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Mittwoch, 5. August 2020

Engelhörner - Öxli und Ox (6a)

Der wilde Kessel des Ochsentals in den Engelhörnern ist ein eindrücklicher Ort, welcher mir schon manch tolles Klettererlebnis beschert hat. Trumpfkönig, Silberfinger, Gagelfänger, der klingenden Namen gibt es viele. Mit der im 2017 erschlossenen Route 'Öxli und Ox' am wenig markanten Ochsenspitz gab es nun endlich auch eine gute Gelegenheit, um einmal mit der ganzen Familie diesen magischen Ort zu besuchen. Schliesslich ergab sich ein so tolles Erlebnis wie erhofft - Gegend und Kletterei sagten allen zu und nach über 500 Klettermetern inklusive Zu- und Abstieg hatten wir uns ausgiebig bewegt.

Hinein ins Reich der Engelhörner. Hinter der Hütte geht's in den magischen Felsenkessel vom Ochsental.
Nachdem sich die Familie nach Trainingslagern und Kletterausflügen hierhin und dahin erst gerade wieder vereint hatte, war ein früher Aufbruch am nächsten Morgen utopisch. Nachdem aber sicheres Wetter angesagt war und die Sonne die nach Westen ausgerichtete Flanke des Ochsental-Kessels erst gegen Mittag bescheint, war keine Eile geboten. Mit  letzten Tropfen Sprit (aufgrund der wieder einmal optimistischen Interpretation der Tankanzeige...) erreichten wir die Alp Gross Rychenbach (P.1574, Taxe 15 CHF bei der Alphütte zu bezahlen) und starteten den Zustieg um 12.15 Uhr. Die Engelhornhütte passierten wir 45 Minuten später, flugs gingen wir weiter Richtung Einstieg, wo wir nach total 1:10 Stunden Gehzeit eintrafen. Er befindet sich tatsächlich dort, wo die Felsen am weitesten herabreichen und kann aus dem Boden des Ochsentals praktisch auf ebenem Fuss erreicht werden. Mit den Vorbereitungen hielten wir uns nicht mehr lange auf und bildeten zwei Seilschaften, die nach Möglichkeit gleich parallel steigen würden. Nachdem die Kletterei geneigt-gutmütig aussah und Bolts mit nicht allzu weiten Abständen sichtbar waren, wollten die Kinder den Vorstieg anpacken.

Im Ochsental auf den letzten Metern zum Einstieg.
Die ersten 4 Seillängen bieten unschwierige Kletterei im 3./4. Schwierigkeitsgrad. Sie verlaufen grösstenteils über soliden und ausgewaschenen Fels in bzw. neben einer wenig ausgeprägten Rinne, welche den Kessel unter der Gertrudspitze entwässert. Nachdem alles trocken war, nirgendwo mehr Schnee lag und oberhalb keine Kletterer aktiv waren, schien mir dieser Ort nicht überaus gefährdet. Global befindet man sich da aber schon an einem Platz, wo unter ungünstigen Voraussetzungen Steinschlaggefahr herrschen kann. Zu erwähnen ist auch, dass alle Seillängen nahezu 50m lang sind. Auf den ersten beiden Teilstrecken stecken je 7 BH, was ja doch auch schon Hakenabstände von 6-7m ergibt. In Seillänge 3 sind es dann nur noch 5 Stück und am Ende von L4 gibt es auch einen längeren Runout von ca. 10-15m in zwar einfachem, aber doch etwas schuttig-brüchigem Gelände. Sprich, die Absicherung ist für solches Gelände sicherlich "gut", sauber gehen und sicher stehen muss man aber trotzdem. 

Off he goes... das müsste L4 (4a) sein.
In L5 (5b) erklettert man gar nicht mal so einfach gleich nach dem Stand eine Rippe in abwärts geschichtetem Fels, bevor es dann bald wieder einfacher voran geht. Mit L6 (4a) wartet nochmals ein etwas flaches, grasig-schuttiges Überführungsstück, bevor es im zweiten Routenteil dann steiler zur Sache geht. Man befindet sich an dieser Stelle unmittelbar unterhalb der Fixseil-Traverse, welche ich damals auf dem Weg zur Queen of Desert begangen hatte. Mit L7 (6a) folgt nun die Crux: erst noch flach, klettert man später auf einer Art Rampe in schöner 3d-Manier griffig aufwärts. In der Männerseilschaft übernahm ich ab dieser Stelle die Führung, während Larina sich noch tapfer im Vorstieg weiterkämpfte. Gerade hier ist "Kampf" eine nicht völlig abwegige Bezeichnung, denn aufgrund der Topografie der Seillänge mit dem flachen Start verursachte das Seilgewicht bei ihr trotz strategisch geschickt platzierten Verlängerungen prozentual doch einen erheblichen Aufschlag auf das Körpergewicht.

Da sind die beiden am Ende von L5 (5b), hinten die westliche Engelhornkette. Der Verlauf von L7 (6a) direkt ob den Kids.
L8 (5b) führt nun wieder direkt auf einer Rippe vorerst eng mit BH abgesichert in die Höhe, bevor zum Stand hin wieder einmal ein längerer Runout in schuttig-einfachem Gelände wartet. Vom Stand spähten wir nach Haken, gerade hinauf waren einfach keine auszumachen. Ein Blick ins Topo klärte dann auf, dass die Bolts rechts aussen nicht etwa zu einer anderen Route gehörten, sondern "unsere" L9 (5b) markierten. Es gilt hier wirklich zuerst 10m ohne BH nach rechts zu queren. Die erste Sicherung steckt dann seilzugtechnisch etwas gar weit unten. Nun geht's auf der Rippe aufwärts, es ist die Seillänge mit der schlechtesten Felsqualität. Man bedient meist etwas mürbe Seitgriffe auf Gegendruck - für mich natürlich kein Problem, aber für unsere zweite Vorsteigerin war das eine fordernde und auch etwas nervenaufreibende Sache. Aber ja, auch das Klettern in unsicherem Fels ist ein Skill, den es zu trainieren und zu fördern gilt - das ging hier bestens, dank den regelmässig steckenden BH auch safely. Weiter geht's mit L10 (5c+), wo nochmals kompakte Plattenkletterei in schönem Fels bei eng gehaltener BH-Absicherung wartet, prima! In der für einmal etwas kürzeren L11 (5b) warten auf der etwas gesuchten Linie nicht mehr die grossen Schwierigkeiten.

Die Cruxlänge (L7, 6a): unten flach, oben steil. Gut abgesichert, aber dennoch mit etwas  Luft zum Steigen.
Um 18.40 Uhr und somit nach rund 5:00 Stunden Kletterei waren wir alle am Top of Ochsenspitz. Leider bietet dieser bzw. das Routenende nicht ein richtiges Gipfelerlebnis, das ist doch ein wenig schade und wäre schon das Tüpfelchen auf dem i gewesen. Aber die gut 500 Klettermeter hatten allen echt Spass gemacht, v.a. hatten die Kinder hier einen wesentlichen Teil der Führungsarbeit übernehmen können, bravo! Schon bald galt es, an den Heimweg zu denken, v.a. für den Teil der Familie, welcher am Montag wieder in den Einsatz musste und nicht einfach auf die nächste MSL-Tour gehen konnte ;-) Zum Abseilen wäre die Route eingerichtet, aber die 11 manchmal etwas schräg verlaufenden Manöver in wenig steilem, bisweilen auch etwas schuttigen Gelände erschienen jetzt nicht gerade verlockend. Somit wollten wir wie empfohlen über die RendOx abseilen. Auch wenn das Gelände hier ein wenig steiler und die Linie etwas direkter ist, so erfordert das doch auch 10 Manöver, welche nicht das grosse Vergnügen darstellen - ist doch das Gelände oft geneigt, teils schrofig und meist mit seilfressenden, scharfkantigen Steinen durchsetzt.

