Eine Route am Col du Galibier, das gehört zu unseren lieb gewonnen Sommerferien-Traditionen. Einmal besuchten wir die Tête Colombe, meist war aber der Tour Termier das Ziel. Auch da gibt es noch einiges zu tun: L'usure du temps (7c+), Daisy chienne (7b+), En short au paradis (7b), Ici mieux qu'en face (7b). Wie man sieht alles Unternehmungen gehobenen Anspruchs, denen wir zwar (hoffentlich) durchaus schon mächtig waren. Da wir aber beim Sportklettern heftig gebügelt hatten und die MSL mehr der Erholung dienen sollte, war "un cran en dessous" bei den Anprüchen auch nicht verkehrt. Schliesslich war der Pic de l'Aigle die perfekte Lösung. Einerseits waren wir da noch gar nie, andererseits sprudelten die Berichte nur so von Superlativen und vor allem gab es auch reichlich Auswahl an Routen in gewünschter Länge und Schwierigkeit. Einzig die Anfahrt dahin war von unserem Basecamp nochmals 15 Minuten zeitaufwändiger. Sie hat sich aber mehr als gelohnt, das ist unser klares Fazit.
Die fantastische Westwand des Pic de l'Aigle mit dem Verlauf von 'La Princesse de Feu' (7a). |
Somit fuhren wir also nicht nur auf den Galibier, sondern hinten wieder ein Stück runter Richtung Saint-Jean-en-Maurienne bis nach Plan Lachat (1980m), wo es im Bereich der Passstrasse viele Möglichkeiten zum Parkieren gibt. Grundsätzlich führt von da eine Schotterstrasse bis in die Nähe des Pic de l'Aigle. Tatsächlich ist sie bis nach Les Mottets (ca. 2140m) wohl jederzeit frei befahrbar. Ab dort war die Fortsetzung hinauf zum Militärcamp Les Rochilles (2420m) durch eine Barriere gesperrt, in der Nebensaison kann man da aber scheinbar manchmal auch hochfahren. Gehen würde es wohl sogar mit einem normalen PW zum Preis eines karosseriefeindlichen, ewigen Geholpers über die raue Piste. Ideal wäre ganz bestimmt ein E-Bike, welche aber Kathrin und Jerome für eine Tour beanspruchten. Somit starteten wir aufgrund der für uns unklaren Lage, dem starken Wanderbetrieb, fraglichem Zeitgewinn und moralischen Argumenten um 12.07 Uhr zu Fuss von der Passstrasse.
Nein, als frühen Start kann man das definitiv nicht taxieren. Aber natürlich mussten wir uns erst mit gütlichem Schlaf von den vorherigen Efforts erholen, dann gescheit frühstücken und anfahren - das dauert schon einmal eine ganze Weile. Dazu ist die nach W exponierte Wand erst am Nachmittag besonnt und natürlich hatten wir einen Tag ohne Wolkenbildung und Gewittergefahr für unsere Tour ausgewählt. Für den Zustieg folgt man der Schotterstrasse nur bis ca. 2060m, ab dort führt ein ausgeschilderter Wanderweg abkürzend an der Flanke hinauf zum Militärcamp (2420m). Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Einstieg (ca. 2520m) und der beste Weg auf einer Pfadspur durch ein Geröll-/Wiesengemisch ist visuell gut erkennbar. Den Einstieg zu lokalisieren ist nicht völlig trivial. Mit den Fototopos (idealerweise auch jenen der benachbarten Routen, Achtung kein Handyempfang im Gebiet!), vor allem den Buchstaben "PF" (nur schwach lesbar) und einigen Tipps von C2C (insbesondere nützlich ist jener der Fixé-Plättli mit dem 'jegrimpe.com'-Inprint) wird man aber hoffentlich genügend Sicherheit schaffen können. Um ca. 13.20 Uhr stiegen wir bei besten Bedingungen in die Route ein.
Ready to rumble! Am Einstieg der Route, man beachte das (spiegelverkehrte), knapp lesbare "PF". |
L1, 30m, 6b+: Wow, das ist schon mal ein richtig toller Auftakt. Erst noch recht gutgriffig, wird es bald anhaltend und fordernd. Der Fels ist genial und wasserzerfressen strukturiert. Die Griffe sind aber meist vertikal und auch die Füsse muss man oft seitlich spreizend auf die Strukturen pressen. Zusammen mit der nicht sonderlich eng gehaltenen Absicherung macht das einen ziemlich anspruchsvollen Eindruck für den Grad.
