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Mittwoch, 15. Dezember 2021

Tête Colombe (3022m) - Le Bal des Boucas (6c)

Zurück in den Sommer und seine Ferien, nach Frankreich und genauer ins Massif des Cerces, das grob zwischen Briançon und dem Col du Galibier liegt. In den vergangenen beiden Jahren hatten wir an der eindrücklichen, relativ leicht zugänglichen Wand vom Tour Termier mit der Ponant Neuf (6b+) und der Marmotta Impazzitta (6c) zwei sehr schöne Touren klettern können. Dort gibt es zwar durchaus noch mehr zu tun, doch ein Besuch an der etwas weiter östlich gelegenen Wand der Tête Colombe drängte sich definitiv einmal auf. Der Hauptgrund, warum wir ihr als Vater/Tochter-Team bisher fern geblieben waren, liegt am steilen, doch rund 750hm umfassenden Zustieg und etwas schrofigem Jägergelände zum Einstieg. Im 2021 waren wir aber bereit dafür und wollten uns mit dem 1985er-Klassiker 'Le Bal des Boucas' Punkte für die Moderne Zeiten Sammelliste sichern. Das klappte, wir fanden die Kletterei grandios, Ambiente und Gestein erinnerten uns sehr an den Drusenfluh Westgipfel, wo wir ja in unserer Lanciamira schon viel Zeit gemeinsam verbracht hatten.

Die breite SW-Wand der Tête Colombe mit dem Verlauf der 'Bal des Boucas' (10 SL, 6c).

Schon am dritten Tag unserer Ferien war die Gelegenheit da, sprich warmes, windarmes und gewitterfreies Wetter. Diese Faktoren sollten schon gegeben sein, denn obwohl wir es mit einer Südwestwand zu tun haben, erfordert die Lage an der Schwelle zum Hochgebirge einwandfreie Bedingungen. Um ca. 10.45 Uhr brachen wir schliesslich vom Ausgangspunkt beim Tunnel Vallois (ca. 1880m, Seite Briançon) auf. Eine gute Wegspur führt hinauf zum Chemin de Roy. Man überquert ihn und steigt weiter durch den Lärchenwald hinauf, wobei da die Pfadspuren manchmal nicht so deutlich sind, bzw. es mehrere davon gibt. Wobei hier viele Wege nach Rom führen, nach der Baumgrenze ist die Spur wieder besser ausgeprägt und führt hinauf in den Kessel unter der Wand. Das lebendige Geröll hinauf zum Einstieg kann auf der falschen Fährte sicherlich sehr mühsam zu begehen sein. Wir stiegen darum von links her über den Schrofensockel auf. Das geht gut, ist aber doch schon ziemlich exponiert. Während wir erst am kurzen Seil gingen, gab's dann zuletzt eine nullte Seillänge (T5 II, 2-3 BH vorhanden) zum eigentlichen, schon ziemlich in der Wand oben gelegenen Einstieg. Gegen 12.30 Uhr stiegen wir ein, der Zustieg hatte uns rund 1:15h gekostet.

Ausblicke auf dem Zustieg zum Col du Lautaret und dem Massiv der Meije.

L1, 45m, 5b: Über von Bändern unterbrochene Aufschwünge geht's hier in die Höhe, bei eher spärlich gehaltener Absicherung. Noch dazu finden sich die kurzen, bouldrigen Schlüsselstellen gleich oberhalb von flachem Gelände. Eine souveräne Beherrschung der Schwierigkeiten ist angeraten, 5b als Bewertung zudem definitiv auf der tiefen Seite.

L1 (5b) überzeugt noch nicht restlos, bzw. darf man als verschärften Teil des Zustiegs sehen.

L2 & L3, 50m, 6a: Die nächsten beiden Abschnitte kann man bei vorausschauender Seilführung verbinden, was jedoch nur mit entsprechend Reserven empfehlenswert ist. Man bewegt sich hier nun auf dem ästhetischen Plattenpanzer. Der Auftakt an einer kompakten Wand fordert gleich in Sachen Fusstechnik und Linienwahl, tatsächlich zeigt auch der an sich raue und exzellente Fels da und dort schon einige Gebrauchsspuren. Später geht's an Wasserrillen und einer griffigen Schuppe einfacher im 5bc-Bereich voran. Die nominell dritte Seillänge begeistert dann in homogener, wasserrillig-technischer Steilplattenkletterei. Hier ist die Absicherung nun enger, allerdings muss man auch für diese 6a durchaus etwas auf dem Kasten haben.

