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Donnerstag, 10. November 2022

Avegno / Torbeccio - Zufolandia (7b)

Nach dem tollen Klettertag in ihrer Schwester Anima Ribelle im Dezember 2021 waren wir gleichzeitig hoch motiviert wie auch gespannt, was uns wohl in der ca. 50m weiter rechts durch die Wand verlaufenden Zufolandia erwarten würde. Diese wurde im 2003, d.h. 1 Jahr vor der Anima Ribelle fertiggestellt, war dereinst mehr im Gespräch und hat bestimmt häufiger von Kletterteams Besuch erhalten. Allerdings ist sie auch schon seit Jahren in Vergessenheit geraten und wird in den heutigen Topos nicht mehr aufgeführt. Ein einziger Internetbericht von 2015 berichtet von einer Begehung bei wuchernder Vegetation, auch der Erschliesser hatte uns in ähnlicher Hinsicht Bedenken gemeldet. Davon wollten wir uns nicht abhalten lassen, an solchen Orten selber nachzuschauen und auf Schatzsuche zu gehen ist ja umso spannender. Es wurde tatsächlich ein bisweilen grüner Klettertag, der aber auch tolle Moves bereithielt.

Sicht auf die Wand von Torbeccio mit dem Verlauf der Zufolandia.

Tageszeitlich hielten wir uns an den Zeitplan vom letzten Mal, wo die Sonne um Punkt 9.30 Uhr am Wandfuss erschienen war. Das war aber 6 Wochen später im Jahr, als wir heuer wenige Minuten nach 9.00 Uhr beim Ausgangspunkt eintrafen, war die Wand bereits hell erleuchtet. Dank den mit 14 Grad mild angesagten Temperaturen war es aber kein Problem, auf diese Weise schon kostbare Sonnenstrahlen verschenkt zu haben. Wir machten uns auf den kurzen Zustieg über die Hängebrücke und hinauf zum Wandfuss. Exakt da wo der Zustiegspfad zum Underzero-Sektor auf den Wandfuss trifft, beginnt das marode Fixseil. Es führt leicht rechtshaltend über ~35m hinauf zum Einstieg. Wohlweislich hatte ich Gartenschere und Baumsäge mit eingepackt, doch was sich uns hier präsentierte, war noch weit schlimmer wie angenommen.

Pic of the Day! Die Zustiegsrampe komplett überwuchert, ohne Werkzeug unpassierbar 😂

Der ganze Zustieg war dick mit Gestrüpp und Brombeerdornen überwuchert. Ohne die Gartenwerkzeuge wäre es nicht möglich gewesen, überhaupt zum Einstieg zu kommen. Auch mit diesen Hilfsmitteln war es eine ziemlich undankbare und vor allem zeitaufwändige Sache, bis alles genügend freigeschnitten und passierbar war. Ebenfalls sehr nützlich wären dornenfeste Schutzkleidung und vor allem Handschuhe gewesen - die Alternative dazu waren manche Kratzer, etwas Blutzoll und einige lautstarke Verwünschungen der stachligen Flora. Also definitiv Type II Fun, rückblickend betrachtet war es irgendwie doch noch cool ;-) Wir setzten in dieser Passage übrigens auf Seilsicherung, das Gelände ist doch exponiert und das Fixseil bedenklich verrottet. Nach einer guten Stunde an "Zustieg" hatten wir den leidlich bequemen Platz am Start der Route erreicht und starteten um 10.30 Uhr mit der Kletterei.

Nachstieg zum Start der Route - sieht zwar nicht so aus, aber da ist das Grünzeug schon geräumt!

L1, 25m, 6c+: Auf los geht's los! Man trifft von Beginn weg auf interessante Kletterei in recht kompakten Fels mit Schuppen, Rissspuren und kleinen Rippen. Die Sache spitzt sich im oberen Teil zu, man finde die rettenden Slots im Riss zwischen den spriessenden Grasbüscheln. Der Fels hat etwas Brösmeli-Belag, ist aber ansonsten völlig in Ordnung. 

Lässige Kletterei in L1 (6c+), im Vergleich zum Rest noch kaum botanisch.

