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Montag, 14. Oktober 2024

Chli Bielenhorn - Dos Idiotas (7a)

Ein weiterer, hitziger Spätsommertag war angekündigt. Zu heiss für die sonnig ausgerichteten Wände in tieferen Lagen, aber für den Granit am Furkapass sollte es perfekt sein. Denn allzu zahlreich sind die Tage, wo man da ohne Quellbewölkung, Wind und Zähneklappern klettern kann nun auch wieder nicht. Die Routen am Chli Bielenhorn passten am besten in unser relativ enges Zeitbudget, zeichnen sie sich doch durch einen kurzen Zustieg und moderate Länge aus. Unsere Wahl fiel auf die Dos Idiotas, eine von Urner Locals im 2013 erschlossene Route, welche es noch nicht zu grösserer Bekanntheit geschafft hat. Obwohl sich das Topo inkl. Begehungswunsch schon lange in meiner Schatulle befand, hat es nun doch auch lange Jahre gedauert, bis es hier zu einem Go kam. Belohnt wurden wir mit einer fantastischen Kletterei!

Die fantastische Südwand des Chli Bielenhorn mit dem Verlauf der Dos Idiotas (8 SL, 7a).

Um 8.25 Uhr brachen wir beim Sidelenbach P.2280 auf. Wir folgten dem markierten Weg zur Sidelenhütte bis zur Bachüberquerung auf 2470m, wo rechts eine deutliche Steigspur abzweigt, welche zu den Einstiegen am Chli Bielenhorn führt. Nach rund 40 Minuten Zustieg waren wir vor Ort, der Einstieg zur Dos Idiotas liess sich dank einer Metallplakette problemlos und zweifelsfrei identifizieren (ca. 30m links und höher oben als die Sacremotion ist man richtig). Wir bereiteten uns auf die Kletterei vor und starteten um 9.20 Uhr in die erste Seillänge.

L1, 35m, 6a+: Allzu viel fixes Material steckt hier nicht, es sind 3 BH, welche fast mehr die Aufgabe der Wegmarkierung haben. Der Start in einer Verschneidung (BH) weckt einen gleich mal auf - es ist nicht so easy, wie man sich vielleicht erhofft. Nach etwas terrassiertem Gelände geht's mit einer grossen Rechtsschleife am nächsten BH vorbei. Dann links traversieren, bevor ein schöner Riss mobil gesichert werden will. Zuletzt in einfacherem Gelände gerade hinauf zum Stand.

Hier geht's los mit L1 (6a+), rechts davon in der Verschneidung die Trad-Route Krampfader (6a+).

L2, 25m, 7a: Wahnsinnig aufgewärmt ist man nach L1 nicht, aber hier schlägt bald einmal die Stunde der Wahrheit! Die Route zieht nämlich nach links hinaus in einen wahnwitzig erscheinenden, steilen Plattenschuss. Der Auftakt zum ersten BH in dieser Slab ist nicht schwierig, aber doch relativ weit und legen kann man nicht - Vorsicht! Einmal geklippt, geht's dann gleich los. Die Füsse sind super-schlabbrig auf relativ glitschigem Granit, mit den Händen bedient man sich der seichten Rissspur, die ein paar Seitgriffcrimps bietet und piazartiges Moven auf Gegendruck erlaubt. Ich stehe da relativ subito wie der Esel am Berg, mein Onsight-Go verpufft chancenlos. Nach etwas Auschecken und Vertrauen gewinnen ist dann aber eine Lösung identifiziert - so extrem schwierig ist es nicht einmal, denke 7a passt schon. Die restlichen Meter ab dem Stance nach der Crux zum Stand bieten dann schöne, mobil zu sichernde 6a+ Risskletterei und sind zügig erledigt. Meinen zweiten Go für diese Länge verschiebe ich auf das Abseilen (falls Zeit, Kraft und Motivation dann noch vorhanden), wo ich dann tatsächlich reüssieren kann.

In einem glatten Plattenschuss verläuft das Kernstück von L2 (7a), eine Rissspur erlaubt die freie Kletterei.

L3, 25m, 6b+: Supercoole, granitige 3d-Kletterei an Verschneidungen und Schuppen. Es stecken 2 BH welche bei der Routenwahl helfen, der Rest ist mobil zu sichern. Der Beginn erfordert gleich (für mich) zwingend den 3er-Cam, das ist aber die einzige Stelle der ganzen Route, wo wir diesen eingesetzt haben. Mit kreativer Technik geht's die relativ enge, V-förmige Verschneidung hoch. Nach 12m traversiert man dann unter einem Überhang nach links um erneut bewegungsintensiv die überdachte Verschneidung zu erobern. Zuletzt dann noch ein tolles, athletisches Finish an griffigen Schuppen.

Kräftig-griffige Kletterei am Ende von L3 (6b+)

L4, 30m, 6b+: Der Auftakt hier macht richtig Freude: super Felsqualität entlang von zwei Schuppen, die eine Verschneidung bilden. So gibt's hier gleich zwei Risse zum Greifen und Cams zu versorgen. Nach diesem gängigen Start ginge dann gerade hinauf die 7b-Direktvariante, welche sich ähnlich wie in L2 auf Gegendruck an dünnem Seitgriffriss mit schlabbrigen Tritten abspielt (Eindruck gemäss meiner Inspektion beim Abseilen). Wir wählen hingegen das leichter verdauliche Original, das am Ort wo sich die Wand aufsteilt eine supercoole, horizontale Hangeltraverse an einem Rail bietet (BH). Da es nur wenige Tritte hat, ist das trotz den guten Griffen noch recht pumpig. Das Finish dann mehr mit Wandkletterei, es geht mit einer recht grossen Rechtsschleife um den BH herum.

Jonas hangelt am Rail im Quergang von L4 (6b+)

L5, 40m, 6b+: Hier könnte man bzgl. der Routenwahl in Zweifel kommen, v.a. wenn man nur über das Topo im Uri Excellence verfügt, welches hier m.E. irreführend ist. Jedenfalls gibt es vom Stand weg zwei Risssysteme, welche hinauf zum Dach führen, oberhalb dessen ein BH steckt. Mit dem Originaltopo ist aber glasklar, es ist der rechte Riss zu wählen (links sicher auch kletterbar, aber wie schwierig und wie gut absicherbar?!?). Schon mal nicht trivial hinauf (6a+), die Querung unter dem Dach recht knifflig (6b) und der Piaz-Ausstieg dann mit der kräftigen und zwingenden Crux über dem BH. Nach meinem Empfinden die schwierigste der drei 6b+. Damit ist's dann aber gegessen, man merkt nach dieser Passage gleich, dass sich die Wand zurücklegt und oben wohl nicht mehr die anhaltenden Schwierigkeiten von unten bietet. Das gilt auch für das Finish dieser Länge: Achtung, es geht nicht an den gut sichtbaren Stand links (von der 7b-Variante), sondern in einfachem Gelände noch 20-25m gerade hinauf weiter zu Stand auf bequemer Terrasse (zwei Orientierungs-BH vorhanden). 

In L5 (6b+) geht's rechts aus dem Stand raus, schöne Risskletterei wartet.

L6, ~55m, 6a: Lange Seillänge mit griffiger Plaisirkletterei, welche sich über weite Strecken eher im Grad 5a/5b abspielt. Hier stecken total 5 BH, ein bisschen was dazulegen kann man auch noch hier und da. Am Ende ist es dann etwas unklar: es steckt nochmals 1 BH, mit einer Linksschleife durch grasiges Gelände erreicht man den Stand 6m höher auf dem Pfeilerkopf unschwierig. Dann muss man sich aber die Frage stellen, wo sich die 6a auf dieser Seillänge befunden hat. Im Nachstieg habe ich dann den direkten Weg über den Haken hinauf zum Stand gewählt. Der hat sich aber als echt noch taff (~6b) erwiesen, zudem ist's im Vorstieg auch noch ein Runout mit Seilzug, den will wohl jede/r vermeiden.

In diesem Gelände verläuft L6 (6a), in voller Auflösung erkennt man auch Jonas, der sich am Stand befindet.

