Erst vor kurzem wurde auf diesem Kanal von der Erstbegehung von Querdenker (4 SL, 7c) an den Balmenchöpf im Seeztal berichtet. Nur 4 Tage nach der Begehung jener Route machte ich mich mit schwerem Gepäck erneut auf den Zustieg an den Südflanken des Seeztals. Eine zweite MSL weiter links an der Wand des Wintergartens war meine Absicht. Seitenblicke beim Sichern während der Begehung des Querdenkers hatten die Präsenz dieses Potenzials klar gezeigt. Daniel war damit einverstanden, dass ich diese Linie einer näheren Prüfung unterziehe und sofern lohnend, Arbeit und Hakenmaterial für die Erschliessung beisteuern würde. Umso gespannter war ich, wie sich die Lage vor Ort präsentieren würde. Denn bei welchen Schwierigkeiten, welcher Qualität und mit welcher Griffabfolge es schliesslich geht, lässt sich eben von 20m weiter drüben jeweils unmöglich sagen.
Unterwegs auf Mission Rotpunkt in L2 (7a) von The Fugitive. Bild: Daniel B. |
Den Zustieg in den Wintergarten habe ich bereits im Beitrag zum Querdenker ausführlich beschrieben und wiederhole die Zeilen daher hier nicht nochmals. Sowohl beim Einbohren wie auch beim Punkten wählten wir den bequemsten und üblichen Zugang via den Vorderspinaweg. Das Einbohren erledigte ich solo im Toprope - die logische Wahl wegen der guten Zugänglichkeit von oben, dem klettergartenähnlichen Charakter und der Tatsache, dass bis dato alle Routen im Wintergarten so erschlossen wurden. Es ging mir gerade auf, die Linie an einem Tag sauber auszuchecken, die Haken zu bohren und an den wenigen Stellen wo es nötig war, zu putzen. So war ich dann eine Woche nach dem Anbringen der Haken mit Kathrin am Start, um das Teil Rotpunkt zu klettern.
Übersicht über die Gebiete oberhalb von Heiligkreuz. |
L1, 35m, 6c bis 7a+: Im Grunde genommen gibt es für die erste Seillänge ganze 4 Möglichkeiten, wovon jede eine gewisse Logik bietet. Wir beginnen mit dem Argumentatorium von rechts her: Jailbreak (7a) als äusserste Linie bietet sich an, weil man so The Fugitive durchgehend auf einer Dettling-Linie klettern kann. Es ist auch die Option mit der am wenigsten zwingenden Kletterei - coole, plattige Moves mit einer geilen Patscher-Crux am Ende. Das Bewegungsrätsel (6c) ist die nominell einfachste Variante. Aber man sei gewarnt, ohne auch jenseits der Haken richtig überzeugt auf die Füsse zu stehen, könnte diese Route (oder zumindest deren Bewertung) ein Rätsel bleiben! Die dritte mögliche Linie ist die Argus (7a+), welche den direktesten Verlauf der MSL bietet. Kräftig geht's gleich über's Dach und anhaltend mit kniffligen fusstechnischen Stellen und Slopern weiter. Als vierte Option bietet die Primagusto (7a+) den möglicherweise exquisitesten Felsgenuss, aber natürlich gibt's auch da nichts geschenkt! Egal auf welcher Linie man beginnt, das Ziel ist die Umlenkung von Argus (d.h. der Stand mit dem langen Drahtkabel) - mittels einfacher Traverse auf dem Querband ist diese auch von den Nachbartouren mühelos zu erreichen.
Kathrin folgt in L1, welche wir an diesem Tag via Bewegungsrätsel (6c) kletterten. |
L2, 20m, 7a, "Getaway": Für Unterhaltung ist gleich vom ersten Meter an gesorgt. In weiser Voraussicht platziere sich die Sicherungsperson mit ausreichend langer Selbstsicherung etwas rechts auf dem Querband. Sogleich folgt nämlich eine wacklige Stelle, bevor man nach dem ersten Klipp mit Seit- und Untergriffen für den nötigen Anpressdruck der Füsse zu sorgen hat. Mit einer kniffligen Sloper-Sequenz die in einem Mantle gipfelt, bleibt es auch weiter spannend. Danach erlauben Rastpunkte zweimal etwas Durchschnaufen, bevor man sich im Finale dieser Länge dann nochmals etwas kräftiger an Leisten und Henkeln festhalten muss.
