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Montag, 23. Februar 2015

Kandersteg - Bück Dich (M7+)

Auch wenn mein Blog dadurch von den Bots in eine komplett falsche Ecke gerückt wird: benannt ist der von uns gekletterte, grosse Mixed-Klassiker nach dem nicht ganz jugendfreien Rammstein-Song Bück Dich. Inspiriert ist dieser Name von der charakteristischen, sehr ausgesetzten Mixed-Traverse unter und über einen grossen Dach, die man durchwegs mit den Knie auf Ellenbogenhöhe klettert. Die Vögelein hatten uns von guten Bedingungen gezwitschert, und so machten wir uns erneut auf den Weg nach Kandersteg, dem Epizentrum der Schweizerischen Eis- und Mixedkletterei.

Blick auf die tolle Linie der Bück Dich im Sektor Staubbach bei Kandersteg.
Nach einer reibungslosen Anfahrt starteten wir den Zustieg um ca. 7.45 Uhr und standen eine gute halbe Stunde später unter dem Staubbach-Sektor. An diesem Tag waren wir als erste Kletterer zugegen. Ein kleines bisschen reizte es mich ehrlich gesagt, zum Aufwärmen noch den extrem begehrten Blue Magic (WI5+) anzupacken. Andererseits, wenn man sich auf eine schwere(re) Route vorbereitet und eingestellt hat, so ist es irgendwie auch komisch, dann doch zuerst woanders einzusteigen, zudem waren in der Bück Dich unsere vollen Kräfte gefragt. So machten wir uns wenige Tage nach dem letzten Mal wieder in derselben Grotte am Wandfuss der Lochroute bereit. Um ca. 8.45 Uhr startete ich mit der ersten Länge.

L1, 35m: Das letzte Mal hatte ich diese ziemlich homogen 80 Grad steile Länge mit eher wenig Eis im Nachstieg begangen und dank dem extrem strukturierten Eis keinen einzigen Pickelschlag tun müssen. Aber schon erstaunlich, wie sich das Eis innerhalb von nur wenigen Tagen verändert, obwohl an dieser Stelle kein Wasser fliesst. Es war viel glatter geworden, die Hooks waren längst nicht mehr so gut, ohne zu Schlagen zu klettern erschien mir absolut unmöglich. Genussvoll und gut abzusichern war es aber weiterhin, WI4- als Grad immer noch passend.

Yours truly unterwegs in L1 (WI4-), welche für die Lochroute und Bück Dich gemeinsam ist.
Quasi ein Pendant zu Ötzi, dieser BH am ersten Stand.
L2, 40m: Im Topo vom Hot Ice wird diese Teilstrecke als zwei Seillängen ausgewiesen, was aber (zumindest aktuell) überhaupt keinen Sinn macht. Der mittige NH-Stand ist von eher bescheidener Qualität, liegt rechts aussen abseits vom Schuss und sorgt in der Schlüsselstelle für einen wirklich ungünstigen Seilverlauf. Zudem reicht das Seil tiptop für die Verbindung, und auch Seilzug ist kein Faktor. Anyway, nach einem relativ einfachen Auftakt im Eis kommt bald das Pièce de Resistance der Route. Aus der Lochroute hatten wir hier ziemlich üble Stürze einer anderen Seilschaft beobachten können, und mit dementsprechend Respekt ging es ans Werk. Ein erster, felsiger Überhang will gemeistert sein - in gewissen Jahren geht der offenbar komplett im Eis, aktuell waren aber gegen 10m im Fels oder zumindest Mixed zu klettern. Drei Bohrhaken sichern die Stelle ab und damit sind die Abstände rein nach Adam Riese nicht sonderlich gross, aber die Sache hat es trotzdem in sich. Den ersten Bohri klippt man quasi aus dem Stehen unterhalb, dann die Geräte in einen seitlichen Riss, verdrehen und mit den Eisen auf Gegendruck, so dass man mit einem weiten Zug auf zwei kleine, wacklige aber positive Hooks kommt. Nun ist es noch ein weiter Zug zu einem grossen Plateau - dort gibt's leider keine schöne Vertiefung, aber halb im Dreck hielt die Haue dann doch... Absolutes Vertrauen in dieses mässig sitzende Gerät ist aber unabdingbar, denn schliesslich muss von hier ziemlich zwingend der nächste BH bei eher schlechten Trittmöglichkeiten geklippt werden. Ein Abgang hier wäre total ungeschmeidig, weil a) der nächste BH unter dem Überhang weiter innen steckt und man b) aufs flachere Eis darunter fällt. Anyway, der Klipp gelang, nun galt es noch dranzubleiben, um in nicht mehr so schwerem, aber dafür athletischem Gelände an passablen Hooks zu einem weiteren BH, einem guten Cam 0.75-Placement und dann ins Eis zu gelangen. Dort lassen die Schwierigkeiten rasch nach, und genüsslich erreicht man den nächsten, bequemen Stand. Mit der richtigen Beta (man kann dem Vorsteiger ideal zuschauen) ging es für mich im Nachstieg ohne grössere Schwierigkeiten. Trotzdem, M7 ist wohl die allerunterste Grenze für die hier wartenden Schwierigkeiten, ich fand diese Länge zudem auch schwerer und zwingender wie die folgenden beiden - die Stelle vom ersten zum zweiten Bolt ist sicherlich die Vorstiegscrux der Route.