L7, 35m, 6c: Hier wartet zuerst schrofiges Gehgelände, welches einen zum markanten, steilen Turm bringt. De fakto wäre es nicht unweise, eine kurze Übergangslänge zu machen und am Beginn der steilen Kletterei nochmals Stand zu beziehen. Sonst leidet man im steilen Teil unweigerlich unter Seilzug, und das obwohl ich die drei zentralen BH mit 60er-Alpinexen eingehängt habe. Allerdings: die Standmöglichkeiten am Fuss vom Turm sind nicht optimal, man muss den hoch steckenden ersten BH verwenden. Und dieser steckt mit gutem Recht so hoch - nichtsdestotrotz würde ein Sturz vor dem zweiten BH am Turm wohl zu einem Grounder auf dem Band führen. Vorsicht also, die Kletterei ist nicht prohibitiv schwierig und der Abstand nicht megaweit - aber die ganze Anlage (wenn man vom Stand nach L6 sichert) ist halt einfach ungünstig. Das alles tönt jetzt so, wie wenn diese Seillänge ein Mist und ein Mega-Gewürge wäre. Das entspricht aber überhaupt nicht der Realität. Bald wartet nämlich affengeile, super athletische Henkelkletterei - super! Ich fand es für 6c gemütlich, aber vermutlich ist das bei einer solchen Seillänge für Sportkletterer mit deutlich höherem Niveau so zu erwarten.

Steile, aber dafür so richtig henklige Kletterei am Turm in L7 (6c).

L8, 25m, 6a: Kurz rauf, ein plattige Traverse nach rechts zur Kante, wo es nochmals steil, griffig und mit mobiler Sicherung aufwärts geht. Man erreicht dann eine Art Grat, wo man nach rechts zum finalen Stand klettert.

An dieser Stelle befindet man sich an einem Turm etwa 20hm unterhalb vom Gipfelgrat. Der einzig logische Weiterweg ist aber jener am Seil zurück zum Einstieg. Genau so machen wir das um 13:40 Uhr, was 4:20h Kletterzeit für die Route ergibt. Das Abseilen geht zügig und gut (Stände 8 - 6 - 5 - 3 - (2 oder 1) - Boden), wobei man v.a. beim obersten und zweitobersten Abseiler aufpassen muss, dass man mit dem Seil keine Steine in die Tiefe schickt. Die Eigengefährdung dadurch ist klein, wenn's jedoch andere Leute in der Wand unterhalb oder am Wandfuss hat, so befinden sich diese im Gefahrenbereich. Sonst lief es glatt, und das Zeitbudget liess noch das Erledigen der Pendenz mit dem Durchstieg der Cruxlänge zu. Wenig später waren wir am Wandfuss, räumten zusammen und gingen retour zum Ausgangspunkt, damit wir die versprochene, frühe Rückkehrzeit daheim einhalten konnten. Auch wenn wir die Strassen mit vielen anderen Verkehrsteilnehmern teilen mussten gelang das und wir konnten einen rundum gelungenen Tag mit einer absolut passenden Tourenwahl konstatieren.

Facts

Chli Bielenhorn - Dos Idiotas 7a (6b+ obl) - 8 SL, 270m - Bunschi/Gisler 2013 - ****;(xxxx)
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-3 (& evtl. 0.3-1)

Tolle und abwechslungsreiche Granitkletterei, welche auf den ersten 4.5 Seillängen so richtig kernig und steil daherkommt. Danach legt sich das Gelände dann (ortstypisch!) zurück und die Kletterei ist nicht mehr so anhaltend. Wobei es in der Dos Idiotas mit dem Turm in L7 nochmals ein richtiges Highlight gibt. Mir hat die Route mindestens so gut gefallen wie die beiden hochgelobten Remy-Kreationen Sacremotion und Psychides. Der Anspruch in der Dos Idiotas ist höher als in der Sacremotion und (bis auf deren hammerharte Cruxsequenz) in etwa ähnlich wie bei der Psychides. Das Absicherungskonzept in der Dos Idiotas überzeugt vollauf: über weite Strecken muss man mobil sichern, aber wo man nicht zuverlässig legen kann oder es für die Orientierung zwingend ist, stecken solide, rostfreie Bohrhaken. Sozusagen Piola-Style oder auch das, was wir in unserem Touren am Zervreilahorn umzusetzen versucht haben. An Cams braucht man ein volles Set von 0.2-3, wobei wir den 3er nur 1x am Anfang von L3 eingesetzt haben, da war er aber ziemlich zwingend. Dank den BH und den relativ kurzen Seillängen geht's m.E. mit einem einzigen Cam-Set, sofern man mobil nicht wesentlich kürzere Abstände macht wie wenn es BH hätte. Verbauen lässt sich aber natürlich auch mehr Material, so dass das doppeltes Mitführen der kleinen bis mittleren Grössen nicht verkehrt ist. Noch zur Seilwahl: 2x60m sind empfohlen. Mit 2x50m-Seilen reicht es in L6 möglicherweise im Aufstieg nicht, zum Abseilen wohl gerade so knapp. Und weiter unten sind dann noch 2 zusätzliche Abseilmanöver nötig. Hier unten erlaube ich mir die Publikation des Originaltopos der Erschliesser. Dieses ist wirklich sehr hilfreich und diese tolle Route hat mehr Begehungen verdient. Sonst findet man im Uri Excellence ein Fototopo, wo jedoch gewisse wichtige Details weggeneralisiert wurden.

Das Originaltopo der Erschliesser, vielen Dank für die tolle Arbeit!

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Graue Wand - Toggel (6c)

Über die 1984er-Route 'Toggel' der Remy-Brothers an der Grauen Wand war lange Zeit nicht viel in Erfahrung zu bringen. Der SAC-Führer Urner Alpen 2 von 1996 wartete mit den lapidaren Bemerkungen "Superroute, zweite SL psychisch anspruchsvoll" auf. In neueren Topos wurde der Toggel dann gar nicht mehr aufgeführt. Nach dem Wenigen, das man vernehmen konnte, handelt es sich allerdings tatsächlich um ein haariges Unternehmen. Bewegung in die Sache kam dann mit meiner Begehung vom benachbarten Eisbrecher anno 2015. Da konnte ich beobachten, dass eine Sanierung im Gang war. Schliesslich erreichte mich die Kunde, dass jene im 2019 abgeschlossen wurde, womit der Toggel sofort Aufnahme in meine Shortlist fand. Wie sich im Rahmen unserer Begehung zeigte, absolut zurecht. Es handelt sich wirklich um Granitklettern auf Weltklasse-Niveau, absolut genial! Einzig die Art und Weise wie die Route saniert wurde ist beschämend, ja fast schon skandalös - mehr dazu dann weiter unten.

Die imposante Graue Wand mit dem Verlauf der Route Toggel (10 SL, 6c).

Nachdem ich am Vortag in der Gletschersinfonie am Wellhorn schon einen perfekten Klettertag erlebt hatte, entschlossen wir uns "zum Ausklettern" noch dem Toggel einen Besuch abzustatten. Das entpuppte sich als ein genialer Schachzug, denn die Route war so genial, dass sie nun nicht einfach ein Anhängsel zum Wellhorn ist, sondern gleich ein erneutes Highlight darstellt. Toll auch, dass die beiden Routen solch unterschiedliche Charaktere aufweisen. Nur in einem Punkt hatten wir uns verschätzt: auf dem rudimentären Topo waren 9 Seillängen annotiert, mit nur einer 6c und ein paar Seillängen im Bereich 6ab tönte das nach "easy going". Das war jedoch ganz und gar nicht der Fall, warten sollte schliesslich durchwegs fordernde Granitkletterei, lange Seillängen, komplexe und komplizierte Moves, die vollen Einsatz erforderten. Aber das war ganz gut so, auf diese Weise konnte gar keine Müdigkeit aufkommen, Körper und Geist hatten stets vollkommen präsent zu sein.

Im Zustieg lag noch viel Schnee. Bis hinauf unter die Wand ist das schon ein wenig hinderlich und mehr zeit- bzw. kraftraubend, der Schlussteil ist hingegen bei Ausaperung unangenehm. Kein Foto gemacht haben wir leider von der alpinen Passage zum Sattel mit dem Einstieg.

