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Mittwoch, 21. August 2019

Parete dei Titani - Venus ou bien Venise (6b+)

Zum Abschluss unseres Chamonix-Trips wollten wir uns nochmals ein richtiges Highlight gönnen und besuchten das italienische Val Ferret auf der Südseite vom Mont-Blanc-Massiv. Das Tal ist paradiesisch schön: Auen, lichte Wälder, tosende Flüsse, klare Tümpel, hohe Berge, Gletscher, alles was das Alpinistenherz begehrt ist da. Der Plaisirkletterer findet an den Aiguilles Rouges de Triolet sein Vergnügen in extrem griffigem und strukturiertem Granit. Viele der Touren dort werden vom Rifugio Dalmazzi angegangen und liegen nicht mehr im Tagestourenbereich. Das trifft für die an der Sockelwand der Triolet-Berge gelegene Parete dei Titani nicht zu. Hierhin gelangt man mit nur 1h Zustieg und trifft in der 'Venus' auf ein herrliches Feuerwerk von abwechslungsreichen Seillängen in bestem, kletterfreundlichem Granit. Auch wenn die Wand alpinistisch eher unbedeutend ist, ob der schönen Umgebung und der exzellenten Kletterei haben wir es mit einer 5-Sterne-Tour zu tun!

Das italienische Val Ferret ist ein Paradies - eines der schönsten Alpentäler, die ich bisher besucht habe!
Von unserem Basecamp in Vallorcine sind es zwar keine 20km zum Einstieg, aber es ist doch eine längere Reise. Sie führt erst nach Chamonix und durch den teuren Mont-Blanc-Tunnel (57 Euro retour) und dann sehr sehenswert durch das Val Ferret. Bis Planpincieux ist mir dieses bekannt, dorthin waren wir damals nach dem Nordwandabenteuer an den Grandes Jorasses abgestiegen. Nun ja, dieses Mal soll es weniger wild zu- und hergehen. Trotzdem sind wir früh aufgebrochen. Einerseits wollten wir nicht vor dem Tunnel im Stau stehen, andererseits wird die Strasse im hinteren Val Ferret ab Lavachey teilweise ab 9 Uhr gesperrt und vor allem gibt's zuhinterst in Arpnuova nur eine limitierte Anzahl Parkplätze. Unterwegs hatten wir uns ein feines Frühstück gekauft, das wir hier in schönster Umgebung an der Sonne geniessen konnten - top!!! Kaum zu glauben, wie oft wir dabei von asiatischen und amerikanischen Wandergruppen fotografiert wurden. Ob die wohl der Meinung waren, dass wir hier irgendwo in den Büschen leben ;-)

Blick vom Zustieg Richtung Triolet-Gletscher und Parete dei Titani, wo Ein- und Ausstieg der Route markiert sind.
Zum Pressieren gab's für uns nichts mehr. Die Parete dei Titani ist erst ab dem späteren Vormittag (je nach Jahreszeit 10-11 Uhr) an der Sonne und absolut stabiles Wetter war angekündigt. Trotzdem machten wir uns um 10.00 Uhr langsam auf den Weg. Zuerst geht's noch 1km der Fahrstrasse entlang ins Tal hinein, bevor man links ausgeschildert Richtung Rifugio Dalmazzi abzweigt. Über einige improvisierte Brücken quert man das Bachbett, geht am Klettergarten vorbei und erreicht über eine Stufe die langgezogene Moräne vom Triolet-Gletscher. Dieser folgt man bis unmittelbar vor dem Einstieg, der aufgrund des Topos resp. Wandfotos im Groben problemlos zu identifizieren war. Wir brauchten bei (für mein Gefühl) gemütlichem Gehtempo gerade die im Plaisir Süd und auf C2C veranschlagte Stunde Gehzeit. Ja, es bessert langsam mit der Lauferei, inzwischen halten wir bereits die Zeiten aus der Literatur ein :-) Nachdem wir uns dick mit Sonnencrème eingeschmiert hatten, konnte es um 11.30 Uhr losgehen. Bis auf eine Seilschaft, welche sich bereits in L5 der Venus befand, war der ganze Wandbereich verwaist.

Blick auf die Parete dei Titani und den Routenverlauf vom Punkt, wo man von der Moräne abzweigt.
L1, 6b: Zuerst heisst's, in die richtige Route einzusteigen! Angeschrieben ist nichts, die Tour die direkt vor der Nase gerade links vom tiefsten Punkt an der markanten Schuppe startet ist jedoch die 'Ahi Ahi Ahi'. Der Einstieg der 'Venus' ist ca. 5m weiter rechts, d.h. rechts vom tiefsten Punkt und der Kante, ein bisschen weniger offensichtlich. Es wartet nun senkrechte, recht anhaltende Wandkletterei an vernünftigen Griffen, eine prima Sache. Nicht ganz einverstanden bin ich mit der Bemerkung im Plaisir Sud, es sei nur 1 Move, der die 6b ausmache.

