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Sonntag, 4. November 2018

Rätikon - Mauerläufer (7b)

Der Mauerläufer ist eine grosse Felstour am Drusenfluh Westgipfel. Er wurde 1983 von Vital Eggenberger und Stefan Furger eingerichtet und stellt einen Hybrid zwischen klassischer Alpinführe und einer Freiklettertour aus den 1980er-Jahren dar. So sind 6 von total 12 Seillängen clean geblieben und auch in den restlichen ist die Ausrüstung nur spartanisch vorhanden. Demgegenüber stellen zwei schwierige Stellen, die anlässlich der Erstbegehung hakentechnisch begangen wurden. Wir wollten einerseits die Wildheit dieser freien Führe mit dem berühmt-berüchtigten Dachquergang spüren und andererseits die technischen Stellen befreien.

Die SW-Wand am Drusenfluh Westgipfel mit dem Verlauf der Route Mauerläufer (letzte 2 SL gehören zur Kammermusik).
Unsere Tour begann um 8.00 Uhr beim Melkplatz. Während ich sonst in letzter Zeit immer der Güterstrasse zum Heidbüel gefolgt war, wollten wir dieses Mal direkt von zweiten Kehre der Güterstrasse weglos zum Prättigauer Höhenweg und weiter Richtung Einstieg gehen. Dabei gilt es jedoch aufzupassen, dass man sich nicht in mühsam bewachsenes und kupiertes Gelände verkoffert. Sprich, ohne gute Ortskenntnisse ist der Direktweg dann eben unter Umständen doch nicht schneller. Uns gelang es aber prima und bereits nach 1:10h Aufstieg waren wir beim Einstieg vom Mauerläufer angelangt. Das ist eine sehr gute Zeit, normal darf man eine Halbstunde mehr kalkulieren. Die Sonne war noch hinter dem Berg versteckt, sonst gab es auch nicht mehr viel zu tun, also stiegen wir umgehend ein. Um ca. 9.20 Uhr hatten wir die Seile vorbereitet und die Schuhe gewechselt, es konnte losgehen.  

L1, 40m, 6a: Die erste Länge hat es gleich in sich und liefert einen Vorgeschmack auf das, was noch folgt. Es ist ein herber Auftakt, jedoch mit der guten Nachricht, dass wer hier durchkommt, dann wohl auch dem Rest gewachsen ist. Am doch schon reichlich exponierten Einstieg gibt's nichts als eine dünne Sanduhr und 3m links noch einen alten Schlaghaken. Gleich die ersten Meter sind nicht trivial, rechts befindet sich versteckt ein schlechter Haken, dann das offensichtliche, auch nicht viel bessere Hakenpaar. Zum erlösenden Bohrhaken hinauf sind's dann gute 5m, wo erst verschärft auf Reibung angetreten muss und dann an Wasserrillen geklettert wird (expo, die 6a ist auch nicht geschenkt!). Nach dem Bolt wird's etwas einfacher, der finale Wulst dann nochmals fordernd mit unklarer Linienführung, splittrigem Fels und mässiger Sicherung an Cams. Am besten in direktem Seilverlauf "gredi obsi".

Herber, plattiger Auftakt in L1 (6a). An dieser Stelle nach 15m klippt man endlich den BH als erste, verlässliche Sicherung.
L2, 35m, 2a und L3, 30m, 4a: Die zweite Seillänge führt in einfacher Kletterei über ein paar Stufen zu einem Geröllplatz, wo man den nächsten Muniring antrifft. Von diesem führt L3 mehr oder weniger gerade hinauf. Je mehr man sich rechts vom Grund der Kaminrinne weghält, desto schöner aber auch schwieriger ist die Kletterei, es steckt kein fixes Material. Der Muniring befindet sich weiter rechts als man denken könnte. Man darf einfach nicht durch die steiler/schwieriger werdende Verschneidung hinaufsteigen, dann wird man ihn finden.

Die Bewertungen stammen aus einer Zeit, wo ein Vierer noch etwas galt. Es handelt sich definitiv nicht einfach um verschärftes Gehgelände mit einem Haken alle 2m. Nach modernem Plaisirstandard würde man hier (L3, 4a) vermutlich eher mit 5b bewerten. 
L4, 5c: Nun geht's nach rechts hinaus in die plattig-kompakte Wand. Es sind aber immer wieder Strukturen da, so dass man noch bei moderater Schwierigkeit durchkommt. Ein NH und ein BH sind ebenfalls vorhanden. Die Crux liegt in der plattigen Querung und den darauf folgenden Metern um den BH herum. Danach ist noch etwas kühles Blut gefragt: eine lockere Schuppe wird sowohl für einen Mantle wie auch als Sicherungsmöglichkeit für einen Cam genutzt. Zum Klettern hält's, einen Sturz aber wohl eher nicht?!?