Hoch der Berg, tief das Tal... unterwegs auf der schönen Rippe von L8 (5b).
Anyway, wir taten was zu tun ist, um etwa 20.10 Uhr setzten wir unseren Fuss wieder auf den sicheren Boden. Der Benefit von dieser Abseillinie war definitiv auch, den nicht unbedingt offensichtlichen Startpunkt der Route Rendez-vous nun schon identifiziert zu haben. Denn für diesen Gesamtdurchstieg auf den Ulrichspitz werde ich bestimmt zurückkehren - die Kletterei sieht bis zum Ochsenspitz zwar bisweilen etwas gesucht aus und ist bestimmt nicht in jeder Seillänge top, aber das Terrain verspricht doch manch tollen Klettermove. Und oberhalb vom Ochsenspitz locken dann definitiv die steilen Wände. Nun denn, das ist Zukunftsmusik, für uns hiess es nun die sieben Sachen packen und Abmarsch ins Tal. Noch rechtzeitig vor Ladenschluss konnten wir uns am Bahnhof in Meiringen mit einer kühlen Erfrischung eindecken, bevor die einen nach Hause und die anderen in Richtung des nächsten Kletterabenteuers fuhren.

Geschafft!

Facts

Ochsenspitz - Öxli und Ox 6a (5b obl.) - 11 SL, 500m - Anker/Romang 2017 - **;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express

Hübsche Route auf einen kleinen Gipfel im Kreis der grossen Engelhörner, die ein eindrückliches Ambiente bieten. Der Fels auf der Route ist meist gut, solide und kletterfreundlich, stellenweise liegt in leichteren Abschnitten Schutt herum. Die Route ist üppig mit neustem Inoxmaterial abgesichert, an den schwierigen Kletterstellen auf Stufe "Plaisir gut+" oder sogar "Plaisir super". Im einfacheren und oft auch etwas alpinen Gelände stecken auch regelmässig Bolts, aber am dümmsten Ort einen Griff auszureissen und zu stürzen könnte dann doch schmerzhaft enden. Insgesamt ist es sicher ein Unternehmen, das sich gut für weniger versierte Kletterer eignet. Trotzdem ist die Route rein aufgrund der Länge, der Lage, dem nicht anforderungsfreien Abseilen nicht unbedingt das ideale Terrain für den allerersten MSL-Ausflug. Ein Topo findet man auf den Seiten von ReBolting.

Zurück am Einstieg, in mehr oder weniger direkter Linie geht's zum Fähnli!

Montag, 27. Juli 2020

Zervreilahorn - Maverik (7a, 9 SL, Erstbegehung)

An einem genial schönen Wochenende zum Ende der Sommerferien 2019 hatten wir erst die Nanouk und dann die Braveheart geklettert. Verzaubert vom Bündner Matterhorn, der einsamen, wunderschönen Umgebung und der Kletterei über Risse und Platten in vorzüglichem, orangem Gneis schweiften meine Blicke über die Wand. Verschneidungen, Kanten, Pfeiler, alles reihte sich aneinander. Ja, da war die Gelegenheit für eine Neutour vorhanden. Die Verlockung war so gross, dass ich am liebsten gleich unmittelbar nach dem Abseilen wieder in die Wand eingestiegen wäre. Das war natürlich utopisch, somit war erst eine Woche an Geduld gefragt, bevor es am darauf folgenden Samstag (24.8.2019) losgehen konnte. Entstanden ist schliesslich eine tolle Route mit typischer Zervreila-Kletterei, die im Semi-Trad-Style (nicht absicherbare, plattige Passagen und Stände gut eingebohrt, die Risspassagen clean) konzipiert ist.


Die fantastische SE-Wand des Zervreilahorns mit der Maverik und den Zustiegen (normal von rechts, alternativ direkt).
Erstbegehung

Um den Tag auch wirklich gütlich nutzen zu können, brachen wir bereits um 5.00 Uhr in der Früh von Zervreila auf. Mit 3 Sätzen Cams, 60 Bohrhaken und vielen weiteren Gegenständen schwer bepackt ging's hinauf ans Zervreilahorn zum Einstieg, wo wir bereits um 7.00 Uhr loslegen konnten. Wir kamen zügig voran: der Schwierigkeitsgrad der am Horn üblichen Mischung von Wandstellen und Rissverschneidungen war meist im Bereich 6b, die Linie ergab sich von selbst und dank vielen Möglichkeiten für zuverlässige mobile Sicherungen konnte die Bohrmaschine meist stumm bleiben. Insgesamt weist die Route auf 9 Seillängen nur 18 gebohrte Zwischensicherungen auf, macht im Schnitt genau 2 Stück pro Länge. Trotzdem, der extrem harte Gneis forderte unseren Bohrer, so dass am Ende nicht nur wir, sondern auch die Akkus erschöpft waren und das Setzen der Bolts zur Geduldsprobe wurde. Doch nachdem sich die letzten 2.5 Seillängen clean klettern liessen, erreichten wir um 20.00 Uhr abends nach 13 Stunden Kletterei doch noch überglücklich und hochzufrieden den Klettergipfel des Zervreilahorns. Nach Hause ins Bett war's allerdings noch ein weiter Weg, nach 22 Stunden auf den Beinen konnte ich mich schliesslich in die Federn legen. Ja, durchaus ein wenig eine verrückte Aktion, aber ein Tag der für immer in Erinnerung bleiben wird.

Der Startschuss zu unserem Projekt, just in time mit dem Sonnenaufgang!
Selbstverständlich wollten wir die Route auch Rotpunkt klettern, sowieso mussten wir auch noch einige Verbesserungen vornehmen, insbesondere die Standplätze hatten wir anlässlich der Erstbegehung um Zeit und Wattstunden zu sparen erst sehr spartanisch eingerichtet. Vier Wochen nach der Erstbegehung (21.9.2019) war es schliesslich soweit, angenehmes Wetter und die Verfügbarkeit von beiden Seilpartnern liessen den Ausflug zu. Mit grossem Genuss und Begeisterung konnten wir unsere Linie erfolgreich Punkten und alle Arbeiten abschliessen. Einzig die zweite Seillänge erforderte dabei ein "genaues Hinschauen". Damals, beim Einbohren und mit dem üblichen Pausieren am frisch gesetzten Zwischenhaken war die linke Kante an der fraglichen Stelle rasch erreicht. Doch würde es auch ohne diesen Zwischenhalt gehen? Ja, und wie - mit einem fantastischen New-School-Move konnten wir das Problem lösen. Jeder der behauptet, die modernen Boulder an den Wettkämpfen hätten nichts mit realem Klettern zu tun, der sollte einmal diese Stelle probieren!

Anreise und Zustieg

Per Auto oder öV auf kurvenreicher Strasse von Chur via Ilanz nach Vals und weiter nach Zervreila zum Parkplatz bei der Kapelle (P.1984). Nun der mit Fahrverbot für Motorfahrzeuge belegten Schotterstrasse entlang ca. 2.7km zum Beginn des Wanderwegs nach Furggelti, dabei vernichtet man rund 130 Höhenmeter. Es ist sehr empfehlenswert, für diesen Abschnitt ein Bike zu verwenden. Die Zeitersparnis auf dem Hinweg beträgt ca. 30 Minuten, auf dem Rückweg ca. 15-20 Minuten. Dann zu Fuss dem Wanderweg entlang bis zu dieser Stelle auf ca. 2240m (Steinhaufen, Eisenstange mit weiss-rot-weisser Markierung), wo man diesen nach rechts verlässt.