Kompakter Fels und richtig coole Kletterei in L2 (7a) |
L3, 30m, 6c, "Hideout": Auch hier gibt's kein Vorgeplänkel, es geht gleich ab dem Stand so richtig los mit technischer Kletterei, wo an leidlichen Griffen für den nötigen Druck auf den Füssen gesorgt werden muss. So bleibt das über eine Weile und man darf sich allerlei kreativer Moves bedienen, um an Höhe zu gewinnen. Der Weg führt in eine Verschneidung mit plattiger Seitenwand, die über einen Wulst nochmals kräftig verlassen wird, bevor eine fein mit Wasserrillen ziselierte Platte zum Stand unmittelbar oberhalb des markanten dürren Baums führt. Von dieser Stelle kann man entweder Abseilen (mind. 1x60m-Seil nötig) oder weiter zum Top.
Zum Ende von L3 (6c) wartet noch ein kniffliger Mantle in plattigem Gelände. |
L4, 20m, 3a, "Sanctuary": Diese Länge ist klettertechnisch definitiv unlohnend, erlaubt es dem Alpinistenherz aber den wirklich schönen Rastplatz am Top zu erreichen und via das Grätli und die Fixseile sehr zügig mit einem Fussabstieg wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Es geht in dieser Länge diagonal nach rechts hinaus zu einem BH und von dort am logischsten in dieselbe Richtung weiter zur markanten Föhre, wo auch der Querdenker endet (Stand mit Seilschlingen und Abseilring am Baum).
Seitenblick zum Gonzen (der Annagrethli-Turm am oberen Bild knapp sichtbar) und ins Seeztal. |
Für die an sich kurze Route hatten wir doch gute 2:30h Begehungszeit gebraucht. Einerseits gab es nichts zu pressieren, andererseits stand natürlich der Rotpunkt bzw. die freie Kletterei und nicht der Speed im Zentrum. Dass die Befreiung dieser Route nicht die ganz grosse Herausforderung für mich persönlich werden würde, war mir natürlich schon im Voraus klar. Eine sehr anregende Unterhaltung war es aber allemal und schlussendlich war's - wie so oft - im Rotpunkt dann doch noch eine Ecke fordernder wie beim Bohren gedacht. Glücklich und zufrieden machten wir uns auf den Abstieg und nach dem Auflesen des Materials gleich an den Heimweg. Einerseits brauchten die Teenies daheim unsere Präsenz nach der Rückkehr von ihren Sportveranstaltungen, andererseits konnten wir es nach einem harten Sportklettertag davor und dieser schönen Erstbegehung in der Tasche auch bestens "gut sein lassen" - auch wenn natürlich das Teufelchen im Hinterkopf nur zu gut noch von einigen zu erledigen Routen im Wintergarten weiss ;-)
Blick in die Wand, die Seilschaft Dettling in L2 (7a) engagiert. Foto: Daniel B. |
Facts
Balmenchöpf / Wintergarten - The Fugitive 7a (6b obl.) - 4 SL, 100m - M. Dettling 2022 - ***;xxxx
Material: mind. 1x60m-Seil, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig/einsetzbar
Kurze MSL-Tour für die Wintersaison, welche auf nur 100m Kletterstrecke eine ausgewogene Vielfalt und anhaltende Moves bietet. Es wartet ein guter Mix von bewegungsintensiven Passagen, welche gute Fusstechnik verlangen. Etwas Fingerkraft und die nötige Körperspannung helfen sicher dabei, damit die Sohle jeweils an Ort und Stelle bleibt. Wenn die Route 3x so lange wäre, so dürfte man von einem Top-Ziel der Ostschweiz sprechen. Doch es ist wie es ist, entweder erhascht man an einem Tag im tiefen Winter hier ein paar Stunden willkommene Sonne oder man verlängert den Klettertag mit der Nachbar-MSL Querdenker (4 SL, 7c) oder im Klettergarten an der Basis, beides ist absolut lohnend. Die Absicherung der Route ist mit rostfreien Bohrhaken prima, aber nicht übertrieben eng. Nachfolgend ein Fototopo, welches L2 und L3 zeigt (sowie das Ende der 4 verschiedenen Zustiegsoptionen zu deren Start). Ein schematisches Topo und nähere Infos zum Gebiet findet man im SAC-Kletterführer St. Galler Oberland von Thomas Wälti.
Wandansicht mit dem Routenverlauf von L2 und L3 von The Fugitive. |
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