Imposantes Plattengelände in L4 (5c), wo immerhin 2 fixe Zwischensicherungen stecken.

Die Felsqualität in dieser Seillänge (L4, 5c)  ist perfekt, Rätikon-Idealfels.
L5, 45m, 6c+: Die untere Cruxlänge beginnt gleich mit den Hauptschwierigkeiten an einem Wulst. Hier stecken für einmal viele fixe Sicherungen (konkret: alte Kronenbohrhaken und Schlaghaken), diese wurden jedoch zum technischen Klettern gesetzt. So ist aus der Kletterstellung vor allem der entscheidende Bolt nur erschwert zu klippen. Zudem ist dessen Lasche mit kleiner Öffnung auch noch mit Uralt-Schlingen zugemüllt, so dass man nur das vergammelte Textilbündel klippen kann. Aber man darf einfach nicht das Vertrauen verlieren, muss gut auf die Füsse stehen und Ausschau nach den kleinen Crimpern halten, die durchaus vorhanden sind. Mir gelingt erst im Second Go der Rotpunkt-Durchstieg. Danach nehmen die Schwierigkeiten ab. Sehr kühn klettert man bei immer weiteren Sicherungsabständen durch den grossen Plattenschuss - es geht aber immer gut auf, dieser Teil ist nur noch ca. 6a. Ein Problem besteht aber mit der Routenfindung - sowohl der Panico Rätikon Süd wie auch der SAC-Führer Graubünden verheissen einen, weit nach links bis zum Schwarzen Diamant hinüber zu queren. Wo der Diamant verläuft, weiss ich nach meiner letztjährigen Begehung, die Querung erscheint mir unlogisch, schwierig und kaum mobil abzusichern. So entscheide ich mich schliesslich, die Empfehlungen in den Wind zu schiessen und folge der Linie der geringsten Widerstands, die zuletzt eher wieder rechtshaltend hinaufsteigt. Damit liege ich genau richtig, ich steige direkt beim Muniring auf den Absatz aus - ein solcher Fehler in den Kletterführern ist aber schon grob irreführend!

Im Vordergrund die erste Schlüsselstelle (L5, 6c+), die notfalls auch gut A0 zu machen ist.
Der obere Teil von L5 (6c+) ist dann sehr frei und führt mitten durch die kompakte Platte. Fixe Sicherungen: Fehlanzeige!
L6, 2a und L7, 3c: Ein 15m langes Überführungsstück über ein gestuftes Band führt nochmals zu einem Muniring am Fuss der markanten, hellen Wasserrillenplatte. Von dort sind es weitere 45m bis zum nächsten Stand auf dem Pfeilerkopf. Die beiden Seillängen lassen sich also gut verbinden, indem man kurz gemeinsam steigt. Fixe Absicherung ist keine vorhanden, in den tiefen Wasserrillen kann man aber immer wieder gut Cams legen. Nach heutigen Plaisir-Massstäben würde man jedoch eher mit 4c oder 5a bewerten, ganz trivial sind die Moves nicht auf jedem Meter.

L8, 30m, 5c: Eine kühn aussehende Seillänge durch kompaktes Steilplattengelände. A priori scheint es mehrere Optionen für die Linienwahl zu geben. Wer sich nicht auf Experimente einlassen will, konsultiert am besten den alten SAC-Führer Rätikon von Vital Eggenberger. Schlussendlich lässt sich die Kletterei aber mit mobilen Mitteln gut absichern, der nachträglich hinzugefügte Bolt in der Mitte dient sogar mehr der Orientierung, als dass er zwingend nötig wäre. Die zweite Hälfte der Seillänge dann ein bisschen einfacher in weniger kompaktem Gelände.

