Die mit knapp 350m Höhe auftrumpfende Hochwand bei Flums im Seeztal hatte ich schon im 2008 für die Route Leistenbruch (12 SL, 7a+) besucht. Sie bietet mit der Sunset Boulevard (11 SL, 7a+) eine weitere sehr interessante Route, die mit einer längeren Erschliessungsgeschichte aufwarten kann. Bereits in den 1980er-Jahren wagte Fredy Tischhauser mit Alex Hug einen ersten Vorstoss, der bis in Wandmitte führte. Im 1999 wurde die Route dann bis zum Top erschlossen, dies mit teils neuer Linienführung im unteren Wandteil. Leider führte der Verlauf teils durch Gelände, welches oft nass und schmutzig ist. Im Sommer 2021 sanierten Fredy Tischhauser und Eugen Huber die Route komplett mit Inoxmaterial und erschlossen 2.5 neue Seillängen, welche die nässeanfälligen Sektionen vermeiden. Soweit mir bekannt ist, gab es bis dato keine Rotpunktbegehung dieser neuen Teilstücke und somit eine sehr interessante Challenge für einen föhnigen Herbsttag.
Die herbstliche Jahreszeit eignet sich sicherlich am besten für die Hochwand - im Frühling während der Schneeschmelze drückt meist die Nässe, im Sommer ist es schlicht zu heiss, doch bei tiefstehender Sonne, nach Trockenperioden und natürlich wenn in höheren Lagen schon der erste Schnee die Kletterei beeinträchtigt sind die Bedingungen für einen Versuch gegeben. Wir kurvten auf der schmalen Bergstrasse von Berschis bis zum Parkplatz (ca. 870m) beim Taxautomaten. Nach unserer Interpretation muss man fürs Abstellen dort noch keinen Obulus löhnen, aber dieser Aspekt war sowieso hypothetisch, da das Gerät saisonbedingt bereits in den Winterschlaf versetzt worden war. Um 10.20 Uhr liefen wir los, man geht 150m über die Asphaltstrasse zu P.896, nimmt dort den Kiesweg für ein paar Hundert Meter und leicht absteigend nach Osten. Nachdem man den dritten Bachlauf überquert hat, beginnt ca. 25m weiter am lokal tiefsten Punkt der Strasse eine schwache Wegspur, die in wenigen Minuten zur Wand führt. Der Einstieg zu Sunset Boulevard ist nicht näher bezeichnet, er befindet sich unmittelbar links vom Bachlauf, die ersten BH sind gut zu erkennen. Nachdem wir uns aufgeschirrt hatten, stiegen wir um ca. 10.45 Uhr (Sommerzeit) ein, die Sonne rückte eben gerade um die Ecke.
Ambiente mit Blick auf die Paschga, den Walensee und die Churfirsten. |
L1, 50m, 5c+: Die ersten Meter sind noch etwas schmutzig und könnten ob dem glatten Fels schwierig sein, interessante Strukturen erlauben aber gutes Fortkommen. Später tendiert man vom Wasserlauf nach links weg und trifft somit auf schöneren und sauberen Fels. Über ein paar Aufschwünge hinweg, die gar nicht mal alle völlig trivial sind, erreicht man schliesslich ein breites, geröllbedecktes Band mit dem Standplatz.
L2, 50m, 5c: Ähnlich wie im oberen Teil der ersten Länge geht's weiter - an sich nicht mega schwierig, aber es ist doch immer wieder einmal ein Kletterzug gefordert, der ein wenig Nachdenken über die richtige Lösung erfordert. Das gilt erst recht für das Finish in schon recht kompaktem Gelände zum Standplatz hinauf. Dieser steckt hoch und glänzt nicht mit Bequemlichkeit - dafür geht's so halt eben gut auf mit den Seillängen im unteren Teil.