Detail und BH-Platzierung in der mit M7 bewerteten L2.
Der Vorsteiger unterwegs, die heikelste Passage ist eben gemeistert.
Stilstudie des Nachsteigers im Softeis-Schild zum Stand hoch. Sieht ganz locker aus, die gepumpten Arme erkennt man nicht...
L3, 30m: Jetzt stand der berühmte Quergang und damit gemäss Topo die Crux im Grad M7+ an. Ich war fest entschlossen, hier im Vorstieg angreifen zu wollen. Einerseits schien mir diese Querung, warum auch immer, in Ferndiagnose gut machbar. Andererseits vermutete ich, dass es wohl im Nachstieg auch nicht unbedingt angenehmer sein würde, was sich dann in der Praxis durchaus bestätigte. Also ging es los: der Beginn ist noch human, an einem schönen Mocken Eis klettert man zum Beginn des berühmt-berüchtigten Dachquergangs hin. Die letzte Schraube platziert gilt es nun ernst, nun sitzen nur noch 2 nach oben eingeschlagene NH als Sicherung für den Quergang. Dessen Schwierigkeiten hängen natürlich arg von der Eismenge, dessen Qualität und nicht zuletzt auch von der Körpergrösse ab. In gebückter Haltung arbeitet man sich nach rechts, die Ellenbogen sind meist auf Kniehöhe wenn nicht noch tiefer, was natürlich das Einschlagen der Pickel jetzt auch nicht unbedingt vereinfacht. Weil jedoch dafür generell eh nicht üppig Eis vorhanden war, schien es sowieso gescheiter die vorhandenen Strukturen zum Hooken zu nutzen. Antreten konnte man meistens im Eis, nur zwischendurch musste mit den Eisen zwingend auf dem plattigen Fels gekratzt werden. Immerhin ist der psychische Anspruch hier vorerst nicht allzu gross, dank den NH im Dach oberhalb fühlt man sich beinahe wie im Toprope, über die Qualität der Sicherungen verlieren wir hier jetzt lieber mal keinen weiteren Gedanken. Nach der Hälfte des Quergangs ändert das dann: man steigt nach rechts hinaus und es kommt keine Sicherungsmöglichkeit mehr. Plötzlich wurde mir gewahr, dass nur noch eine Möglichkeit blieb, nämlich die Flucht nach vorne. Ein Placement war keines mehr vorhanden und ich spürte, wie meine Kräfte im Schwinden begriffen waren. Hier ewig an einer Sicherung rumzufummeln war keine Option. Das Weiterklettern ging aber gut, zuletzt konnte ich dann sogar nochmal einen Cam der Grösse 0.4 in einen Riss stopfen, um die letzten und etwas einfacheren Meter zum Stand abzusichern. Total gepumpt und voller Adrenalin kam ich dort an. Wow, welch ein Erlebnis! Das war jetzt echt einer der eindrücklichsten und bewegendsten Vorstiege in meinem bisherigen Kletterleben gewesen. M7+ an Trad Gear, kaum zu fassen!

Auf geht's! Am Eindrehen der letzten Schraube, bevor es mit dem Quergang (M7+) ernst gilt.

Die kurze Felspassage gemeistert und mit dem zweiten NH die letzte fixe Sicherung geklippt.

Die super exponierte Position am Ende des Dachs. Nun einfach ja durchziehen und nicht stürzen...

Die typische und charakteristische Position für diesen Quergang. Nachhaltiger Muskelkater ist garantiert!

Trotz Eis und Kälte total durchgeschwitzt aber total happy am Stand. Das war jetzt echt sowas von genial!

Schlusspassage zum Stand hin, kaum zu glauben, dass ich das vorgestiegen bin!
L4, 60m: Zum Zurücklehnen war es aber noch zu früh, es wartet eine weitere, überhängende Felspassage, bevor es erst über einen Eisvorhang hinweggeht, um dann in reiner Eiskletterei über das grosse Schild den Ausstieg zu erreichen. Gut, dass hier der Vorsteiger durchaus eine Weile beschäftigt ist, so konnte ich mich etwas erholen, bevor es wieder ernst galt. Ohne Sicht- oder Rufkontakt erfolgt der Aufbruch, aufgrund der langen Seillänge und damit verbundenen Seildehnung würde ein Nachsteiger-Sturz hier auch mehrere Meter in die Tiefe führen, so dass man danach im sicher Leeren baumelt. Somit muss hier auch der Nachsteiger zwingend etwas Können und Psyche aufweisen. Mir gelang's, die Ropeman am Gurt konnten ungenutzt bleiben, die Kletterei entpuppte sich als einfacher wie zuerst befürchtet. Das Terrain ist wohl steil, aber der Fels ziemlich grossblockig und strukturiert, was natürlich das Fortkommen entsprechend erleichtert. Teilweise klettert es sich nach meinem Geschmack in diesem grossgriffigen Gestein mit den Händen sogar einfacher wie mit den Geräten. Die M7-Stelle ist mit 2 NH und je einem Fixkeil und -cam ganz ordentlich gesichert, selber nachlegen kann auch noch wer will. Allerdings sei noch erwähnt, dass die Felsqualität hier nicht über jeden Zweifel erhaben ist, einer der Blöcke wackelte jedenfalls bedenklich - hielt aber dem alternativlosen Rupfen daran dennoch Stand. Aus dem schweren Fels geht's dann direkt im Eis über den Vorhang hinweg, diese Passage ist etwas athletisch und da man aus Sicherheitsgründen erst nicht schrauben kann/sollte, auch etwas kühn. Hat man dann die ersten Meter im Eis gemeistert, so lässt es sich aber prima schrauben und man kann genüsslich im anhaltend steilen WI4+ Gelände weitercruisen, bis man kurz vor Seil aus den BH-Stand am Ende des Eisschildes erreicht.

Auftakt in die 60m lange L4, erst mit einer weiteren Passage M7, danach Eiskletterei ungefähr im Grad WI4+.
Am Stück geklettert leider nicht sehr fotogen, für diese Stilstudie beim letzten Pickelschlag reicht's gerade noch.
Glücklich gratulieren wir uns zur Begehung dieser sehr eindrücklichen Route. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich es mir kaum träumen lassen, überhaupt in eine solche Linie einzusteigen, geschweige denn darin auch noch eine vernünftige Vorstiegs-Figur abzugeben. Aber der eigene Horizont lässt sich eben doch immer wieder verschieben, wenn man entsprechend will, daran glaubt und daran arbeitet. So, nun aber genug der Philosophie. Mit einem 60m-Abseiler reicht es direkt runter, vorbei an den bedrohlich hängenden Zapfen, an den Stand der Lochroute. Es ist jener, wo ein Bohrhaken gefährlich in einer hohlen Schuppe steckte. Die Schuppe wurde aber aus Gründen der Sicherheit entfernt und liegt nun schön handlich auf dem Band unterhalb. Wie man sehen kann, steckte der ca. 5cm lange BH in einer ziemlich exakt solch dicken Schuppe, die offensichtlich auch nicht mehr hielt als sie versprach. Demzufolge hat man an dieser Stelle zum Abseilen aktuell nur noch einen einzigen Bohrhaken zur Verfügung. Anyway, dieser Haken hielt, und so reichte es mit einem weiteren, gestreckten Abseiler retour ins etwas höher gelegene Gelände ob dem Einstieg.

