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Sonntag, 25. Juli 2021

Chiavenna - Parete del Castagneto - Bamboccioni Volanti (7a)

Auftakt zu einem kleinen MSL-Trip mit Kathrin! Für den ersten Tag war einiges an Engineering zur Identifikation eines geeigneten Ziels notwendig. Vielerorts waren sintflutartige Regenfälle gefallen und hatten die Felsen unter Wasser gesetzt, das Wetter versprach längst nicht überall eitel Sonnenschein, die Strassen Richtung Süden waren mit Staus blockiert und dass wir erst Mitte Vormittag los konnten, nachdem die Kinder in ihr Trainingslager aufgebrochen waren, machte es auch nicht einfacher. Doch auf der Südseite des Splügenpasses sollte es mit Nordföhn trocken sein, es war in den Vortagen nur moderat Niederschlag gefallen und als Alternativroute in den Süden ist dieser Weg immer eine gute Wahl. Auch die Route mit ihren 7 SL und nur 10 Minuten Zustieg schien realistisch - es blieb einzig die Frage, was wir denn erwarten durften, gab doch das Netz überhaupt keine Informationen her.

Blick von der Strasse auf die Parete del Castagneto mit dem Verlauf der Bamboccioni Volanti (7a).

Der Ausgangspunkt befindet sich genau hier, wenig talabwärts vom Santuario von Gallivaggio. Man folgt erst ca. 100m der Schotterstrasse bis vor einem im Wald versteckten Wohnhaus ("Proprieta Privata") und folgt unmittelbar davor einem Pfad, der rechts in den Wald abzweigt. Diesem ein paar Minuten (ca. 300m?) entlang, bis er sich ein wenig verliert und es auch subjektiv günstiger scheint, nun direkt zur Wand hochzusteigen. Spuren fanden wir da so gut wie keine, aber das Gelände war gut begehbar - wir haben unsere Fährte mit Steinmännern markiert. Von dem Punkt, wo wir den Wandfuss erreicht hatten, mussten wir noch ca. 150m nach links (Norden) queren. Der Einstieg befindet sich relativ unscheinbar an einem ca. 10m hohen Vorbau mit erst einem dünnen Riss und dann 2 BH an der Wandstufe. Offenbar ist die Bamboccioni nach wie vor die einzige Route in dieser Wand, somit ist die Gefahr für einen Irrtum klein und auch am Einstieg haben wir einen Steinmann gebaut. Knapp vor 15.00 Uhr stiegen wir schliesslich ein.

Hier geht's los, der dünne Riss und die überhängende Wand danach!

L1, 40m, 6c: Irgendwie sieht dieser Vorbau klein-niedlich aus, aber ich hatte mit Kennerblick schon vermutet, dass man da nicht 'gratis' durchkäme. Schon die ersten Meter an der Rissspur sind nur mässig griffig, die Wandstufe dann sogar richtig giftig. Überhängend-athletisch, knappes Trittangebot, zum Glück erscheinen ein paar unverhofft positive Crimper, die man aber gleich ordentlich zuballern muss. Mit einem Mantle wird man schliesslich auf den Vorbau entlassen und steigt über Blöcke zur Hauptwand. In steiler Wandkletterei an gutgriffigen Schuppen erreicht man den Stand, zuletzt musste auch noch ein Cam platziert werden.

Kräftige Kletterei an griffigen Schuppen im oberen Teil von L1 (6c).

L2, 35m, 7a: Was für ein Feuerwerk an tollen Kletterstellen wartet in dieser Seillänge! Der Auftakt über einen Wulst noch gutmütig, auch die folgende Schuppe (1-2 Cams zwingend) macht keinen Kummer. Dann geht's aber los, einige Leisten wollen geschickt zu einer rechtsansteigenden Sequenz kombiniert werden, um eine erste Crux zu erreichen. Dank einer Seitgriffleiste und einem optimal platzierten Quarzknubbel ist die Wandstelle möglich - sonst ginge es nicht, ein Wunderwerk der Natur. Man kann dann kurz durchschnaufen, die folgende, balancemässige Wandkletterei an sloprigen Leisten ist aber echt genial - es hat genau die nötig Struktur, dass alles sauber aufgeht, absolut begeisternd! Erst die letzten Meter dann ein wenig einfacher zum Stand hinauf.