Der Zustieg ist für sich alleine schon ein Erlebnis, die Gegend ist wunderschön!
Die Pfadspur zum Zervreilahorn ist ganz am Anfang nicht sehr ausgeprägt, wird aber bald deutlicher. Sie verläuft später am Fuss des markanten, diagonal verlaufenden Felsbands - im Zweifel einfach in diese Richtung gehen. Man erreicht schliesslich den flachen Boden (Biwakplatz) auf ca. 2420m und wenig später übers Geröllfeld den Fuss der Wand. Von dort auf Pfadspur links aufwärts und über den Graskegel zur Kraxelstelle, die aufs grasige Einstiegsband leitet. Auf diesem noch ca. 200m nach links, man passiert dabei die Einstiege von Medea, Nanouk und Braveheart. Ca. 25m links der letzteren befindet sich der angeschriebene Einstieg auf ca. 2550m, ein kurzes Fixseil erleichtert die letzten Meter. Alternativ und einen Tick schneller kann man auch unterhalb der Wand gut begehbar übers Geröllfeld queren und erst hinten über die Stufe direkt zum Einstieg der Braveheart hinauf (Fixseil vorhanden). Unser totaler Zeitbedarf von der Kapelle bis zum Start der Route belief sich am Tag der Rotpunktbegehung (mit Bike, zügiges Gehen, inkl. der Bohrausrüstung fürs Nachbessern im Gepäck) auf 1:15 Stunden. In der Literatur steht 2:30h, man kalkuliere also selbst.

Hier geht's los! Der Einstieg befindet sich 25m links der Braveheart und führt direkt oberhalb vom BH in gerade Linie an das System mit Schuppen und Verschneidungen. Die mit BH abgesicherte Linie, welche über die Platte nach links zieht, ist die Holy Smoke. Man lasse sich also nicht in falsche Versuchung bringen...
Routenbeschreibung

Zervreilahorn - Maverik 7a (6b obl.) - 9 SL, 230m - Dettling/Wegmayr 2019

L1, 6b, 30m: Achtung, vom Einstiegsband startet nicht nur die Maverik, sondern auch die Holy Smoke, welches mit mehreren BH gesichert nach links über die Platte zieht, während die Maverik gerade hinauf an die Schuppe und später Verschneidung führt. Direkt über den Einstiegsbohrhaken folgt in der Maverik eine plattige Stelle um wach zu werden, bevor man die griffige Schuppe in die Finger kriegt und dieser folgt. Nach einem Absatz geht's los: erst den Riss geschickt nutzen, dann in kräftigen Piaz wechseln um das Dächli athletisch zu überwinden. Über zwei Stufen hinweg gelangt man zum Stand.

In L1 (6b) der Maverik. Kurze Platte, dann griffige Schuppen und eine Piazverschneidung mit Dächli.
L2, 6c 1pa oder 7a, 30m: Schon der Gegendruck-Start aus dem Stand raus hat es in sich. Gute Beinarbeit, etwas Fingerkraft und Vertrauen in die Füsse sind nötig, damit das Scheunentor nicht aufgeht! Dank griffigen Leisten kommt man anschliessend besser zur Cruxzone voran. Dort erst an der feinen, diagonal verlaufenden Rissspur aufwärts, doch irgendwann ist fertig. Man finde die richtige Strategie, um an die offensichtliche Kante links zu gelangen! Ganz einfach geht das mit einem kurzen Pendelquergang am BH (das wäre dann 6c 1pa), doch auch in freier Kletterei ist es möglich. Wir haben uns dafür an einigen Tricks aus der New-School-Boulderszene bedient. Das macht die Stelle unglaublich schwierig zu bewerten. Schlussendlich denken wir aber, dass der Move mehr Kopfsache und knifflig als echt schwierig ist, ja für Spezialisten dieses Genres möglicherweise sogar "einfach". Somit werfen wir eine 7a dafür aus. Gewiss ist da nur eines - der das ganze Valsertal füllende Jauchzer, wenn der Move gelingt!

In L2 (7a oder 6c 1pa) wartet plattige Wandkletterei mit einem kniffligen Bouldermove.
L3, 6b+, 30m: An der Kante der grossen, abgespaltenen Schuppe geht's in die Höhe. Wer gerade Musse hat, könnte sich auch in Rampftechnik durch den Offwidth-Spalt kämpfen ;-) Steht man einmal auf der Schuppe, so geht's ganz logisch nach links und hinauf, bis einen der Crux-BH in die Wand lockt. Eigentlich hat's gute Tritte, nur haben diese nicht unbedingt die korrekte Ausrichtung. Somit ist Vorstellungsvermögen und Bewegungssubilität gefragt, um den kniffligen Move zu bezwingen, New-School-Dynamik ginge wohl auch. Es folgen Rissspuren mit einer nochmals etwas kniffligen Stelle (0.2er-Cam zwingend) zum Stand.

Super Kletterei auch in L3 (6b+). Es hat mehr (nach rechts offene, auf dem Bild nicht sichtbare) Struktur, wie man denkt!
L4, 6b, 25m: Es wartet eine kaminartige Verschneidung bzw. Schuppe, die mit kreativen Techniken erklettert sein will. Mal so und mal anders geht's am besten, zwischendurch hilft aber echt ein kurzer "Squeeze" am besten und es lässt sich alles mobil absichern. Oben dann steil, ja sogar überhängend, supercool! Zuletzt, nach dem BH, geht's dann nicht rechts in die Verschneidung, sondern - an sich der logische Weg - an die Kante und um diese herum.

Die kaminartige Verschneidung bzw. Schuppe in L4 (6b) erfordert vielfältige Techniken!
L5, 6b+, 30m: Absolut fabelhafte Risskletterei an einem perfekt gefrästen Finger Splitter. Unten gibt's einige Verbreiterungen, wo man etwas grösseres Gear platzieren kann, für die erste Crux mit Fingerklemmern und Toe Jams passt dann allerdings nur der 0.3er optimal. Der einfachste Weg führt dann an die Kante und über ein griffiges Dächli, bevor die zweite Episode am Fingerriss folgt. Auch hier sehr schön mit zwingenden Klemmern über die Crux, erneut passt der 0.3er optimal. Auf dem folgenden Podest ist die Seillänge noch nicht zu Ende. In cooler 3d-Kletterei geht's die steile Verschneidung hinauf, der Ausstieg zuletzt erfolgt nach rechts.

Hervorragende Trad-Kletterei wartet in L5 (6b+) mit perfekt gefrästen Finger Cracks und einer Verschneidung am Ende.
L6, 6a+, 30m: Ein gemütliches Zwischenstück mit schöner Wandkletterei führt einen an den Fuss der nächsten, orangen Steilwand. Zwei kniffligere Stellen sind mit je einem BH gesichert, der Rest lässt sich auch hier prima mobil absichern. Ein weiteres Highlight ist dann der Stand auf dem perfekten, topfebenen Bivy-Ledge. Ein prima Platz für eine Pause und um seinen Blick schweifen zu lassen!

Prima Wandkletterei, die man jedoch auch vorwiegend mobil absichern kann wartet in L6 (6a+).
L7, 6c, 35m: Angezogen hat uns auf dieser Seillänge natürlich die markante Schuppe. Doch leider ist sie am Rand dermassen dünn und hohl tönend, dass wir schlussendlich die Finger davon gelassen haben und es auch wenig empfehlenswert scheint, mobile Sicherungen daran zu legen. Das ist nicht weiter störend, weil man unmittelbar rechts in der Wand an Leisten super schön und sogar eher einfacher klettern kann (dafür war halt ein zusätzlicher BH nötig). Bald folgt eine schwierige Wandstelle an einer kniffligen Seitgriffkante. Nein, hier liegt nicht etwa die Bewertung von 6c daneben! Es geht wirklich in diesem Grad, wenn man die Lösung findet. Doch damit nicht genug. Die danach ansetzende, steile Rissverschneidung mit genialem Dächli ist echt super zu klettern und komplett mobil zu sichern.

Ausblick auf L7 (6c), die griffigen Schuppen laden zum Klettern ein!
L8, 6a+, 30m: Über eine Doppelstufe geht's zum markanten Splitter Crack in Faustgrösse. Dieser hat uns bereits bei der Begehung der Braveheart so herzlich aus der Ferne angelacht, dass wir ihn so gut wie zwingend in die Route einbauen mussten. Auch wirklich super zu klettern, nur etwas länger dürfte er noch sein! Anschliessend der Kante entlang auf die liegende Platte, welche entlang von weiteren, breiten Rissen überquert wird.

