Verrückte Sache eigentlich: zwar konnte ich schon einen hohe, dreistellige Zahl an MSL-Routen klettern, doch in unserem Nachbarland Österreich sind es kaum eine Hand voll, obwohl es da ein äusserst reichhaltiges Angebot gibt. Auf die Initiative von Tobias hin sollte diesem Zustand begegnet werden. Einen Ausflug zur Alpawand in der Gegend von Lofer schlug er vor - nicht gerade in unmittelbarer Umgebung von meinem Zuhause. Aber mit einem Angebot zum Mitfahren schien es mir dann doch zu attraktiv, diese Gelegenheit auszuschlagen. Einerseits, um eine mir noch komplett unbekannte Gegend zu entdecken, aber vor allem auch um die weitherum als eine der schönsten Routen gerühmte und schon mehrere Hundert Male wiederholte Wassersymphonie zu geniessen.
Die stolze, nördlich ausgerichtete Alpawand mit dem ungefähren Verlauf der Wassersymphonie. |
Unsere Tour begann mit einer ziemlich langen Anreise am Vorabend. Immerhin, wir hatten uns schon eine Weile nicht mehr gesehen und waren schon länger nicht mehr auf einer gemeinsamen Tour. So gab es viel zu erzählen und die Zeit verging wie im Flug. Ziemlich unerwartet stellte sich dann noch ein Hindernis in den Weg - der Grenzübergang von Deutschland nach Österreich. Im Sommer 2021 habe ich ja schon öfters innereuropäische Grenzen überquert, angehalten worden war ich bis dato kein einziges Mal. Doch tatsächlich, hier wurden wir von einem Grenzer mit geharnischten Blicken empfangen und mit kritischen Fragen eingedeckt. Mit dem Kommentar, dass wir "wie Einbrecher unterwegs" wären "ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung in Österreich" darstellen, wurden wir aber schliesslich doch ins Land gelassen... :-o Verrückte Sache, doch nix dergleichen: wir kehrten sogar noch in einer Pizzeria ein und zahlten brav unsere Zeche inklusive Trinkgeld, bevor wir uns diskret aufs Ohr legten, strategisch günstig positioniert für die Tour am Folgetag.
Am Ausgangspunkt, die Parkplätze gesperrt und bei der Strasse der Hinweis auf Hochwasserschäden. |
Diese Schäden waren tatsächlich massiv, waren aber bereits wieder komplett behoben worden. |
Diese Begann mit früher Tagwache, was aber nicht schadet: beim Ausgangspunkt (ca. 640m) zwischen Lofer und Unken sind zumindest derzeit nur relativ wenige Parkplätze (ca. 5) verfügbar, da wegen den massiven Hochwasserschäden von 2021 noch gebaut wird. Die Strasse Richtung Alpawand war aber zum Zeitpunkt unserer Tour bereits wieder komplett renoviert. Nach einem Müesli und einem Kaffee brachen wir um 6.20 Uhr schliesslich auf. Per E-Bike ging es über die breite, aber steile Naturstrasse (ohne Motor müsste man sehr heftig in die Pedale treten) in ~20 Minuten die 400hm zum Bikedepot hinauf. Von dort sind es noch ca. 80-100hm auf dem Alpasteig bis zum eher unscheinbaren Abzweig des Fusspfades zum Einstieg (Rucksackdepot). Der Pfad selber ist dann gut ausgeprägt und problemlos zu verfolgen, zudem sind die Beschreibungen in der Literatur zahlreich und stimmig. Es geht schliesslich zum Wandfuss hinauf und diesem entlang in Auf und Ab mit 2 Fixseilpassagen zum Einstieg hinüber. Aufgrund der Wandbilder ist dieser zwischen 2 hellen Flecken grob zu lokalisieren, für die Feinortung helfen die angeklebten, kleinen Metallplaketten. Nach ziemlich genau 1:00 Stunde nach Aufbruch waren wir am Einstieg (Aufschirren am Rucksackdepot inklusive). Nach dem Vorbereiten der Seile und dem Schuhwechsel stiegen wir um 7.30 Uhr ein.
Kurze Fixseilpassage im Zustieg |
Die Routen sind alle mit Metallplakette beschriftet, diese ist jedoch eher klein und unscheinbar. |
L1, 40m, 6c: Die steile, abweisend wirkende Wand erheischt Respekt - zum Glück gibt's die ersten Meter noch geschenkt. Nach ein wenig Vorgeplänkel stellt sich dann aber bald einmal die schwierig zu lesende Crux in den Weg, mit steiler Wandkletterei an Seit- und Untergriffen sowie ein paar Leisten. Der Fels hier zwar fest, aber doch ziemlich belagig, zusammen mit der vorherrschenden Feuchte und noch klammen Händen ergab das nicht optimalen Grip. Doch mit der nötigen Geduld wurde diese erste Herausforderung in sauberem Stil gemeistert. Blieb noch der komplett durchnässte Schluss der Seillänge... hier ging es nicht (mehr), ohne im nassen Fels zu greifen und zu treten. An sich wäre diese Sektion nicht so schwierig, weshalb auch die Hakenabstände etwas grösser sind... aber es ging dann schon.
