Das Ubaye-Tal ist ein Paradies, das aufgrund seiner abgeschiedenen Lage weitab von den Ballungszentren und Urlaubsregionen zum Glück nur selten besucht wird. Das hatten wir schon letztes Jahr bei unserer Kletterei an der Tête de Sanglier festgestellt. Da nun dieses Jahr wieder alle gut zu Fuss waren, erkoren wir die Aiguille Pierre André zum Projekt. Dieser Quarzmonolith ist ein gewaltiger stolzer, eindrücklicher Berg - ein wenig erinnert er an das Zervreilahorn. Zwar muss sich die Kletterei mit einem langen Zustieg verdient werden und es gibt dann nur 6 Seillängen zu geniessen. Trotzdem lohnt es sich absolut, das Gesamterlebnis mit dem landschaftlich schönen Zustieg und der griffigen Kletterei auf den isolierten, freistehenden Gipfel ist einfach grandios.
Ein super Berg! Die Aiguille Pierre André mit dem Verlauf der 'Marmottes Givrées' (6b). |
Unsere Tour startet auf den Parkterrassen vor Maljasset (1900m), dem letzten Ort im Tal. Eigentlich gibt's da viel Platz, aber da wir wieder einmal antizyklisch spät unterwegs sind und so hoffen, im Zustieg und der Kletterei der grössten Hitze zu entkommen, müssen wir an diesem wunderschönen Sommertag doch ein wenig kreativ werden, um unser Panthermobil zu platzieren. Dann heisst es vorerst einmal, dick Sonnencrème einzuschmieren, bevor wir um 12.45 Uhr loslaufen. Erst geht es durch die Häuser hindurch, nach der Kirche dann zum Fluss hinunter, über diesen hinweg und auf den ausgeschilderten Wanderweg Richtung Col Mary. In der Nebensaison kann man hier noch ein ganzes Stück weit mit dem Auto fahren und spart sich wohl gegen 30 Minuten Zustieg.
Ist der Weg erst noch eine raue Forststrasse, so wird er später zum Singletrail und man etabliert sich schliesslich im Vallon de Mary. Auf einer Höhe von gut 2200m zweigt dann der gut ersichtliche Pfad und zum Zeitpunkt unserer Begehung auch ausgeschilderte Pfad zur Aiguille Pierre André ab. Es geht zum schönen Wildbach hinunter, auf einer Brücke über diesen hinweg, dann erst dem Hang entlang ansteigend taleinwärts, bevor es dann in vielen Kehren steil bergauf geht. Man erreicht schliesslich einen blockdurchsetzten Kessel unter der Aiguille und etwas links ausholend den Einstieg auf ca. 2650m. Obwohl es netto nur rund 800hm sind, ist doch recht viel Distanz zu laufen. Auch mit zügigem Gehen benötigten wir fast 2:00 Stunden (inklusive einer 30-minütigen Futterpause unterwegs) und gönnten uns erst nochmals eine ausgiebige Pause. Während unser zweites Team den Gipfel über den Normalweg besteigen wollte, griffen Larina und ich um ca. 15.15 Uhr in der Murmeli-Route an.
Und wenn der Vater ja schon trägt, kommen auch noch essenzielle Sachen wie ein 'aval soucis' mit... |
L1, 6a, 35m: Sehr schöne Auftaktseillänge, die anhaltend steil aber eben auch richtig griffig ist. Wirklich wie gemacht zum Klettern, genial. Gegen das Ende hin kommen dann auch noch ein paar kniffligere Wandstellen, wo die Griffe etwas mehr gesucht, bzw. die Linie erkannt werden will.
L1 (6a) mit exzellenter Kletterei. |
L2, 6a, 45m: Nach ein paar einfachen Metern wartet die Crux am athletisch-griffigen Wändchen, bevor man in einfacheres Gelände entlassen wird. Dort sind die Hakenabstände dann plötzlich eher weit und sicheres Steigen ist erforderlich. Zum Ende der Seillänge hin zieht dann die Schwierigkeit wieder etwas an.
Fotogen ist sie schon... und super die Kletterei in L2 (6a). |
L3, 5b, 35m: Weniger steiler Abschnitt mit genussreicher, etwas einfacherer Kletterei. Oft entlang von Rissspuren und zuletzt gegen die Kante ziehend zum Stand vor dem orangen Steilriegel.
Dank ein paar Rissspuren einfacher, aber auch kein 'Seich': L3 (5b). |
L4, 6b, 35m: Nun geht's über die athletische Zone hinweg, das ist die klettertechnische Crux der Route. Die Lösung nicht ganz offensichtlich, die Griffe auch mal versteckt und sich geschickt zu positionieren und auch mal einen Klemmer zu lancieren hilft weiter. Obligatorisch ist das Ganze jedoch nicht, hier stecken die Haken in Kletterhallenmanier und man käme A0 durch. Dann vorerst etwas einfacher, bevor zum Schluss nochmals eine henklige Passage auf eine Terrasse und zum dort rechts gelegenen Stand führt.
Rückblick von unterwegs auf L4 (6b), vom Stand auf der Terrasse ist es nicht fotogen. |
L5, 5c+, 40m: Nochmals eine sehr schöne Seillänge mit griffig-luftiger Kletterei entlang der Kante. Der Stand befindet sich dort, wo sich die Neigung zurücklegt. Zum Gipfel ist es von da zwar nicht mehr allzu weit, den Stand zu nutzen macht jedoch absolut Sinn.
