* Text: Marcel, Fotos: Chris, Adrian, Marcel
Die beiden im Titel erwähnten Gipfel sind einsame Ziele, die zwischen Voralp- und Chelenalptal im Herzen der Schweiz liegen. Während der Brunnenstock sich bis auf die sehr abgelegene Lage offensichtlich ohne grössere Schwierigkeiten im Rahmen einer Skitour erreichen lässt, stellt das Voralphorn eine Unbekannte dar. Der SAC-Führer wirft eine Sommerbewertung von WS aus. Ganz lapidar steht da: "von der Scharte zwischen P.3202 und P.3203 erreicht man den Gipfel von Süden". Über das zu erwartende Terrain und die Schwierigkeiten steht da rein gar nichts geschrieben, und auch das Netz hat(te) ausser einem Bericht einer Sommerbegehung nicht viel Informatives zu bieten.
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob man denn eine solche Tour im Internet dokumentieren soll, wenn man sie begangen hat. Immerhin löst eine solche Beschreibung wiederum einen der immer rareren weissen Flecken von der Schweizer Landkarte. Die letzten Ungewissheiten werden ausgeräumt und der Abenteuerfaktor sinkt. Zudem habe ich gerade kürzlich wieder ein extrem negatives Feedback zu diesem Blog erhalten. Es gibt tatsächlich Leute, denen sind solche Beiträge so zuwider, dass sie den Blog am liebsten auf den Mond schiessen würden. Sowieso sei alles nur Selbstdarstellung, und es würden höchstens Leute auf Touren gelockt, denen sie nicht gewachsen wären.
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Super Tourengelände! Im Aufstieg zur gut sichtbaren Lücke 3110m zwischen Chelenalp- und Voralphorn. |
Nun, sowas muss man entweder abhaken, oder dann aufhören. Nachdem ich persönlich aus Internet-Tourenberichten in der Regel weit mehr nützliche Infos entnehme als aus der Führerliteratur (die in diesem Beitrag vorgestellten Gipfel sind ein sehr gutes Beispiel dafür), bleibe ich mit eigenen Beiträgen ebenfalls aktiv. Zusätzlich: auch wenn man von gewissen Personen als Blogger schon nicht (mehr) für voll genommen wird, so wiegen für mich die nur dank dem Blog entstandenen Bekanntschaften deutlich höher. So ergab sich schon manch tolle Tour, die ich ohne meine Web-Aktivitäten kaum hätte unternehmen können.
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Zuerst ist aber ein langer Zustieg durchs flache Voralptal zu bewältigen. Landschaftlich aber prima! |
Tourenbericht
Zur Verfügung stand das absolute Traum-Weekend: es war perfektes Wetter ohne Wind mit milden Temperaturen aber ohne Tauwetter angesagt. Eine üppige, sichere und mit etwas Gespür noch pulvrige Schneedecke lag, der südseitige Fels war bereits gut ausgeapert und bekletterbar, und auch im Eis ging noch vieles. Was natürlich wiederum die Qual der Wahl verursacht. Nach Diskussionen, Setzen von Prioritäten, Erwägen und Verwerfen etlicher Ideen einigten wir uns schliesslich, im Voralptal einen Versuch zu starten. Nach nächtlicher Anfahrt ging es kurz vor 6 Uhr morgens in Abfrutt P.1165, kurz hinter Göschenen los.
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Da kann man wieder sagen: so eine breite Skipiste, aber überhaupt keine Skifahrer: Flachsteinfirn. |
Bis zum Beginn des wirklich lohnenden Skitourengeländes sind +/- 700hm und 2 Stunden Zustieg zu erledigen. Erst auf der gepisteten Strasse gegen die Göscheneralp hin, dann etwas mühsam durch den Wald am Eingang des Voralptals oberhalb Wiggen, schliesslich im lieblichen, aber flachen Tal selbst. Erst auf 1900m biegt man links ab und steigt die idealen Hänge hinauf zum Flachensteinfirn und den Gipfeln. Das reduziert natürlich die Zahl der Anwärter beträchtlich, somit wird auch nach diesem Bericht kein Ansturm auf die nun beschriebenen Gipfel erfolgen.