Über zwei Stufen geht's in L8 (6a+) zum perfekten Faustriss - genial!
L9, 5c, 25m: Gleich oberhalb in der gelben Wand warten ein paar wunderschöne Risse mit genialer Felsstruktur, eine echte Plaisir-Clean-Kletterei. Zuletzt führt der logische Weg nach rechts und mangels weiterem Akkustrom blieb uns bei der Erstbegehung gar nichts anderes übrig, wie zum Abschlussstand der Braveheart zu zielen. Im Zuge der Rotpunktbegehung hätten wir zwar einen eigenen Schlusstand ein paar Meter weiter links setzen können, was uns jedoch schliesslich als unnötige Hakenverschwendung und Zervreilahorn-Perforierung vorgekommen wäre. Somit endet die Maverik am selben Ort wie die Braveheart. Es lässt sich an diesem Punkt auch ideal aufs Gipfelplateau aussteigen, ebenso haben wir das Wandbuch dort platziert (Configlas in der Nische, unverfehlbar).

Zum Schluss wartet noch cleane Plaisir-Risse (L9, 5c). Die Braveheart führt gratartig über die angelehnten Blöcke zu gemeinsamen Endpunkt.
Abseilen

Erfolgt am besten und einfachsten gleich über die Route selber. Es sind 5 Manöver, die nötigen Standplätze (9-7-5-3-2) sind ausgerüstet. Auf den ersten beiden Strecken werden die 2x50m-Seile jeweils gut ausgenutzt, aber es reicht. Alternativ könnte man auf dem Gipfelplateau auch wenig absteigen und die Piste über die Fahnenroute verwenden. Mit 2x50m sind aber auch dort 5 Abseiler nötig und besser/effizienter ist diese Variante nicht. Somit macht's also wenig Sinn bzw. lohnt sich höchstens für einen Einblick in jene Route und die grosse Abschlussplatte, bzw. für jene, die nur mit einem Einfachseil angerückt sind (dann 10x22m abseilen).



Material

Absolut unverzichtbar ein Satz Cams der Grössen 0.2-3. Wer so legt wie im Topo empfohlen und die mobilen Sicherungen nicht üppiger platziert wie man es bei Bohrhaken tun würde, kommt damit gerade knapp aus. Wenn man ein bisschen grosszügiger und weniger taktisch legen möchte, so kann sich ein zweites Set Cams der Grössen 0.3-0.75 als durchaus sehr nützlich zeigen. Allenfalls könnte man auch einen Satz Keile der entsprechenden Grössen mitführen, was uns jedoch als deutlich weniger praktisch erscheint. Als eher optional darf man das doppelte Mitführen der Cam-Grössen 1-3 bezeichnen, es ist jedoch durchaus möglich, auch diese sinnvoll an den Fels zu bringen. An Seilen sind 2x50m nötig, mit einem Einfachseil müsste man die Abseilpiste über die Fahnenroute (10x22m) nutzen. Mit 8 Exen (wovon 4 verlängerbare Alpine Draws) sollte man gut durchkommen, wenn man dort wo durch geraden Seilverlauf möglich/sinnvoll die Cams direkt und ohne Exe klippt. Risshandschuhe sind insgesamt eher optional, es gibt neben dem Fist Splitter in L8 nur wenige Stellen, wo ein Jamming mit dem Handrücken zum Einsatz kommt.

Da kann man nur noch sagen, let's go und viel Spass! Das Bild aus L1 (6b).
Topo

Hier unten als Bild, für die beste Qualität empfiehlt sich ein Download als PDF! Artwork by Viktor, vielen herzlichen Dank! Nach Abschluss unserer Neutouren-Trilogie gibt's ebenfalls eine Gesamtdokumentation mit allen Topos, Wandfotos und Routenbeschrieben.


Samstag, 18. Juli 2020

Wellhorn - Gletschersinfonie (6c+)

Die Gletschersinfonie (25 SL, 6c+) ist sicher die bekannteste und vielleicht auch die beste Tour in der SE-Wand des Klein Wellhorn. In einer einmaligen Gebirgsszenerie klettert man hier in meist perfekt rauem Kalk über Platten und steilere Wände einem isolierten Gipfel entgegen. Es ist eine Tour, die nach ganz oben auf die Wunschliste eines jeden Kletterers gehört. Lange Jahre habe ich auf den richtigen Moment gewartet, um hier einmal anzugreifen. Nun war der Tag X gekommen, das lange Warten wurde mit perfekten Bedingungen, passender Form und einer kompletten Onsight/Flash-Begehung belohnt. Das Klettern hat ja viele Facetten und bietet manch tolles Erlebnis, vom Erfolg am Boulder-Wettkampf über das Klippen des Umlenkers in einem Langzeit-Sportkletterprojekt, dem erfolgreichen Einbohren von Neutouren bis zu epischen Gipfelerlebnissen im Hochgebirge. Aber durch solch grosse und abweisende Wände wie am Wellhorn zu steigen, den ganzen Tag über mit unzähligen Challenges konfontiert zu werden und am Ende alle erfolgreich geknackt zu haben ist für mich wirklich das 1a im Klettersport. In diesem Sinne sicher einer der besten Klettertage meiner 32-jährigen "Karriere".

Szenerie, Timing und Form passen - nichts wie los in die Gletschersinfonie am Klein Wellhorn!
Da uns ein mit Sicherheit gewitterfreier Tag zur Verfügung steht (nur dann macht es Sinn, in die Gletschersinfonie einzusteigen!) und die Juni-Tage lang sind, wollen wir nicht allzu früh und erst mit der Sonne einsteigen. Frühmorgens weht am Wellhorn nach klaren Nächten nämlich meist ein schneidig-kalter Abwind vom Gletscher her, der einen die ersten Seillängen schlotternd und wenig genussreich absolvieren lassen würde. Meine Berechnungen zeigen, dass der Einstieg in der zweiten Junihälfte ab ca. 7.45 Uhr besonnt wird - in der Tat ist es dann sogar noch eine Viertelstunde früher. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Sonne Mitte August schon deutlich länger (ca. 1h) hat, um über den Grat des Gstellihorns zu steigen. Somit heisst es trotzdem früh aufstehen, um 4.15 Uhr schellt daheim der Wecker, so dass wir um 6.45 Uhr beim Parkplatz der Gletscherschlucht loslaufen können. Die Parkgebühr für das Gebiet beträgt 8 CHF und muss zuvor am Automat einige Kilometer weiter unten an der Strasse berappt werden (auch mit elektronischen Zahlungsmitteln möglich). 

Von unterhalb der Wand lässt sich nicht die gesamte Route einsehen. Doch immerhin ist auf diesem Shot der Beginn in der Nische am Ende der orangen Linie klar markiert. Die ersten paar Seillängen am ersten Aufschwung sind dann klar einsehbar und mit Schwierigkeitsgraden versehen. Im zweiten Drittel liess sich die Linie immerhin noch einzeichnen, die Schlusswand ist hingegen auf diesem Foto nicht sichtbar.
Die Gletschersinfonie ist bereits meine fünfte Wellhorn-Route, so ist mir der Zustieg bestens bekannt. Effizient macht man hier Höhe, so dass wir für die 750hm gerade 1:00h brauchen. Es sei erwähnt, dass der Einstieg für Ortsunkundige ohne gutes Wandfoto gar nicht mal so einfach zu finden ist. Ein paar Tipps: er befindet sich erst "weit hinten", nachdem man ein gutes Stück der augenscheinlich schon kletterbaren Wand gefolgt ist. Die ominöse Nische, wo die Tour wirklich startet liegt heutzutage ca. 30m über dem flachen Terrain am Wandfuss und muss kraxelnd im 2./3. Grad über eine von rechts unten nach links oben verlaufende Rampe erreicht werden (zur Zeit der Erstbegehung war da noch der Gletscher!). Eine Anschrift gibt es zwar, aber sie ist inzwischen so verblasst, dass sie erst aus unmittelbarer Nähe erkennbar ist. Nachdem wir uns verpflegt, vorbereitet und ausgiebig mit Sonnencrème beschmiert hatten, ging es kurz behost um 8.15 Uhr los mit der Kletterei.

