- -

Sonntag, 15. Juni 2025

Gross Mythen - Geissstock SE-Pfeiler (7a)

Es war wieder einmal ein typischer Spätfrühlingstag angekündigt. Im Flachland sonnig und warm, doch in den Bergen würden einen ganz bestimmt wieder Quellwolken und starke Thermik noch daran erinnern, dass der Sommer noch nicht da ist. Unter diesen Voraussetzungen entschieden wir uns für eine defensive Planung und wollten wieder einmal am Geissstock in der Südflanke vom Gross Mythen eine Aufwartung machen. Die letzten Male mit der SE-Wand (Bericht von 2010) und dem Mauerläufer (Bericht von 2016) liegen doch schon viele Jahre zurück. Diese Einleitung mag bis zu diesem Punkt uninspiriert wirken und die Tour als Ausweichziel charakterisieren. Das stimmt aber nicht mit den Empfindungen im Gelände überein. Geboten wird rassige, luftige Kletterei, bei welcher einem bestimmt nicht langweilig wird.

Bottom-Up-Shot der Südwand am Geissstock in der Südflanke mit der von uns gekletterten Linie. Zuerst haben wir drei Seillängen der Route Mauerläufer geklettert, um den grasig-brüchigen Originaleinstieg vom SE-Pfeiler zu vermeiden. Aus der Mitte seiner zweiten Seillänge sind wir dann über ihn zum Top geklettert.

Für die Anreise wurden (mehr oder weniger) neue Pfade beschritten. Um die Zeit auf dem Autositz zu begrenzen, entschieden wir uns, nach Brunni im Alpthal zu fahren. Per Seilbahn (oder auch zu Fuss) könnte man von dort die Holzegg erreichen. Zeiteffizienter geht's mit dem Bike in 20 Minuten auf der guten Fahrstrasse durch den Ijenwald, später dann via Müsliegg. Von der Holzegg muss südseitig abgestiegen werden bis zur Strassenkehre auf ca. 1215m im Hasliwald. Auf einem Forstweg geht man in den Wald hinein, an dessen Ende beginnen deutliche, mit roten Punkten markierte Pfadspuren, welche einen hinauf zum Einstieg führen. Die Schwierigkeit ist ca. T4, d.h. grundsätzlich kein schwieriges Gelände, Ausrutscher darf man sich in der Querung am Ende trotzdem nicht leisten.

Hier könnte man vor der Tour einen Kafi trinken. Oder danach Zanderknusperli essen.

Weil die ersten beiden, grasig-brüchigen Seillängen vom SE-Pfeiler in aller vorhandener Literatur (egal ob gedruckt oder digital) als unlohnend und heikel beschrieben werden (was mit dem visuellen Eindruck vom Wandfuss übereinstimmt), entschieden wir uns, lieber mit der Route Mauerläufer zu starten und erst später auf den SE-Pfeiler zu wechseln. Dies versehen mit dem Fragezeichen, wie gut und wo am besten dies möglich wäre... Lassen wir die Katze aus dem Sack: es geht nicht so einfach, wie man gerne möchte. Möglich ist es aber, für die Lösung lese man weiter im Bericht. Um ca. 9.45 Uhr starteten wir bei angenehmen Bedingungen und Sonnenschein mit der Kletterei.

Mauerläufer

L1, 40m, 6c: Gegenüber meiner damaligen Begehung im 2016 wurde die Route auf den ersten beiden Seillängen etwas verändert. Der frühere, 15m kurze Einstiegsabschnitt dient nun als Auftakt zur 3d-Turnerei durch die steile Verschneidung. Diese ist weder so richtig schwierig noch so richtig einfach. Gut planen, gut bewegen und gut auf die Füsse stehen muss das Motto sein. Erwähnt sei, dass die Länge etwas seilzugträchtig ist und zudem recht lange schattig, d.h. es kann kalte Griffel geben. Der Stand befindet sich neu am Ende der Verschneidung.

Tricky Kletterei durch die Verschneidung in L1 (6c) von Mauerläufer.

L2, 25m, 6b: Die Platte zu Beginn dieser Länge musste ursprünglich ohne Sichtkontakt zum Belay und mit zwei Haken weniger bewältigt werden. Damals fühlte es sich also gar nicht entspannt an. Nun, gut gesichert ist es eine vergnügliche Sache und es kam mir nicht sonderlich schwierig vor. Eigentlich hatten wir gehofft, vom Ende der Platte nach rechts in den SE-Pfeiler queren zu können. Dies materialisierte sich nicht. Deshalb weiter nach links hoch zum Stand auf dem Grasband, die zwei Sanduhren sind inzwischen um einen Ring-BH verstärkt worden.