Schöne Kletterei in L2 (5c), auch wenn da und dort etwas Gras spriesst. |
L3, 45m, 7a: So richtig aufgewärmt ist man an dieser Stelle noch nicht, aber nun geht's richtig los. Schon gleich am ersten Haken ist es glatt und die offensichtlich rettenden Griffe weit entfernt. Wohl unabhängig von der Körpergrösse wird ein jeder überstreckt nach ihnen tasten. Ein paar zugänglichere Schritte bringen einen an die Crux beim dritten Bolt. Da heisst es überzeugt auf kleinen Noppen auf etwas glattem Fels antreten, zudem glänzt der nächste Haken erst in der Ferne. Letzteres ist insofern unproblematisch, als man bald wieder griffiges Gestein in die Finger bekommt. Im Mittelteil der Länge will dann ein Wulst mit kleinem Dach geentert werden. Dank ein paar vorzüglichen Schwarten geht das aber gut Im Bereich 6a+ von der Hand, der Abschluss in gestuftem Gelände macht auch keine Schwierigkeiten mehr. Subjektiv empfand ich die Crux dieser Länge als eine der schwersten Stellen der Route - ob dem auch wirklich so ist oder ob ich nachher einfach besser im Fluss war, ist nun verdammt schwierig zu sagen.
L4, 50m, 5c+: Die Backsteinwand! Der Fels ist hier auffällig quer gebändert, von Weitem könnte man brüchiges Gestein vermuten. Doch während nicht alles bombenfest ist, so spielt sich das doch komplett in Minne ab und es macht Spass, an dieser ausgesetzten Mauer zu klettern. Das darf man auch ziemlich luftig zwischen den Bolts tun. Zu erwähnen ist, dass unsere 50m-Seile gerade eben so für diese Länge ausreichten - bei schon stärker geschrumpften Stricken könnte man aber problemlos schon etwas nachsteigen.
Ein imposantes Gemäuer wartet in L4, mit einer 5c+ aber erstaunlich einfach zu klettern! |
L5, 45m, 6b: Links um die Ecke geht's und vorerst in weiterem Backsteingelände aufwärts. Die Neigung legt sich hier etwas zurück, der Fels ist fester und die Fugen tiefer. In solche habe ich noch die Cams 0.3 und 0.4 platziert, es waren die einzigen mobilen Sicherungen, die wir auf der Route als gewinnbringend empfanden (mit etwas Kühnheit ginge es auch ohne). Man erreicht dann den Umkehrstand aus den 1980ern und kurz darauf zweigt die neue Variante von 2021 linkshaltend von der Linie von 1999 ab. Gleich zu Beginn wartet eine knifflige Querung an einer kleinen Reibungsrampe, dann geht's in schönem, rauem Gestein aufwärts - dort wo kein BH mehr sichtbar ist, einfach auf der logisch-gängigsten Linie Richtung 11 Uhr steigen und übers Dächlein hinweg, wo nochmals eine Zwischensicherung und bald der Stand folgen.
Auch der Anfang von L5 (6b) verläuft im horizontal geschichteten Fels... |
...das Ende von L5 (6b) dann in schönem, kompakt-plattigem Gelände, im 2021 neu erschlossen. |
L6, 20m, 6c/+: Da war sie jetzt also nun, eine der neuen Sequenzen mit noch unbekannter Schwierigkeit! Mit der Motivation, ihr einen guten Fight zu bieten stieg ich los. Es folgt eine deutliche, noch eher technisch gestrickte Rechtsquerung, dann geht's athletisch an Seit- und Untergriffen über eine Steilpassage und schliesslich mit weiten Zügen an guten Griffen in kompaktem Gelände hoch. Am Ende war es klettertechnisch gar nicht mal so schwierig (wir schätzen im Bereich 6c/+) und es gelang mir ziemlich souverän onsight - trotzdem war die Aufgabe schwieriger, wie man meinen könnte! Einerseits macht das praktisch jungfräuliche Gelände, andererseits vor allem die fehlende Bewertung schon einen Unterschied! Schliesslich gibt es beim Klettern auch das 'Mental Game' zu berücksichtigen. Bei einer bewerteten und im machbaren Bereich eingestuften Seillänge steigt man mit einer klaren Erwartungshaltung und der Überzeugung los, es schaffen zu können. Das war hier ganz anders, es war einzig klar, dass die Länge bisher nicht gepunktet wurde und daher potenziell (sehr) schwierig - und so geht man eben ganz anders an die Sache ran und selbst eine fürs persönliche Können nicht extrem harte Seillänge wird zur Herausforderung, zumindest im mentalen Bereich.