Ein wenig Schlaf zur Erholung schien aber absolut ratsam, so brachen wir um ca. 8.45 Uhr vom Tätsch (Taxe 7 CHF pro Tag, in Münzen an Automat zu bezahlen) auf. Aus älteren Berichten entnehme ich, dass wir auch schon in nur einer guten Stunde zum Einstieg der Conquest gegangen waren. Dieses Mal kam mir die Strecke aber durchaus länger vor: einerseits waren die Beine schon etwas müde, an den Füssen waren die Bergschuhe, einige Schneefelder galt es bereits im unteren Teil zu queren und aber der Hütte lag dann eine noch fast geschlossene Schneedecke. Das Weiss war immerhin kompakt und gut zu gehen. Für den steilen Schlussaufstieg durchs Couloir hinauf montierte ich dann die Steigeisen - bei dem weichen Schnee wäre es vorerst wohl noch ohne gegangen, aber ein Ausrutscher käme da bereits teuer zu stehen. Nach einem Intermezzo in felsigem Gelände am Einstieg der Niedermann vorbei versperrte schliesslich ein steiler Schneepropf den Zugang zum Sattel, wo Toggel, Accept und Eisbrecher beginnen. Hier wäre es ohne alpine Ausrüstung (Steigeisen, Pickel) definitiv sehr gefährlich gewesen. Nach all diesen Herausforderungen (rund 1:30h Gehzeit) und einer Pause mit den üblichen Vorbereitungen starteten wir um 10.30 Uhr mit der Kletterei.

L1, 40m, 6a+: Auf los geht's los! Der Einstieg befindet sich wenige Meter unterhalb des Sattels auf der Westseite und bringt die Crux der Länge gleich am ersten Bohrhaken mit einem kurz kniffligen Zug in Wandkletterei. Bald folgt eine lange und im Wesentlichen einfache Linkstraverse. Mittig ist eine Stelle jedoch für den Nachsteiger sehr heikel gesichert. Gleich nach dem Aushängen folgt eine balancy 5c-Stelle, wo ein 15m-Pendler mit Aufprall auf ein geneigtes Band droht. Hier darf der Vorsteiger keinesfalls bloss die Bolts klippen, es gibt nach der heiklen Stelle ein gutes Placement für einen Cam 0.4 oder 0.5.

Die ersten Meter der Route haben es gleich in sich... (L1, 6a+).

L2, 40m, 6b: Aus dem Stand raus gleich zum Bohrhaken, der auf dem Remy-Topo fehlt und daher für etwas Verwirrung in der Linienwahl sorgt. Man könnte wohl gleich nach links abzweigen, der Toggel nimmt aber tatsächlich die logische Linie den selbst abzusichernden Rissen und Schuppen gerade hinauf. Prima Kletterei, es kommen dann schon wieder Bolts. Zum Abschluss dieser Risse fordert dann eine vermutlich ziemlich grössenabhängige Wandstelle. Damit nicht genug, es steht noch eine feine, technische Querung in die links ansetzende Verschneidung an. Mit ziemlich kniffligen und auch etwas kühnen Moves folgt man dieser zum sackunbequemen Hängestand - eine richtig coole Seillänge!

Geniale Perspektive auf die auch nach der Sanierung immer noch ein wenig kühne L2 (6b).

L3, 35m, 6a+: Der Blick nach oben lässt hohe Schwierigkeiten vermuten, doch die Sache löst sich einfacher auf wie befürchtet. Gleich aus dem Stand raus haben die Moves eher Wandkletter-Charakter und bieten die forderndste Stelle der Länge. Nachher geht es bald etwas gemässigter voran und schliesslich in die nun wieder ausgeprägte Verschneidung hinein. Diese bietet schön scharf geschnittene Risse an, wo genussvoll und teils selber absichernd in die Höhe geturnt werden darf.

Verschneidungskletterei am Ende von L3 (6a+) über der grossen Schnee-Landebahn.

L4, 45m, 6b: Es folgt ein sehr abwechslungsreicher und taffer Abschnitt! Die Route führt nach rechts, wo nach den ersten, noch einfachen Metern eine knifflige Querung in Wandkletterei folgt. Der Bolt steckt tiefer, als man die einfachste Kletterlinie vorerst vermutet... traut man da seiner Intuition oder setzt man doch auf die möglicherweise schwierigere, aber psychisch angenehmere Variante einer tieferen Querung? Ich halte mich hier mit Ratschlägen zurück, meine Lösung fühlte sich sackschwer an und ich entging nur knapp dem Abschmieren, d.h. habe die Passage möglicherweise nicht optimal erwischt. Einmal drüben, folgt ein erst griffiger Riss (bleibt länger feucht!), der sich aber schliesst und zu einer dachartigen Verschneidung führt. Auch hier will die Lösung entschlüsselt werden, wie man sich aus dem wegdrehenden Piaz unterhalb ob der Kante etablieren kann. Einmal geschafft, geht's kurz etwas leichter voran, bis einem kurz vor Ende eine popelig aussehende Stelle mit dem Haken unter den Füssen nochmals challengt. Nein, ohne den Untergriff, den miesen Sloper und entschiedenem, plattigen Antreten kriegt man die griffige Schuppe nicht zu fassen, auch wenn man es sich anders wünschen würde.

In L4 (6b) muss man parat sein: am Anfang, in der Mitte und auch am Ende nochmals...

L5, 20m, 6a+: Obwohl es in den Topos nirgendwo so dargestellt ist, verläuft diese Seillänge im Wesentlichen gleich wie L6 von Eisbrecher. Die plattige Wandstufe bietet halt eben nur direkt oberhalb des Toggel-Standplatzes genügend Struktur, um moderat schwierig darüber hinwegzukommen. Im Eisbrecher-Originaltopo wurde dieser Abschnitt mit 7+ (6b+/6c) eingeschätzt, die Remys geben hier nur eine 5c für dieselben Moves aus. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen im Bereich von 6a+. Einmal über der Stufe, geht's nicht an die vor der Nase liegende, schöne Inox-Standkette vom Eisbrecher, sondern auf dem Band nach links leicht absteigend zum Toggel-Stand.

L5 von Toggel (ca. 6a+) verläuft im Wesentlichen gemeinsam mit L6 von Eisbrecher. Man sieht auch eine Seilschaft, welche in der nachfolgenden L7 vom Eisbrecher engagiert ist. Toggel quert hingegen links um die Ecke, der weitere Verlauf ist auf diesem Foto nicht gut einsehbar.

L6, 45m, 6b+: Eine absolute Monster-Länge, voll genial! Mit einem kleinen Abkletter-Loop erreicht man in schwieriger Wandkletterei die Kante links - der hier steckende Bolt nützt als Sicherung nicht viel und hilft höchstens für A0, auf jeden Fall sollte man ihn um Seilzug zu vermeiden wieder aushängen, wenn man einmal drüben ist. Die Kante gehört eigentlich zu einer v-förmigen Verschneidung. Knifflig arbeitet man sich mit allerlei Techniken (Piaz, Knieklemmer, Ellbogenklemmer, Squeeze, Spreizen, Wand links und rechts) in die Höhe. Wirklich eine unglaublich komplexe und komplizierte Sache! Die ersten 2 Bolts stecken rechts oberhalb der Verschneidung, die nächsten 2 links in der Wand, dann findet man sie wieder rechts... das macht es nicht einfacher und es erfordert auch, dem Seilverlauf genaue Beachtung zu schenken. Die Kante ist teils extrem scharf und könnte bei einem Sturz sicherlich auch einen Seilriss verursachen, wenn die Seilführung ungünstig ist. Nach dieser ersten Verschneidung klettert man dann nach rechts und kann kurz etwas durchschnaufen. Das ist auch nötig, weil die nun ansetzende, zweite Verschneidung nochmals eine Herausforderung ist. Auch hier ist vom Squeeze über Faustklemmer im Riss zu Spreizen und Wandmoves nochmals die gesamte Palette gefordert - der letzte BH steckt ~12m vor dem Stand, man sollte unbedingt noch ein paar Cams auf Reserve haben (den 0.5er konnte ich an entscheidender Stelle perfekt platzieren).

Schwierige Verschneidungen erfordern in L6 (hart 6b+) allerlei Techniken.

