Ein Bericht von der Recherchearbeit für den Rätikonführer: bei der hier beschriebenen Kletterei handelt es sich um eine der zahlreichen Routen im Gebiet, welche bis dato nie in gedruckter Literatur dokumentiert wurden, deshalb kaum bekannt sind und noch fast nie begangen wurden. Dies bescherte uns eine spannende Entdeckungsreise dieses Werks, welches von zwei Exponenten an die Wand gezaubert wurde, die sich in der Comp-Szene einen Namen gemacht haben. Eingebohrt schon anno 2001 von Urs Stöcker, fertiggestellt erst im 2018 von Dirk Uhlig, gepunktet von letzterem im August 2020.
Angie weilte bereits oben im Rätikon, also fuhr ich mit meinem Bike auf's Grüscher Älpli (wohlgemerkt nicht von daheim) und wir liefen hinauf zum Einstieg. Man kann sowohl links wie rechts vom Pardutzkessel durch, es kommt wohl beides in etwa auf dasselbe raus. Zuletzt gilt es dann eine grössere Graszone über einem Felsriegel zu erreichen, schrofige Kraxelei (T4+) bringt einen da rauf. Der Einstieg ist mit etwas Spürsinn gut zu lokalisieren und durch einen Stand markiert, welcher mit 2 korrodierten, verzinkten BH ausgerüstet ist, deren Laschen mit kleiner Öffnung nur 1 Karabiner aufnehmen. Um ca. 10.15 Uhr starteten wir mit der Kletterei, noch tief im Schatten des Berges, was an diesem sehr milden Spätsommertag jedoch kein Problem war.
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| Ausblick auf L1 (6b), welche das komplette Trad-Gear erfordert. |
L1, 50m, 6b (original 6a): Definitiv kein Bijou und vielleicht dass man diese Länge trotzdem in Erinnerung behält, ist sie so spärlich abgesichert. Wobei die ersten 5m schlabbrig-kompakten Fels aufweisen und mit einem BH abgesichert sind - das ist die Crux, nit mal so easy. Weiter geht's dann grasdurchsetzt in auch nicht immer bombensolidem Fels, fixe Absicherung gibt's keine. Es geht aber immer gerade so einigermassen mit Bewuchs, Felsqualität und Placements. Markant sind ein rissiger Überhang in der Mitte und eine nochmals plattigere Zone mit 2 BH am Ende.
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| Die Gegenperspektive, Nachstieg in L1 (6b). |
L2, 45m, 6c: Es geht deutlich freundlicher weiter, so richtig hammermässig ist aber auch diese Länge nicht. Erst hinauf durch Verschneidungen, wo nebst 2 BH noch Cams zu legen sind. Steht man dann auf einem grasigen Pfeilerkopf, so geht's richtig los. Eine seitgriffbetonte Wandstufe will erklettert sein. Ganz ordentlich da, jedoch ist das Gestein etwas staubig und teilweise auch nicht frei von einer Prise Splittrigkeit.
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| Das sieht doch schon viel besser aus - und ist es tatsächlich auch: L2, 6c. |
L3, 30m, 7c: Hier führt die Route durch einen von weither sichtbaren, markanten schwarzen Wasserstreifen. Manchmal findet man in solchen Zonen super strukturierten Henkelfels. Solchen hätten wir gerne angetroffen, es manifestierte sich leider nicht ganz so. Erst noch easy durch eine Art Verschneidung mit verkeilten Blöcken auf den Pfeilerkopf. Von diesem weg wartet eine Boulderstelle an Slopern in die steile Wand hinein, welche nach ca. 10 weiteren Metern mit der Crux aufwartet. Diese konnten wir nicht freiklettern: der Fels ist mit einer dicken Schicht von staubigem Belag überzogen, da müsste zuerst einmal richtig gebürstet werden. Doch ob dann ausreichend Griffe für eine machbare 7c zum Vorschein kämen?!? Ich bin mir da nicht so sicher. Nach diesem Abschnitt folgt ein sloprig-abschüssiges Finish über ein Dach hinweg. Diese Passage konnte ich entschlüsseln - es ist wieder etwas einfacher, dünkte mich aber immer noch im Bereich 7b+/7c.
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| Zähes Finish an abschüssigem Fels in L3 (7c). |
L4, 30m, 6c+: Ich würde sagen, die zweitschönste Seillänge der Route. Sie bietet typisch steilplattiges Rätikongelände. Auf den ersten Metern quert man erstaunlich griffig nach rechts aus dem staubigen Wasserstreifen hinaus und erreicht so richtig raues, schönes Gestein. Ein paar abgefahrene Reibungsmoves warten, aber es löst sich alles gut auf. Im letzten Abschnitt erreicht man dann den die gesamte obere Routenhälfte prägenden Diagonalriss. Diesem entlang, nun schon wieder etwas grasig-alpin, zum Stand.
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| Mit Ausnahme der letzten paar Meter findet man in L3 (6c+) tolle, rätikontypische Plattenkletterei. |
L5, 50m, 6b: Einen solchen Abschnitt könnte man sehr gut in einer klassischen Führe aus der Pionierzeit einordnen. Man folgt alles dem Risssystem bzw. der Rampe. Erst durchquert man mittels Risskletterei nochmals den (bei unserer Begehung zum Glück trockenen) Wasserstreifen v.r.n.l., dann folgt ein Abschnitt, wo man in der Rinne stemmt, während man zuletzt an die linke Kante geht und noch steil bzw. überhangend um einen grossen Klemmblock herumkommen muss. Oberhalb von diesem befindet sich ein grosses Plateau mit bequemem Stand.
