Matterhorn Nordwand, ein Traum und ein Mythos! Den Gipfel des Toblerone-Berges hatte ich bereits an einem Traumtag im August 2001 zusammen mit Peter über den Hörnligrat erreicht. Für einen echten Schweizer Alpinisten gehört das unverrückbar zum Curriculum, und entsprechend glücklich waren wir auch über diese Tour. Die Route durch die kalte Nordseite, bereits 1931 von den Gebrüdern Franz und Toni Schmid in kühner Manier nach einer Velo-Anfahrt von München erstbegangen war aber natürlich ebenso anziehend. Irgendwie aber auch sehr fern, da die Schwierigkeiten nicht unerheblich sind, der Nimbus gewaltig ist und die Gerüchte der schlechten Absicherbarkeit des Geländes ziemlich abschreckend. Nach dem extrem feuchten Sommer 2014 stellten sich jedoch in der Nordwand hervorragende Verhältnisse mit idealer Vereisung der Route ein. Auf den Social Media wurden immer wieder Appetithäppchen präsentiert, denen schlussendlich manche nicht widerstehen konnten - so auch ich nicht.
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Unsere Route durch die Matterhorn Nordwand - ein gewaltiges Erlebnis! |
Letztlich waren für mich ein paar Dinge entscheidend, damit es mit der Begehung klappte: die konkrete Anfrage von Torsten, der
Eintrag von Rufus mit der Aussage "
Fantastic conditions! The route probably never gets easier than it is at the moment. Get on it before the weather changes.", das zu 100% sonnig, windarm, mild oder schlicht
perfekt angesagte Wetter und zuletzt konnte ich mir selber auch ein Fenster von 3 Tagen schaffen, wo ich von weiteren Verpflichtungen frei war. Der einzig negative Punkt war, dass mich mit Torsten zwar eine elektronische Freundschaft verband, wir aber noch nie zusammen in den Bergen unterwegs gewesen waren. Dies sollte jedoch kein Stopper sein: ich traute mir zu, die ganze Route im Vorstieg zu begehen und war von daher weniger zwingend von den Fähigkeiten meines Partner abhängig. Ebenso sinnierte ich darüber, dass sich in der Summe aller Gegebenheiten (Verhältnisse, Wetter, Partner, Zeit) über die nächsten Jahre bis Jahrzehnte wohl nicht so rasch wieder ein ähnlich optimales Paket einstellen würde. Und sowieso, mit genauer und ehrlicher Kommunikation kann man die potenziell negativen Auswirkungen einer ersten gemeinsamen Tour stark abmildern und in der Tat lief dann auch alles wie am Schnürchen, oder eben bei einer eingespielten Seilschaft ab, so wie ich es erwartet hatte. Zuletzt sei noch gesagt, dass ich natürlich nicht einfach so mir nix dir nix mit einem Unbekannten in eine grosse Wand einsteige. Das Feeling dabei muss schon passen, was es eben tat und dies auch völlig zurecht.
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Bei der Station Trockener Steg (2939m), wo die Ski-Nationalmannschaften schon fleissig trainieren. Hier geht's los! |
Am Freitag rief dann erst noch die Arbeit, doch schliesslich konnte ich am späten Vormittag aufbrechen, so dass es noch vor der Dunkelheit bis zur Hörnlihütte reichen sollte. Dort würde ich dann auch auf Torsten treffen, der bereits zuvor in den Bergen unterwegs war und den Hüttenweg schon früher am Tag unter die Füsse nehmen konnte. Weil die Bahn via Schwarzsee nicht in Betrieb war, musste der Zustieg entweder von Zermatt/Furi oder dann vom Trockenen Steg aus erfolgen. Ich dachte mir, lieber ein paar Fränkli mehr investieren und etwas Kräfte sparen und nahm somit die Bahn. Wie auf der
Karte ersichtlich, geht's vom Trockenen Steg im Gegenuhrzeigersinn um den Theodulsee herum, dann über das Seenplateau im Vorfeld des Theodulgletschers weiter und schliesslich nach NE zu P.2775 beim Hirli, wo man auf den normalen, von Schwarzsee kommenden Weg zur Hörnlihütte trifft. Das Schlussstück zur Hütte wurde bereits deutlich bequemer mit den Steigeisen an den Füssen passiert und gab einen ersten Vorgeschmack auf die Tour. Kurz vor 17.00 Uhr traf ich schliesslich ein. Torsten hatte mich schon unterwegs über einen gewissen Andrang vorgewarnt, mit mir waren auch nochmals 3 Seilschaften aufgestiegen und so waren total dann etwa 25 Leute vor Ort. Ich hatte nie damit gerechnet, alleine zu sein, auf so viele Anwärter hätte ich dann aber doch auch wieder nicht geschätzt. Aber tant pis, das würde schon gut kommen. Vorerst galt es noch, sich einen Platz zu suchen. Die Hörnlihütte war geschlossen, offen war nur ein feucht-kaltes Kellerverlies, mit einem unebenen Boden und bereits richtig vollgestopft. Für mich war bald klar, dass ich dort drin sicher nicht nächtigen wollte. Auf der Veranda unter freiem Himmel sagte es mir schon deutlich mehr zu, Matte und Schlafsack hatte ich selbstverständlich dabei.
