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Donnerstag, 15. August 2019

Sanetsch - Chratz Bürschtä (6b+)

Auf dem Sanetsch war ich 1995 das erste Mal. Mit einem Kollegen wurde oben biwakiert und wir kletterten einige für uns damals anspruchsvolle und eindrückliche Touren wie die 'Follomi' (6b+) oder 'Les zeros sont fatigués' (6a+). Noch nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hatte ich mir damals ausgemalt, dass ich 24 Jahre später mit meiner Tochter zum Klettern hierher käme. Aber times-they-are-a-changing und jetzt war es soweit! Ich hatte mir ausgedacht, dass wir auf dem "Heimweg" von Chamonix vielleicht noch 2-3 Tage hier oben verbringen könnten. Denn am Sanetsch ist's einfach super, nur kommt man viel zu selten da rauf - aus dem Züri Oberland ist's einfach viel zu abgelegen. Nun denn, mit einem mehrtägigen Aufenthalt wurde es nichts, aber eine gute Tagestour liessen wir uns nicht entgehen!

Paroi des Montons - immer wieder schön, hier oben auf dem Sanetsch zu sein. Unsere Route eher im rechten Teil der Wand!
Die Kurverei aus dem Rhonetal hinauf zur Passhöhe ist ja nicht eben kurz. Besonders witzig ist aber, dass man dabei das Dorf Erde passiert. Oben sieht's ja schliesslich ein wenig wie auf dem Mond aus, passt also. Als wir dann endlich da sind, lockt wie eh und je die Paroi des Montons. Durch das Blockchaos geht's hinauf. Ich kann mich noch ganz genau erinnern, wo wir damals das Zelt platziert hatten, gewisse Dinge sind offenbar fix auf der Festplatte eingebrannt. Unbedingt speichern sollte man auch, dass man für die Touren im rechten Teil der Wand beim grossen Block mit den eingerichteten Routen (unscheinbar!) rechts abzweigen soll und nicht dem markierten Pfad hinauf zum Hauptsektor zu folgen hat. Dies dauert erheblich länger, die Querung unter der Wand ist unerquicklich!

Im Zustieg, gerade etwa beim Einstieg der 'Follomi'. Der Pfad der Wand entlang ist nicht überall so bequem.
Wir hatten indes noch die Routenwahl zu treffen. Beim einen oder anderen Besuch im Lauf der Jahre waren mir bereits etliche der leichteren Klassiker bis und mit der 'Douce Violence' (satt 6c) geglückt. Hingegen fehlen im Palmares die richtigen Sanetsch-Knaller mit klingenden Namen à la 'Axis' (7a) oder 'Chemin des Extremes' (7b). Wiewohl, auch für den heutigen Tag wäre dies ein zu gewagtes Unterfangen gewesen. Wir entschieden uns schliesslich für die 'Chratz Bürschtä' (6b+) mit dem Grund, dass sie im Plaisir Selection gelistet ist und der Tatsache, dass die 'Elite des ménages' (6b+) im selben Wandteil bei meinem ersten Besuch ein echter Meilenstein für mich gewesen war. Um 13.30 Uhr standen wir bereit unter der Wand, es konnte losgehen. Noch frappant: von weitem sieht die Paroi des Montons so unnahbar, kompakt und genial aus. Von direkt darunter ist der Anblick aber dann eher etwas enttäuschend. Davon sollte man sich aber nicht abhalten lassen, die Kletterei ist dann nämlich doch formidabel.

Kein sonderlich gutes Foto, aber man erkennt hier doch +/- die Wand und den Verlauf der Route. Der orange Teil figuriert noch als Zustieg, bzw. ist unsere L0. Danach sind 3 Seillängen ziemlich gut nachvollziehbar, die vierte noch so halb und die letzten beiden, sich wieder zurückliegenden Seillängen nur noch rudimentär.
L0, 40m, T5+, 2a: Mit entsprechend Erfahrung läuft dieser Abschnitt noch unter Zustieg und einen erfahrenen Wendenkletterer wird es mässig beeindrucken. Die Kraxelei ist aber recht steil und bald einmal gehörig exponiert, runterfallen liegt da nicht drin. Keine Frage, hier haben wir also schon gesichert.

L1, 30m, 5c: Aus der Nische raus geht's gleich exponiert los, um oberhalb von dieser nach rechts zu queren. Nachher dann gerade hinauf, wo man schon richtig auf die Füsse stehen muss. Die Reibung und der Fels sind aber exzellent. Für den Grad aber eine richtig fordernde Sache. Der Stand ist zum Schluss links im Couloir zu finden.

L2, 30m, 6a: Coole Steilplattenkletterei à la Wenden oder Rätikon. Die Absicherung bemisst sich ebenfalls eher an diesen Vorbildern wie an einer Plaisirroute, sehr ehrlich angeklettert sein wollen die Haken dazu auch noch. Da muss sich der Vorsteiger seiner Sache schon richtig sicher sein, ansonsten kann man sich hier auch gröber wehtun. Kein Gelände jedenfalls, wo ich zurzeit meine Tochter vorgehen liesse.

Sehr schöne, aber taffe Steilplatte in L2 (6a) - von unterwegs im Rückblick fotografiert.
L3, 35m, 6b+: Beim Start gleich direkt über den Überhang, mit genügend Körpergrösse ist das kein Problem (sonst schon, rechtsrum geht's auch einfacher). Dann kurz hinauf und links um die Ecke. Hier geht's originell entlang von einem Hangelriss in athletischem Gelände überhängend aufwärts, die Haken stecken deutlich näher. Für den Grad auch nicht geschenkt!

