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Donnerstag, 29. August 2019

Schlossberg - Fusion (7b)

Der Schlossberg ist ein imposanter Bigwall weit hinten im Engelberger Tal. Seit der eigentlich relativ späten klettertechnischen Erschliessung mit der klassischen Route von Grüter et al. (1971) und einigen wilden Wiederholungsversuchen ranken sich Mythen und Legenden um diese Wand. Im Jahr 1994 legten dann die Gebrüder Remy diverse moderne Routen in die Wand. In der Anfangszeit fanden sich darin einige Wiederholer, doch grosse Popularität erlangte das Gebiet nie, bald wieder geriet es in Vergessenheit. In den letzten Jahren wurden einige wenige Routen (Jingo, Benedikt, Sens Unik) saniert, die anderen fristen ein nun noch umso einsameres Dasein. Ganz verständlich ist das nicht, führt doch eine Route wie die Fusion als eindrückliche Linie mitten durch den Bigwall und bietet vorzügliche, wenn auch anspruchsvolle Riss- und Wandkletterei. Auf der anderen Seite warten Schwierigkeiten bis 7b und eine mit nur 88 BH auf 12 Seillängen möglicherweise nicht allzu üppig ausfallende Absicherung. Somit zögerte auch ich lange - doch schliesslich siegte der Reiz dieses Projekts doch. Absolut zurecht, wie sich zeigen sollte!

Der Sektor Bigwall am Schlossberg mit dem Verlauf der Fusion (7b). Rechts davon befindet sich die berüchtigte Grüter'71.
Zum etwas abgelegenen Schlossberg bin ich schon in verschiedenen Modi angereist: per Pedes oder auch (besser bzw. zeiteffizienter) mit dem Bike durch das Surenental oder mit dem Ultraleicht-Gleitschirm. Mit einem Nichtflieger unterwegs sollte an diesem Tag wieder das Bike zum Einsatz kommen, wobei wir eine neue Anreisevariante ausprobieren wollten. Per Bahn ging's auf die Fürenalp (erst Fahrt um 8.00 Uhr von Juli-September, 13 CHF mit Halbtax plus 5 CHF fürs Bike). Von dort wartet ein cooler Traversen-Downhill zum Stäuber-Wasserfall im Surenental, von wo es noch die nächste Stufe zum P.1507 hinuntergeht. In nur 15 Minuten hatten wir die Wechselzone erreicht. Anstatt dem offiziellen Weg zur Spannorthütte wollten wir heute direkt der T4-Pfadspur der Wand ('Ortflue') entlang zum Einstieg gelangen. Hier geht's steil und effizient 600hm bergauf, für die Routen am Gendarm und am Bigwall ist dieser Zustieg sicher schneller, wie wenn man via Hütte geht. Um 9.30 Uhr, d.h. nach total 1:30h von der Fürenalp-Talstation waren wir am Einstieg. Mit einer sportlichen Pace schafft man diese Zeit (mit Bike) auch ohne die Fürenalp-Bahn. Mit dieser kostet's ein paar Fränkli, es spart aber Kraft und die 350hm Downhill machen mehr Spass wie die 350hm Uphill. Wie auch immer, make your choice! Um 9.45 Uhr stiegen wir schliesslich noch tief im Schatten des Berges ein - kalt war's an diesem Hitzetag überhaupt nicht. Nicht selten ist's hier aber wohl fröstelig, die Sonne erreicht den Einstieg auch im Hochsommer erst um ca. 13 Uhr.

Der Bike-Downhill von der Fürenalp ist gut befahrbar, auch für weniger Versierte und mit dem Kletterrucksack tauglich.
L1, 6b: An sich (und erst recht im Gesamtkontext) nicht allzu schwierig und auch relativ üppig mit BH gesichert. Trotzdem anspruchsvolle Kletterei mit rissigem Auftakt, wo man den ersten Cam bereits legt, wenn die Füsse noch auf Terra  Firma stehen! Später Querung in Wandkletterei, dann grooviger Riss, Grasband zu Stand in Zone in Quarzsandstein wie am Sanetsch - die Remys werden sich daheim gefühlt haben!