Dort wo sich der Hundekopf befindet, steckte einst der zweite Standbohrhaken...
Hier nützt er zwar nicht mehr viel, richtet aber auch kein Unheil mehr an. Die Schuppe hätte beinahe im Hosensack Platz...
Es war zwar noch nicht allzu spät, aber wir waren gut bedient, das gesteckte Ziel war erreicht. Allerdings konnte ich bereits jetzt fühlen zu welchem Preis, sowohl mein Bizeps, meine Rumpfmuskulatur wie auch auch meine Beine waren arg ausgepumpt. Dieser Art der Kletterei, in diesen Schwierigkeiten ist für mich jedenfalls unglaublich intensiv. Ich will nicht bestreiten, dass bessere Kletterer locker durch die Bück Dich spazieren und es an meiner mangelnden Technik und deren Kompensation durch übermässigen Krafteinsatz liegt. Aber alles zu geben was man hat ist auch toll. Obwohl es rein zeitlich noch möglich gewesen wäre, sahen wir davon ab, noch in eine weitere Route einzusteigen. Im Blue Magic bewarfen sich wieder mindestens ein halbes Dutzend Seilschaften gegenseitig mit Eiswürfeln und Eisgeräten, und auch im Oeschiwald schien jede Route besetzt zu sein. So tuckerten wir zeitig nach Hause und konnten so auch noch die Familie und den Arbeitgeber glücklich machen. Dass schon bald darauf ein weiteres Mixed-Highlight auf dem Programm stehen könnte, zeichnete sich bereits an unseren Diskussionen auf dem Heimweg ab. Indessen hiess es, sich gut zu erholen und für den nächsten Klettertag bereit zu sein.

Die Abseilerei ist an Luftigkeit auch kaum zu überbieten und an diesen Daggern vorbei auch super eindrücklich!


Facts

Kandersteg - Bück Dich - ED IV M7+ - 4-5 SL, 165m - Stofer/Duthiers 2001 - *****
Material: 10 Schrauben, Keile 4-9, Camalots 0.3-1, 2x60m-Seile zum Abseilen praktisch

Genialer Mixed-Klassiker im berühmten Staubbach-Sektor ob Kandersteg. Die Kletterei ist anhaltend interessant, mit abwechslungsreicher Eiskletterei und eindrücklichen Mixed-Passagen, wobei der berühmte Dach-Quergang der Sache die Krone aufsetzt. Wäre die Route noch ein wenig länger, so würde man sie wohl zu den allerbesten dieses Genres und Schwierigkeit zählen. Während die Standplätze durchgehend gebohrt sind, stecken sonst nur noch in der ersten Mixed-Länge drei Bohrhaken. Doch auch der Rest ist mit fixem Trad Gear, Eigeninitiative und Schrauben gut absicherbar. Objektive Gefahren drohen keine, und die Gefahr durch hängende Zapfen und Eisschilder ist überschaubar, wenn auch nicht null. Insgesamt eine sichere und zugängliche Route, welche einen guten Einstieg ins fortgeschrittene Mixed- und Eisklettern erlaubt, dabei aber noch nicht die Ernsthaftigkeit der ganz grossen (Breitwangflue-)Linien besitzt.

Freitag, 20. Februar 2015

Kandersteg - Haizähne (WI5+/6-)

Nachdem wir die Lochroute erfolgreich und in guter Zeit gemeistert hatten, wollten wir die weite Anreise noch mit ein paar zusätzlichen Eismetern veredeln. Dass uns sozusagen als Dessert und Nachmittagstour die bekannten Haizähne gelungen sind, ist schon bemerkenswert. Die Tour ist von solcher Eleganz und Bekanntheit, dass ich selbst dafür ohne weiteres den Weg nach Kandersteg unter die Füsse genommen hätte.

Hochformat ist zwingend. Jonas in L1 der Haizähne (WI5+/6-).
Nach unserem Abstieg vom Staubbach-Sektor herrschte im Oeschiwald zwar noch etwas Betrieb, zumindest die meisten Einstiege waren am frühen Nachmittag aber frei. Also machten wir uns wieder bereit und so stieg ich um ca. 14.45 Uhr in die erste Länge ein, welche unter dem Namen Grimm (WI4) figuriert. Sie führt in einer schönen, total 60m langen Seillänge bis aufs Band und zum Einstieg der Haizähne hoch. Es wartete kompaktes, schön plastisches Eis mit Struktur und einer Steilheit von bis zu 85 Grad. Somit eine Genusskletterei ersten Ranges, dementsprechend begehrt ist diese Route auch als Baseclimb. Wenig erstaunlich also, dass man auf 30-40m Höhe gleich mehrere Bohrhakenstände antrifft. Ich hatte inzwischen das Band und damit den Einstieg der Haizähne erreicht. Von oben tropfte es an diversen Stellen zwar gehörig, aber auf ging’s der Reihe von relativ filigranen Säulen, Wandstellen und Vorhängen entlang.

L1, 45m: Sehr schöne Kletterei in anhaltend senkrechtem Gelände. Ein paar Nischen und Bödeli ermöglichen alle paar Meter einen bequemen Rastpunkt, was die Ernsthaftigkeit dieser Seillänge doch massiv abmildert. Das Eis war soft, perfekt bissig und zudem erleichterten gute Tritte und Begehungsspuren die Sache weiter. Perfekter kann man es hier kaum erwischen, selbst wenn stellenweise eine leichte Dusche das Überziehen der Kapuze erforderte.

Nachstieg in L1 der Haizähne. Teilweise leichte Dusche, Kapuze vorteilhaft, aber kein Problem.
L2, 35m: Im Nachstieg in der Nische mit den zwei sehr hoch und in zweifelhaftem Fels steckenden BH angelangt, war die Reihe nun, äääähhh, an mir. Bisher hatte ich einen Vorstieg in den Haizähnen eher als eine Art Fernziel gesehen, doch nun stand die Sache unmittelbar bevor und zu kneifen wäre schade gewesen. Unvermindert steil bzw. über grösste Strecken senkrecht würde es weitergehen, die Säule nach dem Stand gab da gleich den Tarif durch. Die Verhältnisse waren aber auch hier perfekt und so gelangte ich Schritt für Schritt und Pickelschlag für Pickelschlag sauber und sicher zum Ausstieg.

Los geht's! Steiler Auftakt an einer Säule in L2 der Haizähne.
Dort konnten wir uns um ca. 17:00 Uhr zu dieser tollen Tour gratulieren, grosse Zufriedenheit über das erreichte stellte sich ein. Zwar waren wir uns einig, dass bei diesen perfekten Verhältnissen der sechste Eisgrad an den Haizähnen nur auf dem Papier zu finden ist. Dennoch, die oberen beiden Längen sind auf rund 80m Strecke praktisch senkrecht und wollen erst gemeistert sein! In zwei Abseilern gelangten wir aufs Band, bzw. den obersten BH-Stand der unteren Stufe zurück, von wo es retour auf den Boden ging. Nachdem das Gear eingepufft war, ging es zurück zum Bahnhof. Nach eine Kafistop konnten wir im Zug gemütlich die Beine hochlagern und neue Pläne schmieden. An Tagen wie diesen... würden wir noch manche Abenteuer erleben können!

