Dieser Winter macht es uns Eiskletterern alles andere als einfach und wenn man nicht nur einige Standard-Spots wie das Avers oder das Sertig besuchen möchte, so erreicht man ohne etwas Aufwand nichts. Ohne Fleiss kein Eis heisst also das Motto des Winters 2016, und so hatten Wolle und Moritz ihre kurz zuvor gemachte Entdeckung im Brunnital denn auch getauft. Ende Januar und somit rund 2 Wochen vor unserer Begehung hatten die beiden nahezu in der hintersten Ecke des Brunnitals, beim Firnband am Fuss der Stäfelstock Nordwand, einen 110m langen Fall erstbegangen.
Nachdem für einmal ausnahmsweise weder Sturm, Schneetreiben oder erhebliche Lawinengefahr herrschten, bei welcher man dieses Projekt definitiv vergessen kann, einigte ich mich mit Jonas auf dieses Ziel. Der Alternativen wären nicht viele gewesen. So galt es eben, die mindestens 1400hm Zustieg auf sich zu nehmen. Im Angesicht der 110m an Eiskletterei die warten ein ziemlich langer Weg. Immerhin führt er über eine lohnende Skitour und auf diese Weise muss man die Route auch sehen. Es ist eine mit guter Skitour gewürzte Eiskletterei, oder mit guter Eiskletterei gewürzte Skitour, je nach persönlicher Perspektive.
Endlich wieder einmal im Eis! Das ist die Perspektive vom Einstieg. |
Um 8.00 Uhr gingen wir in Unterschächen auf ca. 1000m los. Hier lagen nur wenige Zentimeter Schnee, doch gerade genügend, um mit den Skis losfellen zu können und am Schluss auch wieder zum Ausgangspunkt abzufahren. Unsere Erinnerungen an die tollen Klettereien am Taleingang wie die Verschneidung (WI4-), den Cold Carpet (WI4+) oder den rechten Lisslerenfall (WI5) verblassen immer mehr. Inzwischen sind es schon 5 Jahre, seit wir das letzte Mal hier angreifen konnten. Danach stellten sich leider nie mehr für längere Zeit gute Bedingungen ein. Wie schade, gäbe es hier doch noch sehr viel zu tun, insbesondere in den oberen Schwierigkeitsgraden. Jedoch gab's am Tag unseres Besuchs fast gar kein Eis, ein paar kümmerliche Zapfen waren das höchste der Gefühle.
Hydrophobia (WI6-). Bei diesem Anblick fühle ich mich auch hydrophob... |
Cold Carpet (WI4+), vermutlich die beste Tour in diesem Grad in der Schweiz. |
In zügigem Schritt ging's der mit Fahrverbot belegten Güterstrasse entlang auf die Brunnialp (1400m). Obwohl wir nicht allzu viel Höhe gewonnen hatten, lag hier schon eine solide, rund einen Meter hohe Schneedecke. Und es galt sich zu entscheiden: der kürzeste Zustieg zur Eiskletterei, mit dem minimalen Höhengewinn führt über Griesseggen aufs Firnband. Allerdings waren wir kurz davor, in eine kompakte Hochnebelsuppe einzutauchen. Dies mit mutmasslich sehr wenig Sicht, was auf diesem alpinen Zustieg aber unerlässlich ist. Zudem führte offenkundig auch keine Spur in diese Richtung. Anders war dies in Richtung Griesstal und Hoch Fulen. Hier war bereits angespurt. Dadurch liessen sich Orientierungsprobleme und Anstrengung einsparen, und unsere Route war gesetzt. Der Weg durchs Griesstal und via Sprossengrätli und Zinggen aufs Firnband ist zwar etwas länger, aber sowieso angenehmer zu gehen und auch spannender.
Unterwegs im Griesstal, in Bildmitte der Hoch Fulen (2502m), der oft auf dieser Route angegangen wird. |
Noch im Griesstal durchstiessen wir auf etwa 1800m die Nebeldecke und überholten wenig später auch die Spurequipe. Diese, auf dem Weg zum Hoch Fulen, freute sich über eine Ablösung. Zu ihrem Pech bogen wir jedoch bald nach links ab, so dass sie nicht lange von unserer Arbeit profitieren konnten. Ohne Schwierigkeiten ging es zum Sprossengrätli, welches fantastische Ausblicke in die Nordwand der Gross Windgällen bietet - auch eine Tour, die man einmal gemacht haben sollte (inzwischen ist das gelungen)! Von dort mit wenig Höhenverlust (kein Fellwechsel nötig) weiter zum Übergang von Zinggen (2336m), womit der Kulminationspunkt erreicht war. Dieser Pass ist ostseitig gehörig steil (die ersten 40hm rund 40 Grad), dazu Kammlage und es gab auch massive Wächten. Doch wir fanden einen Durchschlupf und konnten im samtweichen Pulver talwärts kurven.
Blick auf die Nordwand der Gross Windgällen (3167m) - auf diese Tour freue ich mich! |
Abfahrt vom Zinggen in Richtung Einstieg, die erste Hälfte von L1 ist noch verdeckt. |
Den Einstieg der Eistour auf ca. 2100m erreicht man in direkter Zufahrt, ohne nochmals die Felle montieren zu müssen. Von Unterschächen hatten wir gerade ca. 3:00h bis zum Zinggen gebraucht. Mit Fellwechsel, Abfahrt und Anlegen der Ausrüstung verging dann nochmals etwas Zeit, so dass wir schliesslich um 12:15 Uhr und damit erst über 4:00h nach dem Aufbruch im Tal bereit waren. Die Erstbegeher waren in 3 Seillängen geklettert, also durfte ausgeknobelt werden, wer mit der Kletterei beginnt. Mit der Absicht, möglicherweise 4 SL daraus zu machen und den Vorstieg schön hälftig aufzuteilen stieg ich schliesslich los.