In L1 (6c) geht's bald steil und etwas unübersichtlich zur Sache! |
Grasig, nass oder belagig - your choice! Der obere Teil von L1 (6c) etwas alpin - macht aber Spass! |
L2, 30m, 4c: Nachdem die erste Seillänge Zeit und Kraft gekostet hatte, geht es hier umso müheloser. Sehr schöne Plattenkletterei in stark strukturiertem Fels, die auch komplett trocken war.
L3, 40m, 5c: Ebenfalls eine sehr schöne Seillänge mit Auftakt mitten durch die plattige Wand. Doch dank der super rauen Struktur klettert sich das alles sehr genussvoll und unschwierig. Später dann entlang von einer Verschneidung, welche sich dank der vielen Struktur auch sehr mühelos klettert.
Beschwingtes und genussvolles Steigen in L3 (5c). |
L4, 20m, 4a: Kurze und etwas grasige Überführungslänge zum Steilriegel hinauf - Achtung, unmittelbar rechts verläuft die 'Best of Genuss'. Doch trotz des etwas grünen Anstrichs klettert man auch hier auf bestem Fels.
L5, 25m, 6b: Die nächste Herausforderung - nicht nur klettertechnisch, sondern auch was die Bedingungen antrifft. Der kurze Rissüberhang zu Beginn stellt einen durchaus gesuchten Routenverlauf dar (wäre links deutlich einfacher zu haben!) und ist wie man allethalben lesen kann, oft nass. So trafen wir diese Passage denn auch an. Doch nachdem die Risskante so richtig scharf und griffig ist, kann man seine Kraft trotzdem einsetzen - dies war auch nötig, um die Füsse mit entsprechend Gegendruck auf die schleimige Unterlage zu pressen. Der Ausstieg aus dieser Passage erfordert dann kurz etwas Übersicht und Reserven im Tank, bevor es über eine super zerfressene, breite Wasserrunse hinauf zum nächsten Stand geht.
Grosser, frischer Felsausbruch links vom Stand von L3, im Zuge der Starkregenfälle im Sommer 2021. |
L6, 30m, 5c: Mitten durch die steile Wand und nicht etwa entlang der flankierenden Risse und Verschneidungen geht es hoch. Doch auch hier ist das Gestein dermassen gut strukturiert, dass sich das im läppischen Grad 5c abspielt - genial! Erst am Ende kommt man den Strukturen näher und nutzt sie auch teilweise.
L7, 30m, 6c+: Klettertechnisch wartet hier in Bezug auf die Schwierigkeit die Hauptherausforderung und mit all der Vorinformation aus den zahlreichen Topos und dem visuellen Eindruck ist ziemlich klar, was einen erwartet. Nach kurzem, griffigem Zustieg folgt eine betont senkrechte Passage, wo das Gestein für einmal nicht mit üppiger Struktur brilliert und man mit einigen Piazmoves an seichten Schlitzen operieren muss. All dem Vorwissen zum Trotz, mit welcher Hand man beginnt, wie hoch die Füsse optimalerweise platziert werden und welche Körperposition effizient Fortschritt ohne Abschmieren verspricht, bleibt nach wie vor der Intuition des Kletterers überlassen. Nach ein paar Moves hat man unverhofft eine veritable Kelle in der Hand und erreicht mit ein paar weiteren, brenzligen Zügen endgültig einfacheres Gelände, in welchem man steil und griffig zum Stand klettert.
Blick auf die Cruxsequenz der Route am Anfang von L7 (6c+). |
Rückblick auf die sehr schöne Kletterei im oberen Teil von L7 (6c+). |
L8, 40m, 6b: Der Blick nach oben vom Stand sah nicht so erbaulich aus, weswegen ich gleich nochmals mit dem Vorstieg zum Zug kam. Problem war nämlich, dass nach der initialen Rampe nach rechts hinauf eine komplett durchnässte Zone mit der klettertechnischen Crux passiert werden musste. Diese war tatsächlich nicht einfach zu haben! Offenbar drückt es hier oft raus, so dass der Fels einen glitschigen Algenbelag aufweist, noch dazu sind ein paar entscheidende Griffe für einmal eher sloprig anstatt positiv und scharf... nach einigem Tüfteln konnte ich schliesslich eine Lösung identifizieren, welche sich trotzdem kontrolliert klettern liess. Auch die Fortsetzung der Seillänge entlang von Rissen und Schuppen war teils feucht - doch dank weniger Aquaplaning und tieferen Schwierigkeiten nicht mehr die gleich grosse Herausforderung.