Super Kletterei gleich von Anfang weg! Man sieht gut die vertikale Struktur, die in L1 (6b+) dominiert. |
L2, 30m, 6c+ 1pa oder 7a (?): Vom Stand weg wird es gleich nochmals eine Ecke steiler, die Route zieht in eine Verschneidung hinein. Es löst sich aber alles gut auf und nach einigen etwas technischen Moves beim Exit legt sich das Gelände zurück. Dort trifft man auf einen (Zwischen)stand, der jedoch ausgelassen werden kann/soll. So kann man die nominelle Crux der Route gleich noch anhängen. Leider gibt's über den folgenden Dachwulst keine einfache Passage. Die Erschliesser sind zwar durchaus dort drüber, wo es noch am besten geht. Vom letzten Griff unter dem Dach den nächsten oberhalb zu erreichen erfordert aber eine Armspannweite von mindestens meinem Zuschnitt. Und auch so ist das Auflösen der Position an der eher durchschnittlichen Leiste und die folgenden 2 campusartigen Moves taff. Mir ging's gerade arschknapp auf, aber ob das so wirklich nur 7a ist?!? Ich zweifle... und für Larina war diese Stelle einfach absolut unmöglich freizuklettern, keine Chance da irgendwie halbwegs kontrolliert an einen Griff oberhalb vom Wulst zu kommen. Die 1pa-Lösung funktioniert aber für alle kommod.
L3, 45m, 6c: Eine absolute Hammerlänge mit fantastischer, anhaltender und fetzenscharfer Tropflochkletterei - da vergisst man leicht Raum und Zeit! Mittig, in einer angedeuteten Verschneidung an einem steilen, luftigen Pfeiler kletternd wartet die Crux. Da muss man doch mit etwas Entschlossenheit über den Haken steigen, sprich auf eher abschüssige Tritte stehen an Griffen, die nicht als Henkel zu bezeichnen sind. Geht aber schon!
L4, 45m, 6b+: Diese Sequenz beginnt mit einem etwas rustikalen Auftakt an einem breiten Riss, der über die ersten paar Meter nicht so schönes Gestein aufweist - geht aber schon. Das ist aber auch nur ein kurzes Vorgeplänkel auf den genialen Rest der Länge. Die führt nämlich bald vom Riss weg nach links hinaus in die Tropflochwand. Wie und wo genau man diesen Übergang am besten gestaltet bietet einigen Interpretationsspielraum. Nachher folgt dann affengeile, trotz dem gemässigten Grad durchaus kühne Tropflochmoverei. Und immer wenn man denkt "jetzt wird's schwierig" offeriert sich einem im letzten Moment doch noch eine Lösung. Zu erwähnen auch noch das nochmals steile Finish nach dem Break, welches an genialen Griffen ebenfalls perfekt aufgeht.
Ich würde nicht dieses affige Selfie posten, wenn ich ein besseres Foto von L4 (6b+) hätte... |
L5, 40m, 6a+: Bestimmt die einfachste Seillänge der Route, wohl auch die am wenigsten spezielle. Die Kletterei ist aber immer noch steil und stellt durchaus ihre Ansprüche. Meist sind henklige Griffe in guter Zahl vorhanden, aber gerade der technische Beginn und der Ausstieg ins flachere Gelände fordern durchaus Interpretation und ähneln eher einer Wenden- als einer Plaisir-6a+.
Mangels fotogenem Finish von L5 sehen wir hier bereits einen Ausblick auf die geniale L6 (6c). |
L6, 40m, 6c: Ein absolutes Highlight! Das gilt zwar noch nicht für den Auftakt, der die zwar einfache, aber auch etwas grasige Verschneidungsrampe quert. Die Erschliesser haben dann den Weg über die überhängende, linke Seitenwand gewagt. Und das hat sich voll ausbezahlt. Den Auftakt einer Rissspur entlang hätte man wohl auch per Ferndiagnose noch als 'machbar' taxiert, tatsächlich erfordert er nur einen einzigen, etwas kräftigen Pinch-Move. Doch der aus der Ferne glatt-kompakt scheinende Teil darob? Ja, der ist halt von unten nicht sichtbar mit Tropflöchern gespickt. Bei korrekter Interpretation der etwas mäandrierenden Linie geht's aber super auf, ohne dass je ein wirklich schwieriger Move warten würde. Der ötteligste davon kommt dann fast erst, als man die vermeintlich rettende Kante schon erreicht hat und an dieser bzw. leicht links blöd ausdrehend auf Gegendruck operieren muss.
Incredibile! Hier sieht man einmal, auf welch genialem Tropflochfels sich 95% der Route abspielen! |
L7, 30m, 6b: Eine geniale Seillänge. Hier ändert die Felsstruktur nochmals etwas. Wie oft in den oberen Wenden-Seillängen gibt's da vom Wasser modellierte Töffgriffe erster Güte. So bleiben die Schwierigkeiten trotz grosser Steilheit im überschaubaren Rahmen (sofern man noch über genügend Kraftreserven verfügt). Die Crux kommt mittig und irgendwie etwas unerwartet... rückblickend kann ich nicht so richtig sagen, ob man hier mit Suchen auf eine elegante Lösung käme oder ob mein Ansatz à la "Hauruck" die beste Strategie ist.