Erst die letzten Meter zum Top der Haizähne sind dann nicht mehr ganz so anhaltend.
Facts

Kandersteg - Grimm/Haizähne - TD III WI5+/6- - 3-4 SL, 140m - Jasper/Jaerschky 1993 - ****
Material: 10-12 Schrauben, auch mit 2x50m-Seilen gut machbar

Ein grosser Klassiker im Oeschiwald. Auftakt bis aufs Band über die schöne Kompakteislänge Grimm. Obenraus folgen die Haizähne dann einer ästhetischen Linie, welche sich entlang von einigen Säule durch die auf rund 80m praktisch durchgehend senkrechte Wand hochhangelt. In solchem Gelände sind die Schwierigkeiten natürlich stark von den Verhältnissen abhängig. Nicht selten sind diese aber gut, in diesem Fall erleichtern Begehungsspuren die Sache oft zusätzlich. Bis auf die überall hängenden Eiszapfen drohen keine objektiven Gefahren.

Sonntag, 15. Februar 2015

Kandersteg - Lochroute (WI5)

Der Eiskletterwinter fand in den vergangenen zwei Wochen statt. Zumindest für mich, wahrscheinlich gilt das aber auf der Alpennordseite ziemlich generell. Mich haben all die Jahre gelehrt, dass es insbesondere im Eis rein gar nichts bringt, Routen in schlechten Verhältnissen erzwingen zu wollen. Man muss die Geduld haben, auf den richtigen Moment zu warten und dann zuschlagen. Natürlich braucht es auch immer etwas Glück, damit es dann wirklich aufgeht. Dieses Mal war es mir wirklich hold, deshalb werde ich hier in den nächsten Tagen die Perlen der Eissaison 2015 präsentieren.


Den Auftakt macht die Lochroute im Sektor Staubbach bei Kandersteg. Sie wurde bereits im Jahr 2000 erstbegangen, fand aber lange relativ wenig Beachtung. Wenn man in diesen Sektor pilgerte, dann für die beiden schillernden Fälle Blue Magic und Rübezahl. Denn obwohl die Lochroute sehr interessante Kletterei bietet, so fehlt ihr die plakative Linie, welche die beiden anderen Fälle haben. Im Winter 2013 war die Lochroute dann in sehr guten Verhältnissen, mit entsprechend vielen Begehungen. Das war der Zeitpunkt, wo auch wir sie auf die Projektliste gesetzt hatten. Nun, zwei Jahre später wagten wir einen Versuch, ohne genaue Kenntnisse über die aktuellen Bedingungen zu haben. Nach einer gemütlichen Anfahrt mit dem Zug und dem ca. 45 Minuten dauernden Zustieg zum Wandfuss konnten wir um 9.45 Uhr mit der Kletterei beginnen. Vor und nach uns war je eine Seilschaft auf Platz, welche aber beide die Mixed-Linie Bück Dich klettern wollten.

Der Sektor Staubbach mit Blue Magic (links), Bück Dich/Finderlohn (mittig) und der von uns gekletterten Lochroute.
L1, 35m: Interessante Auftaktlänge mit einer ziemlich homogenen Steilheit von rund 80 Grad, welche meistens nicht üppig vereist ist. Das war auch dieses Mal so, doch liess sich dieses Teilstück gut klettern und auch sauber absichern. Gut strukturiertes Eis und Begehungsspuren ermöglichten es mir im Nachstieg, die ganze Länge ohne einen einzigen Pickelschlag zu klettern. Die Schwierigkeit würde ich auf ca. WI4- veranschlagen.

L2, 35m: Während Bück Dich nach links zieht, müssen wir rechts weiter. Im Vergleich zu L1 wird es noch ein bisschen steiler und erreicht auf ein paar Metern um die 85 Grad. Man erreicht dann eine kurze Verflachung (Schneefeld), wo man den NH-Stand links aber auslässt. Mit interessanter bouldriger Kletterei über Balkone und Überhänge hinweg erreicht man das nächste Band mit Stand an BH. Diese Länge ist als ca. WI4 einzustufen.

Jonas folgt in L2
Ganz schlechter Standplatz am Ende von L2. Der Bohrhaken steckt in einer dünnen, brüchig-losen Schuppe. Als ich 3 Tage später das nächste Mal vor Ort war, waren sowohl Schuppe wie Bohrhaken bereits entfernt. Folglich muss man aktuell an dieser Stelle an 1 BH Stand machen und auch Abseilen. Wenigstens steckt dieser in soliderem Fels.
L3, 50m: Vom Stand quert man horizontal nach rechts hinaus, um dann über Schnee und/oder Mixed-Terrain aufwärts in die grosse Verschneidungs-/Kaminrinne hinein zu steigen. Der Beginn ist von der Steilheit her noch moderat und problemlos, später wird es dann steiler. Bei optimaler Vereisung ginge die ganze Länge vermutlich sogar als WI3 oder WI3+ durch. Das Problem war aber, dass es hier wie oft nur sehr wenig Eis hatte, man muss eher von dünner Glasur sprechen. Zuverlässige Schrauben konnten nicht gesetzt werden, also mussten Absicherung wie Kletterei zumindest teilweise im Fels stattfinden, was jedoch auch nicht nach Belieben möglich ist. Bei diesen Verhältnisse ist diese Länge eher als M4+ bis M5 zu werten.

Blick auf das Couloir/Kamin, in welchem der zweite Routenteil verläuft. Hier im Vordergrund ist L3 sichtbar.