Ein Blick auf L3 (6b+) im Grossen: nach dem Startüberhang über die Platte zum athletischen Teil.

Die hängt nicht etwa im Seil, sondern hat hier im Überhang tatsächlich einen Drop-Knee-Toehook No-Hand-Rest gefunden, echt sehr bemerkenswert. Tja, genügend Weltcups live und Adam Ondra Videos geschaut um zu merken, wie man sich das Klettern möglichst einfach macht. Seitdem werden an allen möglichen und unmöglichen Positionen solche Positionen gesucht. Klettern ist halt eben auch Spielen!
L4, 35m, 6b+: Zum Auftakt gleich powerige, athletische Kletterei an Seitgriffen. Ausspreizen und mit Gegendruck Haftung auf die Füsse bringen heisst die Devise. Notfalls geht's wohl dank der Haken auch A0. Den Preis für die Komfortabsicherung zahlt man dann aber danach. Im steilplattigen Gelände geht's fordernd und mit weiten Abständen voran. 6a+ obligatorisch ja, aber auch 3m über dem Haken ohne gescheite Griffe in der Hand!

Im Vordergrund die fordernde und ziemlich weit abgesicherte Steilplatte am Ende von L4 (6b+).
L5, 35m, 5c: Zum Auftakt gleich bouldrig-powerig über den Überhang, nach üblichem Plaisir-Massstab der in Chamonix gekletterten Routen sicher eher 6b als 5c. Danach einfacher zur Kalksandsteinzone, wo auf einmal im sehr runden Fels an Slopern operiert werden muss, auch nicht trivial aber sehr speziell!

L6, 30m, 5c: Auf dem Band 5m nach links (der dortige Stand wurde abmontiert) und an guten Griffen über den Überhang hinauf (Felsqualität nicht restlos überzeugend). Man erreicht ein exponiertes Band, auf welchem man nach rechts zurückkehrt und dann erneut athletisch über einen Riegel die Ausstiegswiese erreicht. Achtung, lange Schlingen verwenden, damit man sich nicht ausbremst.

Nochmals einen No-Hand-Rest gefunden. Hier in der Quarzsandsteinzone am Ende von L5 (5c).
Um 16.45 Uhr und damit nach 3:15h Kletterei waren wir am Top. Die Kletterei war doch ein ganzes Stück fordernder ausgefallen, wie ich mir das gedacht hatte. Einerseits bezüglich der Absicherung, andererseits bezüglich der Bewertungen und die athletische Zone in den Längen 3 und 4 hatte ich so auch nicht auf dem Radar. Standesgemäss gelang mir eine lupenreine Begehung, Larina reichte es zu Beginn von L4 leider nicht ganz, was ja aber auch keinen Beinbruch darstellt. Bereits im Schatten und bei zugiger Luft war das Top kein gemütlicher Ort, so dass wir umgehend die Schuhe wechselten und uns auf den Fussabstieg begaben. Erst über die Wiese zum Sattel links (östlich) der Wand, dort dann den roten Punkten entlang steil nach Süden runter. Die Passage ist doch ziemlich exponiert und mit etwa einer T4+ zu bewerten, halt so ein bisschen wie 'Wendenstöcke light'. Nach rund einer Stunde Abstieg sind wir retour beim Auto, kurven zufrieden mit einer weiteren schönen Sanetsch-Route im Palmares vom Mond runter Richtung Erde und verbringen eine weitere Nacht auf dem Camping in Vallorcine.

Für Boulderer gibt's am Sanetsch auch etwas zu tun!

Facts

Sanetsch - Chratz Bürschtä 6b+ (6a+ obl.) - 7 SL, 225m - Schoch/Adam/Rüesch 1990 - ***;xxx
Material: 1x50m-Seil, 10 Express, Keile/Friends kaum einsetzbar

Sehr schöne Kletterei in oft sehr gutem Fels mit idealer Reibung im rechten Teil der Paroi des Montons. Leider ist die Route mit 6 SL eher kurz und die letzten 2 Seillängen sind nicht mehr ganz gleich gut wie die ersten 4, somit begnüge ich trotz einigen hervorragenden Passagen mit drei Sternen. Obwohl die Route in diversen Plaisirführern enthalten ist, würde ich sie eher als moderat schwierige, alpine Sportklettertour sehen. Wer das unbeschwerte Klettervergnügen sucht, könnte hier auch graue Haare kriegen. Erstens sind die Bewertungen gemessen am modernen Plaisirstandard hart und orientieren sich eher daran, was man an Wenden und Rätikon als Währung verwendet. Die Absicherung kann man gerade noch als gut bezeichnen. Die athletischen Schlüsselstellen sind zwar +/- klettergartenmässig eingerichtet, aber die Steilplatten sind eher in der Art gebohrt, dass man nicht stürzen sollte. Somit ist m.E. etwas Erfahrung in solchem Terrain notwendig. Für die in der Literatur empfohlenen mobilen Sicherungsmittel konnte ich keine sinnvollen Einsatzmöglichkeiten erkennen. D.h. das mitgeführte Camset verblieb ungenutzt am Gurt, ich würde das nächste Mal nichts mehr mitnehmen. Hinweis: die Route ist nicht zum Abseilen eingerichtet bzw. geeignet, ein Rückzug ist im Notfall bei Nutzung von Standplätzen in Nachbarrouten aber sicher möglich.

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