Hervorragende Steilplattenkletterei wartet in der 50m-Kombo von L2 & L3 (beide 6a).

L4, 40m, 6a: Eine weitere, sehr schöne Seillänge, die im steilplattigem Gelände diagonal nach rechts hinauf führt, da und dort mit ein paar Wasserrillen garniert, sehr genussvoll! Auch hier: ohne Vertrauen in die Füsse geht's nicht - die Absicherung zwar in Ordnung, aber zwingend.

Auch in L4 (6a) wartet hervorragendes, steilplattiges und wasserrilliges Gelände.

L5, 30m, 4c: Hier legt sich die Wand etwas zurück, dennoch sieht's für versprochene 4c durchaus "oho" aus! Ob der Grad nun wirklich zutrifft ist für mich schwierig zu sagen. Auf jeden Fall löst sich wirklich alles prima auf, so dass auch die hier nun wirklich sehr distant gehaltene Absicherung mit nur 3 BH nicht für Kopfzerbrechen sorgt. Topoguide schlägt hier einen Umweg rechtsherum über die 'Valse des Boucs' vor, wo mehr Bolts stecken. Kann man machen, nötig ist's nicht.

Auch aus dieser Perspektive würde man es glauben, wenn eine 6b stünde. Aber L5 ist nur 4c!

L6, 30m, 5c: Über die folgenden 2 Seillängen traversiert die Route nun unterhalb des markanten Grats. Das wäre bei entsprechender Linienführung ziemlich einfach zu haben, die Route sucht sich aber die schönen Kletterstellen. Unterhaltsam geht's in griffigem Gelände diagonal nach links.

Etwas gesuchter Verlauf durch das kompakteste Gelände in L6 (5c), aber prima Kletterei in griffig-schönem Fels!

L7, 50m, 5c: Zu Beginn erklettert man kompakte Aufschwünge und muss sich durchaus etwas festhalten, nachher quert man in zunehmend einfacherem Gelände deutlich nach links an den Fuss des Gipfelturms. Der Stand befindet sich am rechten Ende der bequemen Terrasse, das Seil reicht nur bis dahin. 

L8, 30m, 6b: Da ab der Terrasse mehrere Linien starten, besteht die Herausforderung darin, auch wirklich auf der 'Bal des Boucas' zu bleiben - mit gutem Studium des lokalen Topos sollte es gelingen. Die Fortsetzung setzt eher am linken Ende der Terrasse an, was evtl. eine kurze Übergangslänge erfordert. Es lohnt sich: eine fantastische Seillänge in hervorragendem, gefinkeltem Steilplattenfels mit anhaltenden Schwierigkeiten wartet. Nach unserem Empfinden kam die Crux erst am Ende bei einer etwas kniffligen, seichten Verschneidung, wo man sich gut platzieren muss.

Perfekter Fels und geniale Steilplattenkletterei bietet die Route in L8 (6b).

L9, 20m, 5c oder 30m, 6b: Dieser Abschnitt verläuft gemeinsam mit der 'Valse des Boucs' und bietet immer noch sehr schöne, aber etwas einfachere Steilplattenkletterei wie L8. Man gelangt nach ca. 15-20m zu einem Band, wo man bequem Stand beziehen kann. Dies ist sogar zwingend, sofern man die Cruxlänge links in einfacherem Gelände umgehen möchte. Original wartet für die 'Bal des Boucas' aber noch eine zünftige Boulderstelle vom Band weg rechts hinauf zu Stand auf einer Kanzel am Grat. So haben wir das gemacht, doch ich würde aus verschiedenen Gründen den unteren Stand empfehlen (bequemer, Sturz im Boulder heikel wegen Band, gleich nach dem oberen Stand folgt nochmals eine zähe Stelle).

L10, 35m, 6c: Je nach gewähltem Standplatz beginnt diese Länge eben mit dem Boulder auf die Kanzel, oder dann mit einem etwas kniffligen Move an Tropflöchern gleich aus dem Kanzelstand raus. Der nächste Haken ist da zwar nicht weit weg, ein Sturz (in den Stand) wäre aber wohl doch unangenehm. In einer steilen Tropflochwand nähert man sich dem markanten Riss, den man in einer Linksquerung erreicht. Dieser fühlt sich dann etwas abgelutscht-glatt an - so richtig schwierig (v.a. für eine 6c) eigentlich nicht, einfach etwas 'öttelig', sprich rund und abdrängend. Wegen der sehr eng gehaltenen Absicherung sind die Moves aber nicht obligatorisch.

