Geduldig sollte, stark müsste man sein. Irgendwie war ich gestern weder das eine noch das andere, und so ging mir die angepeilte 8a auf der Ibergeregg doch noch beinahe durch die Lappen. Bereits im letzten Herbst hatte ich mich dieser Route am steilen Zahn bereits einmal gewidmet. Dabei konnte ich eine für mich machbare Sequenz identifizieren und erachtete die Tour als reif für den Durchstieg.
Doch an jenem Spätherbsttag gab es keinen Versuch mehr, die Dunkelheit brach schon herein und wir mussten nach Hause. Bald darauf hielt der Winter Einzug, womit es vorerst vorbei war. Doch nun war es gestern endlich soweit, der säuberlich zurechtgedachte Plan sollte ausgeführt werden. Dumm nur, dass ich vorerst wieder keinen genauen Plan hatte, wie man die Route klettert. Notizen hatte ich mir keine gemacht, der Anfang ist gleich sehr steil und schwierig. Dazu trittarm und auch nicht verschwenderisch reich an Henkeln, d.h. es ist absolut entscheidend, wie man hier die Spannung aufbaut und in eine Sequenz einreiht. So waren schliesslich 3 Versuche nötig, bis die Beta wieder perfekt austariert war. Das tönt nach viel, doch in diesem Gelände geht's für mich nur, wenn ich möglichst die ganze schwere Sequenz durchklettern kann - was aber nur geht, wenn ich weiss wie. So beisst sich die Katze in den Schwanz... und wir kommen zu Lektion 1: bei Projekten, welche man erst sehr wenig besucht hat und wo man möglicherweise länger nicht mehr hin kommt, macht man sich ein paar Notizen zur richtigen Sequenz. Diese zwei Minuten Aufwand sind gut investierte Zeit.
An dieser stark überhängenden Nase verläuft die Route "Geduldig und Stark" (8a). |
Der vierte Go scheiterte, da ich nach dem dritten nicht pausierte, sondern mit dem Putzen von einem Projekt anderswo in diesem Garten widmete. Hmm, auch das braucht Kraft, und die fehlte dann beim Klettern. Nun also eine lange Pause, nur mit Käfelen und geniessen der Aussicht. Das wirkte recht gut, ich war also nicht nur geduldig, sondern auch stark. Im fünften Go hätte es gereicht, nur rutschte mir beim Dynamo, welcher den ersten Routenteil und damit die Crux abschliesst, der Fuss weg und das war's. Da so wenig gefehlt hatte, und irgendwie auch um diesen Lapsus auszubügeln, stieg ich schon nach 15 Minuten Pause wieder ein. Wie dumm so etwas ist, konnte ich bald selber feststellen, da mir dieses Mal die Kraft für den entscheidenden Dynamo schon im Ansatz fehlte. Damit sind wir bei Lektion 2: man legt für RP-Versuche im Vornhinein fest, wie lange man bis zum nächsten Go mindestens pausiert (in diesem Beitrag findet man Anhaltspunkte dafür). Dann stellt man einen Timer und hält sich strikte daran, selbst wenn man sich schon vorher bereit fühlt, denn meistens ist man's eben doch nicht. Und während der Pausen wird geruht oder gesichert, andere Routen klettern, sonstige Anstrengungen oder auch übermässiges Sonnenbaden sind sicher nicht hilfreich.
Stimmungsbild von der Ibergeregg mit Blick auf den Vierwaldstättersee. |
So langsam aber sicher drohten mir nun die Felle davonzuschwimmen und der vermeintlich sichere Durchstieg zu entgleiten. Als einzige Option blieb es, erneut mit einer langen Pause geduldig zu sein und auf zurückkehrende Kräfte zu hoffen. Als die Abenddämmerung dann schon hereinschlich, startete ich zum definitiv letzten Go des Tages. Trotz der Pause war ich nach den vorangegangenen Efforts nun nicht mehr ganz bei 100%, aber mit Entschlossenheit und dieses Mal stimmiger Präzision kam ich durch die erste Sequenz und schnappte mir das Horn, an welches dynamisiert wird. Bald darauf folgen Henkel, ein Rastpunkt, an welchem neue Kräfte generiert werden wollen. Aber wie es so ist, wenn man einmal über einen gewissen Punkt der Ermüdung raus ist: sie kommen dann irgendwie nicht mehr so richtig zurück. Mir graute schon vor der nächsten, nochmals bouldrigen Sequenz, die mit einem weiteren Schnapper abgeschlossen wird. So nutzte ich den Rastpunkt nicht bloss für das Zurückgewinnen der Kraft übermässig lang, sondern auch aus Angst, die Begehung im einfacheren, oberen Teil doch noch zu vergeigen. Zack, zack, zack, war ich schliesslich über diesen Teil hinweg und konnte mich auf dem Zahnfleisch dem finalen Jug-Pulling zum Umlenker widmen, puh, doch noch geschafft! Somit sind wir bei Lektion 3: egal was war, egal wie schlecht es bisher gelaufen ist. Jeder Versuch beginnt wieder bei null und stellt die Chance zum Durchstieg dar. Daran glauben hilft immer, nicht aufgeben und festhalten auch.
Facts
Der Klettergarten Chli Schijen auf der Ibergeregg hält gegen 100 Routen von ganz einfach bis 9a bereit. Es handelt sich um eine Gruppe von freistehenden Felsnadeln und Riffen. Das Gelände ist ziemlich verwinkelt und man braucht eine gewisse Zeit, bis man sich orientieren kann. Wer sucht, der findet aber von der grossgriffigen, geneigten Anfängerkletterei bis zu massiv überhängender Wandkletterei fast alles, was das Herz begehrt. Leider gibt es aktuell keinen Kletterführer, welcher alle Möglichkeiten vollständig auflistet und der wirklich auf dem neusten Stand ist. Hier gibt es ein frei verfügbares PDF, welches aber doch ziemlich gut weiterhilft. Und den Rest kann man ja selber entdecken. Die beste Jahreszeit, um am Chli Schijen zu klettern ist ganz sicher im Herbst über dem Nebelmeer. Im Frühling bleiben hingegen viele der schweren Sportkletterrouten recht lange nass.
Gratulation, Marcel. Allzu viele Wiederholungen hat diese Route wohl noch nicht gesehen, obwohl sie gleichermassen offensichtlich und spektakulär neben dem Weg liegt. Und jetzt weisst du auch, weshalb ich die Route so benannt habe ... :-)
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