Detail von L3 beim Abseilen. Wenig Eis hier, zu wenig zum Schrauben, zum Klettern geht's grad so.
L4, 30m: Nun standen wir tief in der Kaminrinne an einem Klemmblockstand vor der nominellen Schlüsselstelle. Hier bildet der Kamin eine ca. 8m hohe, überhängende Nische. Bei optimalen Verhältnissen wächst von oben eine Säule herunter, dank welcher man hier mit ca. WI5 hochkommt. Aber nix da, es hat zwar etwas Eis, doch die Säule reicht nicht bis zum Boden, ist sehr dünn, glasig-fragil und unkletterbar. Wir haben ja das Felsgear dabei, also versucht sich Jonas direkt am überhängenden Kamin. Zentimeter um Zentimeter schiebt und klemmt er sich höher, eine erste Sanduhr bietet dabei Sicherheit. Kurz bevor es endgültig prekär wird und zwingend der Wechsel an die Säule erfolgen muss, lässt sich ein Friend in den Riss schieben und schliesslich unbequem weit im Grund eine weitere Sanduhr fädeln. Jonas bezeichnet diese zuverlässige Sicherung treffend als Game Changer und tatsächlich: auf diese Weise gut gesichert, überwindet er den maroden Vorhang sauber. Der Weg nach oben zum nächsten Stand erfordert dann nur noch Eiskletterei um WI4 herum. Insgesamt muss man bei dieser Länge aktuell aber von M5+ bis M6 sprechen.

Blick aus der Nische hinaus auf die Schlüsselstelle
So sieht es hier bei guter Vereisung aus. Bild von Februar 2013 von Schuff Vince.

Blick beim Abseilen auf die Schlüsselstelle und die Nische runter. Schon steil hier, und schlechtes Eis.
L5, 50m: Zum Abschluss gibt es nochmals eine sehr spektakuläre Länge mit der namensgebenden Passage durchs Loch. Vom Stand weg kommt aktuell eine erste Stelle diagonal nach rechts hinauf, die ebenfalls Mixed und ca. M4 ist. Im Felsenfenster selber dann wartet sehr gutes Eis, nur den Durchschlupf habe ich mir einfacher vorgestellt. Beim ersten Versuch bleibe ich doch tatsächlich stecken und muss nochmals runter. Im zweiten Ansatz richte ich den Körper dann etwas anders aus und komme durch. Nun wartet bis zum Ausstieg noch Plaisir-Eiskletterei im Grad WI3.

Durch dieses Loch musst Du gehen... zu viel Körperfülle ist eher hinderlich.
Blick vom Eingang des Loch zurück auf den letzten Standplatz.
Um 13.15 Uhr sind wir am Top angelangt. Das war jetzt wirklich eine sehr coole Begehung, die uns in jeder Hinsicht gefordert hat. Die Kletterei abwechselnd und herausfordernd und trotzdem lief es gut und zügig, was will man mehr?!? Tja, vielleicht noch ein paar zusätzliche Eismeter! Dementsprechend machen wir uns ans Abseilen. Vom Top sind es direkt runter 60m zurück zum Klemmblock, dann nochmals 50m aufs Band, von welchem man in gestreckten 60m gerade den etwas höher gelegenen Grund links vom eigentlichen Einstieg erreicht. Nach einem Schluck Tee und einer kurzen, aber ergebnislosen Suche nach der abgeworfenen BD-16er-Schraube machen wir uns auf den Weg zum nächsten Testpiece, über welches an dieser Stelle demnächst berichtet wird.

Imposanter Tiefblick beim Abseilen auf den Routenverlauf. Schon ziemlich steil hier!
Facts

Kandersteg - Lochroute - TD IV WI5 oder M5-M6 - 5 SL, 200m - Schäli/Abächerli 2000 - ****
Material: 10 Schrauben (eher auf der kurzen Seite), Keile 4-9, Camalots 0.3-1

Sehr interessante und etwas alpin anmutende Linie, welche nach zwei normalen Eiskletterlängen durch ein enges, teilweise kaminiges Couloir führt, aus dessen letzter Arena ein Felsenfenster (eben das Loch) einen erstaunlichen und einfachen Ausweg bietet. Bei üppig Eis handelt es sich um eine reine und auch gar nicht extrem schwere Eiskletterei. In manchen Wintern sind aber diverse Passagen Mixed, davor sollte man sich also nicht scheuen und auch etwas Felsgear mitführen. Zu- und Abstieg wie auch die Route sind bei normalen Verhältnissen lawinensicher. Zu beachten ist die Gefahr durch Eisschlag von den grossen Zapfen von Finderlohn und dem Direktausstieg Sepsis - nur bei kalten und trockenen Bedingungen einsteigen!


Mittwoch, 11. Februar 2015

Val Ferrera - Rotes Vergissmeinnicht (WI4+)

Das Rote Vergissmeinnicht gilt gemeinhin als bekannter, beliebter und klassischer Eisfall im Avers. Dies kann man mit Fug und Recht so unterschreiben, ausser dass er sich eben nicht im höher gelegenen Avers befindet, sondern tiefer unten im Val Ferrera. Ob die Geografie Detail oder Wichtigkeit darstellt, überlasse ich dem Leser. Zentraler ist da schon die Tatsache, dass es Ende Januar 2015 endlich kalt geworden war und sich die Linie vom Roten Vergissmeinnicht beinahe perfekt aufgebaut hatte. 

Das Rote Vergissmeinnicht (WI4+) im Avers... äähhh, Val Ferrera. Links und rechts noch weitere, kürzere Möglichkeiten.
Auf der Suche nach einem interessanten Sonntags-Projekt zusammen mit Kathrin bin ich dann schliesslich hier stehen geblieben. Man konnte auf den einschlägigen Portalen im Internet von Begehungen in Seilschaft und im Alleingang lesen, ein italienischer Kletterer hatte gar ein ansprechendes Video produziert. Die Verhältnisse waren gut, nur eine vernünftige Taktik musste noch gefunden werden. Nach den diversen Berichten konnte man hier am Weekend nicht auf Einsamkeit zählen und früh zur Stelle zu sein war uns aus familientechnischen Gründen einfach unmöglich. Da setzten wir drauf, erst mittags einzusteigen und darauf zu hoffen, dass die anderen Seilschaften bis dahin ihr Tageswerk bereits beendet hatten.

Die Tour zum Roten Vergissmeinnicht beginnt in Ausserferrera, wo sich auch das empfehlenswerte und klettererfreundliche Gasthaus Edelweiss befindet. Parkiert werden kann am Dorfrand, entweder danach linkerhand, oder dann davor beim Steinbruch, welcher auch noch 3 interessante Übungsfälle bereithält, welche aktuell in guten Bedingungen und viel weniger überlaufen wie die Wand in Campsut sind. Für den Zustieg wählt man dann den in Dorfmitte beginnenden Weg zur Alp Nursera, läuft abwärts und überquert den Rhein. Nachdem man die insgesamt vierte Brücke passiert hat, verzweigt sich der Weg. Linkerhand steigt man zur Alp Nursera hinauf, rechts folgt man dem Rheinufer. Wir folgten dem rechten Weg über ca. 200-300m, um dann links ins offensichtlich vom Roten Vergissmeinnicht hinunterziehenden Bachbett aufzusteigen.