Tiefblick auf die fabelhafte, luftig-exponierte Tropflochkletterei am Beginn der Cruxlänge (L10, 6c).
Bald geschafft! Trotz perfektem Hochsommerwetter und >30 Grad im Tal musste man sich am Ende doch warm anziehen. Die Thermik ist in dieser Gegend brutal stark, da pfeift einem der Wind am exponierten Schlusspfeiler gehörig um die Ohren. Oder vielleicht könnte man auch einfach sagen: "Der Kletterer friert lieber im Hochsommer in der Daunenjacke, als er in der Badehose schmort" ;-)
:-)

Um 16.25 Uhr und somit nach knapp 4:00h Kletterei hatten wir das Top mit einer perfekten Team-Onsight- bzw. Flash-Begehung erreicht. Man könnte von hier noch 1-2 einfachere Seillängen über den sich verflachenden Pfeiler weiterklettern und zuletzt über Schrofen den Gipfel erreichen. Das hiesse, dass man den Retourweg per Pedes bewältigen muss. Der Standard und deutlich zeitsparender ist es jedoch, vom Ende der Route abzuseilen und genau das taten wir auch. Wir hielten uns an die im JMC-Führer empfohlene Piste über die 'Du côté de chez Tronc', was perfekt und zügig funktionierte. In der Mitte, d.h. unterhalb der 'Boule à Tronc' muss über eine geneigt-geröllige Zone zu Fuss abgestiegen werden. Dies erfordert, mitten in der Wand, etwas Zutrauen, das Gelände ist aber wirklich unschwierig und der auf den ersten Blick nicht sichtbare Stand kommt dann schon. Nach 5 Manövern ist man schliesslich zurück im exponierten Schrofengelände und muss erneut linkshaltend zum Einstieg kraxeln. Das ist als Übung durchaus sinnvoll, denn vom Schuhdeport wartet nun ja auch nochmals ein steiler Abstieg aufs Geröll hinunter. Wir hielten uns an die trefflich beschriebene Variante aus dem JMC-Führer. Bald konnten wir entspannen und gemütlich zurück zum Ausgangspunkt wandern, wo wir noch vor 19.00 Uhr eintrafen. 

Edelweiss findet man in der Wand sehr viele!

Facts

Tête Colombe - Le Bal des Boucas 6c (6a+/6b obl.) - 10 SL, 330m - Maure/Pellet 1985 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Express, Cams/Keile kaum einsetzbar

Sehr schöne Kletterei über wasserrillige Steilplatten. Die Route erinnert in verschiedener Hinsicht an den Drusenfluh Westgipfel im Rätikon: einerseits der zuletzt geröllige und steil-schrofige Zustieg, der tolle Fels mit einem Mix aus steilplattigen Zonen, geneigteren Abschnitten und Bändern, sowie das gewaltige Panorama. Obwohl die Route im Plaisir West Band 2 beschrieben ist und (bei Umgehung der Cruxlänge) nirgends schwieriger als 6b ist, so sollte man sich dennoch eher auf alpines Sportklettern einstellen. Sicherlich ist es auch sinnvoll, wenn man zumindest eine 6a+ fusstechnischer Art wirklich gut draufhat. Die Absicherung ist zwar an den Schlüsselstellen (>=6b) sehr gut und ermöglicht sogar A0, im mittelschwierigen Gelände (6a/6a+) aber schon etwas weiter und öfters zwingend. Die einfacheren Stellen sind knapp (5er-Bereich) bis nur spärlich (alles darunter) ausgerüstet, dies auch an Orten mit ungutem Sturzpotenzial. Hier muss man souverän und sicher klettern, denn mobile Sicherungen kann man kaum je zuverlässig anbringen. Die ehrlichste Empfehlung lautet deshalb, sie gleich im Tal zu lassen. Wer sich doch etwas an den Gurt hängen will, ist wohl mit kleinen bis mittleren Cams am besten bedient. Topos zur Route bzw. zur Tête Colombe findet man in manch einem Führer: 'Oisans Nouveau, Oisans Sauvage, Livre Est' von J.M. Cambon, Plaisir West Band 2, Topoguide Band 2 oder der Sammelband Moderne Zeiten.

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