Marmor, Stein und Eisen bricht, aber hoffentlich diese super Hakenlasche nicht (es ist nicht das schlimmste Exemplar!)
L2, 6a: Rechtsquerung an die schöne Verschneidung. Es stecken nur 2 BH, der Rest muss und kann gut selber abgesichert werden. Argwohn verspricht einzig die aus einem ultradünnen Messerhaken hergestellte Alteisen-Lasche am ersten BH. Aber zum Glück ist's ja nicht so schwierig, insgesamt die einfachste Seillänge.

L3, 7a: Die steile Rissverschneidung oberhalb vom Stand geht gut: nicht allzu schwierig und auch gut abgesichert. Wie vermutet besteht die Crux der kleingriffigen Linksquerung in Wandkletterei. Prima Fels, gut gesichert, spannende Moves!

Zeigt den Charakter prima: lässige Rissverschneidung, dann die Crux in Top-Wandkletterei in L3 (7a).
L4, 7b: Gleich ein zügiger Auftakt, dann geht's in den Rissverschneidungen aber erstaunlich gut voran! Auch die erste Wandzone ist noch von gemässigter Schwierigkeit, erst ganz am Schluss folgt die Crux in sehr gut mit BH abgesicherter Wandkletterei. Wenn man den leichtesten Weg findet, so ist die 7b eher leicht zu haben. Wählt man den im Onsight logischen Weg, so passt der Grad schon - die Bemerkungen machen übrigens durchaus Sinn, wenn man die Stelle einmal geklettert hat ;-)

Full Gaz! Top-Wandkletterei in der Crux der Route (L4, 7b) - gescheit auf die Füsse stehen und Crimps durchziehen.
L5, 6c: Sehr lange und eindrückliche Rissverschneidung, die Böses vermuten lässt. Aber auch hier ist die Kletterei angenehm und vorerst auch gar nicht so schwierig. Gegen das Ende hin zieht es dann aber an und die Sache kulminiert in der Untergriff-Querung nach rechts und dem Klippen des Standes, der sich hier etwas im Niemandsland (kein No-Hand-Rest) befindet. Wobei es wegen dem Seilverlauf hier wirklich kaum eine Alternative gab/gibt.

13 Uhr, die Sonne kommt. Zeit zum Spielen, während Jonas in der Rissverschneidung von L5 (6c) fightet. So cool!
L6, 6b+: Anspruchsvoller, steiler Auftakt vom No-No-Hand-Rest-Stand weg - ein bisschen brüchig und gleich oberhalb vom Stand, besser die Sicherungsperson mit dem Zusatzbolt rechts aus der Schusslinie nehmen! Danach geht's etwas einfacher dahin, man soll dabei am rechten Riss bleiben! Schliesslich erreicht man die berühmte Langstrasse (diagonales Grasband) - Halbzeit!

L7, 6b+: Eine scheinbar plattige, kompakte Wand mit nur 2 BH - puh, das weckt einen Heidenrespekt! Aber es gibt keine Alternative, da muss man durch. Doch man glaubt es kaum, es lassen sich tatsächlich noch Sicherungen legen, so dass man hier zwar kühn aber vernünftig gesichert klettert! Eine fantastische Seillänge!

Kompakte Plattenwand mit nur 2 BH, aber es geht! Das ist L7 (6b+), unten die Langstrasse (Grasband).
L8, 6b: Neben L2 (6a) die einfachste Seillänge. Dem Riss entlang weiter und dann über Stufen auf ein grosses, überdachtes Band hinauf. Wenn der Nachsteiger da ist, muss man ca. 30m ans linke Ende des Bandes übersiedeln (gut begehbar, keine Sicherung nötig).

Rückblick auf das gut begehbare Band, auf welchem man nach L8 (6b) zum Start von L9 (6b+) quert.
L9, 6b+: Lange Seillänge mit leicht überhängendem Auftakt in griffiger Wand, dann der markanten Verschneidung entlang. Der Fels macht hier einen etwas blockig-mässig soliden Eindruck, aber eigentlich hält alles tiptop. Pumpige Sache, langsam beginnt man die Anstregungen zu fühlen.

Poweriger, überhängender aber recht gutgriffiger Auftakt in L9 (6b+), langsam eine Konditionsfrage!
L10, 6c: Die relativ kurze, aber kompakte, senkrechte Plattenwand stellt nochmals ein echtes Testpiece dar! Die Tropflochkletterei ist zwingend und recht anhaltend. Schon etwas dehydriert und kräftemässig ein bisschen angebrutzelt musste ich mich echt in den Hintern klemmen, um hier nicht noch den Onsight-Gesamtdurchstieg zu vergeigen. Am Ende des kompakten Teils linkshaltend über gebändertes Kraxelgelände zum Stand.