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Der Blick zurück beim Hüttenzustieg auf dem Vorfeld des Theodulgletschers: Monte Rosa, Liskamm, Breithorn & Klein Matterhorn. |
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Das ist der Blick in die andere Richtung, mit bester Aussicht auf die Matterhorn Ostwand. |
Vor der Nachtruhe galt es noch, die richtige Taktik und den Zeitplan zu finden. Für den Aufstieg zum Gipfel kalkulierten wir mit einer Zeit von 8-10 Stunden, und für den Abstieg über den bereits stark verschneiten Hörnligrat wären dann nochmals 5-6 Stunden einzuplanen. Mit einer ordentlichen Pause auf dem Gipfel musste man also durchaus mit einem Zeitaufwand von 15-16 Stunden von Hütte zu Hütte rechnen. So weit so gut, nur ist es anfangs November pro Tag nur noch gute 11 Stunden hell, somit musste also ein nicht unwesentlicher Teil der Tour in Dunkelheit stattfinden. Dass es deutlich angenehmer ist, wenn dies am Anfang statt am Schluss ist, versteht sich von selbst. Zumal man mit einem frühen Aufbruch auch mehr Reserven hat und sich in der Perlenkette der Nordwand-Seilschaften entsprechend weiter vorne einreihen kann. So kam es schliesslich, dass 1.30 Uhr als Aufbruchszeit bestimmt wurde, das würde dann gemäss Plan gerade reichen, um noch bei Tageslicht zur Hütte absteigen zu können. Nach einer letzten kleinen Mahlzeit krochen wir schon bald in die Schlafsäcke, denn um 18.00 Uhr war es bereits zappenduster und trotz den für die Jahreszeit sehr milden Temperaturen war es auf 3270m doch nicht wirklich gemütlich, um noch länger im Freien zu bleiben. Mit meiner Neuanschaffung von diesem Jahr für genau solche Touren, einem hochwertigen 800g Daunen-Schlafsack war ich zwar sehr zufrieden und mir war schön warm, seinen Job als Schlafsack erfüllte er hingegen nicht wirklich. Wer ist denn an einem Vorabend schon schläfrig, insbesondere wenn es demnächst mit einer der grössten Touren im Leben losgeht. Anyway, ein bisschen dösen und mich ausruhen konnte ich trotzdem, bevor wir dann etwas nach 1.00 Uhr in den Tag starteten. Guten Mutes, voller Energie und mit dem richtigen Mindset stand ich auf, ich fühlte mich auch ohne richtigen Schlaf hellwach und freute mich auf die bevorstehende Aufgabe.
