An der Cheselenflue war ich bisher gar nicht so oft aktiv. Man könnte dies auf eine snobistisch ablehnende Haltung zu den sehr gut abgesicherten, auf Plaisir orientierten Routen zurückführen. Diese Haltung ist mir grundsätzlich fern. Doch irgendwie haben die Routen für mich dort doch eher den Charakter von MSL-Ausweichzielen für den Moment, wo Grösseres nicht geht. Und genau so war es an diesem Tag. Wir hatten nur ein limitiertes Zeitfenster, das gereizte Knie (nicht meines) verlangte nach einem moderaten Zustieg. Darüber hinaus war es sehr heiss, d.h. wir wollten am Schatten klettern, mussten aber die heftigen Regenfälle kurz zuvor berücksichtigen, welche viele nordexponierte Routen unpraktikabel machten. So war es dann nur erwünscht, dass an der Cheselenflue noch einige Projekte offen waren. Wie es sich zeigte, gab es im Kontinuum durchaus auch noch eine Sportkletter-Herausforderung.
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Blick auf den Sektor Chaltbach und die östlichen Melchtaler Berge, u.A. mit der Barglen. |
Wir starteten um 12.40 Uhr mit dem Zustieg, respektive eben mit der Zufahrt per Bike von der Stöckalp (1071m) zum P.1276. Diesen Abschnitt könnte man noch automobil zurücklegen, wobei dann eine (teure!) Taxe anfällt und man den wechselseitigen Einbahnverkehr auf der Bergstrasse berücksichtigen muss (gerade Stunden von .00 bis .40 aufwärts, ungerade Stunden von .00 bis .40 abwärts). Alternativ geht dieser Abschnitt auch in 20-30 Minuten zu Fuss. Dann über den alten Fruttweg hinauf, entgegen der Angabe in den gedruckten Topos hat sich als Zustieg inzwischen die Direktvariante hinauf zur Wand etabliert, welche auf knapp 1400m abzweigt (farblich markiert). Die "offizielle", erst auf ca. 1480m abzweigende Spur ist umwegiger, zeitaufwändiger und deutlich weniger ausgetreten. Den Einstieg ca. 40m rechts vom tiefsten Punkt beim Sektor Meteorit konnten wir problemlos identifizieren (grüner Punkt, noch knapp lesbare Anschrift mit dem Routennamen) und starteten um ca. 13.50 Uhr mit der Kletterei. Die Wand war übrigens gerade dabei, sich in den Schatten zu verabschieden, insofern hatte unser Timing ziemlich gut gepasst.
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Ein Blick auf die Cheselenflue, mit dem Verlauf der Route Kontinuum. |
L1, 30m, 6c: Auf los geht's los, und zwar gleich mit steiler Kletterei an kompaktem Fels mit einigen wenigen Pockets und Leisten in Querschlitzen. Wie immer bei dieser Art der Kletterei gilt es die Übersicht über die Trittmöglichkeiten zu behalten. Einmal überstreckt in der Wand sieht man diese nämlich nicht mehr und so kann subito fertig sein mit der lupenreinen Begehung. Diese gelang uns aber wie gewünscht, wobei man sich über die ersten paar Haken schon seriös festhalten muss. Obenraus wird es dann einfacher und es gibt sogar ein paar längere Hakenabstände. Das letzte Plättli war vom Steinschlag flachgedrückt und nicht mehr nutzbar (siehe Foto unten). Nachdem ich die Mutter mit dem Grübler ein wenig gelöst und das Plättli gedreht habe, sollte es nun wieder gehen.
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Noch ein paar letzte Meter an der Sonne im flachen Endteil von L1 (6c). |
L2, 25m, 5c+: Grossgriffige und damit gemütliche Kletterei. Der Fels ist nicht megaschön, aber doch solide und auch dank der guten Absicherung kommt man hier sehr zügig vorwärts. Die schwierigste Stelle ist wohl die Querung am Schluss, wobei die im Vergleich zum Rest der Route halt wirklich keine Anforderungen stellt. Den Stand teilt man sich übrigens mit der Route Roter Punkt.
L3, 20m, 6c+: Gerade obsig geht's weiter (Roter Punkt zieht deutlich nach links). Zuerst einmal über einen eher brüchigen Vorbau. Auch der erste Teil der steilen Wand darob ist nicht über alle Zweifel erhaben. Die wichtigsten Griffe sind aber mit Sika stabilisiert, passt also schon. Bald einmal müssen ein paar kleine Leisten gekrallt werden, dann heisst es kräftig über eine Seitgriffpassage in wieder mehr steilplattig-querschlitziges Terrain zu entkommen und dann pumpig unter Nutzung ebendieser Schlitze nach links zum Stand zu traversieren. Die Kunst liegt wohl darin, sich hier noch die Übersicht zu verschaffen zu können, wie die beste Sequenz verläuft.