Hier geht's los, 30m über dem Wandfuss etwas splittrig steil aus der Nische raus - ohne Sicherung!
L1, 35m, 5c: Am Einstieg, d.h. in der Nische selber steckt leider kein Haken mehr, dieser wurde im Zuge der Sanierung ein paar Meter nach oben versetzt. So klettert man ungesichert gleich steil und etwas splittrig rechts aus der Nische raus - höchste Vorsicht, ein Sturz wäre da für beide in der Seilschaft potenziell tödlich (besser erst ab Erreichen des ersten BH sichern, so erwischt es wenigstens nur einen...). Die Moves über den ersten Haken dann für den banalen Grad gar nicht einfach, zudem auch das erste, aber längst nicht das letzte Mal mit der Frage "links oder rechts?!?" verknüpft. In der Folge geht's dann deutlich moderater voran, es stecken total 5 BH, womit auch die Absicherung gut ist. Im oberen Teil der Seillänge verläuft die Route gemeinsam mit der Miracolo, was allenfalls für  Verwirrung sorgen könnte.

L2, 15m, 6a+: Weil 35m+15m=50m könnte man versucht sein, auf dem ersten Streich gleich zwei Felder vorzurücken. Diese Strategie funktioniert! Vom ersten Stand geht's deutlich nach rechts hinaus in die steile Wand, um die Längen zu verbinden darf man den Stand nicht klippen oder muss ihn beim bald folgenden, ersten Zwischenbolt wieder aushängen. Die Steilstufe fordert, es gilt einige sloprige Löcher zu bedienen, gar nicht mal so easy! Bald darauf erreicht man gredig obsi in einfacherem Gelände den Stand. 

Schöne Kletterei am Ende von L2 (6a+).
L3, 45m, 6c: Nach dem Aufwärmen folgt hier gleich eine der nominell schwierigsten Sequenzen. Sie beginnt mit einer kniffligen Plattenquerung aus dem Stand raus, bevor es über einen feingriffigen Abschnitt schleichermässig unter den markanten Dachriegel raufgeht. Nach ein paar Leistenzügen verwendet man griffige Querfugen, um unter dem Dach weit nach links hinaus bis zum Zusammentreffen mit der Miracolo zu klettern. Hier wartet der athletische Cruxmove etwas über dem Haken, die Sache hat auch etwas einen Ausdauerfaktor, insbesondere da der hier noch reichlich mit Getränken/Gewicht gefüllte Rucksack heftig in die Tiefe zieht. Einmal droben wartet als Herausforderung noch eine erstmal zu entschlüsselnde Plattenstelle über eine Sanduhr, den Bolt kann man hier erst klippen, nachdem man das Rätsel gelöst hat :-) Schliesslich in einfacherem Gelände zum Stand, man verwende die erste Kette (wenige Meter links oberhalb ist der Stand von Miracolo). 

Erst plattig, dann an den Querfugen unter dem Dach queren und athletisch darüber hinweg: das Programm in L4 (6c).
L4, 40m, 6a: Wenig nach links auf dem Band, doch es geht bereits vor dem Miracolo-Stand in die silbergraue Wand hinauf (den Stand von Miracolo berührt/verwendet man nicht, das Topo aus dem Extrem West stimmt hier nicht ganz mit den Gegebenheiten vor Ort überein). Ein sehr schöner, flowiger Abschnitt, sloprig und stets interessant gewinnt man an Höhe, bis man den Stand unter dem nächsten Steilriegel findet. 

Sehr schöne Kletterei in L4 (6a), von unten würde man den Schwierigkeitsgrad zweifellos höher einschätzen.
L5, 40m, 6b+: Los geht's mit einer gut abgesicherten, etwas unübersichtlichen Linksquerung, wo es ein paar kleine Leisten zu identifizieren und kombinieren gilt. Danach kommt es nochmals zum Kontakt mit der Miracolo, wobei das Einbauen eines Haken von jener Route absolut Sinn macht. Ab dieser Stelle geht es jedoch leicht rechts haltend die graue Steilwand hinauf. Super schöne und geniale Kletterei - nie extrem schwierig, aber immer fordernd und vor allem ziemlich luftig abgesichert. Geht aber schon, einfach mutig vorwärtssteigen, megacool! 

Eine etwas unübersichtliche Linksquerung an Leisten wartet am Anfang von L5 (6b+).
L6, 30m, 5a: Auf den ersten Blick mag man kaum glauben, dass hier nur ein banaler Fünfer wartet. Los geht's mit einer etwas unlogisch anmutenden Querung nach rechts. Dort entpuppen sich dann erst ein paar formidable Löcher und dann eine wahre Steigleiter aus riesigen Silex-Einschlüssen, der Verlauf macht also absolut Sinn und ist voll genial! Die Absicherung mit BH und SU-Schlingen ist hier gut, so erreicht man bald und ohne grosse Schwierigkeiten den Stand. 

Fotogener Start in die gemütliche, aber sehr schöne L6 (5a) mit den Engelhörnern im Hintergrund.
L7, 20m, 6a+: Hier haben wir es mit einem relativ kurzen 1-Bolt-Rüteli zu tun, welches man durchaus an die vorhergehende Länge anhängen kann (Stand gut verlängern!). Bald kommt man zu dieser einzigen Zwischensicherung. Nun ist die Wand kompakt und fordernd. Da sie sich weiter oben wieder zurücklegt, ist man völlig ahnungslos, wo die Route durchführt. Queren nach links, gerade hinauf?!? Wieder einmal eine Stelle, wo man seiner Intuition ausgeliefert ist. Jedenfalls befindet sich der Stand danach viel weiter links als die Topos suggerieren, der Nachsteiger sieht sich in der Crux (nach dem Aushängen des BH) einem ordentlichen Pendler ausgesetzt. 

L8, 50m, 2b: Nun hat man das erste Routendrittel erledigt. Es folgt hier der Übergang zum zweiten Abschnitt via ein schrofiges Teilstück. Dazu steht ein Fixseil zur Verfügung (Zustand ok, Stand Juni 2020), welches erst rechts und oben wieder nach links zu einem Stand führt. Dank dem Fixseil kann man hier auch seilfrei gehen oder (besser) die nächste Seillänge am laufenden Seil anhängen. 

Das Gelände zwischen dem ersten und zweiten Wandabschnitt ist nicht spektakulär, daher hier nochmals L5 (6b+).
L9, 50m, 5b (?): Das Topo aus dem Extrem West schreibt hier von Gehgelände, während das Sanierungstopo eine Seillänge im Grad 5b verzeichnet. Klar ist, es geht linkshaltend in einfachem Gelände in die gut gestufte, schluchtartige Rinne. Hier kreuzt man auch die Miracolo, die schliesslich rechts der Rinne hinaufführt (Irniger-Plättli). Die Gletschersinfonie führt links der Rinne weiter (Fixé-Laschen gut sichtbar). Zuletzt muss man tatsächlich über ein paar Aufschwünge zum Stand am Fusse der nächsten, kompakten Plattenzone klettern - es ist aber eher ein Dreier als ein Fünfer, problemlos am laufenden Seil zu machen. 

L10, 40m, 6a: Gar nicht mal so einfach geht es hier los, der Fels ist schräg abwärts gesichert und man ist durchaus froh, dass die Absicherung im Zuge der Sanierung hier aufgepeppt wurde. Schliesslich legt sich die Wand ein wenig zurück, es folgt eine coole Single-Wasserrille, bevor zum Schluss eine glatte Platte überlistet werden will. Diese führt hinauf zum Stand in der überdachten Nische (Zufluchtsort bei Gewitter!), der Stand hier besteht nur aus einer (allerdings grossen) Sanduhr). Sollten jedoch die Schlingen verrottet sein, so ist hier viel Material (ca. 3m langes Seilstück) nötig. 