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Ankunft bei der geschlossenen Hörnlihütte. Wo schläft man lieber - auf der feinen Holzterrasse, oder... |
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...im dunkeln, kalten und feuchten Kellerverlies, das sich hinter dieser Türe versteckt. Für mich war's keine Frage. |
Wir klaubten unsere Biwakausrüstung zusammen und verstauten sie in den Rucksäcken, denn sie sollte auf die Tour mitkommen. Es vermittelt einfach ein gutes Gefühl, wenn man weiss, dass man auf solch langen Touren an solch kurzen Tagen notfalls am Berg übernachten kann, ohne frieren zu müssen. Das war das eine Kilogramm Zusatzgepäck durchaus wert. Bei meinem letzten Biwak im Abstieg von der Grandes Jorasses Nordwand hatte ich nur meine Daunenjacke und einen Folien-Notbiwaksack dabei. Das wiegt zusammen auch 800g, bringt aber massiv weniger Wärmeleistung und dementsprechend gefröstelt hatte ich damals. Das Frühstück beschränkte sich dann auf ein paar Schluck Tee, zum Essen war weder Appetit, noch Zeit und Lust vorhanden. Aber kein Problem, ich weiss dass ich bei solchen Leistungen nicht auf Nahrungsaufnahme angewiesen bin und daher im Zweifelsfall auch lieber darauf verzichte. Als wir um Punkt 1.30 Uhr aufbrachen, lagen die meisten Anwärter noch in ihren Schlafsäcken. Nur ein ortskundiges Schweizer Duo und ein Walliser Führer mit Gast waren kurz vor uns aufgebrochen und markierten mit ihren Lampen ideal die zu wählende Grobrichtung, für die Feinorientierung war die bestens ausgetretene Spur perfekt. Bis jetzt war unsere Taktik also voll und ganz aufgegangen :-)
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Die kurze Stufe, welche aufs obere Plateau des Matterhorngletschers führt, war absolut problemlos. High life um 2.00 Uhr morgens! |
Die Tour startet mit einem kurzen Aufstieg zu P.3279, wo sich der Einstieg zum Hörnligrat mit einem an Fixseilen zu überwindenden Felsriegel befindet. Für uns indessen hiess es rechts abbiegen, um den untersten Felsen der Nordwand entlang etwa 400m nach Westen abzusteigen. Rund 60hm werden dabei vernichtet, danach steht man vor einem kurzen Riegel, welcher den Aufstieg zum oberen Plateau des Matterhorngletschers erlaubt. Von einem Fixseil und felsigen Passagen erzählen einem viele Beschreibungen, gesehen habe ich bei den aktuellen Verhältnissen weder das eine noch das andere. Nach ein paar Metern wird's schon bald wieder weniger steil, und schliesslich hält man sich weitere 500m horizontal nach Westen. Bald führten uns die Spuren zum Bergschrund, den wir um 2.30 Uhr also einer knappen Stunde ab der Hütte erreichten. Zu überwinden war er ohne grössere Probleme, und bald darauf stapften wir in gut ausgetretener Spur in perfektem Trittfirn in die Höhe. Die Steilheit zu Beginn wohl knappe 50 Grad, die zunehmende Tiefe konnten wir nur erahnen. Anzuseilen war vorerst komplett unnötig, doch mit der Zeit tauchten die ersten Passagen auf, wo die Schneeauflage dünn bis inexistent wurde und man einige Meter im Eis klettern musste, das bisweilen dünn und felsdurchsetzt war.
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Sieht fast gleich aus wie zuvor, ist nun aber der Bergschrund. Es ist 2.30 Uhr morgens, 1h nach Aufbruch bei der Hütte. |
Als dann der Bergführer vor uns seinen Gast deponierte und nicht mehr gemeinsam mit ihm am kurzen Seil weiterstieg, nahmen wir dies als Zeichen nun ebenfalls das Seil anzulegen. Ich machte mich an den Vorstieg, diagonal nach rechts oben ging es weiter, wie bis anhin natürlich in Dunkelheit. Als das Seil aus war, stiegen wir gemeinsam am langen Seil weiter, ab und an eine Eisschraube platzierend. Schliesslich war alles Material ausgeschossen, und Torsten übernahm für eine weitere Sequenz, welche an einem NH-Stand im Fels endete. Wir konnten nur erahnen, dass dies das obere Ende des Einstiegseisfelds und quasi die Eintrittspforte in den mittleren Wandteil mit der Naht sei. Ich war wieder dran und tatsächlich entpuppten sich die nächsten, felsigen Meter als das mit M4 bewertete Teilstück, also nominell eine der ersten Schlüsselstellen der Wand. Danach wurde das Seil noch ausgeklettert, bis zu einem NH-Stand rechts im Fels am Eingang der Naht. Dieser folgten wir in drei Seillängen à 50m, dazwischen waren jeweils Stände an NH. Das Gelände in diesen drei Naht-Längen ist nicht extrem steil (so zwischen 50 und 75 Grad), meist traf man trittigen Styroporschnee, Eis und manchmal über einige Meter auch felsdurchsetztes, aber einfaches Mixedgelände (M2/M3).