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Feine Querschlitze krallen heisst das Motto am Ende der ausdauernd-kräftigen L3 (6c+). |
L4, 20m, 6c: Vom eher unbequemen Stand geht's gleich mit reibungslastiger Kletterei los, bald wird es aber steiler und heftig crimpy mit einer echt coolen Crux. Auch weiter folgt sehr interessante Kletterei, auch wenn der Fels im oberen Teil teilweise von einer staubigen Schicht überzogen ist. Mit einem echt coolen Schulter-Move löst sich eine zweite Schlüsselpassage im Bereich 6b+ sehr elegant, wirklich eine tolle Sache.
L5, 30m, 6b: Nach der etwas splittrigen Einstiegsstufe folgt erst botanisch-einfaches Gelände, dem Fels ist da wenig zu trauen. Vorsicht ist angezeigt, auch weil die Haken für einmal nicht so nahe beisammen stecken. Schliesslich kriegt man dann wieder kompakten Fels unter die Finger. Dies gipfelt in einer für den Grad nicht geschenkten Crux, die sich an einem Pocket abspielt, welches sich irgendwie nicht so natürlich anfühlt. Ohne zu viel verraten zu wollen sei gesagt, dass dieses Loch wirklich sehr essenziell ist. Zum Schluss gibt's dann wieder griffiges Gelände zum Stand.
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Tolles Ambiente am Ende von L5 (6b). |
L6, 25m, 7b oder 6c+ A0: Los geht's mit einem Einstiegsboulder an einer Stufe, dann bringt einen etwas einfacheres Gelände zum Filetstück der Seillänge. Zuerst will ein überhängender Wulst gemeistert werden, der mit einigen klein-positiven Leisten erst noch taugliches Griffmaterial bereithält, sehr athletisch ist es dennoch schon. Die m.E. härteste Sektion kommt beim Übergang ins nicht mehr ganz so steile Gelände danach. Da fehlen die Leisten nämlich und es gilt, sich an sloprigen Seitgriffen in die Höhe zu arbeiten. Sehr technisch geht's dann mit Zauber-Wandkletterei weiter. Spreizend wollen Reibungstritte genutzt werden, es gilt sich in die Höhe zu schieben, stemmen und drücken - mega! Das Ganze kulminiert schliesslich im Exit, wo an schlechten Leisten nochmals entschlossen blockiert werden muss, um den Ausstiegshenkel zu erreichen. In meinem zweiten Go konnte ich die Länge punkten. Ich denke, der Grad von 7b (den ich online gelesen habe und auch früher schön mündlich übermittelt erhalten hatte) passt hier tiptop. Die Absicherung im Crux-Abschnitt (obere zwei Drittel der Seillänge) ist sehr eng, A0 funktioniert da problemlos. Eines sei noch erwähnt: wer die Seillänge als 6c+ mit 2pa klettern möchte, muss mit dem Hakenziehen sparsam umgehen... die Sache ist ab dem Wulst anhaltend schwierig.
L7, 20m, 6b: Eine schöne Seillänge, welche das Abschlussbouquet einleitet. Zuerst mit kleiner Rechtsschleife durch die Wand rechts. Dann folgt ein (für die Route) sehr weiter Abstand, man quert auf einem kleinen Band nach links. Dann muss man sich an einem Wulst kurz festhalten (Achtung, brüchige Tritte), bevor es in einer steilen Verschneidung zum Stand auf der Kanzel geht. Dort kann man in 3d-Manier die Schwierigkeiten vollständig wegstehen.
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3d-Verschneidungskletterei am Ende von L7 (6b). |
L8, 20m, 6a+: Super-henklige Traverse nach rechts hinaus, kaum zu glauben, dass man in solch steilem Gelände beinahe "gehen" kann. Dann folgt gleich die Crux mit einem zächen Blockierer von einem mässig verwachsenen Block weg (möge der an Ort und Stelle bleiben!). Die Zielgerade bietet dann supertolle Wandkletterei in fett wasserzerfressen-henkligem Gestein, da kommen für einen Moment sogar Wenden-Vibes auf.