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Kraftraubender Aufstieg in die Lücke 3110m. Es ist deutlich steiler, als es hier den Anschein macht! |
Eine Spur anlegend gelangten wir problemlos unter das Couloir, welches in die Lücke (ca. 3110m) südlich vom Voralphorn hinaufführt. Dieses ist knapp 100hm hoch und gegen 40 Grad steil. Wegen der SE-Exposition dürfte es häufig eingeblasen sein und auch der Bergschrund kann Schwierigkeiten bereiten, also Vorsicht! Diesbezüglich gab es keine Probleme für uns, dennoch war der Aufstieg mit vielen Spitzkehren anstrengend und wegen der teils auf dem harten Untergrund abrutschenden Schneedecke kraftraubend. Nach 5 langen und harten Stunden Aufstieg hatten wir die ersten knapp 2000hm im Kasten und pausierten in der Lücke 3110m ausgiebig.
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Zum Schluss sind etliche Spitzkehren nötig, bis man die Lücke 3110m erreicht hat. |
Der Weg von da zum Voralphorn sah zwar nicht trivial, aber auch nicht unmöglich aus. Da würden wir sicher einen Versuch wagen und auch wenn ein Erfolg nicht sicher war, so bestanden doch vernünftige Chancen, den Gipfel zu erreichen. Wir entschieden dann aber gemeinsam, dem einfacheren, aber noch weiter entfernten Brunnenstock einen Besuch abzustatten. Das erforderte, von der Lücke 3110m nach Westen durch ein Couloir rund 80hm auf den Brunnenfirn abzusteigen. Auch dieses Westcouloir war rund 40 Grad steil, der Schnee war aber griesig, es hatte es viel weniger davon, ja teilweise schauten gar die Felsen heraus. Einmal unten auf dem Firn, ging es dann aber zügig die knapp 200hm Richtung Brunnenstock. Man steigt die zuletzt recht steile S-Flanke hoch. Den Gipfel erreicht man entweder wie wir von links über den SW-Grat (Skidepot 40hm vor dem Top, einfacher Fussaufstieg über einen Blockgrat, trotzdem kann man auch hier abstürzen!), alternativ ginge auch der E-Grat (Skidepot 15hm unter dem Top, minimal kürzerer Fussaufstieg, aber steil und exponiert).
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Unterwegs zum Brunnenstock (3211m). |
Auf dem Gipfel hielten wir eine Rast. Während der Brunnenstock an sich eine nicht besonders bedeutende Erhebung ist, so liegt er doch in einer sehr schönen, einsamen Gebirgslandschaft. Die Blicke auf Dammastock, Sustenhorn, Fleckistock und viele weitere Gipfel waren grandios. Nach etwa 20 Minuten machten wir uns wieder auf den Weg, wir hatten ja noch etwas vor. Es folgte eine erste Abfahrt in feuchtem Pulver un der Wiederaufstieg zur Lücke 3110m durch das Westcouloir. Diesen machten wir zu Fuss, ob dem griesigen Schnee war er kräftezehrend. Gute 1.5 Stunden nach unserem Aufbruch hatten wir die Lücke wieder erreicht und standen am Ort, wo der Gipfelgang zum Voralphorn beginnen konnte.
Adrian hatte sich entschieden, in der Lücke zu warten. Bei Chris und mir war der Mumm für einen Versuch aber nach wie vor da, und so machten wir uns kletterfertig. Nach einige gerölligen Metern geht es dann gleich richtig los. Ein rund 50m hoher Steilaufschwung will bewältigt werden. Der Granit ist, wie ich finde, von durchaus guter alpiner Qualität. Natürlich ist in einem solchen Gelände nicht ganz alles bombenfest und so vermute ich, dass viele den Fels am Voralphorn vermutlich als brüchig bezeichnen würden. Ebenso muss man wissen, dass man sich hier zwar nur in Zweier- oder vielleicht maximal kurz im Dreiergelände bewegt, die Kombination von Skischuhen, Steigeisen und plattigem Granit aber definitiv leicht suboptimal für die Felskletterei ist.
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Wiederaufstieg in die Lücke 3110m durchs Westcouloir. |
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Sicht von unten aufs Westcouloir in die Lücke 3110m, links die Felsen vom Voralphorn, die es zu erklettern gilt. |
Somit ist klar, dass man erstens Erfahrung im Klettern braucht und zweitens einigermassen gut auf den Steigeisen stehen können muss. Die Felsen waren zwar weitgehend schneefrei, die Ausnahme hiervon wurde aber natürlich von allen guten Griffen und Tritten gebildet. Die Steigeisen an den Füssen waren also unabdingbar, jedoch kletterte ich lieber mit den blossen Händen wie mit den Eisgeräten. Ebenso ist keinerlei fixe Absicherung vorhanden, d.h. man muss nicht nur selber Friends und Schlingen legen (was recht gut möglich ist), sondern auch selbständig den besten und einfachsten Weg finden - dies alles gelang mir tiptop und ich erreichte eine Verflachung, von wo die Schwierigkeiten deutlich abzunehmen schienen. Von da waren es dann noch rund 10 Kletterminuten über den nun einfacheren, gut begehbaren Blockgrat zum Gipfel. Auf diesem ist Seilsicherung weder nötig noch zweckmässig. Dennoch Vorsicht, auch das ist noch Absturzgelände!