L2, 20m, 7b: Diese Seillänge beginnt mit einer coolen Steilplatte, die mit ein paar weit voneinander entfernt liegenden Leisten gewürzt ist. Gewusst (oder erkannt) wie ist hier der Trumpf, ein paar gekonnte Aufsteher der Schlüssel zur freien Passage. In einer Rechtsquerung pirscht man sich an eine steilere Zone heran, wo man alsbald auf die Crux trifft. Diese erfordert gute Fusskontrolle und vor allem viel Beinkraft. Mit Compression tritt man auf einem abschüssigen Reibungstritt an und muss dann aus sehr tiefem Kniewinkel kontrolliert und die offene Tür vermeidend das Bein strecken, um die rettende Leiste zu erhaschen. Mir fehlte da die nötige Leg Power deutlich, beim Ex-Leichtathleten Viktor sah es wohl deutlich besser aus, doch auch ihm gelang der Move nicht ganz. Bald darauf erreicht man den Stand, somit ist diese Länge etwas ein One-Mover - aber doch hart für 7b, die Sportkletterroute Baby Aspis (7b) am Wandfuss ist jedenfalls nach meiner Ansicht um Welten einfacher. Der Fels ist in dieser Seillänge weitgehend vegetationsfrei und von guter Qualität. Teils hat es etwas Brösmelibelag und Moos, das würde sich sicher bessern, wenn mehr geklettert würde.

Knifflige Wandkletterei in L2 (7b), sehr eng geboltet.

L3, 30m, 7a: Meiner Meinung nach die schönste Seillänge der Route! Sie bietet viel Abwechslung, sowie sauberen und kaum von der Vegetation durchsetzten Fels. Die Reise beginnt mit einem unscheinbar aussehenden, aber durchaus kniffligen Seitgriffboulder. Eine weitere Tüftelpassage endet mit einem "Crossing the Midline"-Move an eine gute Schuppe, bevor eine witzige Untergriffquerung die letzte Verteidigungslinie vor dem finalen, athletischen Teilstück darstellt. Dieses an meist guten Seitgriffen hoch, das mässige Trittangebot macht es fordernd. Die Crux ist der Ausstieg ins weniger steile Gelände darob, wobei der Stand schon da und geklippt ist, wenn man das zu 85-90% erledigt hat. Wer sportlich einwandfrei punkten will, müsste fast bis zum ersten Zwischenhaken von L4 weiterklettern.

L3 (7a) ist eine coole Seillänge, die v.l.n.r. die bewachsenen Zonen geschickt umgeht.

L4, 20m, 6b+: Ab hier ist die Sache nicht mehr so erbaulich, das sieht man auf den allerersten Blick. Eigentlich wären die Moves an einer Kante, bzw. bisweilen deren linke Verschneidung nutzend durchaus witzig. Jedoch ist der Fels von unzähligen Flechten überzogen, so ist die Reibung miserabel und man findet teilweise kaum Halt. Dass überall noch Grasbüschel spriessen, macht es auch nicht besser, jedoch stören diese im Vergleich zu den Flechten nicht halb so stark.

Hier in L4 (6b+) sind die weissen Flechten das Hauptproblem...

L5, 30m, 6b: Die schlechte Nachricht ist, dass es bezüglich der Vegetation noch schlimmer wird. Diese Seillänge gleicht nun echt einem Gemüsegarten und ist komplett mit Gras und Sträuchern überwuchert. Allerdings, das muss man den Erschliessern schon zu Gute halten: die Route wählt hier durchaus die bestmögliche Passage, grob einer Kante entlang. Direkt auf dieser ist der Fels auch ok, daneben gibt es aber auch schlechteres Gestein und sogar auch Blöcke, die man in die Tiefe senden könnte (Vorsicht!!!). Am Ende kann man nur konstatieren, dass es eine ziemlich aussergewöhnliche Sache war. Um dem gerecht zu werden, sollte man vielleicht besser mit einem T7+ (oder so...) bewerten, ein paar nichttriviale Moves die der 6b gerecht werden gibt's durchaus. Immerhin ist die Absicherung eng (wenn man die Bolts im Gestrüpp alle findet).

À la Willhelm Tell: "Durch dieses Gestrüpp muss er kommen". In der herzhaft vegetativen L5 (6b).