L7, 45m, 6c: Der Blick ins Topo und nach oben (oder umgekehrt) lässt einen leer schlucken. Es wird steiler und ja offenbar nochmals schwieriger... wie man diese Herausforderung wohl bewältigt?!? Gleich vom Stand weg folgt schwierige Wandkletterei - mit 2 BH zwar gut gesichert, aber im Sturzfall ist die Sicherungsperson trotzdem in Schusslinie. Danach gilt es dann wieder einmal, eine dachähnliche Verschneidung zu überqueren. Das konnte man ja bis zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Mal praktizieren - und hilft hoffentlich, diese nun nochmals schwierigere und athletischere Stelle zu meistern. Mit meinem letzten Reserven klammerte ich mich fest, die Kräfte schwanden und der Abgang schien unvermeidlich... in letzter Hoffnung setzte ich alles auf eine Karte und plötzlich löste sich die Stelle auf. War es nun wirklich so schwierig?!? Wer weiss... Jedenfalls, nach dieser Passage erreicht man ein bequemes Band und damit ist die Route geknackt. Es warten auch danach noch sehr schöne und auch nicht ganz triviale Kletterstellen, aber so richtig über eine längere Strecke hart ist es nirgends mehr. Gleich oberhalb vom Band folgt ein griffiger Piazriss - zwar gut gesichert, aber das Band im Sturzraum bleibt (ohne Sichtverbindung zur Sicherungsperson) heikel. Am Ende des Risses kurze, fordernde Rechtstraverse, bevor man in einfacherem, rissig-gestuftem Gelände zur gut sichtbaren Inoxkette klettert. Auch dieser Stand (und die letzten Meter der Seillänge) verlaufen gemeinsam mit dem Eisbrecher und zwar dessen L9. Dieser Sachverhalt ist zwar in keinem Topo so beschrieben oder eingezeichnet, stimmt aber unzweifelhaft. Lustigerweise haben die Remys ja zwischen Toggel und Eisbrecher noch Platz für die Route Artilium gefunden - wo diese genau durchführt, hat sich mir bisher aber noch nicht im Detail erschlossen.

Zwar nicht mal senkrechte, aber trotzdem sehr athletische Kletterei folgt nach diesem Spreizer in L7 (6c).

L8, 40m, 6a: Zuerst an schuppigen Griffen über die Steilstufe hinauf (BH), auch dieses Stück verläuft gemeinsam mit dem Eisbrecher. Jener führt dann gerade hinauf in den cleanen Riss, während Toggel auf einem schmalen Felsband nach links führt (2 BH gut sichtbar). Schliesslich steigt man einem Riss folgend in genussvoller, nicht allzu schwieriger Kletterei hinauf (es stecken nochmals 2 BH), wobei die Sache nach und nach anzieht. Der Stand schliesslich steckt am rechten Risssystem, es will also noch dahin gewechselt werden. Auf welcher Höhe man das optimalerweise vollzieht, bleibt sowohl anhand der Topos wie auch aufgrund unserer Erfahrung unbekannt (verschiedene Lösungen führen zum Ziel).

Super Granitkletterei, coole Perspektive in L8 (6a).

L9, 40m, 6b: In der Wand links der Verschneidung geht's hinauf, Struktur und ein paar Risse helfen beim Vorankommen, die Verschneidung selber muss man vorerst nicht bemühen. Allerdings scheint dann der Abstand zum 2. BH sehr weit und um mobil zu sichern sieht's vorderhand auch etwas mau aus. Allerdings (und dieses Placement sollte man nicht verpassen) gibt's direkt an der Kante der Verschneidung einen sanduhrmässigen Zacken, wo man ideal eine Schlinge legen kann. Oberhalb dieser ersten Wand dann etwas nach links zu einer Schuppe (BH & mobil zu sichern), um dann erneut links steile, aber unglaublich griffige, dafür etwas hohl tönende Risse/Schuppen zu gewinnen, welche einen in leicht überhängender Kletterei auf das diagonal verlaufende Standband bringen. In dieser Seillänge wurde die Passage bei der Sanierung wohl neu gelegt. Die alten Topos schlagen eine tiefere Bewertung vor, welche mehr rechtsrum wohl auch zu finden wäre. Es stecken aber genügend  BH, um den heute angedachten Verlauf nachvollziehen zu können. Die 6b dünkte mich im Vergleich zu anderen Seillängen (v.a. L4, L6) doch deutlich softer - passt aber eher zu den heutigen Einschätzungen. Weiterer Hinweis: wie in manch anderer Seillänge gilt es auch hier den Seilverlauf mit langen Exen und/oder Halbseiltechnik zu optimieren, sonst bremst man sich aus.

Grosszügige Kletterei erster Güteklasse mit einem steilen Finish wartet in L9 (6b).

L10, 20m, 6a: Die Abschlusslänge ist zwar kurz, bietet aber nochmals senkrechte und absolut tolle Granitkletterei à la Chamonix. An henkligen Rissen und Schuppen geht's in traditioneller Manier mobil absichernd ganz gut voran (Cotation Chamoniarde wäre hier wohl IV). Ganz am Ende kommt dann aber noch ein BH, denn da wartet noch ein "moderner" Kletterzug, der die 6a-Bewertung durchaus rechtfertigt. Der Stand befindet sich unmittelbar darob am Grat auf der Rückseite.

Sehr steil an super-griffigen Schwarten ist die letzte Seillänge (L10, 6a).

Um 16.15 Uhr und damit nach 5:45h Kletterei waren wir hochzufrieden am Top angelangt. Da waren wir also doch eine ganze Weile beschäftigt - länger auch als ich im Vorfeld aufgrund des Topos gedacht hätte. Doch die Schwierigkeiten sind über längere Strecken anhaltend, die Kletterei ist oft komplex und kompliziert und Gelände um einfach durchzumarschieren gibt es wenig. Weiter muss zusätzlich mobil abgesichert werden, was aber auch nicht immer perfekt und à discretion möglich ist, d.h. die Wahl der Placements und das Legen von zuverlässigen Sicherungen frisst wie das Rearrangieren vom typischerweise ausgeschossenen Rack immer Zeit in Anspruch. Aber die Begehungszeit ist natürlich (ausser für Planungszwecke) völlig egal (mir persönlich jedenfalls)! Was zählt, ist die geniale Kletterei und die Tatsache, dass mir die ganze Route onsight/flash gelungen war.

Ausblick vom Top der Route auf die Dammastock-Kette.

Am Top gab es nicht viel zu tun und so fädelten wir unsere Seile in den Stand und glitten in die Tiefe. Beim ersten Abseiler lassen sich auch mit 50m-Stricken die Abschnitte 9 & 10 (knapp!) verbinden und das Seil fällt aufgrund der Steilheit schön selbständig in die Tiefe. Doch das war es dann in etwa mit den Abseilfreuden. Da der Toggel im Routenverlauf beständig etwas nach links quert, muss in der Folge stets diagonal abgeseilt werden, um den Sattel beim Einstieg wieder zu erreichen. Wir wechselten beim zweiten Abseiler auf die besseren Kettenstände des Eisbrechers, sowieso käme man via Toggel im unteren Teil nicht mehr zum Sattel zurück. So gab es dann zahlreiche, stark diagonal verlaufende Abseilmanöver. Die griffigen Schuppen, welche die Kletterei an der Grauen Wand so toll machen, erwiesen sich hier als entscheidender Nachteil - sie frassen beständig das Seil, so dass viel Pflegen und nach dem Abziehen auch 2x ein Wiederaufstieg zum Befreien nötig war - insgesamt ein ziemlicher Figg! Immerhin, nach 9 Manövern waren wir wieder am Sattel bei Schuhen und dem deponierten Material und konnten auch gleich noch über den Schneepropf am Sattel abseilen. Vorsichtig stiegen wir durch das felsige Couloir mit viel losem Geröll ab (tw. marode Fixseile), dann über den aufgeweichten Schneehang hinunter. Hier konnte die Anspannung nun abfallen. Dank der tollen Stimmung, spannenden Diskussionen und dem Gefühl eine Hammerroute geklettert zu haben, fielen die inzwischen reichlich müden Beine auf dem Rückweg zum Tätsch nur wenig ins Gewicht.