Auch L6 (6c/+) ist eine neue Seillänge. Sie bietet zuerst eine technische Querung, dann geht's an Untergriffen über den Wulst beim Kletterer hinweg... |
...am Ende warten in L6 (6c/+) kräftig-weite Züge in steilem Gelände an guten Griffen. |
L7, 50m, 7a: Genau dasselbe Schicksal blühte mir auf dem nächsten Abschnitt gleich noch einmal. Aber inzwischen hatte ich schon etwas an Fahrt aufgenommen und so konnte ich auch dieser Sequenz im Onsight die erste freie Begehung abluchsen. Unschwierig geht's nach links hoch, bis eine kompakte Wandzone fordernde Moves bietet. Mit 2-3x überzeugt "spitzig" auf Gegendruck antreten waren die rettenden Griffe erreicht. Zugänglicher ging's weiter, der Weiterweg bietet eine fast horizontale Querung nach rechts. Eine kompakte Plattenzone wartet dann mit einer zweiten Crux auf. Von Untergriffschuppen heisst es, Druck auf die Füsse zu bringen und sich dann nach rechts zu tauglichen Slopern zu retten und zu manteln - eine Stelle, wo meine Körpergrösse für einmal vermutlich eher vorteilhaft als hinderlich war (wie immer schwierig zu sagen...). Das Finish dann cool und einfacher in prima Fels am Pfeiler - man muss allerdings (auch schon vorher) geschickt verlängern, damit man hier ohne übermässigen Seilzug klettern kann. Hier am Stand trifft man wieder mit der Linie von 1999 zusammen und klettert über diese zum Top.
Annäherung an die erste Crux in L7 (7a)... |
Rückblick auf das schöne Finish von L7 (7a), einige Sicherungen muss man grosszügig verlängern! |
L8, 40m, 6a+: Hinauf über eine erste Stufe, am nächsten Pfeilerkopf lockt einen eng gehaltene Absicherung auf eine Linie in sehr schönen, zerfressenen und wasserrilligen Fels, das ist Top! Die Fortsetzung der Länge in gestuftem und teils auch etwas grasigem Gelände ist dann nicht mehr ganz so genussvoll, aber in Absenz von Schwierigkeiten auch zügig erledigt.
L9, 50m, 5b: Im Gehgelände über ein paar Stufen hinweg muss man die Fortsetzung der Route eher links drüben suchen gehen. Darauf folgen nochmals 20m in ähnlich grasigem und nicht ganz so solidem, aber dafür einfachem Gelände. Weiter oben wird der Fels wieder kompakter, die Kletterei schöner und auch schwieriger, insbesondere die letzten Moves in den Stand.
L10, 50m, 7a: Der Auftakt überquert nach links eine Zone mit blau-weissem Belag, bei Nässe könnte das eine schmierige Affäre sein! Da ist's aber grundsätzlich noch unschwierig, was auch für den folgenden, griffigen Wulst gilt. So gelangt man aber in die grosse, plattige Wand. Diese bietet anhaltende Reibungskletterei in tollem Fels, wirklich sehr schön! Des Öfteren muss man mutig antreten, eine ganz so verzweifelt schwierige, fusstechnische Stelle wie in L3 konnten wir aber nicht wahrnehmen - vielleicht war aber auch nur das Reibungsempfinden inzwischen besser kalibriert. Aufgrund der Länge und der etwas mäandrierenden Linie muss man hier aufpassen, dass man sich die Sache nicht aufgrund von Seilzug schwieriger macht, wie sie ist.