L6, 30m, 7b: Glücklicherweise wird der Fels wieder deutlich kompakter. Auch legt das Gelände wieder an Steilheit zu, doch de visu würde man dieser Seillänge vom Stand aus keine 7b attestieren. Es kann nur bedeuten, dass es weniger bzw. schlechtere Griffe und Reibung hat, wie man es erwartet. Genau so kommt es. Der Auftakt an einer kurzen Piazverschneidung geht noch easy, die folgende Wandstufe hat dann aber nur abschüssige (Seitgriff-)Leisten und miese Tritte, die wegen dem Flechtenbelag grausam rutschig sind. Nach einem Ruhepunkt folgt eine längere, knifflige Passage einer Kante entlang. Auch hier ist man stark von Slopern/Reibung abhängig, die aber einfach miserabel ist. Insgesamt ein unschöner Abschnitt, eine freie Begehung gelang uns nicht, aber meine Motivation dafür war ehrlich gesagt auch sehr schnell verflogen.

In L7 (7b) hat es weniger Gras, dafür stört der Flechtenbelag bei dieser Art der Kletterei sehr.

L7, 30m, 7a+: Wer in den unschönen L4-L6 durchgehalten hat, wird hier nochmals mit einer lässigen Pitch belohnt. Sie beginnt mit einer kniffligen Plattentraverse in bester "Modern Style Bouldering"-Manier. Ein klitzekleiner Untergriff, wo man mit den Daumen nach oben presst, ein paar sonstige Ministrukturen und vor allem geschickte Gewichtsverlagerung auf Reibungstritten machen die Passage möglich - geil! Das bringt einen zur markanten Verschneidung. Diese ist vorerst nicht allzu schwierig und auch etwas bewachsen, wobei dies nicht allzu störend ist, da man meist im sauberen Fels ausspreizt. Die Struktur endet mit einem Abschlussdach, welches athletisch an Rissen mit ein paar wohldosierten Klemmern passiert werden muss - sehr hübsch! Bald darauf ist Stand, endlich einmal einer der halbwegs bequem ist.

Ausstieg aus der noch coolen und nicht extrem botanischen L7 (7a+) - naja, nicht wirklich sichtbar.

L8, 20m, 6c: Eine kurze Seillänge, aber VORSICHT! Gleich oberhalb vom Stand hat es eine Schuppe (2m hoch x 1.5m breit x 0.3m dick), die kaum mit der Wand verwachsen ist. Die Stelle ist leider kaum zu passieren, ohne dass man diese Struktur benutzt, zudem steckt auch noch BH #2 darin. Eines ist sicher, wenn diese Schuppe kommt, dann sieht es für die ganze Seilschaft sehr schlecht aus (ganz egal, ob der Bolt geklippt ist oder nicht). Nach diesem Hindernis wartet vorerst die Passage eines Feigenbaums, der den ansetzenden Riss weitverzweigt blockiert. Die nächste Challenge erfolgt in Form eines ca. 1m ausladenden Dachs, dank einem sauberen Faustriss geht das aber tatsächlich erstaunlich gut und durchaus im angegebenen Grad. Kurz darauf erreicht man den leider sehr unbequemen Stand, da wäre es 2m weiter oben deutlich besser gegangen.

Faustrissdach mit leicht botanischem Ausstieg (im Vergleich zum Rest der Route) in L8, 6c.

L9, 25m, 7a+: In dieser Seillänge existieren 2 Varianten, die linke davon soll eine 7c sein, während man rechts mit 7ab (Originaltopo der Erstbegeher) bzw. 7a+ (SAC-Führer, Ausgabe 2006) durchkommt. Aus dem linken Riss spriessen viele Grasbüschel, zudem sieht die Absicherung deutlich weiter aus als alles, was wir bisher erlebt haben. Und da wir die 7c eh kaum werden klettern können, setzen wir lieber auf die rechte Variante. Allerdings ist diese total zugewachsen: aus dem Riss spriessen mehrere zu richtigen Bäumen entwickelte Birken und haufenweise Gras. Eine Herausforderung der anderen Art also... nach dem Motto "alles gilt" kämpfe ich mich nach oben. Die Bolts stecken wohl etwas enger als auf der linken Variante, aber sie sind auch weiter voneinander entfernt wie auf den unteren Längen. An einer Stelle bin ich sogar echt froh, einen Camalot 2 platzieren zu können. Schliesslich ist das Routenende erreicht. Dieses befindet sich noch mitten in der Wand an einem super unbequemen Platz mitten im überhängenden Gelände. Sehr antiklimaktisch also, aber der Riss läuft da eben aus und der Fels wird obermoosig, daher ist es schon ein logischer Endpunkt. Ich bitte Viktor, mich gleich wieder zum unteren Stand abzulassen, der immerhin nur "sehr unbequem" ist. Er, der Riss-Liebhaber kämpft sich mit jeder Körperfaser im bisweilen breiten Riss klemmend tatsächlich rotpunkt bis zum Stand durch und befindet die Seillänge als 'easy for the grade' - jedem Tierchen sein Plaisirchen, kann man da nur sagen ;-)