Gedanken zur Sanierung

Die Route wurde ja von Yves Remy persönlich "saniert", wobei es höchst fragwürdig ist, was da geleistet wurde. Konkret wurden 40 Bolts hinzugefügt - an fast jedem Standplatz einer, die meisten (ca. 30) anderen an Kletterstellen, wo vorher nichts war. Natürlich steht es den Erstbegehern frei, ihre Route im Charakter zu verändern und ich kann auch attestieren, dass diese Zusatzbolts sinnvoll gesetzt sind und ich sie eigentlich auch in den allermeisten Fällen als nötig empfand. Die Route ist auch in diesem neuen Zustand noch immer anspruchsvoll und muss zusätzlich mobil abgesichert werden - total Psycho-Stellen oder gefährliche Sequenzen gibt es aber kaum mehr. Keine Kritik bzgl. dem Nachbohren also.

Verzinkter Einschlaganker mit Alteisen-Lasche, anlässlich der Sanierung 2019 gesetzt.

Äusserst fragwürdig ist aber das eingesetzte Material und das Belassen der alten Ware. Es wurden durchwegs verzinkte Anker eingesetzt, die im Granit der Grauen Wand demnächst wieder korrodieren werden. Die Laschen ein Mischmasch aus Alteisen, neue Ware verzinkt oder rostfrei, diverse verschiedene Fabrikate - ganz klar ungenügend. Überall dort, wo bereits bei der Erstbegehung BH gesetzt wurden, wurde einfach die alte Ware belassen. D.h. konkret, dass man sämtliche Schlüsselstellen (teils auch längere Abschnitte) nach wie vor an den handgebohrten M8-Spits von 1984 klettert. Auch an den Standplätzen steckt überwiegend Antikes, einzig mit belassenen, ausgedienten Alu-Karabinern, wo das Schraubgewinde mit dem Hammer unbrauchbar geschlagen wurde, wurden diese bei der Sanierung "aufgebessert".

M8-Spit mit Petzl-Alulasche ("Colalasche"). Anscheinend stammen diese Bolts aus dem Späleo-Bereich und waren gar nie zum Klettern gedacht. Sicherlich genügen sie heute, d.h. 36 Jahre nach der Erstbegehung, nicht mehr wirklich zum Klettern. Sämtliche Schlüsselstellen im Toggel müssen aber über solchen Haken geklettert werden...

In Summe also: die Route ist super, wirklich sehr empfehlenswert, das Vorgehen bei der Sanierung dilettantisch, ja eigentlich skandalös. Und es handelt sich ja nicht etwa um namenlose Amateure, sondern um eigentliche "Erschliesser-Profis" und Ehrenmitglieder des SAC... ich habe diesen Text unmittelbar nach unserer Begehung auf Facebook geteilt mit der Bitte um Stellungnahme und Diskussion. Die Meinung dazu war einhellig, dass es "so nicht geht" und man dieses Treiben eigentlich als Felsverschandelung bezeichnen muss.

Verzinkter Einschlaganker mit korrodierter, verzinkter Fixé-Lasche. Ich kann es natürlich nicht beweisen, bin mir aber ziemlich sicher, dass es sich nicht um eine neue Lasche handelt, welche hier vor Ort korrodiert ist, sondern um ein bereits korrodiertes Exemplar, das anderswo entfernt wurde und dem hier ein neuer Einsatzzweck angedacht wurde... :-/

Facts

Graue Wand - Toggel 6c (6b+ obl.) - 10 SL, 370m - C. & Y. Remy 1984, saniert 2019 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Express, Camalots 0.2-3, evtl. 0.3-1 doppelt und/oder Keile

Top-Granitkletterei, vorwiegend steil durch Verschneidungen, an griffigen Schuppen und über einige Wandstellen. Granittypisch ist die Route anspruchsvoller, wie die eher tiefen Bewertungen vermuten lassen. So ist auch schon im Grad 6b+ reichlich Einsatz gefragt und der Vorsteiger muss durchaus etwas auf dem Kasten haben, um hier durchzukommen. Der Anspruch vom Toggel ist m.E. höher wie im auf den Topos ähnlich bewerteten Eisbrecher oder auch der Conquest. Seit der Pseudo-Sanierung im 2019 stecken nun überall Bohrhaken, wo diese nötig sind. Leider sind manche davon von zweifelhafter Qualität. An vielen Stellen muss nach wie vor mobil abgesichert werden, ein volles Rack muss auf jeden Fall mitgeführt werden. Ein mässig präzises Topo zur Route findet man auf C2C.  

Montag, 10. August 2020

Gross Bielenhorn - Nolens Volens (6c)

Am Gross Bielenhorn oberhalb der Sidelenhütte am Furkapass findet man mitunter den besten Klettergranit der Schweiz. In früheren Jahren war ich schon in der Niedermann (6a) und der Fandango (6c+) zu Gange, der letzte Besuch lag aber doch schon wieder Jahre zurück. Kein Wunder, den um hier oben mit Genuss zu klettern, muss einiges zusammen passen: warme, wettersichere Tage ohne Wind und Quellbewölkung, sonst macht es keinen Spass. Erst kurz vor Mittag kommt die Sonne an die Wand. Nicht unbedingt ein Spot also für Frühaufsteher, dafür klettert man dann bis am Abend an der wärmenden Sonne. Um sich einen weiteren Punkt auf dem "Moderne Zeiten"-Konto gutschreiben lassen zu können, wählten wir den Remy-Klassiker Nolens Volens (10 SL, 6c) von 1987. Das ist allerdings fast ein wenig despektierlich ausgedrückt, denn diese famose Tour verdient einen Besuch unbesehen von jeglichen Punkten und Listen!

Unterwegs ins Sidelengebiet. Hinter der Kletterin der Hanibalturm und der Galenstock, rechts das Gross Bielenhorn.
Den Zustieg wählten wir vom Refuge Furka (2428m), wo wir um ca. 10.20 Uhr losgingen und nach einer knappen Stunde bei der Sidelenhütte eintrafen, wo wir uns erst einmal mit einem kühlen Getränk auf der Terrasse erfrischten. Wer die Höhenmeter effizient frisst und einen der eher raren Parkplätze ergattert, erreicht die Hütte möglicherweise schneller vom Sidelenbach (P.2279, +150hm, weniger Distanz). Von der Hütte dann etwas absteigend in Richtung der Kamele und Wegspuren folgend in einer Rechtsschleife zur Südecke vom Gross Bielenhorn. Die verlockenden Direktwege durchs Gletschervorfeld zahlen sich eher nicht aus. Nun über Schneefelder bzw. den östlichen Teil vom Sidelengletscher unter der Wand traversieren und zum Schluss steil zu dieser hinauf. An sich ist das Gelände unschwierig, zuletzt aber doch gegen 45 Grad steil. Bergschuhe und Pickel sind wohl fast immer nötig, Steigeisen ein Sicherheitsplus. Auch ich hatte sie an diesem Tag gerne eingesetzt. Spannend ist dann immer die Frage, wie gut sich die Randkluft vom Gletscherhang gegen den Fels hin überwinden lässt. Für uns ging es ganz ordentlich, etwas alpiner Sachverstand und das Bewusstsein um allfällige Gefahren war jedoch durchaus nützlich. Um 12.20 Uhr und damit ziemlich genau 2:00 Stunden nach Aufbruch erreichten wir einen Einzelbolt auf einem etwas abschüssigen Band, wo wir von der Alpin- auf die Kletterausrüstung umsatteln konnten. Eine Viertelstunde später ging es schliesslich mit der Kletterei los.

Ich bin auch eine Alpinistin... Passage der Randkluft.
L1, 10-30m, 5c: Je nach Schneehöhe kürzerer oder längerer Abschnitt entlang von Rissen über Stufen hinweg. Die Orientierung gar nicht so einfach hier, weil man üblicherweise nicht so richtig weiss, auf welcher Höhe man denn nun startet. Wer mit einem 50m-Seil den Stand nach L2 erreichen möchte, muss bei der Markierung (roter Farbpunkt, roter Einzel-BH etwas oberhalb) Halt machen.