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Kletterei am Voralphorn, 2.-3. Grad, mit Skischuhen und Steigeisen. |
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Trotzdem geht es zügig voran. Man muss selber absichern, was aber recht gut möglich ist. |
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Sicht von oben. Der Fels grösstenteils schneefrei, aber eben nicht komplett. Steigeisen waren also unverzichtbar. |
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Chris am Ende der grössten Schwierigkeiten, aber hier folgt der einfachere Blockgrat. |
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Hier der erwähnte Blockgrat. Nicht wirklich schwierig, dennoch kein Spaziergang. |
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Am Top. Mindestens einer der beiden ist etwas "uf de Schnurre". |
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Im Abstieg seilten wir über die steilsten Passagen an natürlichen Verankerungen ab. |
In rund 30 Minuten nach Aufbruch von der Lücke, und 7.5 Stunden nach unserem Aufbruch im Tal hatten wir glücklich und (ich) auch bereits ein bisschen müde den zweiten Gipfel erfolgreich erreicht. Nun galt es noch, sicher wieder ins Tal zu kommen. Der Blockgrat war keine Sache, über die Steilstufe seilten wir 2x an Felszacken ab, so dass wir eine gute Stunde nach Aufbruch wieder in der Lücke 3110m und zurück bei Adrian waren. Dann wurden die Skis angeschnallt, und über fabelhafte Pulverhänge (und dies fast 3 Wochen nach dem letzten Schneefall!) kurvten wir retour ins Voralptal. Unten im Flachen, beim Stöckeln und Treppeln, stellte sich bei mir plötzlich die grosse Krise ein. Mit der 700hm nonstop-Spurarbeit hoch zur Lücke 3110m, den anstrengenden Couloir-Aufstiegen, viel Sonne, der Wärme, wenig Schlaf und nicht ausreichender Kohlehydrat- und Flüssigkeitszufuhr wies ich plötzlich Probleme mit dem Kreislauf auf: es flimmerte und wurde mir schwarz vor den Augen, beinahe ging ich KO. So musste ich mich 2x sogar im Schatten etwas hinlegen, um mich etwas abzukühlen und auszuruhen. Nach zwei, drei Minuten ging es dann wieder besser, und ich konnte den restlichen Weg zum Auto erledigen, wo sich der Kreis 9.5 Stunden nach Aufbruch wieder schloss. Bald waren wir beim nächsten Gasthaus, wo nach einem grossen Cola Unterzuckerung und Flüssigkeitsmangel behoben werden konnten. Unverzüglich fühlte ich mich wieder bei Kräften, schon beinahe hätte es für eine zweite Runde gereicht ;-)
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Die Skiabfahrt einfach ein Traum und das Zückerchen auf diese Tour. |
Facts
Brunnenstock und Voralphorn bieten einsame, alpine Skitouren im weitläufigen Voralptal. Beide werden äusserst selten besucht, so dass man hier meist seine eigene Spur legen kann und muss. Somit sind die lauf-, konditions- und orientierungsstarken Tourengängern vorbehalten. Die skitechnischen Schwierigkeiten sind bei der Bewertung S einzustufen und beschränken sich eigentlich auf das Couloir zur Lücke 3110m. Während der Brunnenstock einen recht zugänglichen Fussaufstieg bereit hält, ist am Voralphorn alpine Kletterei gefragt, die Seil und Sicherungsmaterial erfordert. Ich würde folgendes empfehlen:
- Klettergurt
- mind. 30m, besser 40m-Seil
- Steigeisen
- Pickel (Eisgeräte kaum notwendig)
- 3-4 mittlere Friends (zB Camalots 0.4-1)
- Bandschlingen und Reepschnüre
Weitere Infos und Fotos findet man im sehr guten, ausführlichen
Bericht von Chris.
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Davon kann man nicht genug bekommen! |