmen dieses Mal die E-Bikes mit und verzichteten komplett auf die Bahn - kann man machen, eine Ersparnis von Zeit und/oder Kraft ergibt sich so jedoch gegenüber einer Bahnfahrt nicht. Um 7.45 Uhr radelten wir in Engelberg (1004m) los, waren um 8.05 Uhr bei der Bergstation Ristis (1600m), von wo man noch weiter bis zum Vogelloch etwas oberhalb vom Rigidalstafel fahren kann, wo wir die Bikes deponierten und um 8.15 Uhr zu Fuss losliefen.
Bikedepot am Ende des gut fahrbaren Abschnitt mit Blick auf die Rückseite der Wendenstöcke. |
Nun wartet eine noch längere Wanderung zum Einstieg. Standardmässig (d.h. laut Angaben in den Topos) wird der Weg via Rugghubelhütte empfohlen, alternativ könnte man auch etwas kürzer direkt, dafür meist weglos via das Kar der Planggenalp dahin gelangen. Für den Aufstieg wählten wir die Variante über die Hütte, wo wir eine viertelstündige Pause einlegten und ein Getränk konsumierten. Ab da weiter Richtung Rot Grätli, dann eher tief unten der Nase nach links haltend weglos unter die Südwand, die Geröllhalde horizontal überquerend zum Einstieg, der links des markanten, vorgelagerten Blocks mit den Baseclimbs liegt. Die Farbaufschrift für die Black Mamba ist noch ziemlich gut sichtbar, um 9.45 Uhr und somit in 2:00 Stunden ab Engelberg waren wir da und bereiteten uns auf die Kletterei vor. Einige Minuten nach 10.00 Uhr stiegen wir ein.
Verlauf der Black Mamba durch die Südwand am Ruchstock. |
L1, 30m, 5c: Kurze, ganz nette Seillänge. Sie bietet weder in Hinsicht auf die Schwierigkeit noch den Klettergenuss herausragendes - eine schnell erledigte Ouvertüre.
L2, 45m, 6c+: Eine lange und abwechslungsreiche Seillänge mit verschiedenen Herausforderungen. Gleich zu Beginn wartet schonmal ein Dächli, welches eine gewisse Beweglichkeit in der Hüfte abfragt. Dieses macht den Weg frei zu echt lässiger Kletterei an Leisten und schwarzen Einschlüssen. Mittig weckt ein abstehender, aber zwingend in die Sequenz einzubauender Block Argwohn, er ist aber doch solider verwachsen wie man erst befürchten konnte. Weiter in Erinnerung geblieben ist mir eine Feng-Shui-Traverse danach und (leider) vor allem die Passage an der grossen Schuppe am Ende. Diese tönt grossflächig hohl, ist nicht umgehbar und de fakto steckt auch der BH in dieser Struktur. Wahrscheinlich kümmert dieses mehrere Quadratmeter grosse und viele Tonnen schwere Ding die Präsenz eines Kletterers ganz und gar nicht und es wird noch Zehntausende von Jahren an seinem Platz bleiben. Allein der Gedanke daran, was passieren würde wenn dem nicht so wäre, der lässt sich nicht so einfach aus dem Kopf verbannen. Zu erwähnen noch: verlängern hilft, am Ende weniger Seilzug zu verspüren.
Super Kletterei am Ende von L2 (6c+), wenn nur dieses Schuppensystem nicht etwas spooky wäre! |
L3, 40m, 6c+: Erneut eine sehr schöne Seillänge von tendenziell eher steilplattiger Natur, der Fels weist hier eine hervorragende Reibung auf. Einige Stellen regen durchaus zum Nachdenken an und erscheinen auf den ersten Blick schwierig. Schliesslich hat sich für mich aber doch alles bestens aufgelöst - mehrmals ist es aber so, dass die Absenz eines kleinen Löchleins oder einer Leiste dann sofort massiv höhere Schwierigkeiten bedeuten würde. Genial also, wie hier die Natur dem Kletterer die elegante Passage erlaubt. Zum Ende der Seillänge hat man dann die Wahl, entweder rechts an mässig solid wirkenden Blöcken zu dülfern, oder konsequent links deutlich schwieriger plattig zu moven. Das fühlt sich trotz später hinzugefügtem BH etwas kühn an, v.a. weil man auch da wieder deutlich das Seilgewicht verspürt.
