Die Route Psychides in der Südwand am Chli Bielenhorn beim Furkapass ist eine Kreation der Remy-Brüder aus dem Jahre 1985. Im Jahr 2012 wurde sie mit neuem Material ausgerüstet, wobei einige Passagen mit zusätzlichen Bolts entschärft wurden. Seither erfreut sie sich wieder einer grösseren Beliebtheit, obwohl sie etwas im Schatten der benachbarten Sacremotion steht. Im Vergleich zu ihrer durchaus attraktiven Schwester ist sie nämlich spürbar anspruchsvoller, dafür aber hat mir die Kletterei in der Psychides noch besser gefallen.
Kurz vor den Sommerferien 2018 ist uns eine alpine MSL vergönnt. Wir entscheiden uns für eine granitige Kletterei, unsere Diskussionen drehen sich erst um die Teufelstalwand. Ob dem sehr schönen und warmen Wetter fürchten wir jedoch etwas die dortige Hitze und entscheiden uns schliesslich für den Furkapass. Es ist ja nicht allzu oft der Fall, dass man im rauen Klima dort oben genussreich in legerer Kleidung klettern kann. Diese Gelegenheit wollen wir uns nicht entgehen lassen! Der Zustieg vom Sidelenbach (P.2280) zum Wandfuss ist uns wohlbekannt. Er umfasst rund 400 Höhenmeter und kostete uns 40 Minuten. Der Einstieg befindet sich direkt mittig unter der zentralen Südwand und ist mit "PSY" markiert - fixes Material ist hingegen auf den ersten 25m nur spärlich vorhanden. Um ca. 9:15 Uhr geht's los.
Routenverlauf der Psychides (7a++) am Chli Bielenhorn, die orangen Punkte markieren die effiziente 2x60m-Abseilpiste |
Super Ambiente kurz vor dem Einstieg - da kommt die Vorfreude aufs Klettern mehr als nur auf! |
L1, 45m, 7a++: Nach einem noch relativ gemütlichen, aber doch nicht zu unterschätzenden Auftakt zum hohen ersten Bolt befindet man sich bald in einem breiten Riss. Dieser muss selbst abgesichert werden, dazu gilt es sich mit allen Regeln der Kunst festzuklemmen und in die Höhe zu schieben (rampf!). Die nächste Etappe startet nach dem Dachwinkel, wo der Riss nach rechts abbiegt. Ein kräftiger, psychisch anspruchsvoller Piaz muss durchgezogen werden. Er leitet nach dem nächsten Knick im Riss gleich über in die sehr harte Crux. Steil und trittlos müssen hier auf Gegendruck alle Kräfte mobilisiert werden, immerhin steckt wieder fixes Material in Form von BH. Mein Versuch auf Durchstieg scheitert ziemlich chancenlos... nach meinem Empfinden ist diese Passage mehr als 7a+, sie erfordert einen total unerschrockenen Piazhengst (oder -stute, natürlich ;-)). Schliesslich wird man dann in weniger steiles Gelände entlassen, wo es wieder besser dahingeht - mit einem nochmals längeren Sicherungsabstand zum Stand hinauf allerdings, damit's ein wenig aufregend bleibt.
Klare Linien in der anspruchsvollen L1, wieder einmal ein typischer Fall für den berühmt-berüchtigten Grad von 7a++. |
Rückblick auf den Schlussabschnitt von L1 (7a++). Zuletzt ist die Kletterei einfacher, dafür ziemlich runoutig-aufregend. |
L2, 40m, 6b: Kurzer Boulder rechtsrum, dann einfacher über eine Art Rampe hinauf. Die Crux folgt nach der Hälfte der Seillänge in Form einer heiklen Plattenstelle. Leider ist diese ungünstig abgesichert - wer's nicht drauf hat, knallt hier unweigerlich aus mehreren Metern Höhe auf das darunter liegende Band, da kann die Sicherungsperson noch so aufmerksam sein (expo!). Tief durchschnaufen, positiv bleiben und entschlossen durchziehen, anders geht's nicht. Als kleine Ermutigung vielleicht noch: es kommen dann schon ein paar Grifflein, wenn man den Auftakt gezogen hat und cool bleibt, wird man einen gefährlichen Sturz wohl vermeiden können. Zuletzt geht's wieder einfacher dahin - hier wurde im Zuge der Sanierung auch ein unnötiger Bolt angebracht, der unten besser investiert gewesen wäre...