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Typisches Gelände in der Rampe, Eis und easy Mixed. Yours truly im Vorstieg... |
So kamen wir rasch vorwärts, langsam begann es zu tagen und wir standen schliesslich unter einem steilen, verschneidungsähnlichen Kamin. Ich war mit dem Vorstieg dran und erinnerte mich an Beschreibungen, welche hier eine Traverse nach rechts vorschlugen, vom mit M5 angegebenen Kamin wurde hingegen abgeraten. Der Punkt war nur, dass rechts hinaus keine Spuren führten, das Gelände nicht einladend aussah und mir somit auch nicht viel anderes übrig blieb, als gerade hinauf anzupacken. Die steile Zone liess sich in gut strukturiertem Fels in Drytool-Manier sauber bewältigen, bevor es rechts raus ging und man in etwas undefiniertem Mixed-Gelände höher stieg. Hier musste ich an einer Stelle auch einen 10m-Runout vergegenwärtigen, wo jetzt echt nichts unterzubringen war. Zum Schluss dieser ausgewachsenen 50m-Länge geht's dann wieder etwas nach links, man klettert dabei in sehr schönem, dicker gewachsenem Eis. Der NH-Stand befindet sich geradeaus am Fels, ebenso waren 3 Biwak-Plattformen herausgehauen. Nun wurde ich endgültig mit Tageslicht beglückt und konnte mir beim Nachsichern endlich so richtig bewusst werden, wo wir uns eigentlich befanden. Was ich zu diesem Zeitpunkt hingegen noch nicht richtig erfassen konnte war die Tatsache, dass ich eben die Cruxlänge geklettert war.
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Tiefblick von Torsten im Nachstieg auf die Cruxlänge (M5), hinten folgt bereits der Vorsteiger der nächsten Seilschaft. |
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Die letzten Meter dieser M5-Crux dann gäbig im Eis, nur über die gelben und braunen Streifen der Biwakierer muss man noch hinweg. |
Nach einer Weile war Torsten da, inzwischen hatten uns drei Sologänger passiert und einige weitere Seilschaften waren uns ebenfalls auf den Fersen. Wo ging es denn weiter? Links hinauf zog ein wunderbares Eiscouloir, welches aber eine falsche Fährte darstellt und irgendwo auf Höhe der Schulter zum Hörnligrat führt. Wir mussten hart nach rechts traversieren, nach etwa 10m geht's leicht aufsteigend um die Ecke und ein 30m-Quergang über vereiste Platten folgt. Bei (zu) wenig Eis ist das sicher total eierig und kaum zu sichern, bei uns war es einfach zu gehen und an einer Stelle konnte man eine Schraube auch rund 6cm eindrehen. Zum Schluss steigt man nochmals etwas auf, bevor man in einer letzten Querung den schönen 80-Grad-Eisfall (WI4+) erreicht. Dieser führte über ca. 20-30m in genussreicher, gut ausgehackter Eiskletterei zum NH-Stand rechts auf einer Kanzel. Auch wenn der Eisfall (steiler werdend) noch weiter nach oben führt, so macht die Route hier eine weitere Traverse nach rechts, die ohne Kenntnis der genauen Gegebenheiten wenig offensichtlich ist. Es handelt sich hier um eine weitere Cruxpassage (erst Mixed, dann Tooly-Gelände im Fels, Bewertung M4) zu einem NH-Stand kurz bevor es ums nächste Eck geht.
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Screenshot aus dem Video, das über den neuen Speed-Rekord (1:46h) von Dani Arnold im April 2015 berichtet. Man sieht hier sehr schön das oben im Text erwähnte Eiscouloir, das vom Ende der Schlüsselstelle am Ende der Naht nach links hochzieht und eine falsche Fährte darstellt. Stattdessen muss man wie erwähnt hart nach rechts traversieren, kombiniert um die Ecke hochsteigen, um in einem Quergang die vereisten Platten zu erreichen. Etwas rechts ausserhalb vom Bildausschnitt befindet dann der Eisfall (WI4+). |
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Der Autor im Nachstieg am 80 Grad Eisfall etwas nach der Wandmitte. |
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Torsten folgt in der Querung danach (M4). Hinten Seilschaften im Eisfall bzw. dem Stand auf der Felskanzel danach. |
An dieser Stelle enden die Hauptschwierigkeiten der Wand. In zwei langen Seillängen klettert man leicht ansteigend nach rechts hinaus, um eine etwas weniger steile Eis-/Firnflanke zu erreichen, welche zum obersten Zmuttgrat hinaufführt. In diesem letzten Teil lässt es sich gut wieder gemeinsam am langen Seil aufsteigen. Allerdings hatten wir die 4000er-Grenze inzwischen schon deutlich überschritten, so ganz ohne Akklimatisation machten sich die Anstrengungen langsam bemerkbar und die Leichtfüssigkeit kam uns abhanden. Schritt für Schritt gewannen wir aber doch an Höhe, wobei die letzten ca. 50m auf den Grat hinauf dann nochmals etwas heikler waren. Schnee und Eis bedecken dort sehr lose Felsen. Obwohl sich alle Vorgänger vorbildlich verhielten, kam doch dann und wann etwas Ungutes von oben. Zudem wird an jener Stelle auch die Absicherung schwieriger, und das Gelände ist etwas unangenehm, wenn auch nicht steil oder schwierig. Folgte man aber etwas mäandrierend den Stellen mit guter Schnee- oder Eisauflage, so ging es doch ganz vernünftig. Um 10.15 Uhr erreichte ich schliesslich den Zmuttgrat auf rund 4340m. Noch fehlten 140hm zum Gipfel und es war klar, dass dies auch nicht bloss Gehgelände wäre. Begeht man den Zmuttgrat, so kommt man an dieser Stelle nämlich gar nicht vorbei, sondern quert schon davor über die Galerie Carrel zum Italienergrat hinüber. Auf jeden Fall, diesen letzten Aufschwung mit einer Stelle III+ im Fels bewältigten wir auch gut, um dann über letzte 45-50 Grad steile Schneehänge zum Gipfel zu streben. Um 11.30 Uhr traten wir ziemlich genau 10 Stunden nach unserem Aufbruch in der Hütte immens glücklich auf dem Gipfel ein.