Tolle, steilplattige Kletterei auf sehr adhärentem Fels in L3 (6c+). |
L4, 35m, 6c: Unsere Vermutung am Stand lautet "kurzer Boulder zum Auftakt, dann leichtes Gelände" und exakt so bestätigt sich das. Der Wulst zu Beginn erfordert es, herzhaft an einem Sanduhr-Schüppli zu ziehen und dann mit Untergriffen einen Mantle à la Fontainebleau auszuführen. Dies erlaubt einem dann eben, im Dreier-/Vierergelände zum Stand am Zwischenband zu klettern. Die im Topo erwähnte Eisenstange (welche zum Auffinden der Abseilstelle dient) ist nach wie vor da.
Panorama aus der Route, in Bildmitte (von vorne nach hinten) Rugghubelhütte, Hahnen und Titlis. |
L5, 120m Gehgelände und 30m 3a-4a: Nun ist man also auf dem schuttigen Band angelangt, welches mittig nochmals eine steile Schrofen- oder Felsstufe aufweist. Die Route bezwingt diese Stufe im kompaktesten Stück Fels. Der Stand darunter wird in einer ~50m messenden Traverse erreicht, dann sind es ~25m Kraxelei, gefolgt von weiteren ~70m zur Fortsetzung der Black Mamba an der oberen Bastion. Die Abschnitte im Schutt sind nicht exponiert und erfordern keine Seilsicherung. In der Felspassage steckt 1 BH zur Zwischensicherung, er ist allerdings gar nicht so einfach zu finden, da der logische Verlauf eher nebenan vorbei führt und eher im dritten Grad einzustufen ist. Schneller und weniger umständlich ist es, den ganzen Abschnitt seilfrei zu machen - ob das in Sachen Sicherheit zu verantworten ist bzw. wesentliche Abstriche diesbezüglich macht, darf jeder selber entscheiden.
Sicht von Stand 4 am Ende des unteren Wandteils auf das Geröllband, die Zwischenstufe und den oberen Teil. |
L6, 40m, 6c+: Für den oberen Wandteil wird einem in der Literatur fantastischer Hochgebirgskalk versprochen. Und tatsächlich, den findet man - auf diesem Abschnitt mit allerbestem, silbrig-rauem Gestein à la Rätikon. Schon bald einmal heisst es, in einer kurzen Traverse eine biestig-kleine Leiste zu zwicken, bevor man ziemlich kommod aber sehr schön zum Finale gelangt, wo man seine Moves nochmals etwas sorgfältiger planen muss.
Black Mamba, eine richtig coole Route! |
L7, 25m, 6a: Die Wand wirkt recht steil, der Fels ist kompakt und bestens - auf den ersten Blick sieht es nicht ganz nach einer so tief einzustufenden Seillänge aus. Der vorgeschlagene Grad stimmt aber tatsächlich. Der Fels ist phänomenal strukturiert und weist darüber hinaus zahlreiche Henkel auf - purer Genuss!
L8, 35m, 6c+: Vielleicht die beste aller Seillänge auf dieser Route! Rätikonartig geht es auch hier in die Höhe, vorerst löst sich alles prima auf. Schwieriger wird es dann gegen das Ende hin. Eine kompakte, 3-4m messende Steilzone stellt sich in den Weg. Auf vielen Metern links und rechts wäre diese de visu in freier Kletterei kaum zu bezwingen. Aber wirklich genau im graden Routenverlauf bieten einige Seitgriffschuppen die Möglichkeit, dies bei einigermassen moderaten Schwierigkeiten zu tun - phänomenal! Ja, hier hat der Erschliesser ein gutes Gespür gehabt - oder vielleicht auch einfach Glück, denn aus der Ferne sind diese Griffe kaum zu erahnen. Diese Passage leitet nahtlos über in ein Finish, welches noch etwas Übersicht und Rési erfordert.