L3, 30m, 6c+: Auch vom Stand war ein Wechsel in den SE-Pfeiler nicht zu bewerkstelligen. So blieb als einzige Option das Klettern einer weiteren Länge, so dass wir abseilend die Route wechseln konnten. Das ist aber natürlich kein Schaden, denn diese Sequenz bietet schon eine coole, piazige Wandstelle mit der Crux. Damals war das sehr ungünstig abgesichert, aber seither ist in der Cruxzone ein zusätzlicher BH "gewachsen". So kletterte sich die Stelle viel angenehmer und fühlte sich gar nicht mehr so schwierig an. Etwas einfacher geht's dann griffig an den Stand.

Hier spriessen auch Grasbüschel, es stört die Kletterei in der Mauerläufer-L3 (6c+) aber kaum.

Um auf den SE-Pfeiler zu wechseln, mussten wir nun einen Abseiler ziehen. Dieser führte uns in die Mitte von dessen L2, wo wir einen soliden Stand an einer Sanduhr, einem NH mit zwei sehr guten Cams einrichten konnten.

SE-Pfeiler

L2/L3, 40m, 6b+ (offiziell 6a+): Ab unserem Startpunkt kletterten wir zuerst also im grasig-schrofigen Gelände von L2 hoch, gegen den Stand hin wird es dann felsiger und man muss richtig klettern. Die Absicherung eher spärlich, geht aber schon. Vom Stand nach L2 zweigt dann links eine neue Route/Projekt (dem Vernehmen nach von Spiri) ab. Wir konnten indessen die relativ kurze dritte Länge gleich anhängen. Erst noch moderat über die Rampe nach rechts hinaus, dann vorerst über noch griffige Risse steil weiter. Der Ausstieg aus diesen an einigen Slopern und schrägen Kanten ist dann heftig athletisch und fordernd, die 6a+ auf dem Topo weit daneben. Ich plädiere für mindestens 6b+ und bin eigentlich der Meinung, dass L3 von Mauerläufer wohl etwa ähnlich schwierig ist.

Kräftige Moves am Ende von L3 im SE-Pfeiler, welche definitiv nicht nur eine 6a+ ist.

L4, 15m, 7a: Kurz, dafür umso steiler. Los geht's mit einer stark überhängenden, flared Verschneidung. Dieser ist mit ein paar harten Piazmoves an soso Seitgriffen und schlechten Tritten zu entkommen. Nach einigem Vor-und-Zurück kann ich mich auf eine Beta festlegen. Funktionieren tut sie mehr schlecht als recht, unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte kann ich mich jedoch oberhalb dieser Passage etablieren. Den Pump werde ich nicht mehr los, immerhin sinkt der Puls wieder etwas und ich kann mich nach vorne orientieren. Ganz so schwierig geht's nicht weiter, die überhängende Kletterei an Leisten und grossen Slopern ist aber anstrengend und es folgt kein richtiger Ruhepunkt. Mit dem Laktatlevel am Anschlag und deswegen aufkeimender Übelkeit komme ich arschknapp durch. Meistens muss ich in einer 7a nicht dermassen alle Register ziehen, sprich ich plädiere für mindestens 7a hard. Wobei: man hätte es sicher besser anstellen können, wie ich es gemacht habe...

Zu gepumpt gewesen, um nach L4 noch das Handy zu zücken und ein Foto zu schiessen 🥴🤪. Daher muss hier dieses Übersichtsbild herhalten. Der SE-Pfeiler verläuft mehr oder weniger im Bereich der markanten Kante in Bildmitte (eher leicht auf der linken Seite). Aber man sieht: das Terrain ist da schon richtig steil!

L5, 15m, 6c: Grosso modo steile Risskletterei, jedoch mit etwas Wandanteil. Als eigentlich einzige der Seillängen fand ich diese hier mehr oder weniger korrekt bewertet. Sprich, mit ein paar gekonnt gesetzten Jams geht der erste Teil relativ kommod über die Bühne. Die Hauptschwierigkeit kommt zum Ende, wo sich der Riss zum Off-Width erweitert. Ob man sich darin geschickt festklemmen könnte, vermag ich nicht zu sagen, aber man findet auch einige Leisten, damit man nicht darauf angewiesen ist. Entgegen dem Topo im SAC-Tourenportal würde ich auf jeden Fall empfehlen, am Ende dieser Passage an den zwei modernen BH Stand zu beziehen. Klettert man weiter (sprich die angegebenen 30m aus), so ist man auf zwei altertümliche Ring-BH angewiesen.

L6, 30m, 6a: Es wird ganz klar einfacher, wobei man sich für die propagierte 6a auch hier durchaus noch anstrengen muss. Schon rechts aus dem Stand raus ist es trotz guten Griffen steil. Später passiert man dann eben den altertümlichen Stand mit den beiden Ringhaken, um auf eine erneut fordernde Passage auf einer Art Rampe neben einer kleinen Verschneidung zu treffen. Der Stand befindet sich etwas links aussen. Weil ein alter Schlaghaken auf eine Möglichkeit direkt hoch hindeutet, habe ich ihn beinahe übersehen.