Für ein paar Meter direkt durch den Schlonz! Challenge in L8 (6b). |
L9, 40m, 6a+: Eine sehr schöne Seillänge, eine der besten der Wand - rein optisch würde man kaum glauben, dass der Weg durch die steile Wand oberhalb des Standes wirklich nur 6a+ sei. Doch ich kann mich nur wiederholen, dank der fantastischen Struktur geht's, wobei man hier effektiv für einmal ziemlich kleingriffig operieren muss. Nachher geht's dann rechts um die Ecke und wieder zurück nach links, nicht mehr ganz so steil und weiter mit unglaublich strukturiertem Fels.
Selbst auf den Fotos sieht das Gestein nicht so griff-adhärent aus, wie es ist - hier in L9 (6a+)! |
L10, 25m, 4c: Im Gesamtkontext ein kurzes Überführungsstück an den nächsten Steilriegel, aber das wird der Sache nicht gerecht! Unglaublich vom Wasser zerfressenes Gestein machen diese Passage einmalig! Dem Mathematiker kommt der Gedanke, wie gross wohl die einem Fraktal gleichende Oberfläche eines 1x1m-Quadrats hier wäre?!? Vielleicht wäre das ja eine Masszahl für die Kletterfreundlichkeit eines Gesteins...
Unglaublich zerfressen ist der Fels am Ende von L10 (4c) - genial zu beklettern! |
L11, 40m, 6a+: Hier geht's wieder mehr zur Sache - steil hinauf und an einem kleinen Überhang will mit einem weiten Zug eine Schuppe ergriffen werden, um sich in der Wand darob zu etablieren. Dort weiter in homogener, stets anregender Kletterei. Eine Passage mit einer markanten Schuppe erfordert nochmals etwas Nachdenken, wie man sie am besten passieren kann. Zuletzt etwas einfacher aber sehr genussreich zum Stand.
Beweglichkeit und ein paar kräftige Züge sind in L11 (6a+) gefragt... |
L12, 40m, 5c: Ein grosser Quergang, der viel Ambiente gibt! Etwas unbedarft hat man zwar den Eindruck, dass eine Routenführung gerade hinauf gut möglich und vielleicht logischer gewesen wäre - die Erstbegeher haben diese Möglichkeit denn auch später in ihre 'Best of Genuss' eingebaut, welche man im Quergang kreuzt (Metallplakette mit Wegweiser vorhanden, Verhauergefahr daher eliminiert). Der Quergang an sich (erst rüber, dann rauf, dann rüber) zum von weither sichtbaren Stand bietet nicht die grossen Schwierigkeiten und war trotz einigen Rinnsalen und ein paar Grasbüscheln genussreich zu klettern.
Die Wand fast wie ein Gemälde - im Bild der grosse Quergang von L12 (5c). |
L13, 40m, 5c+: Eine unglaubliche Seillänge! Der von Stand 12 unscheinbare dunkle Streifen in der glatten Wand rechts der klassischen (und nassen) Verschneidung entpuppt sich als stark vom Wasser zerfressene Runse. Mit eleganter Kletterei gewinnt man hier an Höhe, das ist echt wie gemacht für die Kletterei - kaum zu glauben, in solch steilem und wenig grobstrukturiertem Gelände so einfach steigen zu können. In der zweiten Hälfte der Seillänge klettert man dann teils in der (dort nun trockenen) Verschneidung selber, wohl auch weil in dieser eine klassische Route verläuft, sind die Hakenabstände für einmal grösser wie üblich. Zuletzt wieder rechts in die etwas grasige Wand hinaus zu Stand.
Auch hier in L13: wie schwierig ist das? Kaum zu glauben, dass es so gut geht und nur 5c+ ist! |
L14, 35m, 6a+: Abschlussbouquet mit einer nochmals tollen Seillänge, die gleich zu Beginn mit einem steilen Wulst aufwartet. Ein paar Seitgriffe erlauben es, die nötige Höhe zu gewinnen, der Mantle ins plattige Gelände dünkte mich fast die heikelste Sache. Die folgenden Platten nun nicht mehr ganz so vom Wasser zerfressen, sondern etwas mehr glatt und geschlossen, so wie man den Nordwandkalk aus vielen anderen Wänden kennt. Und man merkt gleich, wie schwierig die Sache wäre wenn... Doch zum Glück gibt's hier noch eine Leiste und da einen kleinen Absatz und so geht auch diese letzte Challenge in sauberer Manier von der Hand.