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Schlussstück zum Zmuttgrat hoch, easy Mixedkletterei über etwas lose, nicht so gut abzusichernde Felsen. |
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Den Zmuttgrat auf ca. 4340m erreicht, geht's jetzt diesem entlang mit Abweichungen in der Nordflanke zum Gipfel. |
Auf dem Italienergipfel war südseitig ein schön flacher Platz vorhanden (man könnte auch ideal biwakieren), es war windstill und die Sonne lachte uneingeschränkt vom Himmel. Die Temperaturen waren äusserst mild und die Fernsicht perfekt, so dass man es richtig geniessen konnte. Wir kochten uns je einen halben Liter Tee und ja genau, an Essen und Tranksame hatten wir an diesem Tag bisher noch wenig bis nix zu uns genommen! Irgendwie waren wir die ganze Zeit so beschäftigt und aufs zügige Fortkommen fixiert, dass uns der Gedanke an eine Pause gar nicht erst in den Sinn kam. So schön die Gipfelrast auf 4478m auch war, so leicht unrelaxt ist sie auf dem Matterhorn eben doch. Der Abstieg ist noch sehr lang und führt über 1200hm nonstop durch Absturzgelände, wo die Konzentration keine Sekunde nachlassen darf. Im Gegensatz zu einer normalen Matterhorn-Besteigung hatten wir auf dem Gipfel vielleicht nicht nur die Hälfte, sondern bereits zwei Drittel des Pensums absolviert, dennoch wartete noch ein happiger Brocken. So brachen wir denn auch nach einer halben Stunde wieder auf und querten zum Schweizer Gipfel hinüber. Auf dem Dach lag eine formidable Spur und was mir 12 Jahre zuvor noch wahnwitzig steil vorgekommen war, liess sich jetzt gut im Vorwärtsgang absteigen. Die senkrechte Passage an den Fixseilen seilten wir in 2x25m ab, um dann weiteren Tauen entlang auf die Schulter abzusteigen.
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The place to be... Matterhorn Italienergipfel P.4476.4 |
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Blick zum Kreuz und in die grandiose Bergwelt. Dort oben ist man dem Himmel näher als der Erde! |
Ziemlich balancy geht's über den Grat oberhalb der Schulter, ist man einmal im Schneefeld darunter, so kann man wieder an Stangen abseilen. Wir hatten wegen einer polnischen 3er-Seilschaft eine Wartezeit zu überbrücken - kam mir gerade recht, an dieser Stelle holte mich auch eine kleine Krise ein und ich war froh, mich ein paar Minuten hinsetzen zu können. Die Polen übrigens, auch ein total krasses Trio: zwei Männer und ein Frau, alle Mitte 20, waren sie bereits 24 Stunden vor uns aufgebrochen und hatten unter dem Gipfel biwakieren müssen. Am heutigen Tag waren sie schwer in die Gänge gekommen und hatten noch nicht viel an Weg zurückgelegt. Nachdem wir sie überholen konnten, waren sie auch schon bald wieder aus dem Blickfeld verschwunden. In der Tat war es dann so, dass sie eine dritte Nacht am Matterhorn verbrachten, und erst am folgenden Morgen bei der Hörnlihütte eintrafen. Nur, um dann ihren Klettermarathon sofort mit einem Fussabstieg nach Zermatt zu ergänzen und mit dem Auto unverzüglich in ca. 18h nach Polen retour fahren zu müssen, weil am Montagmorgen wieder die Arbeit rief. Tja, die Bergsteigerei ist eine Leidenschaft, die Leiden schafft!