Den Auftakt zu den weiten Platten des mittleren Wanddrittels macht L10 (6a), hinten das Vorfeld des Rosenlauigletschers.
L11, 45m, 5c: Nach rechts abwärts geht's aus der Nische raus, die ersten Sicherungen danach verlängert man idealerweise grosszügig. Die Wandkletterei auch hier von etwas abschüssiger Natur, nicht völlig geschenkt. Über eine Art Rampe geht es dann zwar relativ einfach, aber auch mit sehr weiten Sicherungsabständen zum gut sichtbaren Standplatz. 

L12, 20m, 3b: Hier muss man unbedingt vor dem nächsten 6c-Abschnitt noch weiter nach links oben verschieben. Wenn man gut verlängert hat, so kann man diese Sequenz jedoch mit L11 kombinieren. Auch mit 60m-Seilen muss der Nachsteiger jedoch die dortige Abwärts-Rechtsquerung simultan nachfolgen. Das geht dank einfachem Gelände gut - auch der Vorsteiger ist im Simultan-Abschnitt von L12 nicht überaus gefordert: plattige Kletterei auf schönen Silex-Einschlüssen, jedoch mit 3b ziemlich stark unterbewertet (deutlich schwieriger wie L9 jedenfalls) und komplett ohne Zwischensicherungen - suber staa und sicher gaa!!! 

Das wäre dann der Rückblick auf L12, welche lapidar mit 3b bewertet und ohne jegliche Zwischensicherung ist.
L13, 45m, 6c: Die am anhaltendsten schwierige Seillänge, oft auch als Crux der Route bezeichnet. Nun ja, als Einzelstellen gibt es anderswo (L14, L25) Schwierigeres, aber die Komplexität ist hier schon Alleinstellungsmerkmal. Über eine mit feinen Wasserrillen ziselierte Platte gilt es, den richtigen Weg zu erkennen, abschüssigen Reibungstritten zu vertrauen oder dann wieder zu spreizen und teils mikrig kleine Griffe zu nutzen oder an Slopern effizient das Gewicht zu verschieben. Drei Stellen stechen besonders heraus: fordernd über die ersten zwei BH hinweg, dann die knifflige Querung nach dem vierten und schliesslich links drüben "très sublime" - hält der Fuss oder nicht?!? Er muss und er tut. Würde er nicht, so kommt man hier dank der recht guten Absicherung mit auf die Bolts stehen und derlei Taktiken wohl schon ganz ordentlich mit A0 durch. 

Diese seichten Wasserrillen wollen in L13 (6c) fein schleichend in eine Sequenz eingebaut werden.
L14, 35m, 6c: "Einzelstelle" versprechen die Topos. Da klettert man gleich mit Respekt los, so richtig weiss man ja nicht, wo diese wartet und kopflos-schusselig in die Crux reinklettern und den Onsight gefährden mag man ja dann auch nicht. Auf der Rechtsquerung aus dem Stand raus wartet die Schlüsselstelle jedenfalls noch nicht - nicht völlig trivial hier, geht aber gut. Später dann rechts drüben weiss man dann bei einem glatten Plattenaufschwung aber schon, was es geschlagen hat. Zwei Bolts  stecken nahe und man hat ausgiebig Zeit, sich seine Strategie zurecht zu legen. Gerade hinauf oder nach rechts?!? Mit einem Ultra-Gewürge wird die Stelle schliesslich wenig elegant niedergeknüppelt - Fear-of-Failure-Mode. Leichter hat's definitiv, wer sich hier den Griff zum ideal steckenden BH bereits erlauben darf... zur Entschädigung gibt's danach wieder einmal eine perfekte Leiter aus riesig grossen Knobs, absolut genial! 

Der Akteur zu Beginn der ominösen "Einzelstelle" in L14 (6c), im Vordergrund die super Knobs.
L15, 35m, 5c: Zu Beginn hat man die Wahl, rechts schwieriger im Fels zu moven oder links auf das Gras zu treten. Diese Chance gibt's in der Gletschersinfonie nicht oft, so nimmt man sie gerne wahr ;-) Das Silexband zieht hier weiter, allerdings längst nicht mehr so griffig. Über Gelände, das weder richtig einfach noch richtig schwierig ist, macht man Höhe. Insgesamt eher mehr fordernd als die heutigen Vorstellungen einer 5c sind. Das Finish dann über die kompakte, nun wieder graue Platte mit einer etwas unlogisch erscheinenden Linksschleife - ob es direkt wohl nicht auch bei gleicher Schwierigkeit ginge? Wir konnten/wollten es nicht probieren. 

Steile, dafür aber griffige Kletterei in L15 ("nur" 5c, von unten erscheint es doch ein wenig schwieriger).
L16, 30m, 6a+: Ein erster Blick auf die steile graue Wand, ein zweiter auf das Topo, welches hier nur gerade 2 BH verspricht, da könnte man den Bammel kriegen. Einerseits ist das berechtigt, weil die Kletterei durch die steile Wand entlang einer Struktur (Mischung zwischen grosser Wasserrille und Verschneidung/Riss) wirklich steil und fordernd ist. Noch dazu dürfte dieser Abschnitt manchmal nass sein - da der Fels zu Beginn etwas belagig wirkt, könnte das ein Showstopper sein. Genial auf jeden Fall auch die paar wenigen, sloprigen Löcher, die an entscheidender Stelle das Fortkommen erlauben, ohne dass es richtig schwierig würde. Es ist übrigens so, dass das Sanierungsteam hier durchaus Einsehen mit der Psyche der Wiederholer hatte. Es stecken mittlerweile 4 BH, aber die Länge ist immer noch kühn und fordernd! 

L17, 15m, 6a+: Der Stand von L16 liegt ziemlich unlogisch weit links aussen, L17 beginnt mit einer  Rechtsquerung und da insgesamt nur 15m lang, ist es absolut sinnvoll, diese beiden Abschnitte zu einer Länge zu verbinden. Den Stand von L16 kann man natürlich so nicht klippen (nicht nötig bzw. macht keinen Unterschied), sondern man zielt gleich zur einzigen Zwischensicherung von L17 (es sei erwähnt, dass diese für Kleingewachsene möglicherweise schwierig zu klippen ist). Der folgende Boulder ist echt knifflig (so à la 6a+, wtf!) - kleine Leiste matchen oder taffer Kreuzzug. Nach einem Mantle folgt wieder griffigeres Gelände, mit einem Runout gelangt man zum Stand. 

Rückblick von Stand 17 auf das Plattenmeer, in welchem wir die Sequenzen 16 & 17 verbunden hatten (6a+).
L18, 40m, 6a+: Superkompakte, graue Spritzbetonwand, sehr eindrücklich. In einer S-förmigen Linie geht es hier anhaltend und fordernd in die Höhe. Als Nachsteiger sind mir keine besonderen oder echt schwierigen Stellen in Erinnerung geblieben. Steigt man bei dieser luftig gehaltenen Absicherung vor, kriegt man möglicherweise eine andere Wahrnehmung. Wie schon in L15 beschreibt die Route am Ende einen (unnötig?) grossen Linksbogen mit einer kniffligen Nachsteiger-Traverse. Oder wurde die etwa angelegt, dass man den Seilzweiten schön vor dem Gletscher im Hintergrund fotografieren kann - könnte durchaus sein ;-) 

Suchbild "wo sind die Zwischensicherungen?!?" - aufgenommen in L18 (6a+).
L19, 45m, 6b: Zum Abschluss des mittleren Wandteils geht's nochmals ans Eingemachte! Auch wenn es nirgendwo so richtig hart wird, so stellen die spärliche Absicherung und der zum Schluss unklare Verlauf doch erhebliche Anforderungen. Es ist auch die Länge, wo wir am meisten mobile Sicherungen verwendet haben. Dies gleich zum Auftakt an der griffigen Schuppe, wobei es dann den Übergang auf die Wand links gut zu erwischen gilt! Einmal dort, wartet eine Linkstraverse mit einer Go-Go-Gadget-o-Arm Stelle (Spannweitenproblem). Nun griffiger ans markante Nasen-Dach und erstaunlich einfach an Cams gesichert darüber hinweg. Es folgen Wasserillen, wo nochmals schwiergere Moves und zwei BH warten. Aber damit ist nicht fertig. Zum Stand ist es einfach noch weit, Sicherungsmöglichkeiten habe ich keine gefunden und ohne den mutigen Schritt vorwärts geht es nicht. Die Insel der Sicherheit findet man schliesslich gut sichtbar links am Wulst. 