Dass der Zustieg in diesem Gelände mühsam sein kann, versteht sich wohl von selbst. Aktuell ist's aber kein Problem.
Liegt entweder zu wenig oder dann sehr viel Schnee, so kann dies ziemlich mühsam sein. Wir hatten Glück, denn es lag a) schon eine gute Spur, b) hatte es genügend Schnee, um das mühsame Geröll zu verfestigen und c) war es doch nicht so viel, dass es störend war. Zum Einstieg hinauf sind rund 300 Höhenmeter zu bewältigen, wofür wir gerade etwa eine Stunde benötigten. Das ist natürlich keine Rekordzeit, doch in der Zeit enthalten ist das Montieren der Steigeisen unterwegs, diverse Kleiderwechsel und schliesslich stiegen wir auch bewusst gemütlich, um nicht zu fest ins Schwitzen zu geraten, und danach mit feuchten Kleidern beim Klettern zu frieren. Die richtige Taktik und Technik macht beim Winterklettern eben den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern.

Unsere Idee, den Fall erst zu klettern, wenn die anderen Seilschaften damit bereits fertig sind, schien perfekt aufzugehen. Schon vom Parkplatz aus hatten wir eine einzige Seilschaft in der dritten Seillänge beobachtet, bis wir näher kamen, waren sie mit dem Abseilen beschäftigt. Nur zeigte sich im letzten Moment, d.h. als wir in den spannenden Kessel mit den gelb-roten Felsen einbogen, dass ein weiteres Italiener-Team erst gerade am Einsteigen war. Da wir aber direkt dahinter folgen konnten, man eine mäandrierende Linie verfolgt und geschützte Standplätze abseits der Kletterlinie bezogen werden können, war dies schliesslich weder Gefahr noch Hindernis. Somit konnte es etwas nach 12.45 Uhr losgehen mit der Kletterei.

L1, 40m: Hier bieten sich diverse Möglichkeiten, wir stiegen schliesslich ganz rechts unten ein. Es handelt sich um eine gemütliche Aufwärmlänge mit Steilheit von 70-80 Grad im Bereich von ca. WI3+. Das Eis war teilweise etwas spröde und leicht schneebedeckt. Aber natürlich war's problemlos, und auch genussreich.

Kathrin folgt in L1, noch schön trocken und unverschneit...
L2, 40m: Man sieht sogleich, dass es hier mit dem Serious Business losgeht. Nach ein paar ersten, noch nicht ganz so steilen Metern folgt eine rund 20m lange Passage mit anhaltender Steilheit knapp unter der senkrechten (ca. 85 Grad, WI4+). Das Eis weist hier zum Glück etwas mehr Struktur auf und bietet ein paar gute Tritte, obenraus ist's dank etwas Feuchtigkeit auch schön plastisch. Zuletzt quert man einfacher ganz an den rechten Rand raus zu Stand.

Diese anhaltend steile Mauer in L2 ist das Pièce de Resistance in der Route.
Schneefall hat eingesetzt, so sieht es am Ende von L2 schon richtig nach Winter Climbing aus...
L3, 30m: Dem rechten Rand entlang klettert man hier in bereits etwas älterem Eis aufwärts. Die Steilheit beträgt so um 80 Grad rum, ein kurzer, bouldriger Überhang wo man am bequemsten sogar noch 1-2 Mal auf den Fels tritt hat es auch noch (ca. WI4-). Den Stand richtet man am besten in der Arena vor der Abschlussäule ein.

Auftakt in L3 mit einer bouldrigen Stelle gleich nach dem Stand. Es ist steiler, wie es auf dem Foto aussieht.

Schöne Tiefblicke und richtig winterliches Ambiente am Ende von L3.
L4, 30m: Die Säule direkt anzupacken wäre ein ziemlich hartes Gerät. Man kann aber zu deren Fuss aufsteigen, und dann ausgesetzt darum herum nach links traversieren. Das Spritzwasser hat hier riesige Eisblüten und Balkone gebildet und es pfeift einfach ganz schön in die Tiefe! Zuletzt wartet dann nochmals ein Bouldermove auf einen nächsten Balkon rauf, bevor man die letzten 10m in saftig-feuchtem Eis an der Säule dem Ausstieg entgegenklettert (mehrere Meter 85 Grad, davor ein bouldriger Überhang, ca. WI4/4+).

Bottom Shot von L4, in dieser Perspektive werden Steilheit und Länge massiv unterschätzt. Auffällig die grossen Blüten links.

Die letzten 10m zum Ausstieg an der steilen Säule sind als eher nass zu bezeichnen. Dafür super bissiges Eis!
Etwas vor 17.00 Uhr sind wir schliesslich beide am Top. Rund eine Stunde hatten wir im Schnitt also pro Seillänge gebraucht, mit Ein- und Ausdrehen aller Schrauben, dem jeweiligen Reorganisieren alles Materials am Stand und etwas Wartezeit wegen der vorangehenden Seilschaft wäre es für Kathrin und mich kaum schneller gegangen. Umso zügiger ist dafür der Abstieg erledigt. Mit 2x60m-Seilen erreicht man vom Baum am Ausstieg mit ordentlich Luft unter dem Hintern den zweiten Stand, wo man an Abalakovs gegen den Einstieg hinabschwebt. Hält man sich etwas links und höher als unser Einstieg, reicht es mit einem weiteren Manöver gerade retour auf den Boden. 

Wir halten uns nach dem Seile aufnehmen nicht mehr weiter auf und steigen mit montiertem Gear retour zum Automobil. Noch gut vor Einbruch der Dunkelheit treffen wir da ein und müssen zwischen 5 und 10cm Neuschnee von den Scheiben wischen. Hatten sich nämlich erst noch scheue Aufhellungen mit etwas Sonnenschein gezeigt, fiel im späteren Verlauf beständig Schnee. Dies hatte aber dem Genuss keinen Abtrag gebracht - es war ein genialer Tag beim Winterklettern, mit der richtigen Stimmung und dem richtigen Ambiente. Im wohl beheizten Auto konnte ich nachher darüber sinnieren, dass ich an diesem Tag dennoch kein einziges Mal gefroren hatte - weder an Körper noch an den Extremitäten. Irgendwie schon erstaunlich, hatte ich doch in meinen frühen Eiskletterjahren beständig mit Kältezittern, eisklumpigen Füssen und heftigem Kuhnagel an den Händen zu kämpfen. Vielleicht wird man mit dem Alter in dieser Hinsicht robuster, vielleicht ist das Material besser geworden, oder vielleicht habe ich inzwischen gelernt wie man die Wärme im Körper behält und so wenig wie möglich davon an die Umgebung verteilt... an einer dickeren Speckschicht rundherum liegt es auf jeden Fall sicher nicht.  