L2, 45m, 6a+: Coole Kletterei, die vom roten BH nach links führt. Nach heiklem Auftakt-Move geht's an einigen Piazverschneidungen und breiten Rissen vorwärts, nur relativ spärlich mit BH abgesichert. Hier und da bringt man auch kleines Gear unter, gerade am Ende müssen aber für optimale Absicherung sicher der 3er- wenn nicht sogar der 4er-Cam mit. Wer über der Schwierigkeit steht, kommt ohne aus - die Kletterei dort ist moderat schwierig und der auch neben den Rissen super strukturierte Fels erlaubt kontrolliertes Steigen.

Breite Risse charakterisieren die Kletterei im oberen Teil von L2 (6a+).
L3, 45m, 6c: Die schwierigste, aber auch die beste und abwechslungsreichste Seillänge der Route. An ein paar griffigen Rissen geht's los, über ein erstes Dächli hinweg noch relativ gutmütig zu einem genialen, schräg nach oben ziehenden Riss, den man für die Füsse als Rampe benutzen kann. Dann ist fertig, eine erste Reibungsstelle am Limit bringt einen zu einem Ruhepunkt, bevor es nochmals Vollgas auf Reibung geht. Es ist aber keine reine Schleicherei, die steile Wand ist mit Noppen und Crimps garniert, super! Im unteren Teil gibt's hier durchaus etwas Luft zwischen den Haken, der erste Reibungstest ist ebenfalls noch recht zwingend, nur ganz am Ende stecken die Bolts dann eng.

Erst super Risse, dann fordernde Steilplattenkletterei wartet in der Crux (L2, 6c).
L4, 35m, 5b: Nun soll es deutlich einfacher werden, zuerst merkt man gar nicht mal allzu viel davon. Erstaunlich knifflig geht's hinauf und an einem schönen Quarzband nach links. Eine rissige Verschneidung und später ein paar Stufen bringen einen weiter voran zu einem ersten Grasband (BH). Der Stand liegt aber noch eine Etage höher auf dem nächsten Band.

L5, 35m, 6a: Sieht von unten nicht so überzeugend aus, entpuppt sich aber als Klasse-Länge! Obwohl es linksrum vielleicht einfacher ginge, geht's an Bolts und einer Rissspur in prima strukturiertem Fels gerade hinauf. Man gelangt schliesslich zu einer Rissverschneidung, wo man mobil absichern muss, an dieser Stelle geht's für einmal nicht ganz perfekt und es ist etwas das Auge nötig. Mit einem nochmals kniffligen Schritt gelangt man zum Stand.

Super Kletterei mit einer griffigen Struktur stets in der Nähe wartet in L5 (6a).
L6, 35m, 6b+: Steil und spektakulär! An griffigen Rissen und Schuppen überwindet man eine erste Steilzone mit einem Beinahe-Dach. Auf einem kleinen Band kann man sich schliesslich eine Verschnaupause gönnen und den Weiterweg überlegen. Dieser führt nicht gerade obsig in den cleanen Riss, sondern kurz rechts absteigend den eng steckenden Bolts entlang durch die Wand. Während man erst ob dem Cruising-Gelände frohlockt, kommt dann plötzlich doch noch ein kniffliger Schritt. Zuletzt nochmals piazend an Rissen und Kanten athletisch um die Ecke zu gemeinsamem Stand mit der Niedermann.

Man sieht's am Schlaghaken, am Ende der steil-spektakulären  L6 (6b+) trifft man mit der Niedermann zusammen.
L7, 30m, 6a+: Die Bohrhaken leiten einen hier quasi automatisch auf die richtige Fährte. Es geht nach rechts durch die Wand, welche super strukturiert daherkommt. Auch um die Ecke geht's gut und griffig voran. Zum Schluss gilt es dann, noch eine Art Couloir zu überqueren. Entweder habe ich das saublöd erwischt, oder es ist nicht gänzlich nichttrivial.

L8, 40m, 6a+: Eine anhaltende Super-Seillänge! Gleich vom Stand weg mal parat sein und auf ein paar kleinen Leisten antreten. Nun geht's etwas im Zickzack hinauf, wobei immer mal wieder ein gut sichtbarer Bolt bei der Orientierung hilft. Neben dieser Grundabsicherung wollen aber auch immer mal wieder Cams platziert werden. Das Finish dann nochmals steil und speziell genial mittels Brotlaib-Pinching.

Ich glaube, sie hatte sowas gesagt wie "eigentlich ist die ganze Route ein No-Hand-Rest". Im Vordergrund sieht man sehr schön die Felsstrukturen, welche am Ende von L8 (6a+) sehr schön zum sogenannten Brotlaib-Pinching verwendet werden müssen.
L9, 25m, 5c+: Hier dünkte mich der Verlauf durchaus etwas unlogisch. Vermeintlich könnte man (leichter?!?) direkt oberhalb vom Stand durch die rissige Verschneidung klettern. Aber nein, die Bolts indizieren den Routenverlauf linksherum mit ein paar kräftigen, piazartigen Zügen. Schliesslich wechselt man dann doch gutgriffig in die ursprüngliche Verschneidung zurück und erklettert diese zum bald schon folgenden Stand.

Fantastischer Ausblick auf die letzten beiden Seillängen (L9/L10). Die Route verläuft hier allerdings etwas unlogisch nicht direkt hinauf durch die Verschneidung zu den Kletterern, sondern schlägt eine eine in die linke, untere Bildecke. Wir folgten dieser und den dortigen BH gehorsam, so wundert es mich nun umso mehr, wie schwierig es direkt hoch wohl wäre.
L10, 35m, 6a+: Nochmals ein prima Gerät zum Abschluss: steil, anhaltend, griffig an tollen Rissen! Eine Grundabsicherung mit BH ist vorhanden, mobil Sichern geht fast nach Belieben. Zuletzt dann nochmals extrasteil und henklig auf die bequeme Plattform bei der markanten Felsnadel, welche nicht ganz den Gipfel des Gross Bielenhorn darstellt.

Fantastische, steile und griffige Kletterei bis zuletzt in L10 (6a+).
Um 17.30 Uhr und damit nach rund 5 Stunden absolut genialer Kletterei hatten wir das Top erreicht und konnten an beiden Seilenden eine perfekte Onsight/Flash-Begehung verbuchen. Rein von Wetter und Stimmung her hätten wir nun durchaus eine längere Zeit hier oben chillen können. Allerdings waren neben uns noch 2 weitere Seilschaften zugegen und es stellte sich die Frage, in welcher Reihenfolge das Abseilen angegangen würde. Uns wurde der Vortritt angeboten, somit beschränkten wir unseren Gipfelaufenthalt und fädelten die Seile. Um zügig vom Acker zu kommen und weil ja gleich jemand nachfolgte, "riskierten" wir es, die ersten beiden Teilstrecken (L9/L10) zu kombinieren. Aber wie es im Plaisir steht, der Seilverhänger ist quasi garantiert... ich habe mein Bestes versucht, konnte ihn aber nicht vermeiden. Nun denn, das Malheur war durch die Nachfolger subito korrigiert (Dankeschön!). Mit unserem dritten Abseiler ging's direkt hinunter auf das Grasband zu Stand der Niedermann (Achtung, 50m-Seile knapp!). In 4 weiteren Manövern waren wir zurück bei den Schuhen, von wo wir noch über die Randkluft und den obersten, steilen Schneehang abseilten. Bequem im Schnee absteigend waren wir bald (19.00 Uhr) retour bei der Sidelenhütte, wo wir nochmals eins tranken, bevor wir in 35 Minuten zügig zum Furkapass liefen.

(K)eine Remy-Route ohne Bohrhakenkontroverse?!?

Die Route wurde 1987 von den Remy-Brüdern erschlossen und nach der Jahrtausendwende in mehreren Etappen mit rostfreiem Material saniert. Soweit ich das vor Ort wahrgenommen habe, wurden bei dieser Sanierung die Sicherungspunkte grundsätzlich 1:1 ausgetauscht, wobei die Positionierung manchmal optimiert wurde. Bei unserer Begehung im Juli 2020 war es dann aber so, dass im oberen Routenteil an zahlreichen (ca. ein Dutzend?) sanierten Haken die Laschen fehlten. Das war nicht ganz so tragisch, denn die Kronenbohrhaken der Erstbegehung sind an den jeweiligen Stellen auch noch vorhanden und nutzbar. Überdies kann man an diesen Stellen in unmittelbarer Nähe meist auch gut mobil absichern. So gesehen sind die Bolts "sowieso unnötig". Somit werde ich den Verdacht nicht los, dass die fehlenden Laschen vielleicht doch nicht einfach der Schwerkraft zum Opfer gefallen sind, sondern mutwillig entfernt wurden.