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Im langen Abstieg über den Hörnligrat, irgendwo zwischen Schulter und Solvayhütte beim Seilhandling. |
Wir indessen erreichten mit einer etwas mühsamen Abfolge von 10m abseilen - Seil aufnehmen - etwas absteigen - 10m abseilen - ... nach gefühlten zwei Dutzend Wiederholungen die Solvayhütte etwa 2h nach dem Aufbruch vom Gipfel. Hier gönnten wir uns nochmals eine Pause, schmolzen Schnee und kochten uns einen weiteren Tee. Nun waren wir zuversichtlich, es noch bei Tageslicht vom Berg zu schaffen, und so kam es dann auch. Zwar war das Gelände im Vergleich zum Sommer stark verschneit und dadurch deutlich schwieriger zu begehen. Trotzdem wurde die Notwendigkeit von Abseilmanövern seltener und man konnte immer längere Teilstücke ohne zu sichern absteigen. Fehler sind aber trotzdem keine erlaubt, erst nach der letzten Fixseilpassage zu P.3279 endet die Absturzgefahr, so dass Handshake und Selfie angebracht waren. In wenigen Minuten erreichten wir die Hörnlihütte und nun war ein Entscheid gefragt: verbringen wir hier nochmals eine Nacht, oder wird noch zu Fuss in ca. 3.5h nach Zermatt abgestiegen?!? Irgendwie hatte ich schon Sehnsucht nach einer Dusche und einem richtigen Bett, mit einigen Nachtzügen hätte ich es bis um 2 Uhr morgens sogar ganz nach Hause schaffen können. Allerdings, wir waren auch ziemlich platt und nun noch durch die Dunkelheit zu watscheln war alles andere als attraktiv. Also kochten wir uns nochmals einen Tee, zum Essen verspürte ich absolut keine Lust. Als dieser getrunken war, zogen wir Matte und Penntüte aus meinem Rucksack und ich legte mich erneut auf der Veranda hin. Dieses Mal ging es nicht lange, bis ich eingeschlafen war!
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Im Abstieg unterhalb der Solvayhütte. Es ist einfacher dort, aber immer noch Absturzgelände. |
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Die Stimmung ist aber prima, denn bald haben wir es geschafft. Es wird noch bei Tageslicht zur Hörnlihütte runter reichen. |
Am nächsten Morgen standen wir dann beim Hellwerden gemütlich auf, verstauten die Ausrüstung in den Säcken und machten uns an den Abstieg. Dieser hatte nur bis zum Schwarzsee zu erfolgen, von dort gelangten wir bequem mit der Bahn nach Zermatt. Gemütlich konnten wir durchs Dorf schlendern, kauften frische Backwaren und Kaffee. Genüsslich in der Sonne sitzend konnten wir das Mahl aufs Äusserste geniessen, das war jetzt ein absolut genialer Tourenabschluss! Danach trennten sich unsere Wege auch schon wieder, Torsten wollte für einen Versuch am Breithorn-Younggrat vor Ort bleiben. Ich setzte mich in den Zug und fuhr höchst zufrieden in freudiger Erwartung auf Familie, Dusche, dem warmen Wohnzimmer und dem gemütlichen Bett nach Hause.