Facts

Val Ferrera - Rotes Vergissmeinnicht - D+ III WI4+ - 4 SL, 140m - ****
Material: 10-12 Schrauben, die Standplätze sind nicht eingerichtet!

Sehr lohnende Eisklettertour, meiner Meinung nach eine der besten Routen in diesem Grad in der Schweiz. Das liegt daran, dass es sich hier um einen anhaltend steilen Fall mit ausgesetzter Linie handelt, welche sich dann doch vergleichsweise einfach bewältigen lässt. Mit dem kompakten Eisschild in L1, der steilen Mauer in L2, dem bouldrigen Schleichweg in L3 und der Eisblüten-Traverse mit luftigem Säulenaussstieg in L4 wird einem sehr viel Abwechslung geboten. Ebenso steht der Eisfall an einem spannenden Ort, in einem Kessel mit gelb-orange-roten Felsen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Tatsache, dass hier (bis auf das Zusammenstürzen der ganzen Struktur) praktisch keine objektiven Gefahren drohen. Bei Sonnenschein steht der Fall bis in den frühen Nachmittag hinein in der Sonne. Somit dürfte die Saison spätestens Ende Februar jeweils zu Ende sein, Vorsicht bei Sonnenschein und Wärme! Während man mit einer 500m-Horizontaltraverse zum Weg nach Alp Nursera ohne Probleme zu Fuss absteigen kann, scheint das problemlose Abseilen hier logischer. Wer will, findet links und rechts der Hauptlinie noch weitere Möglichkeiten (jeweils 1-2 SL lang, Schwierigkeiten von WI3-WI5).

Montag, 9. Februar 2015

Weitere Informationen zum Lawinenunglück am Vilan

Auf meinen Beitrag zum Lawinenunglück am Vilan hin gab es mehrere Kommentare, deren Lektüre sich ganz sicher lohnt. Ebenso hat mich eine weitere, sehr informative Zuschrift erreicht, die ich der höheren Visibilität wegen unredigiert als eigenen Beitrag platziere. 

"Hoi Marcel,

Deinen Bericht finde ich gut. Die Analyse ist sehr detailiert.

Ich war heute am Unfallort und habe den Schnee oberhalb des roten Punktes analysiert indem ich einen Quader herausgestochen habe. Bei leichter Vibration ist die obere Decke schnell weggerutscht. Zum Boden hin hat es sehr pulvrigen, nicht verfestigten Schnee, 20cm darüber dann eine harte Platte und darüber dann der Neuschnee. Bricht die Platte wird alles rutschen. DIe harte Platte entstand nach Graupel und Regen bis zum Gipfel in den letzten Wochen. Das haben mir auch zwei Einheimische erzählt. Es herschte oft Föhnsturm, der den Schnee in die Flanke verfrachtete.

Die Gruppe muss vermutlich beim Roten Punkt (siehe Karte) oder ein wenig weiter unter dem Punkt eingefahren sein. Dort sind auch noch die meisten Spuren zu erkennen. Die Stellen der Ausgrabungen sind vom Lawinenrutsch in dieser Linie weiter unten. Alle Opfer lagen etwa 5-10 Meter auseinander. Die Ausgrabtiefen waren zwischen 0,5 und 1,5 Meter. Warum die weniger tief Verschütteten nicht gerettet werden konnten ist mir ein Rätsel.

Wie und warum es dazu gekommen ist, wird hoffentlich genau die Untersuchungen preisgeben. Man sieht ja beim Aufstieg gut in den Hang und wird sicher beobachtet worden sein. Hinweise können bei der Polizei in Davos gemacht werden.

Ich war übrigens am Unfallort nicht aus Neugier, sondern weil ich einen lieben Menschen verloren habe. Es war für mich wichtig das schlimme Ereignis zu begreifen und loslassen zu können."

Der Komplettheit halber nochmals die Karte mit dem im Text erwähnten Roten Punkt, d.h. den vom SLF angegebenen Koordinaten.

Symbolbild vom Blog des Lawinenwarndienst Tirol, der einen vermutlich ähnlichen Schneedeckenaufbau an einem ganz anderen Ort zeigt. Am Grund eine Schwimmschneeschicht, dann ein harter Schmelzharschdeckel und obendrauf  noch Neu- und Triebschnee. Gemäss den Beobachtungen vor Ort war der Aufbau am Vilan ähnlich.

Montag, 2. Februar 2015

Gedanken zum Lawinenunfall am Vilan

Der weisse Tod hat an diesem Wochenende wieder erbarmungslos zugeschlagen. Mehrere Lawinen reissen insgesamt 8 Wintersportler in den Tod. Soweit die Schlagzeile aus den Medien, an dieser Stelle einige Gedanken zum schwersten Unglück, wo am Vilan im Kanton Graubünden fünf Menschen in derselben Lawine ums Leben gekommen sind. Die grundlegenden Fakten sind bekannt. Gemäss den beim SLF angegebenen Koordinaten hat sich die Lawine im Osthang unmittelbar unter dem Gipfel gelöst. Der Filmbeitrag mit Aufnahmen aus dem Helikopter von SRF bestätigt diese Angabe.

Screenshot von SRF mit Blick auf den Unfallhang. Wie es anhand der vielen Spuren scheint, haben noch zahlreiche weitere Personen bei der Planung die Grundzüge des Risikomanagements nicht berücksichtigt. Da haben einige aber ziemlich viel Glück gehabt...
Zur Lawinengefahr

Am Unfalltag herrschte am Vilan gemäss Bulletin in allen Expositionen ab 1800m erhebliche Lawinengefahr (fortan kurz LWS 3, d.h. Lawinenwarnstufe 3), mit dem auf die wesentlichen Passagen gekürzten Zusatz von "Triebschneeansammlungen können von einzelnen Wintersportlern ausgelöst werden [...] Gefahrenstellen [...] hinter Geländekanten [...] vorsichtige Routenwahl [nötig]". Somit eine verschärfte LWS 3, d.h. eine für das Tourengehen als heikel bis sehr heikel einzustufende Situation. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine verschärfte LWS 3 für den Tourengänger eigentlich die höchste relevante Gefahrenstufe darstellt!!! Ja ich weiss, es gibt noch die Gefahrenstufen 4 und 5. Diese warnen jedoch vor spontan anbrechenden, grossen und bis in die Täler vorstossenden Schadenlawinen. Meist gelten sie nur für kurze Zeit, während derer an eine Skitourentätigkeit kaum zu denken ist (schlechtes Wetter, abgeschnittene Verkehrswege, enorme Neuschneemassen, ...) 