Quarz, Kamele, Schildkröte und der versteinerte Nixen - eine fantastische Gegend!
Ob nun Bolts neben mobil abzusichernden Rissen oder solche Guerilla-Aktionen (wenn es denn eine war...) sinnvoller sind, dürfte Anlass zu manchem Klettertalk sein. Ich würde einfach vorschlagen, dass hier ein klarer Entscheid gefällt wird. Entweder werden die fehlenden Laschen ersetzt (ca. 10-15 Stück, rostfrei inklusive Mutter M10 nötig) und gleichzeitig die alten Bolts entfernt (Hammer, Inbus in allerlei Grössen und/oder Akkuflex nötig). Oder dann entscheidet man sich, überall dort wo mobil gesichert werden kann, die Bolts komplett zu entfernen. Aber wenn, dann bitte in sauberer Arbeit und mit einer offiziellen Kommunikation, so dass man auch weiss, was einen erwartet... aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dass bis auf Weiteres alles so bleibt, wie es im Moment ist.

Nachtrag vom 13.8.2020 (mit Update vom 27.8.2025)

In verdankenswerterweise haben Tobias und Joachim am 9.8.2020 auf meine Anregung hin die fehlenden Laschen ersetzt. 9 Stück waren es insgesamt, somit kann die Tour nun wieder an perfekt saniertem Inoxmaterial begangen werden. Einzig die alten Kronenbohrhaken sind immer noch vor Ort, die könnte/sollte man einmal noch mit entsprechendem Gerät entfernen. Nachfolgend einige Bilder, die mir Tobias zugesandt hat. Update vom 27.8.2025: anscheinend wurden in den oberen Seillängen ab der Kreuzung mit der Niedermann im Sommer 2025 neuerlich einige Bohrhaken (oder zumindest deren Laschen) entfernt. 






Facts

Gross Bielenhorn - Nolens Volens 6c (6b obl.) - 10 SL, 350m - C. & Y. Remy 1987 - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12-14 Express, Cams 0.2-3 plus evtl. 4, evtl. Keile

Fantastische Kletterei durch Gestein, das mitunter zum besten Granit in der Schweiz gehört und definitiv in die gleiche Güteklasse wie jenes im hochgelobten Chamonix gehört. Die Route bietet meist Kletterei an angenehmen und wenig beschwerlichen Rissen, Verschneidungen und griffigen Schuppen. Die Crux spielt sich hingegen an einer recht fordernden Steilplatte ab - mit etwas Einsatz kommt man hier auch ohne absolute Beherrschung der Schwierigkeiten mit A0 wohl noch mehr oder weniger durch. Trotzdem, der in der Literatur verzeichnete obligatorische Grad von 6a+ dünkt mich zu knapp. Generell ist eine gute Grundabsicherung mit BH vorhanden. Wer die Schwierigkeiten gut drauf hat, muss nur punktuell mal einen Cam legen und kommt mit einem abgespeckten Set von 0.3-2 aus. Es wäre aber zumeist durchaus möglich, mit mobilem Material auf eine sportklettermässige Absicherung (xxxx) zu kommen, dafür muss man dann jedoch genügend (auch grosse) Cams und allenfalls Keile mitführen. Ein Topo findet man z.B. im Plaisir West 2019 oder auch (nicht mehr ganz aktuell) im SAC-Führer Urner Alpen 2 oder im Topoguide Band I. Die Bewertungen in meinem Bericht habe ich aus dem Plaisir übernommen, sie sind grösstenteils etwas höher als jene in den älteren Führern, schienen mir aber stimmiger.

Donnerstag, 21. März 2019

Chli Bielenhorn - Psychides (7a+)

Die Route Psychides in der Südwand am Chli Bielenhorn beim Furkapass ist eine Kreation der Remy-Brüder aus dem Jahre 1985. Im Jahr 2012 wurde sie mit neuem Material ausgerüstet, wobei einige Passagen mit zusätzlichen Bolts entschärft wurden. Seither erfreut sie sich wieder einer grösseren Beliebtheit, obwohl sie etwas im Schatten der benachbarten Sacremotion steht. Im Vergleich zu ihrer durchaus attraktiven Schwester ist sie nämlich spürbar anspruchsvoller, dafür aber hat mir die Kletterei in der Psychides noch besser gefallen.

Routenverlauf der Psychides (7a++) am Chli Bielenhorn, die orangen Punkte markieren die effiziente 2x60m-Abseilpiste
Kurz vor den Sommerferien 2018 ist uns eine alpine MSL vergönnt. Wir entscheiden uns für eine granitige Kletterei, unsere Diskussionen drehen sich erst um die Teufelstalwand. Ob dem sehr schönen und warmen Wetter fürchten wir jedoch etwas die dortige Hitze und entscheiden uns schliesslich für den Furkapass. Es ist ja nicht allzu oft der Fall, dass man im rauen Klima dort oben genussreich in legerer Kleidung klettern kann. Diese Gelegenheit wollen wir uns nicht entgehen lassen! Der Zustieg vom Sidelenbach (P.2280) zum Wandfuss ist uns wohlbekannt. Er umfasst rund 400 Höhenmeter und kostete uns 40 Minuten. Der Einstieg befindet sich direkt mittig unter der zentralen Südwand und ist mit "PSY" markiert - fixes Material ist hingegen auf den ersten 25m nur spärlich vorhanden. Um ca. 9:15 Uhr geht's los.

Super Ambiente kurz vor dem Einstieg - da kommt die Vorfreude aufs Klettern mehr als nur auf!
L1, 45m, 7a++: Nach einem noch relativ gemütlichen, aber doch nicht zu unterschätzenden Auftakt zum hohen ersten Bolt befindet man sich bald in einem breiten Riss. Dieser muss selbst abgesichert werden, dazu gilt es sich mit allen Regeln der Kunst festzuklemmen und in die Höhe zu schieben (rampf!). Die nächste Etappe startet nach dem Dachwinkel, wo der Riss nach rechts abbiegt. Ein kräftiger, psychisch anspruchsvoller Piaz muss durchgezogen werden. Er leitet nach dem nächsten Knick im Riss gleich über in die sehr harte Crux. Steil und trittlos müssen hier auf Gegendruck alle Kräfte mobilisiert werden, immerhin steckt wieder fixes Material in Form von BH. Mein Versuch auf Durchstieg scheitert ziemlich chancenlos... nach meinem Empfinden ist diese Passage mehr als 7a+, sie erfordert einen total unerschrockenen Piazhengst (oder -stute, natürlich ;-)). Schliesslich wird man dann in weniger steiles Gelände entlassen, wo es wieder besser dahingeht - mit einem nochmals längeren Sicherungsabstand zum Stand hinauf allerdings, damit's ein wenig aufregend bleibt.

Klare Linien in der anspruchsvollen L1, wieder einmal ein typischer Fall für den berühmt-berüchtigten Grad von 7a++.
Rückblick auf den Schlussabschnitt von L1 (7a++). Zuletzt ist die Kletterei einfacher, dafür ziemlich runoutig-aufregend.
L2, 40m, 6b: Kurzer Boulder rechtsrum, dann einfacher über eine Art Rampe hinauf. Die Crux folgt nach der Hälfte der Seillänge in Form einer heiklen Plattenstelle. Leider ist diese ungünstig abgesichert - wer's nicht drauf hat, knallt hier unweigerlich aus mehreren Metern Höhe auf das darunter liegende Band, da kann die Sicherungsperson noch so aufmerksam sein (expo!). Tief durchschnaufen, positiv bleiben und entschlossen durchziehen, anders geht's nicht. Als kleine Ermutigung vielleicht noch: es kommen dann schon ein paar Grifflein, wenn man den Auftakt gezogen hat und cool bleibt, wird man einen gefährlichen Sturz wohl vermeiden können. Zuletzt geht's wieder einfacher dahin - hier wurde im Zuge der Sanierung auch ein unnötiger Bolt angebracht, der unten besser investiert gewesen wäre...