Toller Fels, geniale Kletterei und eher kühne Absicherung zum Abschluss des mittleren Wanddrittels (L19, 6b).
L20, 50m, Gehgelände: An sich ein problemlos begehbarer Abschnitt, das grasige Gelände ist gut gestuft. Aber laut Landeskarte im Schnitt doch über 45 Grad steil, ca. T4/T5. Rechterhand an den Felsen findet man einen Zwischenbolt, nach ca. 50m kommt auch ein Standplatz. 

L21, 50m, Gehgelände: Der zweite Abschnitt durch diesen Alpengarten erfordert nun etwas Kletterei über ein paar Felsen, ist also etwas schwieriger und steiler. Es geht eher etwas nach rechts hinauf, markante Anhaltspunkte um die Fortsetzung zu finden fehlen. Aber man wird schon fündig werden. Wir hatten die beiden Seillängen am laufenden Seil geklettert, um 15.30 Uhr hatten wir den letzten Wandabschnitt erreicht, die Sonne hatte uns ebenda und ebendann verlassen. 

Ausblick von Stand 19 auf die 100m Gehgelände, welche zum dritten Wandabschnitt führen.
L22, 20m, 4b: Wenn man genau späht, so erkennt man vom Standplatz durchaus die farblich dem Fels angeglichene SU-Schlinge (die schon bald folgt) sowie weiter oben einen BH. Es geht vom Standplatz leicht linkshaltend hoch. Kompakte Platte, gar nicht so einfach - auf einer neu eingerichteten Plaisirtour würde man das nicht mit 4b bewerten. 

Ausblick auf die "so-called 4b" von L22 und den kompakten dritten Wandabschnitt generell.
L23, 40m, 6b+: Jetzt heisst's nochmals "ad Seck!". Nur gerade 4 BH und 1 SU säumen diesen Abschnitt, da könnte man aufgrund der vermeintlich äusserst kompakten Steilwand schon im Voraus den Bammel kriegen. Es kommt aber doch besser wie befürchtet: absolut charakteristisch für diesen Wandteil ist, dass er von unten so kompakt-unnahbar aussieht, sich aufgrund der diagonal-positiven Felsschichtung aber doch immer wieder sehr gute Griffmöglichkeiten auftun. In Erinnerung bleibt mir ein doch plötzlich unverhofft abdrängender Aufsteher beim zweiten Bolt, wo ich mich nur knapp vor dem Abkippen retten konnte. Danach zeigen die älteren Topos eine Rechtsumgehung bei markant tieferen Bewertungen. Vor Ort konnte ich die nicht erkennen (bzw. sie schien mir unlogisch und nicht so viel einfacher, wie der handlichere, direkte Weg), so dass ich die 6b+ Direktvariante aus dem Sanierungstopo übernehme - kurz ein paar kleinere Griffe halten und entschieden Antreten genügt. 

Kompakte Wandkletterei in L23 (6b+).
L24, 40m, 6b+: Hier gibt's nochmals eine richtig fordernde Seillänge mit sehr luftiger Absicherung. Es stecken in der Tat nur 4 BH und auch wenn's vielleicht eher 38m statt 42m sind, so heisst hier "Runout" ganz klar das Motto. Wobei die Absicherung schon fair und sinnvoll platziert ist, an den luftigen Abschnitten ist es schlicht und einfach griffig-kontrollierbar-einfacher. Der Schuppe entlang geht's zum ersten Bolt, wo sich vor allem ein Linienwahlproblem stellt. Dem Topo oder der Intuition vertrauen?!? Hat die zweite Sicherung eingeschnappt, geht's weit und griffig zur dritten. Erneut mit zu erkennender Linie schwierig zum letzten Bolt, nach welchem auch nochmals kleine Griffe gehalten werden müssen - very memorable! 

42m kompaktissimo Wandkletterei in L24 (6b+), die erste von 4 Patronen (=Zwischensicherungen) schon verbraucht...
L25, 30m, 6c+: Nun wartet tatsächlich noch die nominelle Crux der Route! Wer über Stunden den roten Punkt erhalten konnte, wird hier nun nochmals richtig geprüft. So spielt denn die mentale Komponente durchaus eine Rolle - hier noch an der perfekten Begehung zu scheitern, wäre ja schon schade. Aber das Spiel ist halt erst mit dem (fast) letzten Move zu Ende, das ist doch auch immer wieder eine tolle Sache. Gesagt sei, dass es sich bei dieser Seillänge für Gipfelstürmer um eine fakultative Zusatzaufgabe handelt. Die Topos suggerieren, dass man ab Stand 24 im Gehgelände den Klein Wellhorn Nordgipfel (P.2686) erreichen könne. Mag sein, im Gelände sah das allerdings nicht nach einfachem Terrain aus, wo man seilfrei hochspazieren könnte. Um hingegen zum Südgipfel, auch Lilienspitz genannt und mit 2701m der echte Höhepunkt zu kommen, könnte man tatsächlich das diagonal links hinauf ziehende Band verwenden. Es ist gut begehbar, teils etwas schuttig und im Abstieg (man muss seilfrei steigen) doch auch ordentlich expo (experienced alpinists only!!!). Anyway, wir sind ja eh zum Klettern hier, also los. Erster BH geht gut, dank ein paar Leisten geht's auch zu Silberling Nr. 2 voran. Hier die Crux, wo man echt voll noch rasiermesserscharfe Kleingriffe zupfen muss und sich die etwas wackligen Moves an schlechten Tritten ohne etwas (Sturz)Risiko zu nehmen nicht auflösen. Ich kann mich aber an die Henkel retten, der erlösende Jauchzer ähm nein die Gletschersinfonie konnte aus der Kehle ertönen :-) Die Schwierigkeiten sind damit gegessen, aber vorbei ist die Länge nicht. Nun entweder links in der Wand um den Turm herum (ist es wirklich so gedacht?!?) oder hinauf und über die Rampe. Der dritte BH folgt erst auf dem Turm beim Übergang an das finale Wandstück - er ist unsichtbar, die Sicherungsperson am Stand sieht aber die daran befestigte Seilschlinge und kann leiten. Achtung, dieses Stück ist zwar einfach aber expo, ein Sturz liegt da definitiv nicht drin! Die letzten Meter entpuppen sich an Henkeln dann problemlos, man erreicht den Grat und etwas daran aufwärts haltend das Routenende - wow! 

Zum Abschluss noch die Crux mit Vollgas-Crimperei in L25 (6c+). Da werde ich mich noch lange daran erinnern!
Um 17.50 Uhr und damit nach rund 9:40h Kletterei hatten wir es geschafft. Wobei die Zeit (für uns) völlig unerheblich ist. Es gab null Grund zur Eile, auf unserem Niveau, ohne Routenkenntnis und mit der Ambition, an beiden Seilende alles sauber Onsight/Flash zu klettern dauert es einfach eine Weile, bis jede Kletterstelle geschafft ist. So konnten wir stolz den Eintrag im Routenbuch vornehmen. Im 2020 hatte sich zuvor noch niemand eingetragen. Allerdings war der Deckel der Wandbuchdose abgestürzt, das Buch lag einfach mit einem Stein beschwert in einer kleinen Nische - hatte es wirklich auf diese Art unbeschadet den Winter überdauert?!? Das ist ein Rätsel, das wir auch nicht auflösen konnten. Allerdings löste sich ein anderes: auf dem Grasbord unterhalb hatten wir schon lange einen metallig schimmernden Stein gesehen und fragten uns, was das wohl sei. Natürlich, der Deckel - wir konnten ihn beim Abseilen bergen und auf der Route platzieren. Die beim Einstieg biwakierende Seilschaft, welche die Route am Folgetag begehen wollte, konnten wir instruieren, so dass die Sache nun hoffentlich wieder bereinigt ist.