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Die Abschlussmeter in L8 (6a+) bieten tolle Felsqualität. |
Um 18.15 Uhr und damit nach 4:30 Stunden der Kletterei hatten wir das Top erreicht. Für einen Komplett-Onsight hatte es leider nicht ganz gereicht, die Cruxlänge erforderte einen Second Go, den Rest konnte ich aber auf Anhieb klettern. Aber immerhin war die Route komplett gepunktet und auch Kathrin hatte sich im Nachstieg bis auf jene Passage in L6 schadlos gehalten. Die Bedingungen am Schatten waren übrigens perfekt gewesen. Meinerseits in kurzer Hose und T-Shirt, und das ohne zu frieren - ideal! Am Routenende gibt's nicht viel zu tun, denn die Kletterei endet mitten in der Wand vor einem brüchigen Wulst (nach welchem dann wohl geneigtes Schrofengelände käme). Somit subito die Seile gefädelt und mit unseren 2x50m-Seilen zügig und bequem in 4 Manövern zurück zum Einstieg geseilt (S8 -> S6 -> (50m!) S4 -> S2 -> (50m!) Einstieg). Dort räumten wir unsere Ware zusammen, liefen zu Tale und fuhren angenehm verkehrsarm nach Hause. Ein chilliger MSL-Tag, aber doch mit einer Prise sportlicher Herausforderung, so darf es gerne immer wieder sein.
Epilog
Einen kurzen Epilog gibt's an dieser Stelle noch. Der Folgetag spielte sich nach einiger Zeit wieder einmal im Klettergarten Schlänggen in Engelberg ab. Früher waren wir dort mit den Kindern sehr oft zu Gange. Doch einerseits hat das Familienprogramm gewechselt (d.h. gemeinsame Ausflüge zum Klettern sind selten geworden) und andererseits habe ich dort alle "machbaren" Routen bereits gepunktet. Nur ein paar wenige Knacknüsse verbleiben noch und mit sporadischen Besuchen im 1- oder 2-Jahres-Rhythmus werden die sich dem Roten Punkt nicht beugen. Aber möglich wäre es mit dem nötigen Investment eben vielleicht doch. Durchaus verspüre ich den Reiz, da mal noch "aufzuräumen" und die noch möglichen Begehungen heimzutun. Das hiesse dann wohl aber, auf das abenteuerlich-explorative (MSL-)Klettern verzichten zu müssen, oder es zumindest stark einzuschränken. Schlussendlich ist es halt schon einfacher, eine 7b onsight (oder wie hier 2nd Go) zu machen, wie eine 8a/+ am (bzw. über) dem Limit fokussiert zu erarbeiten, bzw. erst einmal die dazu nötigen physischen Grundlagen anzutrainieren. Andererseits hat es auch ein bisschen den Anflug von "Bequemlichkeit", einfach nur das zu machen, was man eh schon kann. Damit sei der Effort im Kontinuum nicht kleingeredet und es war auch 100% Vollgas nötig, um schon nur das zu schaffen. Gleichzeitig ist es aber auch nicht der Trainingsreiz, welcher die offenen Schlänggen-Projekte möglich macht. Tja, "the answer my friend, is blowing in the wind". Der geneigte Leser kann ja vermutlich schon erahnen, wie diese Reise weitergeht...
Facts
Cheselenflue - Kontinuum 7b oder 6c+ A0 (6b obl.) - 8 SL, 190m - W. Britschgi et al. 1998 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Cams/Keile nicht nötig
Plaisir oder Extrem? Das ist eine Frage, welche sich gar nicht so einfach beantworten lässt. Komplett frei gemacht (was sehr gut möglich ist), ist auf jeden Fall ein Kletterkönnen nötig, welches den Plaisirbereich klar sprengt. Und auch einige andere Seillängen mit kräftiger Leisten- und Querschlitz-Kletterei im Bereich 6c/+ sprechen eher jene an, welche sich regelmässig in der Vertikale bewegen. Eines ist sicher: die Absicherung ist in den schwierigen Passagen eng bis sehr eng (Niveau xxxxx) gehalten. An ein paar wenigen einfacheren Stellen gibt's auch mal weitere Abstände (Niveau xxx-xxxx). Mit mobilem Material kann man jedoch (auch dort) nichts anfangen. Die Kletterei ist echt cool und hat mir sehr viel Spass gemacht. Ein paar Leistenpassagen an Wulsten sind etwas splittrig, zwischendurch gibt's auch mal etwas Botanik und einfaches Bruchgelände, abschnittweise ist der Fels etwas staubig-belagig. Insgesamt überwiegt aber schon tolle Kletterei in prima Fels. Topos und weitere Infos zum Gebiet bzw. der Route findet man im Plaisir Ost vom Filidor-Verlag, oder im SAC-Tourenportal.
Links zu den früher gekletterten Routen an der Cheselenflue
Roter Punkt (24.3.2001)
Stairway to Heaven (28.6.2006)
Pulsar (2.7.2013)
Orion (17.5.2014)
Die Männer vom Memmental (8.6.2019)
Krater (8.6.2019)
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