Baum-, Gras- und Felskletterei am breiten Riss in L9 (7a+).

Um 16.30 Uhr und damit nach rund 6:00 Stunden Kletterei haben wir es geschafft. Es war ein Erlebnis der anderen Art, aber irgendwie muss man diese Abwechslung ja schätzen, sonst würde es irgendwann auch langweilig. Ganz sicher aber waren wir gefordert, und um das Meistern der Herausforderung geht es ja beim Klettern. Ebenso waren auch schöne Klettermoves dabei, kein Grund also, um unzufrieden zu sein. Die Route ist mit 30m-Abseilstellen ausgerüstet, so sind aber viele Manöver nötig. In weiser Voraussicht haben wir die 60m-Halbseile dabei. Damit reicht es in 4 Manövern gerade bis auf den Boden, wobei sich die letzte Teilstrecke mit dem dornengespickten Vorbau als lästig erweist. Der diagonalen Zustiegsrampe zu folgen ist abseilend eher schwierig, so dass es nochmals ein paar zusätzliche Kratzer und lautstarke Fluchworte absetzt. Schliesslich stehen wir aber auf dem Boden, das Seil kommt zum Glück auch ohne Verhänger zu uns. Es dunkelt schon ein, wir packen zusammen und machen uns vom Acker. Tja, nun bleibt uns in dieser Wand noch die obskure Bala Balengo - ob sich das wohl lohnt, oder ob wir an Ort und Stelle besser auf einen Sportklettertag im Sektor Underzero setzen?!? Wie 99.99999% des Klettervolks diese Frage beantworten, wissen wir ja... Wie unsere Antwort ausfällt, wird die Zukunft zeigen 😎

Facts

Avegno / Torbeccio - Zufolandia 7b (6b+ obl.) - 9 SL, 220m - Bassi/Stein 2003 - **;xxxxx
Material: 2x60m-Seile, 15 Express, evtl. Camalot 2

Von der absolut lohnenden Anima Ribelle 50m links begeistert, stiegen wir voller Hoffnung in diese Route ein. Sie ist aber deutlich weniger schön und lohnend als ihre Schwester. Die besten Passagen findet man auf den ersten 3 SL, nachher wird das Gelände zunehmend von der Vegetation durchsetzt. Es spriessen viel Gras und Sträucher, dies auch unmittelbar auf der Linie, dort wo der Fels geschlossener ist, ist er oft echt störend flechtig und man trifft nur noch auf einzelne, lohnende Kletterstellen. Das tönt jetzt wie ein vernichtendes Urteil und ist möglicherweise der definitive Todesstoss für die sowieso schon fast vergessene Route. Nun ja, ein Abenteuer in Talnähe, welches grundsätzlich fast ganzjährig begehbar wäre, ist es auf jeden Fall. Zu beachten ist, dass vom 1.1.-15.9. ein Kletterverzicht aufgrund von Vogelschutz gilt. Das Material mit rostfreien BH ist noch top in Schuss und steckt in hoher Dichte. Obligatorische Passagen gibt es kaum, vermutlich käme auch ein 6a-Kletterer mit A0 bis zum Top. Das macht freilich keinen Sinn, eine 7a sollte man schon gut drauf haben, damit man hier auch noch etwas Kletterspass hat. Unten das Originaltopo der Erschliesser, vielen herzlichen Dank für eure Arbeit. Auch wenn wir der Route (und v.a. ihrem jetzigen Zustand) nicht das beste Zeugnis ausstellen, so ist das kein Angriff auf die Erstbegeher - wie immer wissen wir ihre Arbeit sehr zu schätzen!

Das Originaltopo der Erschliesser - vielen herzlichen Dank!


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