Letzter Standplatz der Gletschersinfonie, but going for the summit!
Mit dem Wandbucheintrag wollte ich es nicht bewenden lassen. Eine solche Route, die zudem in unmittelbarer Gipfelnähe endet, kann man mit einem echten Alpinistenherz nicht einfach am letzten Stand beenden. So hiess es hinauf zum Top, dem Eintrag von Lorenzo auf hikr.org sei Dank wusste ich in etwas, was noch wartete. Der Grat hinauf bietet erst noch etwas Zweier- und Dreiergelände, ist allerdings brutal exponiert und die Felsen sind nicht überall zuverlässig. Danach noch ein paar Schritte in einfacherem Gelände zum Top, das wohl nur ganz selten besucht wird. Ausser einem Steinmann gibt's denn auch wenig Konkretes dort oben - ausser natürlich das Feeling, das ist einfach ganz unbeschreiblich nach dieser epischen Begehung! Nun hiess es aber wieder hinunter - da mein Partner am Routenende geblieben war, standen mir sowohl der Grat als Rückweg wie auch das Diagonalband offen. Weder das eine noch das andere ist harmlos und muss seilfrei und ohne jegliche Sicherung abgeklettert werden - make your own choice.

Kurz vor dem Top - welch Ambiente!
Nun galt es noch, wieder vom Berg zu kommen. Im Vorfeld hatten wir erst noch mit dem Gedanken eines Fussabstiegs über die Nordabdachung gespielt. Doch bei der Gletschersinfonie lohnt sich das ganz bestimmt nicht! Um ca. 18.10 Uhr waren wir am Routenende bereit, in die Tiefe zu gleiten. Nach dem Studium einiger Berichte hatten wir uns entschlossen, 2x60m-Seile mitzunehmen, weil das hier zum Abseilen wohl die Nachteile beim Aufstieg mehr als Ausgleichen würde. Und ich muss sagen, das war ein ganz smarter Move - unbedingt mit 60er-Stricken anreisen! Wir konnten auf der ganzen Route abseilend immer mindestens 2 Seillängen verbinden, 2x sogar 3 Stück! Hier noch die Einzelheiten: S25 -> S23 -> S21 und mit Fussabstieg über den unteren Teil des Grasbands -> S19 -> S17 -> S14 -> S12 -> S10 und mit etwas Fussabstieg in der terrassierten Schlucht zum Fixseil, diesem entlang -> S7 -> S4 -> Miracolo-Stand etwas rechts oberhalb von S2 -> Boden. Das sind konkret nur 11 Manöver, die wirklich speditiv gehen, so waren wir nach 1:15h bereits etwas vor 19.30 Uhr wieder am Einstieg. Auch hier soll aber Safety vor Speed kommen und es sei erwähnt, dass das Seil öfters nur knapp reicht! Somit blieb uns nur noch der Fussabstieg zurück zum Ausgangspunkt. Um 20.15 Uhr waren wir retour beim Parkplatz, macht 13:30h für die komplette Runde und ich denke, dass eine Zeit von gut 2 Stunden für Lilienspitz - Gletscherschlucht mit einem Fussabstieg ohne Routenkenntnis und das Eingehen von ungebührlichen Risiken kaum zu machen ist. Freude, Stolz, tiefe Zufriedenheit - es ist schwierig, die Emotionen nach dieser Tour, auf welche ich lange Jahre gewartet hatte, zu beschreiben. Und dann war ja auch noch alles perfekt und wie erhofft aufgegangen. Vielleicht mochte dieser laaaange Bericht ein wenig etwas davon zu vermitteln. Und sonst gibt es noch das live vor Ort kommentierte Video, das weitere Eindrücke liefert :-)



Facts

Wellhorn - Gletschersinfonie 6c+ (6b obl.) - 25 SL, 900m - K. & R. Ochsner, M. Pitelka 1988 - *****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-1

Viel besser kann alpines Sportklettern nicht sein. Diese Route hat Weltruhm und dies absolut zurecht, da gibt es keine Zweifel an der Höchstnote. Nein, der Fels ist nicht auf jedem Meter (aber vielerorts) perfekt, zwei längere Schrofenabschnitte müssen auch bewältigt werden. Aber in der Summe ist es ein sehr eindrückliches Erlebnis mit unzähligen genialen Kletterzügen. Das erste Drittel wartet mit einem Mix von Steilplatten und athletischer Wandkletterei auf, im zweiten Abschnitt dominieren die Steilplatten, teils mit Wasserrillen und Knobs, während in der Schlusswand monumentale technische Wandkletterei wartet.

Die Absicherung darf man seit der letzten Sanierung 2012 als gut bezeichnen. Im leichteren Terrain warten immer wieder grössere Abstände, die sich aber mit etwas kühlem Blut immer gut auflösen. Die schwierigen Kletterstellen ab ca. 6a und mehr (nach der alten Ochsner- und Wenden-Skala) sind vernünftig behakt. Zu einem grossen Teil handelt es sich bei den Sicherungen um solide Inoxbolts, hier und da wurde auch noch ältere Ware belassen. Die plattig-kompakte Felsstruktur bietet sich nicht gerade an, um ausgiebig mobile Sicherungen zu platzieren. Hin und wieder liefern diese aber doch einen entscheidenden Beitrag zu Sicherheit und Wohlbefinden. Wir haben uns entschieden, ein Set Cams von 0.2-1 mitzunehmen und fanden das goldrichtig so. Psychisch gefestigte Ultralight-Fetischisten könnten eventuell noch 0.75, 0.4 und 0.2 weglassen.

Sicht zum Dossen und dem Rosenlauigletscher.
Die Sonne scheint je nach Jahreszeit frühestens ab 7.30 Uhr auf den Einstieg (August 8.30 Uhr, September 9.30 Uhr), sie verlässt die Wand Mitte Nachmittag wieder. Für eine Begehung bieten sich insbesondere die langen Tage der zweiten Junihälfte und im Juli an. Sehr früh in der Saison, solange noch Schnee auf dem oberen Grasband liegt, kann Schmelzwasser Probleme bereiten. Gegen den Herbst hin werden die kürzeren Tage zum Handicap und die Sonne erscheint erst relativ spät am Einstieg, so dass man sicher noch in der schattigen Kälte starten sollte.

Ich kann nur mit Nachdruck empfehlen, ausschliesslich bei stabiler Wetterlage mit 0% Gewitterrisiko einzusteigen. Der Kessel des Rosenlauigletschers bleibt lange vor  Bewölkung verschont, man sieht die sich oft am Eiger zusammenbrauenden oder von Westen heranrückenden Gewitter nicht kommen. In der Wand gibt es nur wenig Schutz (beste Option ist die Nische nach L10), zusammen mit dem exponierten Gipfel, enormen Wassermassen und Steinschlag in der Wand gibt das einen potenziell tödlichen Mix - es ist kein Platz für "wir schauen mal"-Experimente. Es gibt in der Wand übrigens auch nur sporadisch Handyempfang (Swisscom, Stand Juni 2020), keinen Imbisskiosk und Getränkenachschub, das sollte bei der Planung ebenso berücksichtigt werden.

Goodbye-Gruss vom Wellhorn! Im Bild die Nordabdachung, über welche man zu Fuss absteigen würde.
Laut dem Routenbuch gibt es pro Saison ca. 5 komplette Begehungen, wobei manche Anwärter möglicherweise schon vor dem Top das Handtuch werfen müssen. Das beste Topo findet man im Extrem West, frei verfügbar ist dasjenige vom Rebolting-Team. Letzteres zeigt allerdings die Anzahl Haken im Originalzustand und nicht nach den beiden Sanierungen (K. Ochsner 2003 & R. Schmid 2012) - es steckt also (v.a. unten, teils in der Mitte, oben dafür kaum mehr) zusätzlich Material. Letzter Hinweis: im unteren Teil verläuft die enger geboltete Miracolo abschnittweise gemeinsam mit der Gletschersinfonie und bietet entsprechend Gelegenheit, sich zu verkoffern.