Dieses Mal den Kletterer auf der Bandquerung nach L10 (6c) noch erwischt. Das Foto wird der tollen Kletterei in dieser Länge nicht gerecht.
L11, 6b+: Auf einmal wartet der Schlossberg noch mit Plattenkletterei wie im Rätikon auf! Kurz vor dem Ende wartet hier nochmals ein richtiges Highlight! Nach einem noch gut machbaren Auftakt folgt in der Mitte kühne, fordernde Kletterei. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Tatsache, dass an einer Stelle nur gerade eine Schnürsenkel-Sanduhr zur Absicherung dient. Auch im Finish will die Linie gesucht und optimiert werden, die Bolts wurden hier eher weiträumig platziert. Sie stecken aber sinnvoll, d.h. die Absicherung ist ok und reasonably safe.

Auf einmal kommt Top-Plattenkletterei wie im Rätikon (L11, 6b+). Am oberen Bildrand übrigens die Spannorthütte.
L12, 6b: Diese Länge ist im Extrem Ost nur halbfett eingezeichnet, zudem steht auch in ziemlich allen Führern der Zusatz "brüchig". Naja, da war doch mal etwas in der Tsunami an den Wendenstöcken... aber mein Alpinistenherz lässt sich nicht abhalten und diese Seillänge wird natürlich auch noch angegangen. Der Auftakt spielt sich links in der Wand ab und ist gar nicht so übel, nachher geht's dann doch in die alpin anmutende Verschneidung hinein. Während diese erst noch recht gängig ist, wird sie oben überhängend-athletisch. Hat man diesen Abschnitt gemeistert, so geht's recht steil weiter und die soliden Griffe müssen tatsächlich sorgfältig ausgewählt werden. Insgesamt ist's aber schon in Ordnung, die Bolts stecken auf dieser Länge auch wieder dichter wie z.B. in L10 & L11 - es wäre definitiv schade gewesen, die Route nicht bis zum Ende zu klettern. Allerdings, während ich für den ganzen Rest der Fusion den Remy-Brothers wirklich eine gute Nase für die Linie attestieren kann, so hätte man im zweiten Teil von L12 einfach linkshaltend zum Grat ziehen können. Hier hätte es bis zuoberst schönen, soliden Fels und spannende Plattenkletterei gegeben. Wenn die Route einmal saniert wird, dann sollte man dies korrigieren.

Die letzten Meter zum Top (L12, 6b). Die Felsqualität ist hier definitiv nicht mehr Premium, aber es geht schon! Vor allem würde (im Aufstiegssinn) links an etwas unlogischer Position nochmals ein BH stecken. Mit diesem anstelle vom Cam im Bruch hätten sich der finale Abschnitt noch a bisserl entspannter geklettert, aber ich habe ihn erst beim Abseilen entdeckt.
Um 17.15 Uhr sind wir beide am Top und konnten der Fusion in 7:30h Kletterzeit eine der raren, erfolgreichen Begehungen abringen. Dies für mich im erst noch bestmöglichen Stil, alle Seillängen im Vorstieg onsight. Während die nominellen Schlüsselstellen schon recht weit unten kommen, so heisst es nachher doch noch eine ganze Weile durchhalten und im 6b+/6c-Gelände keinen Fehler mehr machen. Und wie man bestens weiss, kann einem selbst dieser Schwierigkeitsgrad in schon reichlich angebrutzeltem Zustand auf die Pelle rücken. Verstärkt wurde dieser Faktor für uns durch die am Nachmittag unerbittlich brütende Sonne und die Tatsache, dass deswegen die Getränkevorräte schon viel zu bald zur Neige gingen. Nun denn, am Top gab es nichts zu trinken, dafür mussten wir definitiv talwärts. Und das konnten wir mit gutem Gewissen tun, denn die Fusion hatten wir ja komplettiert. Allerdings zeigte der Blick nach oben auch, dass nach dem Überqueren des Diagonalbandes nochmals ca. 4-5 weitere, herausfordernde Seillängen möglich wären. Da hatten wohl selbst die sonst unermüdlichen Remy-Brothers für einmal die Schnauze voll gehabt...

