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Montag, 6. November 2023

Wintergarten - Querdenker (7c)

Der Wintergarten ist ein Klettergebiet an den Balmenchöpf im Seeztal. Daniel Benz hat ab 2019 mit der Erschliessung dieser tollen Wand begonnen, auch meine Wenigkeit konnte dabei Unterstützung bieten und einige Routen einrichten. Während der Fokus zuerst und vor allem auf Baseclimbs lag bzw. liegt, ermöglicht die bis zu 100m hohe Wand auch einige kurze MSL-Routen. Kurz heisst aber nicht langweilig: anhaltende Kletterei über 3-4 Seillängen, oft perfekte Bedingungen in der kalten Jahreszeit und die Möglichkeit, den Tag mit dem Klettern von zusätzlichen Routen zu versüssen, machen einen winterlichen Ausflug für Multipitch-Fans auf jeden Fall lohnend. Beim Querdenker (4 SL, 7c) konnte ich bei der ersten RP-Begehung mit von der Partie sein. Die Kletterei begeistert trotz der relativen Kürze mit sehr abwechslungsreichen Moves und einer Qualität, die den Rätikon-Routen in Nichts nachsteht.

Übersicht über die Klettergebiete oberhalb von Heiligkreuz im Seeztal.

Der Zugang vollzieht sich vom normalen Parkplatz für die Katzenbach-Gebiete (555m). Man folgt dem üblichen Zustieg, wählt dann allerdings auf ca. 630m nicht die in der Nähe des Baches bleibende, leicht zu verpassende Abzweigung links hinauf Richtung Katzenbach, sondern folgt dem deutlichen Pfad geradeaus weiter. Dieser erreicht bald eine deutlich ausgeprägte Rippe und führt von dort horizontal weiter. An dieser Stelle gilt es, entlang der Rippe auf deutlichen Wegspuren aufzusteigen, bis man auf ca. 795m den Vorder Spinaweg erreicht. Diesem folgt man bis zur Kehre auf exakt 1000m, wo man ihn verlässt und in den Bachgraben traversiert (nach wenigen Metern erscheint ein Fixseil). Jenseits vom Bach steigt man wenig auf und quert nur leicht ansteigend nach links (S), es hat inzwischen gut sichtbare Spuren. Man erreicht den SE-Sporn auf ca. 1030m und quert von dort die schrofigen SW-Hänge etwas absteigend zum Wintergarten. Wenige Meter nach dem Sporn leiten Fixseile den Weg. Je nach Gehtempo benötigt man ca. 45-60 Minuten für den Zustieg. 

Unvollständiger Blick auf die tolle Wand an den Balmenchöpf, eine bessere Perspektive gibt's aber nur aus der Luft oder von vis-à-vis mit einem Teleobjektiv. Da von unten fotografiert, sehen die oberen Seillängen perspektivisch stark verkürzt aus. Ebenso fehlt auf dem Foto die erste Hälfte der Startlänge. Trotzdem, einen Eindruck von Charakter und Routenverlauf erhält man natürlich auch so.

L1, 30m, 6c, 7a oder 7a+: Für die erste Seillänge bestehen 3 sinnvolle Optionen. Die einfachste ist durch das Bewegungsrätsel (6c) gegeben, eine sehr interessante, technische Seillänge, auf welcher man sich wirklich gut bewegen und den Füssen vertrauen muss, die aber physisch keine sehr hohen Anforderungen stellt. Ähnlich im Charakter, aber mit einer zusätzlich sloprig-herausfordernden Schlusssequenz ist meine Jailbreak (7a) rechts davon. Wir wählten an diesem Tag die deutlich schwierigste Option für L1, nämlich Argus (7a+). Hier geht's schon gleich nach Beginn kräftig über ein Dach, gefolgt von technisch delikater Wandkletterei mit heiklem Ausstieg auf eine sich zurücklegende Zone. Auch der ganze Rest der Seillänge bietet fusstechnisch anspruchsvolle Kletterei, die hier und da etwas an Überwindung fordert, aber einfach genial ist. Vom letzten Zwischenhaken traversiert man dann 2-3m nach rechts zum Umlenker vom Bewegungsrätsel, der ideal für die Fortsetzung platziert ist und den bequemsten Standplatz hergibt.

L2, 30m, 7b: Erneut eine geniale Seillänge mit viel Abwechslung, genialen Moves und hohem Unterhaltungswert. Nach wenigen Auftaktmetern geht's hinein in eine steile Stufe, wo gleich Power und Entschlossenheit an Slopern und Seitgriffen gefragt ist, inklusive einem wackligen Mantle daraus hinaus. Nach dieser Stelle kann ein Camalot 2 ideal platziert werden, zum nächsten BH sind es nochmals 2-3m. Nun folgt vorerst gut gangbare, aber stets fordernde Kletterei im 6c-Bereich, bevor es gegen das Ende hin nochmals deutlich anzieht. Im weissen Streifen heisst es, sich eine gute Sequenz zu überlegen und über die Kraftreserven zu verfügen, um sie erfolgreich auf den Fels zu übertragen. Zum Ende gilt es dann auch noch, ein kühles Gemüt zu bewahren - es kommen dann schon "gute Griffe", aber auch ein kleiner Runout zum Stand und wer vom Pump eingeholt wird, könnte auch da noch abfliegen.