Blick vom Einstieg nach oben. Wie fast immer war's von nahe nochmals deutlich steiler wie von fern. |
L1, 55m, WI5-: Wir hatten etwas befürchtet, auf sehr altes, sprödes Eis zu treffen. Zum Glück bewahrheitete sich diese Vermutung nicht. Gerade frisches Softeis war es zwar nicht, aber dennoch problemlos ohne ellenlange Abräumaktionen zu beklettern. Die ersten 20m vielleicht so rund 80 Grad steil, dann folgt eine längere Passage, welche an die Senkrechte heranreicht. Dann wäre es so langsam Zeit geworden für einen Stand. Doch es gab erst keinen Absatz, dann tropfte es von oben und als ich schliesslich den Platz gefunden hatte, war das Eis dort etwas luftig und die Qualität der Schrauben maximal durchschnittlich. Also weiter, bis ich kurz vor "Seil aus" in die Höhle hinter der Säule verschwinden konnte. Die Erstbegeher hatten hier ihren zweiten Stand bezogen.
Winter? Winter! Jonas folgt in L1. |
Kuscheliger Stand in der Höhle nach L1. |
Yours truly folgt in L2. |
Letzte Meter zum Top, sehr schöne Genusskletterei! |
Das offizielle Routenende. Die Haken haben also gehalten! |
Und hier ginge es weiter... Stäfelstock Nordwand. Eiger lässt grüssen, die Felsqualität ist gut. Wer kommt mit? |
Um 14:45 Uhr und damit nach ca. 2:30h waren wir am Ausstieg der Route angelangt. Dieser wird durch einen NH-Stand markiert, den die Erstbegeher eingerichtet hatten. Wir nutzten diesen ebenfalls und seilten uns in die Tiefe. Wenig oberhalb der Höhle konnten wir auch noch die Abalakov der Erstbegeher nutzen, so dass wir nur wenige Minuten später wieder am Einstieg waren. Nachdem die Ausrüstung wieder versorgt und ein Tee getrunken war, stachen wir auf den Skis in die Tiefe. Oft ist ja die Fahrerei mit einem Kletterrucksack nicht so genussvoll. An diesem Tag war die Schneequalität aber so herausragend, dass die Abfahrt grössten Spass bereitete und auch trotz dem Gepäck überhaupt nicht anstrengend war. Die Passage bei Griesseggen zur Ausfahrt vom Firnband muss man erstens treffen (was bei vernünftiger Sicht kein schwerwiegendes Problem darstellt), aber auch dann erheischt sie wegen der Steilheit (40-45 Grad auf 80hm) noch etwas Respekt. Noch bis zur Brunnialp hinunter konnten wir schönsten Pulver geniessen, danach ging es über die Güterstrasse zurück zum Ausgangspunkt in Unterschächen, wo wir um 16:00 Uhr eintrafen. Nicht schlecht Herr Specht - das war ein rundum gelungener Ausflug, und die erste Wiederholung der Route konnten wir uns obendrein auch noch sichern!
Facts
Brunnital - Ohne Fleiss kein Eis - D+ IV P3 5- - 110m - Liebich/Wälde 2016 - ***
Material: 1x60m oder 2x60m-Seile, 10-12 Schrauben, Material für Abalakov, Lawinenausrüstung
Sehr schöne, ziemlich homogene, anhaltend recht steile Eiskletterei in einer abgelegenen Ecke des Brunnitals, genauer am Fuss der Stäfelstock Nordwand. Der Zustieg umfasst rund 1400hm und 3:00h Marsch. Somit ist er für eine Eiskletterei von dieser Kürze kaum zu rechtfertigen. Es handelt sich dabei aber um eine lohnende Skitour in einem landschaftlich schönen Gebiet, welches auch unabhängig von der Eiskletterei begangen wird. Die Pluspunkte der Route liegen bei der schattigen Lage auf 2100m (Expo NNE). Daher lassen die Temperaturen hier wohl fast jeden Winter das Eisklettern zu. Ob sich der Fall jedes Jahr bildet ist nicht bekannt. Immerhin sollte es kaum am fehlenden Wasser scheitern, da ja der Herbst 2015 vor unserer Begehung extrem trocken war. Immerhin ist die Route vom Eingang des Brunnitals sichtbar und hat somit den Vorteil, dass man nicht erst 3 Stunden Laufen muss um herauszufinden, ob sie vorhanden ist oder nicht. Um den langen Zustieg etwas gewichtsoptimiert anzugehen, könnte man hier auch gut mit einem 60m langen Einfachseil anrücken. Es sind dann halt 4 statt nur 2 Abseilmanöver vonnöten, was aber absolut kein Problem darstellt. Hinweis: der Zustieg erfordert eine komplette Skitouren- und Lawinenausrüstung und erfordert zudem sichere Verhältnisse und gute Sicht. Der Einstieg zur Route befindet sich hier: klick!
Movie der Erstbegeher
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