Nochmals ein Shot von unterwegs, es ist die kühne L7 (6b+) von der Langstrasse weg.
Die Abseilerei (8 Manöver) geht in 45 Minuten zügig vonstatten, auch wenn man über die beiden Bänder zurückgehen muss. Sehr gut, so sind wir bald zurück bei unseren (inzwischen auch gut gewärmten) Getränkevorräten. Bald einmal machen wir uns aus den Weg zurück zu unseren Bikes. Leider haben die Munggen gefallen an meinem Sattel gefunden, während sie den von meinem Kletterpartner verschmäht haben... Naja, nach einem solchen Tourentag lässt sich das problemlos verschmerzen! In zügiger Fahrt sind wir um 19.30 Uhr zurück bei der Fürenalp-Bahn, d.h. der Rückweg nimmt total weniger als eine Stunde in Anspruch. Höchst zufrieden, aber mit einem gerüttelt Mass an Müdigkeit fahren wir heim. Ja, mit der Fusion hatten wir einen echten Knaller geklettert! Das war jetzt wirklich super gewesen - kaum zu glauben, dass eine solche Route nie Popularität erlangt hat.

Kogen Munggen! Vorsicht also bei Bike-Depot beim P.1507.


Facts

Schlossberg - Fusion 7b (6b+ obl.) - 12 SL, 400m - C. & Y. Remy 1994 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 14 Express, Camalots 0.3-3, evtl. Keile

Eindrückliche, auf weiten Strecken naturgegebene Linie durch den Bigwall am Schlossberg. Es warten viele Rissverschneidungen auf die Begeher, welche fast durchwegs mit griffigem Fels und Struktur für die Füsse auftrumpfen und darum genussreich und ohne Mühsal zu begehen sind. Verbunden werden diese Abschnitte mit ein paar Wandstellen, die dann meist Top-Kletterei an kompaktem Fels bieten. Ein paar schuttige Bänder sowie etwas loser Fels ganz am Ende gehören zu einer solchen Tour einfach dazu, sollten den Begehern aber keine grauen Haare wachsen lassen. Nachdem ich im Vorfeld zwar nur wenige, aber eigentlich nur abschreckende Statements zur Fusion gehört hatte, behaupte ich hier mit gutem Gewissen, dass die Route gut abgesichert sei. Die BH stecken in angemessener Zahl und sind sinnvoll platziert - etwas, was ich den Brüdern nicht in jedem Fall/Route attestieren kann, aber hier ist es ihnen wirklich sehr gut gelungen. Rein vom Material her ist's etwas ein Gemisch: teilweise stecken nur M8-Bolts (auch an den Standplätzen), teilweise weisen sie selbstgemachte Laschen aus alten NH auf und grösstenteils sind's verzinkte Anker und rostfreie Plättli (der Zustand ist aber 25 Jahre nach der Erstbegehung noch recht gut). Wir haben für die Begehung ein Doppelset Cams und einen Satz Keile mitgeführt. Bis auf wenige Abschnitte (z.B. die lange Rissverschneidung in L5) waren das zweite Set Cams und die Keile immer am Gurt des Nachsteigers. Daher bin ich der Meinung, dass man gut mit nur einem Satz durchkommt, welcher dann aber auch zwingend einzusetzen ist. "Notfalls" steckt auch in den Rissverschneidungen immer wieder einmal ein BH, von welchem man allenfalls backcleanen könnte. Topos und weitere Infos gibt's im Schweiz Extrem Ost, dem Outdoorführer Engelberg oder dem SAC-Kletterführer Zentralschweizer Voralpen Südwest. Am genausten und detailreichsten ist der Verlauf jedoch im Originaltopo, das in den 1990er-Jahren in einem Mammut-Faltblatt erschienen ist.

Originaltopos der Gebrüder Remy von einem Mammut-Faltblatt aus den 1990er-Jahren. Zu beachten: auf dem Topo steht zwar p=Bohrhaken Mammut M10. Das stimmt so nicht. Erstens ist p=#Sicherungspunkte, so zählt z.B. die Schnürsenkel-Sanduhr in L11 auch. Dann sind die Haken längst nicht alle M10 und dass Mammut je Bohrhakenlaschen aus ausrangierten NH hergestellt hat, wäre mir auch neu (siehe Foto oben).

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