Rückblick aus der Kletterstellung auf die steile L1 (6b), die mit anhaltenden Moves in senkrechtem Gelände aufwartet.
L2, 5c: Lange, superschöne Platte, der Fels ist ideal strukturiert. Hier muss man nicht wie am Grimsel schleichen, sondern klettert immer an Struktur - ein wenig wie in Ailefroide, würde ich sagen.

Sehr schöne Plattenkletterei in L2 (5c), die Umgebung einfach unschlagbar schön, erst recht an diesem Traumtag!
L3, 6a: Die Route führt durch die Verschneidung rechts, welche auf ein paar Metern etwas glatt und gar nicht mal so einfach ist. Man verlässt diese und klettert links an den Stand, gerade hinauf könnte man sich in die 'Titanic' verhauen (die Gefahr ist allerdings klein, einfach den Haken nach und nach oben wird's eh grasig).

Wieder einmal einen No-Hand-Rest gefunden. Gut, in der 6a-Verschneidung von L3 nicht so erstaunlich...
L4, 6a+: Schöne Wandkletterei mit steiler, griffiger Zone, super. Das Ende bringt einen dann auf die nächste, grosse Platte.

Ich wurde schon oft gefragt, wie ich mich auf MSL von der Tochter sichern lasse. Mit Grigri am Fixpunkt heisst die Lösung, hier im Bild gut sichtbar. Funktioniert perfekt, ist 100% safe und ich hab's natürlich vor dem Echteinsatz auch mit Hintersicherung sturzgeprüft. Einzig die mangelnde Dynamik kann man ankreiden, harte Stürze in die ersten 1-2 Haken wären wohl moderat angenehm. Einzig am Einstieg ist jeweils etwas Kreativität nötig: entweder natürlichen Fixpunkt schaffen, erste Zwischensicherung als Fixpunkt benutzen oder Edelrid Ohm verwenden. Hier bei der Venus gab's eine prima Sanduhr von verkeilten Blöcken, Problem gelöst. 

Eine spezielle Geschichte ist auch der leer glänzende Dübel neben dem Standhaken. Unbekannte hatten vor relativ kurzer Zeit an den Standplätzen Ketten angebracht. Dazu wurden jeweils 1-2 neue Dübel gesetzt. Leider wirkt diese ganze Aktion sehr unprofessionell. Die vorhandenen Haken waren von rostfreier Qualität und noch einwandfrei, man hätte sie problemlos weiterverwenden können - und wenn schon, hätte man sie am besten abgeflext und die Löcher gepatcht. Noch schlimmer ist aber, dass die neuen Dübel nur verzinkt sind....
L5, 5c: Lang, homogen, super. Griffige Plattenkletterei at its best! Ein bisschen erstaunt bin ich darüber, dass hier die Absicherung aufgebessert wurde, d.h. es wurden in dieser Länge ca. 4 zusätzliche BH gesetzt. Dies ohne den Erschliesser Michel Piola um Einwilligung zu fragen. Er zeigte sich denn auf meine Nachricht hin auch wenig erfreut - gut möglich also, dass diese Haken bald wieder verschwunden sind. 

Eindrückliche, grosse Platte in L5 (5c).
L6, 3a: Noch kurz einige Meter im leichten Fels aufs Grasband und dieses nach rechts hochsteigen, um an den oberen Wandteil zu gelangen. Offenbar gab's auch hier schon Verhauer in die 'Ahi Ahi Ahi', aber wenn man den Trittspuren auf dem Gras folgt und dieses logisch diagonal überquert, kann man kaum fehlgehen?!? Als Tipp noch: die 'Venus' ist die rechteste Route in diesem Wandteil!

L7, 6b+: Die steile, weiter oben gar überhängende Wand des zweiten Teils und die Tatsache, dass wir es mit der Cruxlänge zu tun haben, erheischen ziemlich Respekt. Die Kletterei löst sich dann aber perfekt auf, weitgehend spielt sich diese Länge im 6a-Bereich ab. Zum Schluss wird's dann aber doch noch knifflig, man muss äusserst sorgfältig antreten und kleine Crimps krallen, um durchzukommen. Mich dünkte die Stelle einfacher wie die Crux der Eau Rance, aber massiv schwieriger wie jene von Cacao Girls, Cocher Cochon oder Ombre et Lumière. 

Blick auf die Crux in L7 (6b+). Ihr Kommentar: "Daddy, hast du das echt so schwierig gefunden, wie es ausgehen hat?"
L8, 5c: Gängig und griffig hinauf über die Platte zur Verschneidung hin, welche man über einen interessanten Balkon nach rechts verlässt. Mit genügend Spannweite ein Kinderspiel (oder eben nicht, da müsste man ja Erwachsenenspiel sagen, aber das ist wohl eine leicht frivole, auch wieder nicht passende Bezeichnung ;-)).