L11, 25m, 7a+: Das letzte Pièce de Resistance ist mit einer leicht überhängenden Wand mit rauem Fels gegeben. Erst geht's einer griffigen Rippe entlang, die sie noch ein wenig splittrig anfühlt. Nachher wird der Fels dann aber richtig cool mit scharfen Leisten und ein paar überraschenden Henkeln. Ein paar entschlossene, kräftige Moves sind da nötig und auch etwas Grips, um eine funktionierende Beta zu zimmern. Das gelang mir nicht immer auf Anhieb perfekt, doch zum Glück waren noch genügend Reserven da, um alles sauber zu entschlüsseln. Äusserst froh war ich aber dennoch, als ich die letzten Henkel in die Finger kriegte und mich mit schwindenden Kräften aber dem Onsight in der Tasche um die Kante wuchten konnte. Der Abschlussstand liegt knapp unterhalb der Kante im Steilgelände. Man kann dort entweder eher unbequem nachnehmen; gleich umlenken und den Nachsteiger ab Stand 10 im Toprope sichern; oder unsere Alternative, im flachen Gelände oberhalb der Wand an einem Baum sichern.
Um 16.00 Uhr und somit nach 5:15 Stunden Kletterei hatten wir die Mission mit der Befreiung der neuen Variante vom Sunset Boulevard erfüllt! Das war nun richtig genial gewesen - trotz gewissen Zweifeln im Vorfeld lief es mit der Kletterei rund. Und während man aufgrund der Prognosen einen grauen, windigen und kühlen Tag hätte fürchten können, genossen wir wohlige Wärme und tolle Landschaftsblicke bei schon fast psychedelischem Wolkenbild. Bewusst war uns aber, dass dies wohl eine (wenn nicht die, die Zukunft wird es zeigen) längere MSL-Tour der Saison war, umso mehr sogen wir die tolle Stimmung am Top auf. Doch schliesslich riefen die (Familien)pflichten und es hiess abseilen. Das erste Manöver vollzogen wir an einem Baum, das Seil liess sich von da problemloser abziehen wie wir gefürchtet hatten. Dank nahezu immer 50m messenden Seillängen, dem steilen und wenig seilfressenden Fels ging's zügig zum Einstieg und von da war es ja auch nicht weit zurück zum Automobil, wo sich um 17.30 Uhr der Kreis schloss. Wenn's tatsächlich das Schlussbouquet zur MSL-Saison 2021 gewesen sein sollte, so war es auf jeden Fall ein ganz tolles!
Facts
Valaschga Hochwand - Sunset Boulevard 7a+ (6b obl) - 11 SL, 480m - F. Tischhauser et al. 1985-2021 - ***;xxx-xxxxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express (davon 4-6 verlängerbare), evtl. Cams 0.3-0.5
Lange, alpin angehauchte, abwechslungsreiche MSL-Kletterei an einer sonnigen Wand in tiefer Lage, ideal für Spätherbst und Frühwinter. Zusammen mit der guten Erreichbarkeit und dem kurzen Zustieg ein ziemliches Unikat in der Ostschweiz. Die Kletterei verläuft fast durchgehend in solidem Fels. In den einfacheren Seillängen spriesst da und dort etwas Gras und es gibt geröllbedeckte Bänder, in den schwierigen Abschnitten führt die Route durch plattig-kompaktes Gelände. Gutes Können auf Reibung hilft dort weiter, es gibt aber auch athletische Abschnitte zu bewältigen. Teilweise führt die Route durch oder nahe einer Zone, die im Frühjahr und nach Nässeperioden ein Wasserlauf ist, d.h. dass man vereinzelt auf etwas Schmutzbelag treffen kann. Das soll aber keine schlechte Werbung für die Route sein, deren Erlebniswert auf jeden Fall gegeben ist! Die 2.5 neuen Seillängen aus dem 2021 sowie die Sanierung der zuvor teils kolossal rostigen Haken werten die Route auf jeden Fall stark auf und entschärfen das Problem der Nässeanfälligkeit auch sehr. Die Absicherung ist gut bis sehr gut, konkret ist auf den 5er-Längen durchaus luftiges Steigen angesagt (xxx), im 6er-Bereich gibt's prima MSL-Absicherung (xxxx), während die Schlüsselstellen (z.B. L7, L11) noch engere Abstände aufweisen. Wir haben nur gerade am Anfang von L5 zwei Cams (0.3, 0.4) gelegt, sonst drängte sich dies nirgendwo auf. Das Topo zur Route hat Fredy gezeichnet und nach unserer Befreiung mit den Bewertungsvorschlägen aufdatiert. Vielen herzlichen Dank für deinen Einsatz am Fels und vor dem Computer!
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