Nochmals zupacken heisst es am Wulst zu Beginn von L14 (6a+). |
Hier am Ende von L14 (6a+) ist das Gestein deutlich glatter, da sieht man wie es wäre wenn... |
L15, 30m, 4a: Wir frotzeln, dass die Erschliesser hier wohl schon müden waren und die Lust verloren hatten?!? Es wäre nämlich durchaus denkbar, den Plattenschild der Abbruchkante entlang noch weiter Richtung Gipfel hinauf zu verfolgen. Aber nein, die Route quert über eine Rampe in eher klassischem Alpingelände nach links hinaus zur Wandkante - der Stand dort an Latschen selber einzurichten.
Die letzten Meter in L15 (4a), hier nahmen die Erschliesser den easy exit aus der Wand. |
Um rund 13.00 Uhr und damit nach 5:30 Stunden Kletterei hatten wir es geschafft! Wie erhofft war mir eine komplette Onsight-Begehung gelungen, wobei es die Bedingungen stellenweise nicht so einfach gemacht hatten. Im Überschwang erhoffte ich mir, nicht nur einen Rotpunkt, sondern auch noch einen Gipfelpunkt zu ergattern, da die Alpawand ja schliesslich mit der Höhenquote 1671m in der Literatur aufgeführt ist. Also aufwärts durch die Latschengasse in Richtung des höchsten Punkts. Nach ein paar Minuten erreichten wir den Ausstieg der Route 'Im Nest des Geiers' (Wandbuch, dasjenige am Ausstieg der Wassersymphonie existiert leider nicht mehr). Dies stellte den logischen Endpunkt unseres Aufstiegs dar und bestimmt die Position der Höhenquote. Der Kamm zieht sich aber mit (mehr) Auf und (weniger) Ab noch über eine lange Strecke hin und ist komplett von Föhren überwuchert, einen eigentlich Gipfel gibt es hier nicht.
Am Gipfel der Alpawand (1671m). |
Also ging es wieder auf gleichem Weg zurück zum Ende der Wassersymphonie und dem deponierten Material. Ab hier durch kurz durch eine Latschengasse, wenig später trifft man auf offeneres, leicht bewaldetes Gelände. Eine ausführliche Beschreibung des Abstiegs erübrigt sich - Worte dazu findet man in der Literatur genügend, wobei diese nicht zwingend nötig sind. Eine Pfadspur ist meist gut sichtbar, auch wenn sie doch abschnittweise erstaunlich schwach ausgetreten ist, weiter gibt's rote und gelbe Farbmarkierung an Bäumen und Steinen sowie von der Bergrettung angebrachte Reflektoren. Ab der Alpaalm dann über den Steig zum Rucksackdepot, weiter zu den Rädern und in rasanter Fahrt zurück zum Auto, wo wir um 14.45 Uhr (inklusive Gipfelaufstieg und gemütlicher Rast da) eintrafen. Es wartete noch der lange Weg nach Hause aber nach einer solch tollen Tour nimmt man diese Pflicht gerne in Kauf.
Facts
Alpawand - Wassersymphonie 6c+ (6a+ obl.) - 15 SL, 500m - Brüderl/Amann 1998 - ****;xxxx
Material: mind. 1x40m-Seil (reicht!), 15 Express, Cams/Keile nicht nötig
Plaisirroute in etwas alpinem Ambiente mit anhaltender Kletterei im Bereich 5c/6a, ein paar kurzen 6a+/6b-Intermezzi mit zwei schwierigeren Einzelstellen im 6c/+ Bereich. Die Wand ist sehr imposant und das wasserzerfressene Gestein sehr aussergewöhnlich und bestens für die Kletterei geeignet - eine Tour in dieser Wand muss man einfach einmal gemacht haben. Negativ bemerken kann/muss man, dass das Ambiente teils etwas grasig ist, Wand/Route sehr anfällig auf Feuchtigkeit und der Fels teils auch belagig ist - was umso mehr stört, wenn man bei nicht einwandfrei trockenen Verhältnissen anrückt. Dies ist, wie man allenthalben lesen kann, für den Genussfaktor wirklich unbedingt zu empfehlen und einen warmen Tag zu wählen ist auch sinnvoll. Unsere Begehung war tendenziell auf der frühen Seite, dafür hatten wir Wand und Route für uns alleine, was an den Toptagen sicher nicht der Fall ist. Die Absicherung mit rostfreien Bohrhaken ist sehr gut ausgefallen - dort wo es ganz einfach ist, auch mal ein bisschen weiter aber immer noch völlig im grünen Bereich, auf dem Niveau 6a+ dann top-sportklettermässig, die noch schwierigeren Stellen weisen hallenartige Abstände auf und können A0 begangen werden. Topos gibt es ganz viele, in verschiedenen lokalen Führerwerken und Auswahlbänden, sowie frei auf dem Netz verfügbar - am besten jene von Bergsteigen.com oder bei Thomas Behm.