Die Qualität von L2 (7a) kommt auf diesem Foto nur sehr beschränkt zur Geltung. Einerseits sieht die Wand im Tiefblick nicht super attraktiv aus, andererseits sind die letzten Meter dieser Länge einfacher, strukturierter und auch nicht mehr ganz so gut wie das, was man davor in die Finger kriegt!

L3, 15m, 6c+: Zwar kurze, aber weder banale noch langweilige Seillänge. Athletisch-überhängend an gutgriffigen Schuppen durch die Steilzone unter ein veritables Dach hinauf. Dort heisst es, in der senkrechten Platte nach rechts zu queren. Eine sehr trickreiche Sequenz mit Einbezug von marginalen Unter- und Seitgriffen und entsprechendem "Wegstehen" machen es möglich. Dank der guten Absicherung im Vor- und Nachstieg ohne Panikattacken geniessbar.

Henklig hinauf, dann die knifflige Traverse unter dem grossen Dach in L3 (6c+).

L4, 30m, 6b+: Es wäre ja keine richtige Gneisroute, wenn nicht einmal eine kernige Plattenpassage folgen würde. Die kriegt man hier gleich zum Auftakt: erst gibt's noch ein paar akzeptable Trittmulden, um die ersten Meter zu machen, bei der folgenden Rechtsquerung ist dann aber 100% Vertrauen in dem Gummi gefragt. Über eine gebändert-buschige Zone erreicht man die nächste Platte - der Fels da unglaublich körnig mit super Reibung, ein paar Strukturen lassen sich in die Sequenz einbauen, richtig cool! Das Finish dann einfacher über ein paar Stufen hinweg zum Stand.

Sieht auch wieder etwas botanisch aus, die kompakte Platte davor lässt sich nur erahnen. Aber auch L4 (6b+) bietet wirklich unterhaltsame, plattige Kletterei von hoher Güteklasse, vor allem in einem körnigen Gneis mit hervorragender Reibung.

L5, 45m, 4c: Die easy Pitch mit nur 1 BH... allzu schwierig ist es zwar tatsächlich nicht, aber in einem Plaisirgebiet würde dieser Abschnitt wohl höher eingestuft. Der Beginn über ein paar Stufen hinweg zuerst aber tatsächlich mehr Kraxelgelände, bevor es in eine schöne Platte hineingeht. Ein paar Seitgriffkanten erlauben ziemlich kommodes Fortkommen, der Bolt steckt genau an der richtigen Stelle. Aber dennoch, oho! Erst im Ausstieg kann man legen, über ein vegetatives Band geht's im Gehgelände an die obere Wand heran und dort gutgriffig über blockiges Gelände noch ein paar Meter zum Stand hinauf.

L6, 40m, 6c: Den dornigen Kamin zu Beginn kann man zum Glück rechts liegenlassen und über die Begrenzungskante steigen, was sich gut auflöst und auch in Absenz von BH gut machen lässt. Danach kann man erst legen, diesen Rissen entlang ist es auch noch nicht schwierig. Das kommt dann erst, als die gut mit BH gesicherte Wandkletterei anfängt. Erst etwas gesucht über eine kompakte Wandstelle, dann ziemlich anhaltend, oft an diagonalen Seitgriffstrukturen aber doch mit viel Abwechslung von einem zum nächsten bouldrigen "Problemchen" weiter - supertoll!