Daniel unterwegs in L2 (7b), auf dem Weg zum erfolgreichen roten Punkt.

L3, 15m, 7c: Eine technische Seillänge von erster Güteklasse, welche die steile Zone geschickt auf einer schwach ausgeprägten Rampe überwindet. Der Fels weist gerade genügend scharfe, kleine Strukturen auf, so dass es zusammen mit der guten Reibung kletterbar ist. Ohne Vertrauen in die Füsse, sorgfältig ausgesuchte Bewegungen und einer Portion Fingerstrom geht es hier definitiv nicht. Ob hier der Rotpunkt im ersten, scharfen Vorstiegs-Angriff tatsächlich gelingen würde war unsicher. Aber wie gewohnt war Daniel auf der Höhe der Sache und stieg souverän durch.

L4, 20m, 6c: Diese Seillänge fällt qualitativ gegenüber dem Rest klar ab. Und wenn man vom Stand hinaufsperbert, könnte man die Schwierigkeiten auch eher im 6a-Bereich vermuten. Doch nach ein paar Auftaktmetern folgt eine knifflige Stufe, die doch mehr verlangt, als es auf den ersten Blick scheint. Sie ist höher als gedacht und was von Weitem nach Henkel aussieht, entpuppt sich als sloprige Kante. Nun gut, das wird einen Anwärter vielleicht zum Nachdenken, aber nicht mehr zum Scheitern bringen. Bald danach wird's einfach und geht hinauf zum Ausstiegsbaum - um den schönen Platz am Top mit einem prima Blick auf den Spina-Kessel, Tschuggen und Gonzen zu erreichen, lohnt sich diese Sequenz unbedingt.

Ein sehr schöner und bequemer Rastplatz wartet am Ende der Route.

Wie erhofft war Daniel eine komplett sturzfreie RP-Begehung geglückt. Eingerichtet und ausgecheckt hatte er die Route mit dem Grigri am fixierten Seil. Doch den Plan dann auch gleich im ersten Vorstiegsversuch umsetzen zu können ist dann eben doch nicht so einfach. Meinereiner hatte ich immerhin alle Moves in freier Kletterei entschlüsseln können. Und noch viel wichtiger: einen tollen Tag beim Klettern verbracht und dabei die Inspiration gefunden, links nebenan eine weitere, etwas einfachere MSL-Route einzurichten. Daniel willigte in dieses Vorhaben ein und so entstand die 4-SL-Sequenz von Jailbreak, Getaway, Hideout und Sanctuary, über welche demnächst in einem separaten Beitrag berichtet wird. Der Abstieg vom Querdenker erfolgt entweder über die Route abseilend (3 Manöver mit einem 80m-Einfachseil, das für diesen Klettergarten nötig ist) oder alternativ und deutlich schneller zu Fuss über den Sporn und die Fixseilpiste zurück zum Einstieg.

Blick aufs Pflästertobel und die Rückseite vom Gonzen - eine spannende Landschaft, wo es noch vieles zu entdecken gibt.

Facts

Balmenchöpf / Wintergarten - Querdenker 7c (7a+ obl.) - 4 SL, 100m - Daniel Benz 2022 - ***;xxxx
Material: 2x40m oder 1x80m-Seil, 12 Express, evtl. Camalot 2

Kurze MSL-Tour für die Wintersaison, die auf den 100m Kletterstrecke trotzdem das volle Programm bietet. Die Kletterei über die ersten 3 SL bietet ideales Training für grössere Unternehmungen, sehr gute Felsqualität und fragt von Fingerkraft über Fusstechnik bis zur Bewegungsvielfalt alles ab. Dass ich nur 3 Sterne vergebe, hat rein mit der Kürze der Route zu tun, wäre die Route 3-4x so lang und stünde im Rätikon, so erhielte sie sicher 4-5 davon. Die Route ist prima mit Inox-BH abgesichert, nach den Massstäben von Daniel sogar sportklettermässig. Das kann ich absolut bestätigen, mit dem Zollstock gemessen sind die Abstände nie weit. Trotzdem kommt aber aufgrund der fusstechnischen Natur auch dem mentalen Aspekt eine entscheidende Komponente zu, an manchen Stellen heisst es eben, sich filigran an den Fels zu schmiegen und nicht einfach der Kraftausdauer vertrauend positive Leisten ohne Ende zuzuballern. Ein Topo und weitere Infos zum Gebiet findet man im SAC-Kletterführer St. Galler Oberland von Thomas Wälti.

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