Ausstieg aus L5 (5c+), unten der Kessel mit den Blöcken mit erahnbarer Wegspur. |
L6, 3a, 30m: Meist Gehgelände über eine Art Rampe in eine wenig ausgeprägte Scharte, welche den Ausstieg aufs Gipfelplateau bietet. Kurz davor wäre ein Stand an Klebehaken. Man kann diesen aber gut nur als Zwischensicherung nutzen und dann am Gipfel als Totmann oder an Blöcken nachnehmen.
Ausstieg aus der Wand (L6, 3a) - welch eine wunderschöne Berggegend! |
Um 17.15 Uhr und damit nach nur knapp 2:00 Stunden Kletterei waren wir am Gipfel, das ging also ziemlich fix! Die Kletterei ist aber auch straightforward, sehr angenehm zum Steigen und war uns beiden eher leicht gefallen - dass wir hier keine Sturzflüge hinlegen oder in die Haken greifen mussten, Bedarf eigentlich kaum der Erwähnung. Die Stimmung am Top war einfach grandios, ein solch wunderschöner Tag mit stahlblauem Himmel, die weite Berggegend alleine für Familie Dettling. Nur am Himmel konnten wir zahlreiche Gänsegeier beobachten und auch viele Segelflieger, die am Grenzkamm F/I in atomarer Höhe den wenigen Quellwolken entgegen drehten. Auch diese Sportler (die Vögel bestimmt auch) waren mit dem Tag sicherlich hochzufrieden. Das war wieder einmal ein Moment, in welchem man die Zeit hätte anhalten können sollen - einfach so schön!
Nach einer halben Stunde Pause machten wir uns aber doch auf den Heimweg, der ja doch auch noch ordentlich weit war. Zuerst steigt man über das Gipfelplateau 20m nach SW ab, wo sich die erste Abseilstelle, bzw. der Ausstiegsstand des Normalwegs befindet. Der erste Abseiler misst etwa 30m, sprich ein 50m-Seil ist zu kurz. Mit etwas alpinem Geschick kann man aber die nächste Abseilstelle gefahrlos abkletternd erreichen. Ab da bis auf Terra Firma sind es dann rund 40m. Da wäre ab dem Ende des 50m-Seils dann schon ein längeres und auch steiles Stück im dritten Grad abzuklettern. Für Versierte wäre das sicher auch möglich, wir fädelten einfach nochmals das Seil in einen einzelnen der bombenfesten, grosskalibrigen Klebehaken und gelangten so sicher auf den Boden. Unter dem Strich hatte sich die Taktik bezahlt gemacht, den weiten Zustieg nur mit einem 50m-Einfachseil anzutreten.
Aiguille Pierre André (2812m) - what a place to be! |
So schnürten wir um 18.00 Uhr die Schuhe. Wegspuren führen etwas rechts ausholend in den Kessel hinab. Wer möchte, kann mit einem kleinen Umweg nochmals am Einstieg vorbei, um allenfalls dort deponierte Sachen abzuholen. Wir hatten uns für die Lösung entschieden, gleich die Schuhe und alles Material auf die Route mitzunehmen - m.E. noch optimaler. Nun ging's die zahlreichen Kehren wieder hinab, mit hin und wieder einem Stopp, um die nun im Abendschatten aktiven und putzigen Munggen zu beobachten. Am Hang gegenüber beobachteten wir auch, wie die 2 Bayern, mit welchen wir einen Teil des Aufstiegs bewältigt hatten, nun auf ihren Bikes zu Tale brausten. Das hätte uns auch ganz gut gepasst... doch auch zu Fuss war es ein schöner Marsch. Mit noch einem Besuch in der Kirche und einem Schwatz mit dem Sigristen-Paar wurde es 19.30 Uhr, bis wir retour am Parkplatz waren (ohne Pausen in 1h machbar). Ein bisschen müde aber sehr zufrieden über diesen wunderschönen Bergausflug setzten wir uns aufs Polster und vereinbarten mit den Kids, am Folgetag "nur" bequem Sportklettern zu gehen.
Hier über die Westwand führt der Normalweg hinauf, bzw. das Abseilen hinunter. |
Facts
Aiguille Pierre André - Les Marmottes Givrées 6b (5c obl.) - 6 SL, 220m - Chevalier/Fiaschi 1994 - ****;xxx-xxxxx
Material: 1x50m-Seil, 10 Express, evtl. Cams 0.2-1
Eine hervorragende Plaisirtour! Sie muss sich zwar mit einem weiten und anstrengenden Zustieg verdient werden, der sich aber schon nur landschaftlich lohnt. Die Kletterei am griffig-steilen, orangen Quarzit ist dann von erster Güteklasse und sehr elegant, der stolz freistehende Gipfel in einer wunderschönen Gegend noch das Extra dazu. Die Absicherung mit verzinkten Bolts, die (Stand 2020) noch gut im Schuss waren, variiert je nach Schwierigkeiten etwas. An den schwierigsten Kletterstellen ab 6a wurde fast in Kletterhallenmanier gebohrt und man kann die Hauptschwierigkeiten mit Griff zum Haken entschärfen. Im einfacheren Gelände bis 5c sind die Abstände eher weit, in etwa auf Niveau "Plaisir gut" bzw. xxx-Niveau. Mich überzeugt dieses Absicherungskonzept jeweils nicht restlos, ich persönlich hätte an den schwierigen Stellen weniger Haken gesetzt, an den einfacheren dafür etwas kürzere Abstände gemacht. Anyway, es geht schon - wer möchte, kann in diesen einfacheren Abschnitten wohl mit kleinen bis mittleren Cams noch da und dort ergänzen. Wer im Grad 5c sicher klettert, kann den Weg zur Aiguille Pierre André aber ohne dieses Zusatzgewicht antreten. Ein schematisches Topo findet man im Topoguide Band II. Hinweis: in dieser Gegend hat man höchstens sporadischen Handyempfang.
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