Kühne und sehr freie Kletterei in L8 (5c). Oben der grosse Dachriegel, der danach erklettert wird.
L9, 30m, 7ab: Nun folgt die "Signature-Pitch" vom Mauerläufer, mit der zweiten technischen Passage über den Dachwulst und dem nachfolgenden, luftigen Plattenquergang oberhalb vom Dach. Ich bin zum Freiklettern gekommen, will also der Sache einmal auf den Zahn fühlen. Mit einem Onsight ist jedoch nix los. Erst bricht mir ein Tritt aus, dann stecken die Haken fürs Freiklettern wieder sehr ungünstig und erneut sind die Laschen mit alten Schlingen zugemüllt, so dass sich die Karabiner nur sehr erschwert oder gar nicht klippen lassen. Zudem ist das Material hier auch eher antik: z.B. ein von unten nach oben geschlagener Profilhaken (dem man kaum das Halten des Körpergewichts zutraut), die Kronenbohrhaken, ein Fixkeil und um technisch Hochzukommen ist tatsächlich auch ein Aid Move an einem (gar nicht so einfach zu platzierenden) Cam zwingend. Ich muss doch eine Weile bouldern, bis ich eine frei machbare Lösung identifiziert habe. Schliesslich ist diese gefunden, ich lasse mich ab, ziehe das Seil ab und gleich geht's los. Somit bin ich a) nicht bei Kräften, stelle b) mitten im Steilgelände fest, dass ich mich nicht einmal von allem unnötigen Ballast befreit habe (Schuhe, Jacke, Getränke noch am Gurt) und c) geht auch meine Beta an entscheidender Stelle nicht zu 100% auf und erfordert kostbare Körner, um doch weiterzukommen. Mehrere Amateurfehler aufs Mal mag's jedoch vor den sehr athletischen Abschlussmoves nicht leiden und so scheitert mein Rotpunkt-Go, schade! Für einen weiteren Versuch wäre nun eine Pause notwendig - weil doch schon einiges an Zeit vergangen ist und der Weg zum Ausstieg noch sehr weit scheint, steigen wir schliesslich weiter. Diese Einschätzung war nicht ganz korrekt: während beim Schwarzen Diamanten der Ernst der Sache erst auf Höhe des Mauerläufer-Quergangs beginnt, ist man beim Mauerläufer selber nach dem Quergang bald einmal aus der Wand draussen. Mir bleibt der Trost, die Passage immerhin freigeklettert zu haben. Nach heutigen Massstäben ist die 7a-Bewertung aus den Kletterführern eher zu tief angesetzt, meine ich. 7a+ oder 7b oder halt hart UIAA 8+ dürften der Sache näher kommen. Markant schwieriger wie die erste Techno-Passage in L5 ist's auch. Der Quergang danach ist dann keine grosse Sache mehr. Ein paar Moves noch ich Bereich 5c/6a, zum Schluss ist's dann schon fast nur noch "verschärftes Gehgelände". Trotzdem wird der Nachsteiger dankbar sein, wenn auch der versteckte NH auf dem Weg zum Standplatz geklippt ist.

Gibt etwas einen Eindruck der zweiten Techno-Passage: stark überhängendes, athletisches Pullen an Untergriffen, ca. 7b.
Der eigentliche Quergang oberhalb der Dachzone ist dann plattig mit irre strukturiertem Fels - fast ein Spaziergang.
L10, 40m, 5c: Es folgt der zweite, schwierigere Teil vom Quergang. Zuerst zu einem (etwas im Schilf steckenden) BH, dann muss leicht abwärts zu einem improvisierten Abseilstand (?!?) geklettert werden. Exponiert geht's hinüber und dann endlich wieder hinauf in die grosse Verschneidung/Rinne, durch welche die Route aussteigt. Wir sind etwas erstaunt darüber, wie plötzlich hier die Felsqualität nachlässt. Wobei es irgendwie auch schlimmer aussieht, als es dann tatsächlich ist. Jedenfalls warten auf diesem Abschnitt nicht mehr die grossen Schwierigkeiten und absichern lässt es sich auch.

L11, 3c und L12, 4a: Gemäss dem Topo sollten diese beiden Seillängen (20m+30m=50m) gut verbunden werden können. Darauf wollen wir nicht verzichten. Etwas überraschend bin ich aber schon nach 35m am zweiten (und damit letzten) Muniring angelangt. Die Kletterei unschwierig, der Fels meist solide, mit Cams gut abzusichern.