Jonas folgt in der Crux von L2 (6b), einer ungünstig abgesicherten expo-Plattenstelle. |
L3, 35m, 6a: Vom Stand links um die Ecke und athletisch in dieser hinauf. In der Folge muss man dann deutlich nach rechts halten - teilweise selbst abzusichernde, schöne Risskletterei wartet.
L4, 30m, 6c: Eine tolle Seillänge! Vom Stand nach rechts hinaus, den abstehenden Zacken bitte sorgsam behandeln. In feiner, technischer Wandkletterei an stumpfen Rissspuren will die optimale Lösung ausgetüftelt werden - dranbleiben, es geht schon! Die Absicherung hier tiptop mit Bohrhaken. Hat man diese Passage gemeistert, führt ein Riss einfacher nach links hinauf. Von einer Art Podest geht's dann zuletzt wieder kühn nach rechts hinauf. Die immer dünner werdende Rissspur muss selbst mit kleinen Cams oder Keilen abgesichert werden, von deren Ende warten recht kühne Wandkletter-Moves hinauf zum Stand - pretty committing!
Diese schöne Doppelbild-Sequenz zeigt das kühne Finish von L4 (6c)... |
L5, 15m, 5c: Schöner und gemütlicher, aber dennoch nicht völlig banaler Quergang nach links zum gemeinsamen Stand mit der Perrenoud.
Jonas in L5 (5c). In Blickrichtung des Kletterers führt die Route "Die 3 blinden Mäuse" weiter, die Psychides hält nach links. |
L6, 45m, 7a: Eine fantastische Seillänge, welche nach einem Auftakt in der leicht nach rechts ziehenden Verschneidung drei markante Passagen bereithält. Zuerst folgt ein Plattenboulder nach links, der ging mir mit etwas Dynamik tiptop auf. Danach folgt ein anhaltendes Stück in technischer Wandkletterei mit abgefahrenen Moves, das ging mir ziemlich am Limit auf, echt genial! Und zuletzt steht man dann noch vor einer etwas kühnen Piazschuppe, wo man zuerst selber legen muss und schliesslich nur der beherzte Schritt nach vorn zum Erfolg führt. Erst die letzten Meter sind dann gemütlich.
Da hat er gut lachen, an dieser Stelle sind die schwierigen, aber genial schönen Meter von L6 (7a) in der Tasche. |
L7, 35m, 6b: Wenn man an dieser Stelle seinen Vorsteiger sichert, so turnt der auf den ersten Metern athletisch-gutgriffig herum und verschwindet dann aus dem Blickfeld. Man nimmt jedoch durchaus wahr, dass er sich zunächst direkt oberhalb befindet. Dort wartet eine plattige Linksquerung mit längerem Hakenabstand, wo ein Sturz unterhalb der Dachzone in der Gegend vom Stand enden würde, was eher weniger ratsam scheint. Die Kletterei ist an dieser Stelle jedoch nicht sonderlich schwierig. Weiter geht's mit einer athletischen Verschneidung, zuletzt dann einfacher zum Stand.
L8, 50m, 6a+: Nach einer ersten Wandstufe warten hier nochmals sehr schöne Riss- bzw. Piazmeter, die teilweise mobil abzusichern sind - absolut toll! Mit der Zeit wird's dann ein wenig einfacher, bis man über eine Art Rampe den finalen Stand der Psychides auf einem Pfeilerkopf erreicht. Von dort könnte man Abseilen. Günstiger ist es jedoch, noch 15m weiter zum Ausstieg von Sacremotion und Perrenoud zu klettern (links-rechts-links), weil von dort eine sehr gute und effiziente Abseilpiste beginnt. Den Gipfel des Chli Bielenhorn hat man aber auch dort nicht erreicht.
