Im Vorfeld unseres 2-tägigen Besuchs stellten wir uns die Frage, in welcher Reihenfolge wir die Touren am Zervreilahorn angehen sollten. Schliesslich einigten wir uns auf die Strategie, mit der Nanouk am ersten Tag die mutmasstlich härtere Nuss und vermeintliche Königstour am Berg zu klettern und am Tag darauf noch mit der Braveheart "auszuklettern". Das ist jedoch definitiv ein viel zu despektierlicher Ausdruck für die Begehung dieser absoluten 5*-Toproute, die mich in höchste Begeisterung versetzt hat. Es wartet eine Abfolge von fantastischen, homogenen Seillängen mit vielen abwechslungsreichen, fordernden und auch unkonventionellen Moves. Wieder einmal ein Fall für das Prädikat "Weltklasse, höchst empfehlenswert"!
Hey ho, let's go! Nach der Nanouk erneut unterwegs Richtung Zervreilahorn mit dem Ziel, die Braveheart zu klettern. |
Unser Plan beruhte darauf, früh aufzustehen und dann, im Gegensatz zum Vortag, die Route in der ersten Tageshälfte zu klettern. Damit dieser Plan nicht schon von Beginn weg zur Makulatur wurde, musste mein Kletterpartner mich aber erst einmal wecken und mir Beine zum Aufstehen machen. Tja, das Alter, da geht's nicht mehr so früh los ;-) Doch nach einem Kaffee und einem Frühstück glühte das Zervreilahorn schon bald golden in der Sonne. Das war Motivation genug, um sich auf die Socken zu machen und dem Fels entgegen zu streben. Wow, solche Momente machen es aus! Mit leichtem Gepäck ging es auf demselben Weg wie am Vortag Richtung Einstieg, zuletzt über 2 kurze Felsstufen (T5, II) aufs SE-Wand-Band und dort nach links. Vom bereits bekannten Einstieg der Nanouk muss man schliesslich noch 30m weiter nach links gehen, wo sich beim nächsten, einzelnen BH (mit dünnem Maillon) der Einstieg befindet. Um 7.45 Uhr waren wir als erste Seilschaft startbereit, zwei weitere sollten uns später noch folgen.
L1, 6b: Was für ein toller Auftakt! Es wartet rissige Kletterei über 35m mit nur 3 BH, das und die steile Verschneidung heischen Respekt! Doch am forderndsten ist dann erstaunlicherweise der erste Teil, der noch eher unscheinbar daherkommt. Der anhaltende Piaz danach ist schön kantig und die Wand daneben strukturiert, so fällt sogar yours truly diese Technik fast kinderleicht. Zuletzt links um die Ecke zum Stand.
Gut gespreizt ist... äh... halb geklettert. Der eher unscheinbare Start in L1 (6a+) ist die Crux, an der Verschneidungs geht's dann gut voran. |
L2, 6c: Eine exzellente Seillänge! Gut machbarer, plattiger Quergang nach links, dann einer Rissspur entlang selber absichernd aufwärts. Diese verliert sich und es wartet taffe Steilplattenkletterei an einer runden Kante mit einer genialen Cruxsequenz. Diese kam mir (echt!) etwa gleich schwierig vor wie die 7a+ Platte der Nanouk vom Vortag. Zudem ist die Stelle zwar gut abgesichert, aber doch zwingend zu meistern - ohne volles Vertrauen in die Haftreibung, etwas Balance und Power kommt man da nicht durch.
Vertrackte, plattige Kletterei einer runden Kante entlang wartet in der Schlüsselstelle von L2 (6c). |
L3, 7a+ oder 6b+ A0: Zuerst kurz etwas gemüsig über Stufen an den kompakten Fels und linkshaltend griffig hinauf zur abschliessenden Steilplatte. Dieses wartet erst noch mit genialen Strukturen auf (Löcher!), bevor es dann zum Abschluss richtig knifflig wird. Der Weg vom letzten Bolt direkt hinauf zum Stand ist hammerhart und (seriously!) viel schwieriger wie die 7a+ der Nanouk. Der einfachste Freikletterweg führt vom letzten Haken horizontal 3m nach rechts an die Kante, das wäre dann von vergleichbarer Schwierigkeit wie die Nanouk-Platte. Wer will, kann auch problemlos pendeln, dann geht die Länge als 6b+ A0.
L4, 6c: Kurze, aber dennoch sehr schöne und interessante Seillänge. Die kleine Verschneidung sieht ziemlich glatt aus. Ein dünner Riss mit einer crimpy Kante in der rechten Wand erlaubt dann aber an der entscheidenden Stelle Gegendruck-Kletterei, so dass die Sache günstig von der Hand geht. Nach meinem Empfinden die einfachste der 6c's in der Braveheart, auch die Bohrhaken stecken hier in kurzen Abständen.
Bildunterschrift hinzufügen |
L5, 6b: Eine Seillänge der allerersten Güteklasse! Zuerst auf das Gartenbeet hinauf und dann durch die steile, kaminartige Verschneidung mobil absichernd unter das Dach hinauf. Dessen Überwindung geht eigentlich ganz kommod, wenn man's richtig anpackt [...]. Nachher folgt ein luftiger Quergang nach rechts in der ideal strukturierten Wand, genial! Zum Schluss dann etwas einfacher der Kante entlang aufwärts.