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Beim Erwachen am Morgen nach der Tour. Not a bad place to be... |
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Modellvorstellung meiner Tochter daheim. Papi, Schlafsack, Matte und Zelt. Extra für mich gebastelt, auch wenn ich 2x nacheinander weggeblieben bin um ihr die Gutenacht-Geschichte zu erzählen. Wurde aber aufgrund besonderer Umstände verziehen ;-) |
Facts
Matterhorn - Schmid-Route (TD/+, WI4+, M5) - 1100m, V - Franz und Toni Schmid 1931
Klassisches Nordwandabenteuer am bekanntesten Berg der Alpen, ein unvergessliches Erlebnis! Die Erstbegeher wurden für ihre Leistung sogar mit einer
olympischen Goldmedaille ausgezeichnet und trotz dem technischen Fortschritt ist es nach wie vor eine grosse Tour. Nach einem noch nicht allzu schweren Einstiegseisfeld warten ca. 10 Seillängen in kombinierter Kletterei, wobei man beständig diagonal nach rechts oben traversiert. Danach folgt ein wiederum etwas einfacheres Ausstiegs-Eisfeld, etwas Kraxelei über den Zmuttgrat und ein langer Abstieg über den Hörnligrat. Der Fels in der Nordwand ist eher plattig und generell nicht über jeden Zweifel erhaben, die Tour ist als schlecht abzusichernder Bruchhaufen verschrien. Bei idealer Vereisung, wie sie bei unserer Begehung anzutreffen war, ist dies jedoch nicht akut. Die Kletterei empfand ich als genussreich, kaum brüchig und mit Eisschrauben, Cams und den vorhandenen NH konnte bei entsprechendem Können und Erfahrung vernünftig gesichert werden - ich musste mich jedenfalls an keiner Stelle fürchten.
Die Route ist je nach Quelle mit einer Gesamtbewertung von TD oder TD+ (d.h. SS oder SS+) eingestuft. Bei guten Verhältnissen mag dies passen, bei schlechten Bedingungen kann es sehr wohl massiv schwerer erscheinen und heikel sein. Man lasse sich nicht durch den Vergleich zu mit TD bewerteten, kurzen Alpinsportrouten wie beispielsweise der
Modica-Noury am Tacul einlullen. Diese ist vielleicht technisch sogar etwas schwerer, aber auch viel weniger ernsthaft. Im Eis wird maximal WI4+ veranschlagt, was im Vergleich zum den Chamonix-Eisbewertungen nach dem Damilano-Führer durchaus passt. Bei der Schweizer Eisfall-Bewertung wird aber normalerweise ein viel strengerer Massstab angelegt, so gesehen würde auch WI3+ reichen. Was die Mixed-Bewertung von M5 angeht, das passt meines Erachtens ebenfalls vernünftig, wenn ich den Quervergleich nach Chamonix oder ans Rubihorn ziehe. Eine weitere Schwierigkeit ist die Orientierung: wenn keine Spur liegt, dann kann man es vergessen, im Dunkeln zu klettern, der Weg ist +/- unmöglich zu finden. In diesem Fall sollte man so planen, dass es spätestens am Bergschrund hell ist. Und auch dann benötigt man noch eine gute Spürnase.
Die normale Begehungszeit (Hütte-Gipfel) bei guten Verhältnissen und vorhandener Spur liegt bei rund 8-10 Stunden. Um dies zu erreichen, muss im Einstiegs- und Ausstiegseisfeld seilfrei oder gemeinsam am langen Seil gestiegen werden, von Stand zu Stand zu sichern liegt nur im schweren Mittelteil drin. Für den Abstieg über den Hörnligrat muss man dann auch nochmals 5-6 Stunden kalkulieren. Ansonsten spricht die Aufstiegs-Rekordzeit von 1:56h von Ueli Steck für sich, allerdings gibt es auch bei den aktuellen Verhältnissen
Seilschaften, welche 2 Biwaks für die Tour benötigen. Den besten Biwakplatz unterwegs findet man vor der Rechtsquerung nach der Naht, d.h. ungefähr in der Hälfte. Ebenso kann man am Zmuttgrat vernünftig biwakieren, und am Italienergipfel sogar ziemlich gut. Im Abstieg gibt's dann natürlich die Solvayhütte. Ein Rückzug ist bis zum besten Biwakplatz (d.h. den Stand nach der M5-Länge am Ende der Naht) zumindest denkbar. Mit 2x50m-Seilen sollte man an den NH-Ständen zum Einstiegs-Eisfeld abseilen können, von dort muss dann abgeklettert werden oder man seilt an Abalakovs ab. Aus dem zweiten Routenteil ist ein Rückzug nahezu unmöglich. Helikopter-Rettungen aus der Nordwand sind durchaus nicht selten,
hier findet man einen Beschrieb dazu. Handy-Empfang ist in der ganzen Wand übrigens gewährleistet.