Der Exit über die Rampe am Ende von L6 (6a, oder auch ein bisschen mehr).

L7, 30m, 5c+: Coole Seillänge mit steiler, griffiger Kletterei in rauem Fels, welche leicht nach rechts oben zu Stand an der Pfeilerkante führt. Dabei kreuzt man unterwegs eine neue (oder neu sanierte?) Route mit rostfreien Petzl-Bohrhaken, welcher man schon zu Beginn in L4 einmal nahe gekommen ist. Und auf der linken Seite ist auch das Spiri-Projekt nicht weit weg - schade, dass man über diese Routen nichts weiss. Ich finde, wer in etablierten Sektoren Routen erschliesst, sollte auch ein Topo veröffentlichen. Erst recht, wenn diese neuen Routen nahe der anderen verlaufen, gemeinsame Standplätze haben oder sie sogar kreuzen.

Für den Grad sehr steile und luftige Kletterei wartet in L7 (5c+).

L8, 50m, 5b: Dieser Abschnitt ist eher von der Sorte "zum Abgewöhnen". Erst rechtsrum in mässig solidem Blockgelände, dann aufwärts in botanischem Terrain, bevor es wieder steiler und felsiger wird. Da dann doch noch recht vergnügliche Kletterei, dies jedoch bei eher mangelhaft-weiter Absicherung. Zum Schluss steigt man etwas heikel in den steilen Wald aus (Standmöglichkeit), besser ist es wohl gleich weiterzugehen, bis man einen halbwegs flachen Platz erreicht und an einem Baum sichern kann.

Die Uhr war inzwischen in die Gegen von 15.45 Uhr vorgerückt, damit hatten wir doch fast 6:00 Stunden für die total 9 Seillängen Kletterei plus ein Abseilmanöver gebraucht. Scheint mir ziemlich lange, wo die ganze Zeit geblieben ist, kann ich mir im Nachhinein auch nicht erschliessen. Jedenfalls war die Begehung glatt gegangen und ich hatte die Route onsight geklettert. Für alle jene, die von Süden anreisen, ist das Abseilen über den Mauerläufer sicher die effizienteste Variante, um zurück ins Tal zu kommen. Dessen Ausstiegsstand ist gut auffindbar. Wir indessen stiegen weiter auf zum Gipfel vom Geissstock und wählten dann die blau markierte Wegspur, welche rechts vom Wyss Nollen hinaufführt und auf rund 1700m nach rechts zum Mythenweg quert. Über diesen ging's retour zur Holzegg, direkt am Weg passiert man dabei einen (auch nicht publizierten, aber immerhin vor Ort angeschriebenen) Klettergarten mit ca. 8 Routen im Bereich 6b-7b. Das ist dann einmal etwas für einen nebligen Herbsttag. Für uns hiess es, nach Hause zu gehen. Mit einer rasanten Bike-Abfahrt waren wir zügig zurück in Brunni, von wo es nur eine kurze Fahrt zurück ins Züri Oberland war.

Facts

Gross Mythen - Geissstock - SE-Pfeiler 7a (6a obl.) - 8 SL, 200m - Anderrüti/Grüter 1960 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, evtl. Cams 0.3-1

Luftige Route aus der Schlaghaken- und Leiterlizeit, welche mit der BH-Sanierung von 1991 in ein lohnendes Freikletterziel verwandelt wurde. Nach einem grasig-brüchigen Einstieg, welcher nur etwas umständlich lohnender über die benachbarte Route Mauerläufer umgangen werden kann, folgen steile Seillängen mit toller, kräftig-athletischer Kletterei an Rissen, Slopern und Henkeln. Zu erwähnen ist die nach heutigen Massstäben doch eher strenge Bewertung. Mauerläufer ist viel höher eingestuft, so viel einfacher ist der SE-Pfeiler komplett freigeklettert dann auch wieder nicht. In den schwierigen Seillängen ist die Absicherung mit rostfreien BH eng gehalten. Zusätzlich gibt es auch noch NH-Relikte aus vergangenen Zeiten, so dass das Hochkommen dort kein Problem darstellen sollte. Die einfacheren Seillängen sind hingegen eher knapp abgesichert. Dazulegen ist aufgrund der Felsstruktur nur selten und kaum zuverlässig möglich. Dazu braucht es ein gewisses Verständnis und Sicherheit im Beklettern von alpinem Gelände, wo nicht jeder Griff und Tritt fest sitzt. Das aktuellste Topo bzw. die genausten Infos zur Route findet man im SAC-Tourenportal (kostenpflichtig für Nichtmitglieder). 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich über Ergänzungen zu diesem Blog via Kommentarfeld!
Kontakt: mdettling74@gmail.com.