Genialer Fels und geniale Kletterei in L7 (6b) - absolut Wenden-Like in allen Aspekten! |
L8, 30m, 6b+: Hm, hier schreibe ich erst mal über die persönlichen Gegebenheiten und erst nachher über den Charakter der Länge. Laut den Beschreibungen sollte diese Länge a) queren und b) die letzten Meter leichter in etwas losem Gelände sein. Da wir drei Seillängen unter uns nochmals eine Seilschaft in der Wand wussten, schien es mir nicht opportun, hier unseren Bag zu haulen. Somit musste er also auf den (=meinen) Rücken. Extrem viel war ja nicht drin (Schuhe, Kleider, Food, Getränke). Aber trotzdem, so kriegte das Klettern gleich eine neue Dimension. Die Route quert gleich auf den steilen Pfeiler hinaus und bietet da knifflig-athletische Moves - und dies auf einer deutlich längeren Strecke, wie ich es laut Beschreibung erwartet hätte. Erst am Ende quert man nach rechts in eine Verschneidung hinaus, erst die letzten ca. 5m sind dann einfach (mit nicht mehr perfektem Fels).
Um 18.40 Uhr und damit nach 5:20h der Kletterei waren wir am Top. Wie oben im Text schon angedeutet war es uns prima gelaufen. Wir hatten alles einwandfrei os/flash klettern können (Larina bis auf die erwähnte 1pa-Stelle in L2). Die Kletterei gehörte qualitativ zur Crème de la Crème und das Ambiente war einfach top. Noch dazu bestes, sichtiges Bergwetter und ein umwerfendes Panorama, besser kann es wirklich kaum sein. So gönnten wir uns dann auch am Top eine ausgiebige Pause und liefen erst um 19.15 Uhr los. Zu erwähnen ist, dass die Route ab Stand 5 nicht mehr zum Abseilen eingerichtet ist und dies in den oberen Seillängen auch ziemlich umständlich wäre. Der Fussabstieg ist also zwingend, aber auch schnell und einfach.
Am Ausstieg der Route eröffnet sich ein fantastisches Panorama! |
Vom Top geht's rückseitig nur wenige Meter etwas steiler-schrofig runter, dann trifft man schon auf eine erkennbare Wegspur, welche über die Ostflanke in den Sattel zwischen Pic de l'Aigle und Pointe de la Plagnette führt. Ab dort ist die Spur - erst durch das Kar, dann auf der Krete - hinunter zum Col de Rochilles sehr gut erkennbar. Ab dort geht's dann auf der Schotterstrasse retour zum Militärcamp und entweder auf dieser oder via die Abkürzung runter zum Ausgangspunkt. Wir gönnten uns diverse Pausen, um die fantastische Berggegend zu bestaunen und die sehr aktiven Murmeltiere zu beobachten. So trafen wir um 20.30 Uhr in Plan Lachat beim Auto ein. Wow, das war nun echt genial gewesen! An diesen Berg werden wir bestimmt zurückkehren, um noch weitere Routen zu klettern.
Was für eine Wand! Hier vom Abstieg eine etwas mehr seitliche Perspektive. |
Pic de l'Aigle - La Princesse de Feu 7a (6b+ obl) - 8 SL, 290m - Mussatto/Garcia 2009 - *****;xxxx
Material: 50m-Seile, 14 Express, Cams/Keile nicht nötig
Eine absolut fantastische MSL in einer tollen Berggegend. Die Schwierigkeiten im Grad 6bc sind sehr anhaltend und homogen. Dies bei einer meist herausragenden Felsqualität. Den griffigen, oft orangen und scharfen Tropflochfels wird man nicht so schnell vergessen und sich an manch anderen Orten gerne wünschen. Zusammen mit der Wand, welche so richtig Schwung hat, darf man gerne von einer 5*-Tour reden, die man nicht auslassen sollte. Es gibt jedoch einen Wermutstropfen, und der besteht in einer eher unschönen Morpho-Crux, die wohl die meisten Begeher nicht werden freiklettern können. Doch wem ein 100% Free Ascent nicht extrem wichtig ist, wird diese bittere Pille wohl im Angesicht vom famosen Rest bald verdaut haben. Bei der Absicherung mit verzinkten BH handelt es sich durchwegs um sehr guten MSL-Standard (xxxx). Dennoch, ganz so komfortabel und konsumentenfreundlich wie am Tour Termier bzw. in vielen Cambon-Routen ist hier nicht gebohrt. Sprich, die 6b+ obl. passt hier durchaus, es sind auch ein paar fordernde Kletterstellen zwingend zu meistern - bei sehr guter Absicherung und idealem Sturzgelände natürlich. Ob es gedruckte Literatur gibt, in welcher der Pic de l'Aigle beschrieben wird, bin ich nicht sicher (ich kenne keine). Die Beschreibungen auf C2C sind aber gut und ausreichend.
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