Bereits in den Zusatzlängen der Kammermusik: hier die erste davon mit Bewertung 5c.
Es ist nun ~14.45 Uhr, das eigentlich Routenende wäre erreicht. Oberhalb befindet sich eine grosse Schrofenterrasse, über welche man in 150m Distanz mit Schwierigkeiten von T6, I-II zum Grat hinaufsteigt. Es liegt doch einiges an Geröll herum, so dass man am besten seilfrei geht, wozu durchaus etwas Selbstvertrauen notwendig ist. Wer sich's nicht zutraut, kann wohl auch mit mobilen Mitteln Standplätze bauen, so ganz genau habe ich das nicht ausgelotet. Bald spiele ich mit dem Gedanken, statt übers Geröll aufzusteigen noch die gut erreichbare, schöne letzte Wasserrillen-Seillänge vom Schwarzen Diamanten zu klettern. Diesen Plan gebe ich auf, als ich wenig rechts von uns einen Stand der Kammermusik entdecke. Es bietet sich nämlich absolut an, diese zwei schönen Seillängen auf den markanten Gipfelkopf zu klettern. Die erste davon (5c) umgeht die attraktive Wand leider rechts durch ein Risssystem, die zweite (4c) bietet für den Grad spektakulär steile Kletterei in verschwenderisch griffig-rauem Fels. Um 15.40 Uhr sind wir schliesslich endgültig am Top. Ein herrlicher Bergtag ist uns gegönnt. Die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel, die Temperatur ist perfekt, kein Wind geht und die Fernsicht ist beinahe unendlich. Ja, in solchen Momenten sollte man die Zeit anhalten können! Auch wenn der Sommer 2018 überdurchschnittlich gut war, ein solcher Traumtag sticht auch da noch heraus und bildet eine Ausnahme.

Fantastische Rätikonkletterei in der letzten Seillänge der Kammermusik. Schwierigkeitsgrad: 4c!!!
Wir müssen uns jedoch darum kümmern, ins Tal zu kommen. Wegen weltlicher Verpflichtungen ist die späteste Abfahrtszeit auf 17.00 Uhr gesetzt, wofür wie bereits reichlich spät dran sind. Mit meinem Beharren auf den Zusatzseillängen habe ich mir das Ei jedoch selbst gelegt. Erst gilt es nordseitig, vom Gipfelkopf in die Scharte abzusteigen. Danach überschreitet man am besten den Westgipfel (P.2728). Wir haben es mit einer nordseitigen Querung versucht - es geht, aber zeitlich bringt's nix, v.a. weil man beständig leicht aufwärts quert und am Ende doch beinahe am Grat oben ist. Erschwerend kam noch hinzu, dass das Gelände stellenweise verschneit und sogar vereist war, im Grossen und Ganzen jedoch problemlos begehbar. Meine Erinnerungen an den Abstieg vom Drusenfluh Westgipfel sind gemischt. Nach der Yume ging das gefühlt blitzschnell, im Vorjahr nach dem Schwarzen Diamant ging's ewig und vom Alpenkönig, Mangold (2x) und Konflikt haben wir abgeseilt, was noch länger dauert und kurz gesagt ein Scheiss ist. Anyway, dieses Mal ging's gefühlt sehr flott voran und nach 1:15 Stunden vom Top war der Melkplatz erreicht. Somit hiess es nur noch, auf der Strasse etwas Engagement zu zeigen... dies gelang, und so traf ich rechtzeitig im Unterland ein.

Ein megafantastischer Bergtag, von diesen würden wir noch manchen nehmen!
Facts

Drusenfluh Westgipfel - Mauerläufer 7b (6a A1 obl.) - 12+2 SL, 550m - Eggenberger/Furger 1983 - ***;xx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Exen (mind. 8 Alpine Draws), Camalots 0.3-3, evtl. Keile

Spärlich ausgerüstete, alpine Freikletterei durch oft imposantes, kompaktes Plattengelände, gewürzt mit zwei schwierigen Einzelstellen, die auch hakentechnisch begangen werden können. Insgesamt etwas weniger homogen und nicht so anhaltend schwierig wie die modernen Routen in der Wand. Die Felsqualität ist jedoch fast durchgehend gut, als Abwechslung zu den modernen Führen auf jeden Fall ein lohnendes Unternehmen. Vorsicht, die Ausrüstung ist sehr spartanisch! Die in den Kletterführern erwähnte Sanierung bezieht sich auf die Standplätze, welche mit inzwischen auch schon gut angerosteten Muniringen nachgerüstet wurden. Sonst steckt bis auf 4 nachträglich hinzugefügte Mammut-Longlife-BH noch durchgehend das Original-Material der Erstbegeher. Die Hälfte der Seillängen sind komplett clean, auch sonst müssen lange Abschnitte mobil abgesichert werden. Wer die nötige Erfahrung aufweist, findet jedoch genügend Placements, um sicher steigen zu können. Trotzdem ist hier eine gewisse Kühnheit vonnöten, genauso wie Selbstvertrauen ins Ungewisse zu steigen plus ein gutes Auge für die Routenwahl in diesen Abschnitten. Ein Rückzug sollte sich notfalls mit etwas Kreativität von +/- überall in der Route durchführen lassen, zum Abseilen eignet sich das Gelände aber grundsätzlich nicht. Man beachte: bei Gewitterregen gibt's weder in der Wand noch am Einstieg Schutz und es droht massive Steinschlaggefahr.

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