Lawinenbulletin für das nördliche Prättigau für den Unfalltag. Quelle: SLF


Die Tour auf den Vilan

Die Tour auf den Vilan an sich ist bei LWS 3 durchaus vertretbar. Den normalen Aufstieg über den E/SE-Rücken kann man auch dann als sicher betrachten, einzig am Gipfelkopf selber überschreitet man kurz und relativ wenig exponiert die kritische Hangneigung von 30 Grad. Diese Stelle wurde am vergangenen Samstag jedoch folgenlos passiert. Wählt man bei der Abfahrt dieselbe Route wie für den Aufstieg, d.h. man hält sich konsequent an den E/SE-Rücken, werden sich kaum Probleme ergeben. Problematisch dabei ist es, dass diese Abfahrtsroute nur mässig lohnend ist, da sie über den engen und oft abgeblasenen Rücken verläuft. Umso mehr lockt da der gefährliche Osthang.

Bei entsprechender Routenwahl ist der Aufstieg auf den Vilan und die Abfahrt meist auch bei LWS 3 vertretbar. Hier sind wir im Dezember 2013 beim Aufstieg über den E/SE-Rücken, welcher meist abgeblasen daherkommt und in der Abfahrt halt auch nicht ganz so lohnend ist. Der gute Abfahrtshang ist dafür brandgefährlich...
Der Osthang am Vilan

Die von der betroffenen Gruppe gewählte direkte Abfahrt über die Osthänge ist bei LWS 3 generell zu meiden. Der freistehende Vilan ist ein sehr windexponierter Berg, und bei den meist vorherrschenden Windrichtungen von Süd (Föhn) über West bis Nordwest (Staulage mit Schneefällen) handelt es sich beim östlich ausgerichteten Unfallhang um einen Leehang, in welchem der Triebschnee deponiert wird. Der Hang ist praktisch durchgehend steiler als die kritischen 30 Grad, mit Stellen die bis an oder über 40 Grad hinausgehen. Achtung: bei LWS 3 ist nicht die Steilheit am Punkt wo man sich aufhält massgebend, sondern die steilste Stelle im gesamten Hang!!! Weiter ungünstig ist die Tatsache, dass der Hang über keinen sanften Auslauf verfügt, sondern am Fuss stellenweise ungünstiger Staubereich vorhanden ist.

Detaillierte Karte der Gipfelregion am Vilan von map.geo.admin.ch. Die Einfärbungen betreffen die Hangsteilheit, wobei ohne Färbung <30 Grad bedeutet, gelb bedeutet 35 Grad, orange 40 Grad, das dunkle violett 45 Grad und hellviolett sind die noch steileren Hänge. Solche Karten sind für jede Tour in der Schweiz für jedermann frei zugänglich! Die vom SLF publizierten Koordinaten sind mit einem Marker angegeben. Man erkennt deutlich, dass der Osthang des Vilan (in seiner bei LWS 3 relevanten Gesamtheit) mit 40 Grad Steilheit eingestuft werden muss.
Taktik im Hang

Egal was, wie, wann und wo, aber insbesondere bei erhöhter Lawinengefahr ist es ein grober taktischer Fehler, sich bei der Abfahrt mit mehreren Personen gleichzeitig im gefährdeten Gelände aufzuhalten. Und hier sprechen wir von (mindestens) 8 Personen, welche sich gleichzeitig im Gefahrenbereich aufgehalten haben. Der Unfallhang ist keine 200hm lang, es wäre an dieser Stelle problemlos möglich (und Pflicht!), ihn einzeln zu befahren. Sichere Aufenthaltsorte vor und nach dem Hang sind vorhanden. Selbst bei LWS 2 fährt man einen solchen Hang grundsätzlich immer einzeln ab.

Der Osthang am Vilan von seinem Fuss, die Unfallstelle befindet sich ziemlich genau in Bildmitte. Man erkennt hier auch gut den ungünstigen Auslauf mit potentiellem Staubereich am Hangfuss. Geht hier eine Lawine ab, so muss man mit grossen Verschüttungstiefen rechnen, ein weiterer Faktor der ungünstig in eine Beurteilung einfliesst. Quelle: adrian @ hikr.org
Risikocheck

Die Lawinenprävention zuallererst einmal zuhause in der warmen Stube statt! An erster Stelle steht eine sorgfältige Auswahl der Tour, mit präzisem Kartenstudium soll eine Beurteilung von deren Machbarkeit mit einem Risiko-Check (elementare Reduktionsmethode, Stop or Go und weitere Derivate) durchgeführt werden. Es ist ganz eindeutig nicht der richtige Ansatz bzw. der erste Schritt in Richtung Lawinenunfall, sich einfach einmal "vor Ort zu begeben und dann zu schauen". Es mag wohl sein, dass sich vor Ort manchmal zeigt, dass ein aufgrund der Planung als zu heikel eingeschätzter Hang doch begehen lässt - nämlich dann, wenn er entweder abgeblasen oder total verfahren und sowieso unlohnend ist. Überall dort, wo aber der schöne Pulverschnee lockt, ist nämlich selbst der Experte dann doch auf die Beurteilung via Gefahrenstufe und Hangsteilheit angewiesen... 

Risikocheck mit elementarer Reduktionsmethode. Quelle: SLF
Schlechte Sicht

Ich gehe nun seit rund 25 Jahren auf Skitouren und habe den Eindruck, dass die Tourentätigkeit bei schlechten Wetterbedingungen massiv zugenommen hat. Für den Unfall am Vilan war dieser Aspekt zwar irrelevant, aber trotzdem: eingeschränkte Sicht (Nebel, teils sogar schon nur diffuses Licht) vertragen sich nicht mit LWS 3!!! Weil dann nämlich Fernauslösungen möglich sind und für die Beurteilung der Steilheit der ganze Hang massgebend ist. Die Tourerei bei schlechtem Wetter sollte also deutlich kritischer gewertet werden - es macht nicht nur weniger Spass, sondern die Odds für einen Unfall sind höher und die Folgen auch gravierender (schlechte Übersicht über das Geschehen, ausbleiben von Hilfe, schnelleres Auskühlen bei Verletzungen, ...).

Folgebeitrag

Diesen gibt es hier!