L9, 6a+: Supergeniale Seillänge, in welcher man durch eine leicht überhängende Zone in einer Art Verschneidung nach rechts um den Pfeiler "ausweicht". Der Fels weist zahlreiche Henkel auf, eine wirklich geniale Turnerei. Und die Linienführung in dieser steilen, von unten beinahe unüberwindbar scheinenden Wand überzeugt voll und ganz!

Mega lässige, steile und henklige Kletterei in L9 (6a+), dazu auch noch gehörige Exposition.
L10, 6a+: Schöne Wandkletterei, ein bisschen technisch-knifflig zu einer wenig ausgeprägten Verschneidung hin und nach links aufwärts. Beim Ausstieg in die flachere Wandzone steckt dann nicht mehr viel (die Kletterei ist auch einfacher). Aber man wird den Stand schon finden. Bei uns war er durch das italienische Paar markiert, das bei unserem Start schon in der Hälfte der Route war und die wir hier tatsächlich einholten (was sie auch gleich zum Rückzug bewog?!?).

L11, 5b: Superschöne Seillänge mit irre strukturiertem Fels, die sich aber ob der geringen Schwierigkeiten sehr zügig klettern lässt. Nach meinem Empfinden eher einfacher wie 5b. Am Ende dieser Seillänge steht man dann unter grasigen Schrofen, über welche man allenfalls noch etwas höher hinaufsteigen könnte.

Ambiente am Top, einfach der Hammer diese Berggegend. Und erst das Wetter!
Um 15.30 Uhr waren wir nach 4:00 Stunden begeisternder Kletterei am Top. Das war jetzt mit Sicherheit eine der besten Plaisirrouten gewesen, die ich bisher geklettert habe und so klein ist meine bisherige Tourenliste nun ja auch wieder nicht! Noch dazu gelang uns beiden eine lupenreine Begehung, tiptop! Zum Abseilen hatten wir extra 2x60m-Seile mitgebracht, so ging's mit nur 6 Manövern (Stände 11 - 9 - 7 - 5 - 4 - 2) gerade auf. Achtung, ein paar Mal reichen die Seile nur knapp! Alles ging glatt, das Seil platziert sich hier auch jeweils zügig selber, so brauchten wir nur 40 Minuten zurück an den Einstieg. Gemütlich packten wir den Rucksack und wanderten zurück nach Arpnuova, wo wir um 17.30 Uhr eintrafen. Ich hätte nun gerne Polenta, Dolce und Caffè im dortigen Restaurant genossen. Doch Madame präferierte ein Menü vom Sternekoch auf dem Gasbrenner, also ging's mit ein wenig, aber gut erträglicher Wartezeit vor dem Tunnelportal zurück nach Vallorcine. Damit war der Schlusspunkt unserer MSL-Woche in Chamonix gesetzt. Wow, das war ein richtiges Feuerwerk an 6 tollen Touren , einem Besuch am Weltcup und einem Bouldertag gewesen, genial!

Eigentlich unweit vom Parkplatz, aber selbst hier ist's schööön! Füsse abkühlen vor der Heimfahrt...

Facts

Parete dei Titani - Venus ou bien Venise 6b+ (6a obl.) - 11 SL, 400m - Piola/Motto 1996 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seile bzw. 2x60m (vorteilhaft zum Abseilen), 12 Express, Keile/Cams nicht nötig

Fantastische Plaisirtour mit abwechslungsreicher Granitkletterei über Platten und steile Wandzonen. Der Fels ist ideal zum Klettern strukturiert. Henkel, Löcher, Leisten und Sloper, hier gibt's fast alles. Dies noch dazu in einer herrlichen Umgebung und mit moderatem Zustieg. Da vergebe ich gerne die Höchstnote von 5 Sternen, auch wenn die Route auf keinen Gipfel führt und der grosse Nimbus fehlt. Die Absicherung ist wie von Piola gewohnt prima ausgefallen. Die Inox-BH stecken in sinnvoller Menge am richtigen Ort. Für Keile und Cams besteht kein Bedarf, sie wären im kompakten Fels auch höchstens vereinzelt zu platzieren. Achtung, die Strasse zum Ausgangspunkt nach Arpnuova kann in der Sommerzeit ab 9 Uhr gesperrt werden, dann muss man das letzte Stück per Bus zurücklegen. Sowieso gibt's in Arpnuova nur beschränkt Parkplätze, eine frühe Anreise ist daher empfehlenswert. Ein Topo findet man im Plaisir Süd oder im Topoguide. Auf C2C sind diverse frei verfügbare Topos verlinkt. Die Bewertungen variieren je nach Quelle. Ich habe in meinem Bericht jene von C2C verwendet, die schienen mir am stimmigsten.

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