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| Eher klassisches Alpingelände mit Rissen und Kaminen in L4 (6b), die aber schön zu klettern ist. |
L6, 15m, 7a: Molto particolaaare... Erst noch kurz einfach über die Rampe, um zu sehen, was da kommt. Nun, das Risssystem hat da eine Unterbrechung, sprich es gilt einen Abschnitt in Wandkletterei zu meistern. Zwei grosse Ausbuchtungen mit ca. 1m Durchmesser prägen diese Stelle. Es heisst Sloper patschen und sich dann gekonnt unter Nutzung der beiden Features durch die überhängende Wand mogeln. So kommt man wieder auf die Rampe und klettert ein paar Meter in etwas grasigem Terrain zum Stand.
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| Hepp und Patsch heisst es in der Crux von L6 (7a), zuletzt mit Ausstieg auf die Grasrampe. |
L7, 30m, 7c+: Während die Rampe nach links weiter ginge und wohl im Bereich 6b-7a kletterbar wäre, orientiert sich die Route nach rechts in die kompakte Wand. So erlebt man hier noch die schönste Länge der Tour. Die leicht aufwärts führende Querung gleich zu Beginn bietet über die ersten 3-4 BH gleich die Crux. Sehr technische, bewegungsintensive Kletterei an kleinen Kratzern. Mit dem ersten Ausstieg auf ein Sloperplateau wird es dann etwas einfacher. Der obere Teil checkt noch bei ca. 7b/+ ein, wobei es der letzte Mantle auf die finale Platte nochmals in sich hat - tricky! Zum Abschluss wartet dann noch etwas toller Kaktusfels wie in der Saguaro, ein Genuss. Diese Länge konnte ich all free klettern. Ob einfacher als L3 vermag ich nicht wirklich zu sagen - viel, viel schöner jedoch, da gibt es keine Zweifel.
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| Schöne, aber harte und sehr technische Wandkletterei in L7 (7c+). |
Um 16.30 Uhr hatten wir nach 6:15h der Kletterei das Top erreicht - wieder einmal ganz und gar keine Speedbegehung also. Aber wenn man an beiden Seilenden eine 7c/+ auschecken will, so dauert eine solche SL dann rasch mal 1:30-2:00h, somit ist der totale Zeitbedarf nicht verwunderlich. Die Bilanz bestand aus os/flash bis auf die beiden schwierigsten, wobei die letzte eben lösbar war, während bei der ultrastaubigen 7c etliche Fragezeichen verblieben. Ob ich zurückkommen werde, um diese aufzulösen?!? Auf die Schnelle wohl eher nicht.
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| Angie beim Mantle in L7 (7c+), welcher die letzte Abwurfstelle der Route präsentiert. Auf der finalen, sehr genussreichen Passage im 6c-Bereich wird man es sich dann sicher nicht mehr nehmen lassen. |
Für uns hiess es, die Abseilfahrt anzutreten. Mit L7 waren wir wieder so weit nach rechts geklettert, dass sich der Stand nach L5 ob dem Klemmblock in ziemlich direkter Linie erreichen liess. Die nächste Strecke über die diagonal verlaufende L4 war dann eher etwas mühsam. Einmal geschafft, waren es noch 2 Manöver von Stand 3 nach 1 und von dort zum Boden. Wir liefen zurück zum Melkplatz, wo ich mich auf's Bike schwang und dem Tal und den dort auf mich wartenden Pflichten entgegen brauste. Angie hingegen blieb vor Ort, denn am übernächsten Tag wollten wir gleich nochmals ein unbekanntes Rätikon-Mysterium ergründen. Der entsprechende Bericht wird irgendwann zukünftig auch auf diesem Blog erscheinen.
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| Wunderbar wie immer das Panorama im Rätikon! |
Facts
Rätikon / Schweizereck - Parabol 7c+ (6c+ obl.) - 7 SL, 250m - Stöcker/Uhlig 2001/2018 - **;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 10 Express, Camalots 0.2-2, evtl. Keile
Eine bisher kaum bekannte und begangene Route im rechten Teil vom Schweizereck, welche einen Mix zwischen harter Sportkletterei, schönen Rätikon-Steilplatten und einem nicht unwesentlichen Teil von alpin angehauchtem Trad-Gelände bietet. Stellenweise ist der Fels super, in den einfacheren Abschnitten jedoch auch teils grasig und/oder etwas lottrig. Da die Route im Bereich eines wasserführenden Streifens verläuft (und damit nur nach Trockenperioden ein sinnvolles Ziel darstellt), ist der Fels auch teilweise von einer Staubschicht überzogen. Die Absicherung ist über weite Strecken und insbesondere in den schwierigen Passagen sehr gut auf Niveau xxxx bis xxxxx. In L1 muss ein grosser Teil mobil abgesichert werden (in unschönem, aber einfachem Gelände), auch in L2, L5 und am Ende von L6 sind Cams zu platzieren. Ein Set von 0.2-2 war uns ausreichend, für L1 könnten allenfalls noch Keile hilfreich sein. Zu erwähnen ist auch noch, dass grösstenteils verzinktes Material steckt, welches teilweise schon deutliche Korrosion aufweist.
Hinweis: in der Route (von Beginn von L3 bis zum Ende von L6) hängen defekte Fixseile, welche keinen Nutzen mehr bringen und sowohl die Optik wie auch die Kletterei stören. Es wäre aus meiner Optik wünschenswert, dass diese Seile entfernt und entsorgt werden. Wir hatten leider kein Messer dabei und ohne ein solches sind die stark versprödeten Knoten unmöglich aufzukriegen.











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