Diesen Winter kommen die Tage und sie gehen, mit ihnen Fronten, Tauwetter, Schneefall, selten mal auch ein bisschen Sonne. So geht die Zeit rum, und zum Eisklettern kommt man kaum. Grund genug, um eine Gelegenheit am Schopf zu packen, und mit Jonas einmal das Zanai auszuchecken. Wir zielen auf den "Azzurro", erstbegangen 1998 von Thomas Wälti und einem Kletterpartner von mir, Werni Birrer.
Aber ob es da wohl Eis hat? Ganz sicher sind wir uns nicht, aber aufgrund der Höhenlage mit Einstieg auf ca. 1500m, sollte es wohl gut sein. So beschliessen wir, es zu wagen. Der nächste Entscheidungspunkt ist der Zustieg: von unten, sprich von Valens, oder doch von oben her, via die Pizolbahnen? Die Entscheidung wird uns abgenommen, denn der alte Zustieg durchs Mülitobel liegt neuerdings in einer Wildruhezone, somit verbleibt einzig die letztere Variante: von Wangs (9.00 Uhr) geht's zügig und für 13.50 CHF (mit Halbtax) in die Höhe. Von der Pizolhütte runter ins Valplona und dann wegen den Wildschutzgebieten rechts (westlich) des Bachs runter nach Laubboden P.1457 und weiter im Bachbett zu P.1352. Kurz darauf wird angefellt und etwa 160hm durch tiefen Schnee an den Einstieg (10.30 Uhr) hochgespurt. Effiziente Sache, sicher deutlich besser wie der Zustieg von unten.
Der obere Sektor mit "Ein Fall für Zwei" (WI5) und "Tatort" (WI6+) |
Na also, da sind wir, doch ein Utensil fehlt: mein Gstältli. Kaum als wir in die Pizolbahn einstiegen, schoss es mir durch den Kopf, dass dieses noch zuhause im Ikea-Bag mit den Hallenkletterutensilien steckt. Aber deswegen umdrehen, nöö, ist nicht nötig, schliesslich kann man improvisieren. Dementsprechend wird nun wird also kunstvoll geknüpft: zwei 120er-Bandschlingen reichen eigentlich schon aus, mit etwas zusätzlicher Reepschnur bastle ich noch fesche Materialschleifen und bald kann es losgehen.
Die erste Stufe sieht ziemlich gutmütig aus (WI3), entpuppt sich dann aber als gar nicht so leicht: das Eis ist morsch, ziemlich dünn und teilweise unterspült, dazu noch überschneit. Es artet zum Ratespiel aus, wo sich etwas solideres Material befindet. Hin und wieder lässt sich auch noch eine vernünftige Schraube eindrehen und so erreiche ich die flacheren Schneehänge darob. Stand links an dünnem Tännlein.
Der untere Sektor. Unsere Tour, der "Azzurro", verläuft in Bildmitte. |
Danach folgen etwa 100m Schnee, ca. 35 Grad steil, man kann gut gemeinsam steigen. Nun folgt der wesentliche, obere Wandteil. Es folgt zuerst eine 30m hohe Stufe (WI4-), die wiederum ziemlich überschneit ist, und auf den ersten Blick trivial aussieht. Ist sie aber nicht. Auch hier ist das Eis meist mürbe, an den flacheren Stellen hat es mühsame Schneelinsen und so irgendwie halbgefrorenen Pflotsch. Wühlen, abräumen, an allen solideren Stellen ausgiebig schrauben, so erreiche ich den nächsten Stand.
Nun folgt die erste Cruxlänge (WI5): das kann ja heiter werden. Hier, im Steilen ist das Eis zwar immer noch nicht von Top-Qualität, aber doch solide und vernünftig bekletterbar. Aber sobald die erste Verflachung folgt, hat es wieder das altbekannte, üble Schnee-Eis-Pflotsch-Gemisch, und jenes Eis, das es hat, ist meist morsch. Jonas meistert eine erste, heikle Stelle, dann nochmals steileres, besseres Eis, zuletzt ein heikler Ausstieg, schliesslich Stand nach 60m.
Blick auf den oberen Teil von "Azzurro". Hier sieht man ca. 70 steile Klettermeter, die Perspektive täuscht! |
Die gemäss Topo letzten beiden Längen (WI4 und WI5) kann man zusammenhängen. Nach kurzer Stufe zu Beginn flacheres Gelände mit heiklen, total ätzenden Schneelinsen. Der folgende Steilaufschwung bietet schöne, pumpige Kletterei in zum Glück gutem Eis. Am schwersten ist wieder der Übergang ins flachere Gelände, es liegt auch hier an den Bedingungen. Dann nochmals 25 eher heikle Meter bis zum Ausstieg, mit erneut teilweise mürbem Eis und zuletzt viel Schnee.
Die heikle Kletterei hat ganz schön Zeit gefressen, und es ist schon 15.45 Uhr, als wir oben sind. Die Abseilerei ist dann nochmals zeit- und nervenaufreibend. 3x seilen wir an dünnen Lärchen ab, einmal an einer Sanduhr, dazwischen auch noch etwas Fussabstieg. Und ja, die freihängende Abseilstelle war mit meinem Schlingengstältli doch eher unbequem!
Jonas steigt die steile Cruxlänge sauber vor. |
Verbleibt noch der Abstieg, welcher nochmals einen zünftigen Aufstieg beinhaltet. Um nicht die Wildruhezone zu verletzen muss bis zum P.1872 im Valplona aufgestiegen werden. Im tiefen und faulen Schnee ist das eher mühsam. Schliesslich geht's auf der Alpstrasse runter nach Valens. Um 17.45 Uhr sind wir da, flugs mit dem neuen, smarten Telefon ein Billett gekauft, und um 18.07 Uhr steigen wir ins Postauto. Wow, das war jetzt doch ein ziemliches Abenteuer - und die Kletterei im schlechten Eis definitiv etwas ganz anderes als die Genuss-Touren im Avers und am Hoch Ducan bei perfekten Bedingungen.