Am Ende von L8 (6c+) heisst es dranbleiben und etwas Rési an den Tag legen. |
L9, 20m, 5c+: Ein kurzer Abschnitt in sich etwas zurückliegendem Gelände. Da man zusätzlich einer diagonal hochziehenden Reihe von Strukturen und Löchern folgt, sind die Schwierigkeiten tatsächlich markant tiefer. Die Felsqualität ist da nicht mehr ganz so überragend wie davor, schön ist die Kletterei aber immer noch.
L10, 35m, 6c: Hier geht's gleich mit einer steilen Wand los, der Fels hervorragend tropflochartig mit Leisten garniert, echt toll zu klettern. Mittig kommt man zu einem kleinen Dächli, wo die Route eine für mein Gusto unlogische Linksecke schlägt. Da die folgenden Haken aus der Kletterstellung nicht sichtbar sind und im Topo nicht alle BH eingezeichnet, finde ich schliesslich nur mit Umwegen und einer Traverse weit über der letzten Sicherung dahin. Man merke sich also: "der Haken über dem Dächli steckt eher links!". Nachher geht's wieder gerade hinauf, im kompaktesten Gestein bleibend, dessen Qualität gegen den Stand hin abnimmt, aber bis ebenda gerade noch im akzeptablen Rahmen bleibt.
Prima Ambiente mit Blick auf die benachbarten (Kletter)berge und ins Mittelland hinaus. |
L11, 20m, 2a: Kurzes Verbindungsstück zur letzten Wandstufe. Vom Stand links hinaus und in einfachem Gelände aufwärts. Der Fels geht bald in labilen Schutt über und es ist ziemlich schwierig, keine Steine auszulösen. Den Sicherungspartner behelligen diese jedoch nicht, einzig für andere Seilschaften weiter unten in der Wand könnte es prekär sein - bei den bisherigen Begehungsfrequenzen ist dies jedoch ein kaum realistisches Szenario. Der Stand dann bei der markanten Wandbuchdose.
Die echt luxuriöse Wandbuchdose am vorletzten Standplatz. |
Und auf eben dieses Wandbuch waren wir natürlich sehr gespannt. Zuerst im Zweifel, ob es die vielen Jahre an der Schwelle im Hochgebirge gut überdauert hat, was aber dank dem luxuriösen Behälter absolut der Fall war. Der Blick ins Buch zeigt dann erstaunliches: in der Black Mamba waren wir in den 16 Jahren ihres Bestehens neben dem Erschliesser gerade einmal die vierte Seilschaft - bei einer Route von dieser Qualität kaum zu glauben, erst recht da der Extrem Ost auch viele lobende Worte darüber verliert. Tja, manches im Klettersport lässt sich mit logischen Argumenten nicht erklären... wenn ich es richtig in Erinnerung habe, so wurde der wendenmässig ausschauende, obere Teil der benachbarten Dream Team bisher sogar nur ein einziges Mal geklettert!
L12, 45m, 5c+: Zum Schluss wartet noch eine etwas alpine Seillänge. Der Fels ist durchaus noch als "gut" zu bezeichnen, allerdings nicht mehr von derselben Qualität wie davor. Die ersten beiden BH folgen bald, wobei der zweite etwas rechts ausserhalb vom logischen Verlauf liegt und v.a. zu tief steckt. So droht auf dem Weg zum schlecht sichtbaren dritten Bolt (gerade hinauf geht es) durchaus ein Bodensturz, es handelt sich aber um maximal Vierergelände. Ein Steilstück markiert danach die Crux, bevor man über einfache Wasserrillenplatten in einem grossen Runout dem finalen Stand am Gipfelgrat entgegen klettert.