Eine Sanierung wie aus dem Bilderbuch... verzinkter Einschlaganker mit Alteisen-Recycling-Lasche. Da es diesen Bohrhaken wegen vorhandenen, mobilen Möglichkeiten aber sowieso nicht zwingend braucht, kann man es an dieser Stelle für einmal verschmerzen...
Jonas folgt in der Crux von L2 (6b), einer ungünstig abgesicherten expo-Plattenstelle.
L3, 35m, 6a: Vom Stand links um die Ecke und athletisch in dieser hinauf. In der Folge muss man dann deutlich nach rechts halten - teilweise selbst abzusichernde, schöne Risskletterei wartet.

L4, 30m, 6c: Eine tolle Seillänge! Vom Stand nach rechts hinaus, den abstehenden Zacken bitte sorgsam behandeln. In feiner, technischer Wandkletterei an stumpfen Rissspuren will die optimale Lösung ausgetüftelt werden - dranbleiben, es geht schon! Die Absicherung hier tiptop mit Bohrhaken. Hat man diese Passage gemeistert, führt ein Riss einfacher nach links hinauf. Von einer Art Podest geht's dann zuletzt wieder kühn nach rechts hinauf. Die immer dünner werdende Rissspur muss selbst mit kleinen Cams oder Keilen abgesichert werden, von deren Ende warten recht kühne Wandkletter-Moves hinauf zum Stand - pretty committing!

Diese schöne Doppelbild-Sequenz zeigt das kühne Finish von L4 (6c)...

...von einem auslaufenden, dünnen Riss müssen kleine Crimper gekrallt und heftig auf der Platte angetreten werden, um dann mit einem entschlossenen Move auf bessere Griffe zu ziehen und in den Stand zu manteln. Der letzte BH befindet sich 10m unterhalb, zur Absicherung muss man hier zwingend auf kleine Cams oder Keile im Fingerriss vertrauen, die sich auch schon unter den Füssen befinden.
L5, 15m, 5c: Schöner und gemütlicher, aber dennoch nicht völlig banaler Quergang nach links zum gemeinsamen Stand mit der Perrenoud.

Jonas in L5 (5c). In Blickrichtung des Kletterers führt die Route "Die 3 blinden Mäuse" weiter, die Psychides hält nach links.
L6, 45m, 7a: Eine fantastische Seillänge, welche nach einem Auftakt in der leicht nach rechts ziehenden Verschneidung drei markante Passagen bereithält. Zuerst folgt ein Plattenboulder nach links, der ging mir mit etwas Dynamik tiptop auf. Danach folgt ein anhaltendes Stück in technischer Wandkletterei mit abgefahrenen Moves, das ging mir ziemlich am Limit auf, echt genial! Und zuletzt steht man dann noch vor einer etwas kühnen Piazschuppe, wo man zuerst selber legen muss und schliesslich nur der beherzte Schritt nach vorn zum Erfolg führt. Erst die letzten Meter sind dann gemütlich.

Da hat er gut lachen, an dieser Stelle sind die schwierigen, aber genial schönen Meter von L6 (7a) in der Tasche.
L7, 35m, 6b: Wenn man an dieser Stelle seinen Vorsteiger sichert, so turnt der auf den ersten Metern athletisch-gutgriffig herum und verschwindet dann aus dem Blickfeld. Man nimmt jedoch durchaus wahr, dass er sich zunächst direkt oberhalb befindet. Dort wartet eine plattige Linksquerung mit längerem Hakenabstand, wo ein Sturz unterhalb der Dachzone in der Gegend vom Stand enden würde, was eher weniger ratsam scheint. Die Kletterei ist an dieser Stelle jedoch nicht sonderlich schwierig. Weiter geht's mit einer athletischen Verschneidung, zuletzt dann einfacher zum Stand.

L8, 50m, 6a+: Nach einer ersten Wandstufe warten hier nochmals sehr schöne Riss- bzw. Piazmeter, die teilweise mobil abzusichern sind -  absolut toll! Mit der Zeit wird's dann ein wenig einfacher, bis man über eine Art Rampe den finalen Stand der Psychides auf einem Pfeilerkopf erreicht. Von dort könnte man Abseilen. Günstiger ist es jedoch, noch 15m weiter zum Ausstieg von Sacremotion und Perrenoud zu klettern (links-rechts-links), weil von dort eine sehr gute und effiziente Abseilpiste beginnt. Den Gipfel des Chli Bielenhorn hat man aber auch dort nicht erreicht. 

Der Akteur erreicht gerade den Pfeilerkopf, wo sich das offizielle Ende der Psychides befindet. 
Um rund 13.30 Uhr und damit nach 4:15h sehr vergnüglicher Kletterei sind wir beide am Top. Wie bereits im Blog über die Sacremotion beschrieben, lohnt es sich hier für einmal absolut, die 60m-Halbseile mitzunehmen. In 4 praktisch pfeifengeraden und ausgereizten Strecken mit teilweise routenunabhängigen Ständen erreicht man nämlich sehr zügig wieder den Einstieg, während mit 50m-Halbseilen 7 etwas umständliche Manöver fällig sind. So dauert es dann nur 20 Minuten, bis wir retour am Wandfuss sind. Wir nehmen einen verspäteten Zmittag ein und während Bedingungen und Tageslicht noch das Klettern einer weiteren Route zulassen würden, so ist dies aufgrund unserer Verpflichtungen daheim leider nicht möglich. So wandern wir durch die schöne Berggegend retour an die Passstrasse und cruisen beglückt durch das schöne Erlebnis nach Hause.

Das Klima am Furkapass ist rau, aber wenn's schön ist, ist's schön! Im Blick die Schwemmebene vom Sidelenbach.

Facts

Chli Bielenhorn - Psychides 7a++ (6b obl.) - 8 SL, 300m - C. & Y. Remy 1985/2012 - ****;xxx
Material: für Abseilen 2x60m-Seile ideal, 12-14 Express, Camalots 0.2-2, Keilset

Top Granitkletterei durch die Südwand am Chli Bielenhorn, welche sowohl in Punkto Schönheit und Anspruch sogar noch oberhalb der vielgerühmten Sacremotion einzuordnen ist. Die Schwierigkeiten befinden sich ziemlich homogen im Bereich 6bc mit einem etwas schwierigeren Abschnitt in L6 und der herben Piazstelle in L1. Für jene sollte man in diesem Stil geübt, psychisch parat und darüber hinaus auch gut aufgewärmt sein, ansonsten (und womöglich auch dann) passt der offizielle Grad von 7a+ hier ganz sicher nicht. Mit Verwendung der dort steckenden Bohrhaken und etwas Trickserei an mobilen Sicherungen geht diese Stelle auch technisch. Ein kleiner Wermutstropfen zwar, aber für den tollen Rest der Route ist das in Kauf zu nehmen. Seit der nicht überall restlos geglückten, aber insgesamt doch begrüssenswerten Sanierung 2012 ist die Route v.a. an den Schlüsselstellen gut abgesichert. Diverse einfachere Teilstücke (bis ca. 6b) sind mobil abzusichern, andere erfordern aber auch beherztes Steigen über der letzten Sicherung. Mitnehmen sollte man auf jeden Fall Cams von 0.2-2 (0.3-1 evtl. doppelt), ein Keilset kann man ebenfalls gut einsetzen. Wie im Haupttext bereits erwähnt, ist das Abseilen mit 2x50m möglich, mit 2x60m jedoch viel angenehmer/schneller.

Topo

Ein Topo und weitere Informationen findet man z.B. im Extrem Ost, oder auch im SAC-Führer Urner Alpen 2. Die hier abgebildete Topo-Skizze von Paolo & Sonja ist exzellent und gibt den Routenverlauf exakt wieder, nur die Schwierigkeitsangaben stimmen nicht überall mit jenen im Extrem Ost überein. Ich habe zusätzlich noch die Position der Abseilstände eingefügt.

Topo von paolo-sonja.net. Route 1 = Sacremotion, Route 2 = Psychides