In L5 (6b) geht's erst durch die kaminartige Verschneidung, dann folgt eine luftige Traverse in Wandkletterei. |
L6, 6c: Vielleicht die komplexeste Seillänge der Route, durchaus etwas unkonventionell, aber der Oberhammer. Ein dunkler, kaminähnlicher Slot zieht hier in die Höhe, der mit allerlei Techniken überlistet werden will. Schon bald gilt's ernst und mobil mit Cams absichernd muss zwingend schwierig geklettert werden. Squeeze, Jam, Hangel, mit der Kante links oder in der Wand rechts, in purer 3d-Manier wollen hier alle Register gezogen werden, mega! Der Stand befindet sich übrigens links aussen nicht sichtbar um die Kante herum. Wer aber den gängigsten Weg wählt, kommt schon dahin.
Hinein in den anspruchsvollen Slot von L6 (6c), der allerlei Klettertechniken verlangt. |
L7, 6b: Gleich über dem Stand geht's an der schönen Kante hinauf. Direkt dort zu bleiben ist sicher am elegantesten und ziemlich sicher auch am einfachsten. Danach geht's einfacher nach links und man muss mobil absichern. Der Nachsteiger ist sicher froh, wenn beim Legen an ihn gedacht wird (Crux nach Aushängen des letzten BH an der Kante, Pendler droht!).
Fels, Ambiente und Kletterei: einfach fantastisch (L7, 6b)! |
L8, 6c: Der Zick-Zack-Riss, eine wahre Perle! Vom Stand noch gängig den breiten Riss hinauf. Darf man hier schon den 3er- und den 2er-Cam verballern oder fehlen die nachher?!? Ja, man darf. Der Riss zieht dann nach links. Erst queren, dann mit genialen, athletischen Moves diagonal hinauf. Mit ein paar Jams und etwas Saft im Oberarm ist's zügig erledigt, da hätte ich mir die Passage gerne noch ein wenig länger gewünscht! Rechts oben kommt schon bald der Stand.
Ausblick auf den bereits weitherum bekannten Zickzack-Riss, die markante Kletterstelle in L8 (6c). |
L9, 5c+: Die schöne, aber recht kurze Abschlusslänge kann gut an die vorangehende angehängt werden. Zuerst eine prima Verschneidung mit sehr breitem Riss (etwas Runout, hier passen zuerst nur sehr grosse Cams). Nach einer weiteren Stufe kommt man schon bald in einfacheres Gelände und zum Ausstieg, welcher sich an der Kante zum Gipfelplateau befindet.
Am Top angekommen! |
Um 12.45 Uhr und damit doch erst nach 5:00h Kletterei waren wir am Top angekommen, allerdings hatten wir uns auch die Zeit genommen, die ganze Route sauber freizuklettern. Es herrschten sehr angenehme Bedingungen, somit konnten wir das unvergleichliche Ambiente am Top geniessen. Den Weg zum Mittelgipfel hatten wir ja bereits am Vortag unternommen, das wollten wir nicht wiederholen. Zu meiner Überraschung traf ich auf dem Gipfelplateau aber auf einige Bekannte aus der Wettkampfszene, die ich hier oben ganz bestimmt nicht erwartet hatte. Gemütlich konnten wir uns über die neusten Erlebnisse aus den wettkampffreien Zeit der Sommerferien berichten. So machten wir uns erst nach einer Stunde ans Abseilen. Dazu wählten wir die Braveheart, da auf der Abseilpiste der Fahnenroute Andrang herrschte. Sowieso bringt jene gegenüber einem Abseilen über die Braveheart nichts, auch hier erreicht man in 5 gestreckten Manövern zügig wieder den Einstieg. Gemütlich räumten wir unser Material zusammen und liefen dann durch die schöne Berggegend retour nach Zervreila. Wow, das waren nun 2 richtig coole Touren gewesen!
Facts
Zervreilahorn - Braveheart 7a+ (6c obl.) - 9 SL, 255m - Humm/Illien 2005 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-3
Super geniale, abwechslungsreiche und (von der kurzen Crux in L3, wo auch ein Pendelquergang möglich ist einmal abgesehen) homogen schwierige Gneiskletterei. Sie verdient aufgrund von Linie, Ambiente, Gesteinsqualität und den zahlreichen originellen Kletterstellen wirklich das Prädikat Weltklasse. Die Anforderungen sind nicht ganz so hoch, wie der etwas martialische Name vermuten lässt. Es stecken 36 Zwischenbohrhaken (+14 an den Ständen), die Schlüsselstellen sind alle gut mit Inoxmaterial eingebohrt. Es müssen durchaus diverse Stellen mobil abgesichert werden, was jedoch immer gut möglich ist, v.a. lösen sich diese klettertechnisch auch immer in Minne auf. Ein vollständiger Satz Cams ist für diese Route ausreichend, wenn man den Anforderungen gewachsen ist.