Der Akteur erreicht gerade den Pfeilerkopf, wo sich das offizielle Ende der Psychides befindet. |
Um rund 13.30 Uhr und damit nach 4:15h sehr vergnüglicher Kletterei sind wir beide am Top. Wie bereits im Blog über die Sacremotion beschrieben, lohnt es sich hier für einmal absolut, die 60m-Halbseile mitzunehmen. In 4 praktisch pfeifengeraden und ausgereizten Strecken mit teilweise routenunabhängigen Ständen erreicht man nämlich sehr zügig wieder den Einstieg, während mit 50m-Halbseilen 7 etwas umständliche Manöver fällig sind. So dauert es dann nur 20 Minuten, bis wir retour am Wandfuss sind. Wir nehmen einen verspäteten Zmittag ein und während Bedingungen und Tageslicht noch das Klettern einer weiteren Route zulassen würden, so ist dies aufgrund unserer Verpflichtungen daheim leider nicht möglich. So wandern wir durch die schöne Berggegend retour an die Passstrasse und cruisen beglückt durch das schöne Erlebnis nach Hause.
Das Klima am Furkapass ist rau, aber wenn's schön ist, ist's schön! Im Blick die Schwemmebene vom Sidelenbach. |
Facts
Chli Bielenhorn - Psychides 7a++ (6b obl.) - 8 SL, 300m - C. & Y. Remy 1985/2012 - ****;xxx
Material: für Abseilen 2x60m-Seile ideal, 12-14 Express, Camalots 0.2-2, Keilset
Top Granitkletterei durch die Südwand am Chli Bielenhorn, welche sowohl in Punkto Schönheit und Anspruch sogar noch oberhalb der vielgerühmten Sacremotion einzuordnen ist. Die Schwierigkeiten befinden sich ziemlich homogen im Bereich 6bc mit einem etwas schwierigeren Abschnitt in L6 und der herben Piazstelle in L1. Für jene sollte man in diesem Stil geübt, psychisch parat und darüber hinaus auch gut aufgewärmt sein, ansonsten (und womöglich auch dann) passt der offizielle Grad von 7a+ hier ganz sicher nicht. Mit Verwendung der dort steckenden Bohrhaken und etwas Trickserei an mobilen Sicherungen geht diese Stelle auch technisch. Ein kleiner Wermutstropfen zwar, aber für den tollen Rest der Route ist das in Kauf zu nehmen. Seit der nicht überall restlos geglückten, aber insgesamt doch begrüssenswerten Sanierung 2012 ist die Route v.a. an den Schlüsselstellen gut abgesichert. Diverse einfachere Teilstücke (bis ca. 6b) sind mobil abzusichern, andere erfordern aber auch beherztes Steigen über der letzten Sicherung. Mitnehmen sollte man auf jeden Fall Cams von 0.2-2 (0.3-1 evtl. doppelt), ein Keilset kann man ebenfalls gut einsetzen. Wie im Haupttext bereits erwähnt, ist das Abseilen mit 2x50m möglich, mit 2x60m jedoch viel angenehmer/schneller.
Topo
Ein Topo und weitere Informationen findet man z.B. im Extrem Ost, oder auch im SAC-Führer Urner Alpen 2. Die hier abgebildete Topo-Skizze von Paolo & Sonja ist exzellent und gibt den Routenverlauf exakt wieder, nur die Schwierigkeitsangaben stimmen nicht überall mit jenen im Extrem Ost überein. Ich habe zusätzlich noch die Position der Abseilstände eingefügt.
Topo von paolo-sonja.net. Route 1 = Sacremotion, Route 2 = Psychides |