Sicht vom Ende der Route zum Gipfel, die Bezeichnung Ruchstock passt hier tatsächlich. |
Ein paar Minuten vor 15.30 Uhr und damit nach 5:15h Kletterei hatten wir das Top erreicht. Die Route hatte in Bezug auf die Qualität unsere hohen Erwartungen absolut erfüllt, ja sogar übertroffen. Ebenso hatten wir kurz vor dem durch die Meteodienste bereits angekündigten, ersten Wintereinbruch nochmals beste, sommerliche Bedingungen angetroffen. Mir war eine mühelose, komplette Onsight-Begehung gelungen. Im Vergleich zur Bons Baisers am Rothorn zuletzt oder noch viel mehr der knallharten As de Coeur an den Wendenstöcken dünkten mich die Bewertungen doch wesentlich gutmütiger. Ich will damit nicht sagen, sie seien hier oder da falsch. Ich bin mir der enormen Spannbreite der Einstufungen je nach Gebiet und Erschliesser (sowohl auf MSL wie beim Sportklettern) ja bestens bewusst und lasse die gerne so stehen - der Versuch einer "korrekten" Bewertung erscheint mir bei dieser Heterogenität sowieso komplett sinnlos. Jedenfalls, das sei auch noch gesagt: ich bin schon mehrere Touren von Sämi geklettert, das in der Black Mamba gebotene hat in jeder Hinsicht meine Erwartungen erfüllt.
Unser Abstiegsweg verläuft hier durch das Kar zur Planggenalp. |
Vom Stand am Top könnte man zu Fuss im einfachen Schuttgelände den ca. 200m entfernten Gipfel des Ruchstocks problemlos erreichen. Da wir beide schon im Rahmen von Skitouren dort waren und man gegenüber dem Routenende dort keine wesentlichen, neuen Einsichten gewinnt, verzichteten wir darauf und machten uns ans Abseilen. Dies vollzieht sich im oberen Wandteil über Dream Team und umfasst 4 Strecken (50m!!, 50m, 40m, 50m). Über das Geröll muss jeweils zurückgelaufen, über die Felsstufe 25m abgeseilt werden. Der untere Wandteil umfasst dann nochmals vier etwas kürzere Manöver. Um 16.30 Uhr waren wir retour am Einstieg, packten unsere Waren und entschieden, auf dem Rückweg die direkte Variante via Planggenalp zu wählen. Ob dies schneller als via Hütte ist, können wir natürlich nicht beantworten. Jedenfalls war das blockige Geröllgelände ganz ordentlich gut begehbar, wir erreichten bereits um 17.15 Uhr die Brücke bei P.1964 und trafen um 18.00 Uhr nach einem fägigen Bike-Downhill in Engelberg ein - a very fine day!
Facts
Ruchstock - Black Mamba 6c+ (6b+ obl.) - 12 SL, 400m + 120m Gehgelände - Sämi Speck et al. 2006 - ****;xxx-xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, evtl. Cams 0.4-0.75
Eine hervorragende, durch das Schuttband in Wandmitte zweigeteilte Route. Der untere Teil bietet steilplattige Kletterei an Leisten, Schuppen und schwarzen Einschlüssen, während man im oberen Teil rauen, vom Wasser zerfressenen Kalk à la Rätikon geniesst. Mit der Tatsache, dass man hier eine imposante Wand komplett erklimmt und sich in einer sehenswerten alpinen Umgebung bewegt, ist eine 4*-Bewertung auf jeden Fall verdient! Einige kurze Abschnitte sind etwas alpiner, die Route ist aber sicher einem breiten Kreis von Kletterern zugänglich. Dies wird unterstützt durch die im Vergleich eher softe Bewertung und der guten Absicherung. Sämi Speck hat die Route im 2015 mit zusätzlichen BH nachgerüstet, seither sind alle schwierigen Stellen prima abgesichert, nur im wirklich einfachen Gelände gibt es auch mal einen Runout. Die Mitnahme von mobilen Sicherungsmitteln scheint mir fakultativ. Wir hatten einen Satz Cams dabei, ihn aber nicht eingesetzt. Die Route ist im Extrem Ost beschrieben, alternativ kann man auf das Originaltopo zurückgreifen. Bei diesem ist zu erwähnen, dass (nicht nur seit dem Nachrüsten 2015, aber seit da erst recht) mehr BH stecken als verzeichnet.
Das Originaltopo vom Erschliesser Sämi Speck - vielen herzlichen Dank! |
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