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Goodbye! Auf dem Weg nach Zermatt... ständiges Umdrehen und wieder Hochschauen natürlich inklusive. |
Material
Wir hatten uns auf 4 Exen, 6 Schrauben und 1x50m-Seil beschränkt. Das mit dem Seil würde ich wieder so machen, ansonsten aber eher etwas mehr mitnehmen. Eine Schraube trat bald einmal den Weg in die Tiefe an, eine weitere war nach einem Felstreffer dermassen stumpf, dass sie nicht mehr zu gebrauchen war. So waren wir beim gemeinsamen Steigen zu eher "kurzen" Seillängen gezwungen, mit mehr Material hätten wir vermutlich nochmals eine halbe bis ganze Stunde an Begehungszeit einsparen können. Meine Empfehlung ist also wie folgt:
Seil: 1x50m
Exen: 4 kurze und 6 vorbereitete, lange (60-120cm)
Schrauben: ca. 8 Stück, sinnvoll sind 4x10cm und 4x13cm
Keile/Cams: 1-2 Microcams, darüber Camalots C4 0.3-1, evtl. kleines Keilset
Normalhaken: 3 Stück - nicht zwingend nötig, aber auf einer solchen Tour nie falsch
Biwakmaterial: Matte, Schlafsack, Jetboil-Kocher. Oder bist du mit Sicherheit schnell genug?
Die Seilschaft vor uns (Bergführer mit Gast) verwendete kleine PMR-Funkgeräte zur Kommunikation untereinander beim Steigen am langen Seil. Das dünkte mich ideal, ansonsten ist es im Dunkeln meist gar nicht so einfach mitzukriegen, was der Partner 50m weiter oben oder unten genau macht. Zum gemeinsamen Steigen am langen Seil sind dann natürlich auch 2-3 Ropeman- oder Tibloc-Sicherungen anzuraten. Ein weiterer, vielleicht sehr hilfreicher Tipp ist es, ein Bike auf Schwarzsee zu deponieren. Man kann es mit der Bahn nach oben bringen und es erspart einem vielleicht eine weitere Nacht bei der Hörnlihütte. Von dieser erreicht man Schwarzsee und das Bikedepot in einer guten Stunde und rauscht dann zügig nach Zermatt runter, während man zu Fuss sicher nochmals 2-2.5h läuft.
Topo
Ich habe mir die Zeit genommen, um eine genaue Routenbeschreibung in Worten zu verfassen. Man kann diese als
PDF-File downloaden. Aufgrund des internationalen Publikums in dieser Route habe ich entschieden, diese in englischer Sprache zu schreiben. Ebenso habe ich auf zwei Wandfotos den Routenverlauf, die eingerichteten Standplätze sowie diverse Zusatzinformationen eingezeichnet. Diese mögen ebenfalls hilfreich sein, sind unten aufgeführt und stehen aber ebenfalls zum Download zur Verfügung (
1,
2). Ein qualitativ hochwertiges, sehr empfehlenswertes
Wandbild mit eingezeichnetem Routenverlauf findet man auf der Seite von Alex Buisse.
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Matterhorn Nordwand: Routenverlauf |
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Matterhorn Nordwand: Routenverlauf |
Epilog
Seit der Tour ist inzwischen eine Woche vergangen. Vor erst 7 Tagen hielten wir noch leicht bekleidet in angenehmer Wärme auf beinahe 4500m eine gemütliche Gipfelrast. Inzwischen ist es aber kalt und garstig geworden, sogar bei mir zuhause liegt schon Schnee. Einfach genial, dass wir die gebotene Chance packen konnten! Seither habe ich mich viele weitere Stunden mit dem Verfassen des Berichts, dem Studium von Wandfotos, dem Aufbereiten der Fotos und dem Zeichnen der Topos verbracht, und dabei die Route nochmals in allen Details und Facetten zu erfassen versucht. Die Begehung und die Beschäftigung danach haben mir sehr grosse Freude gemacht!
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Back on safe terrain... nach einer meiner besten Touren bisher! |
Klar, solch herausragende Erlebnisse können nicht alltäglich sein. Trotzdem rufen erreichte Ziele nach neuen Herausforderungen. Von den
6 grossen Alpen-Nordwänden sind mir bis jetzt 5 Stück, nämlich jene von
Grosser Zinne,
Piz Badile,
Eiger,
Matterhorn und
Grandes Jorasses von eigenen Touren bekannt. Fehlen tut mir noch die Petit Dru Nordwand und natürlich die 1938er-Route der Erstbegeher in der Eiger Nordwand. Ebenfalls ganz hoch auf meiner Wunschliste ist die Nordwand der Droites (4000m) bei Chamonix. Oder die Lauperroute am Mönch. Vielleicht klappt's ja in diesen gut vereisten Zeiten mit der einen oder anderen Route. Alles was ich tun kann ist beobachten, bereit sein und auf eine günstige Konstellation hoffen. Die Motivation ist auf jeden Fall da!