Tolle Kletterei in L6 (6c) - die Temperaturen waren übrigens bei unserer Begehung perfekt. Der Himmel war oft bewölkt und nur zwischendurch sonnig, mit Nordföhn waren die Temperaturen angenehm warm aber nicht heiss. 

L7, 30m, 6b: Vom Stand geht's nach rechts um die Kante und dort dann hinauf - auf den ersten Blick nicht unbedingt logisch, jedoch aufgrund der schliesslich gebotenen Kletterei ist das ganz bestimmt der korrekte Weg. Man erreicht nämlich einen Wandbereich, der wieder mit der genau richtigen Menge an sloprigen Leisten aufwartet, um die richtige Mischung zwischen elegantem Fortkommen und unterhaltsamen Boulderproblemen zu bieten. Eine etwas markantere Crux wartet am rostigen Riss, wo kurz etwas Entschlossenheit gefragt ist.

Perfekter Auftakt in die Ferien - was kommt als nächstes?!?

Um ca. 19.00 Uhr und damit nach rund 4:00 Stunden Kletterei hatten wir das Top mit einer an beiden Seilenden einwandfreien Onsight-/Flash-Begehung erreicht. Das war nun ein echt genialer Auftakt gewesen. Vom Parkplatz hatte die Wand noch eher unscheinbar ausgesehen, teils auch mit Grünzeug gespickt. Dass wir hier über solch weite Strecken auf steile, griffige Kletterei in perfekt sauberem, rauen Gneis treffen würden, hätten wir nicht in diesem Ausmass erwartet. Mehr oder weniger unmittelbar fädelten wir die Seile, mit 6 effizienten Manövern (7->6->5->4->3->1->Boden) ging es in die Tiefe. Aufgrund der Büsche und der diversen Schuppen besteht sicher eine Gefahr für einen Verhänger, die sich aber für uns nicht manifestierte. Um 20.00 Uhr waren wir schliesslich retour an der Strasse und fanden schon wenig später einige Kilometer unterhalb im Italosvizzero ein Quartier, ein feines Nachtessen und sehr zuvorkommende Bewirtung.

Facts

Parete del Castagneto - Bamboccioni Volanti 7a (6b+ obl.) - 7 SL, 235m - Lisignoli/Crotti - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 13 Express, Cams 0.3-1

Unscheinbare, aber echt gute MSL-Route in Strassennähe! Mit nur 10-15 Minuten Zustieg erreicht man die nach Westen exponierte Wand mit Einstieg auf ~850m. Um auf angenehme Bedingungen zu treffen, klettert man in der warmen Jahreszeit entweder am Vormittag oder bei bewölktem Himmel, in der kalten Jahreszeit sollte man ab Mittag die für eine Begehung nötigen Sonnenstunden vorfinden. Die Kletterei begeistert durch viel Abwechslung - es gibt vorwiegend Wandkletterei an sloprigen Leisten und Rissspuren, athletisch-gutgriffige Sequenzen machen ihre Aufwertung und selbst etwas an Kletterei auf Reibung fehlt nicht. Fände man diese Route mit so bequemem Zustieg z.B. im Yosemite Valley, sie könnte sich vor Begehungen nicht retten. Die Absicherung mit Inox-BH ist sehr gut ausgefallen. An einigen einfacheren Stellen mit offensichtlichen mobilen Möglichkeiten müssen Cams gelegt werden, wofür mir 1 Set von 0.3-1 gut ausreichend war. Die Wandstellen weisen alle faire und sinnvolle BH-Absicherung auf, da waren Könner am Werk! Meines Wissens ist die Route nur im Büchlein Valchiavenna Rock von Erstbegeher Guido Lisignoli aufgeführt, das man z.B. auf seinem Camping Acquafraggia erwerben kann. Sein hervorragendes Originaltopo ist jedoch auch auf dem Netz greifbar, siehe unten.

Topo des Erstbegehers Guido Lisignoli, vielen herzlichen Dank!

Freitag, 16. Juli 2021

Zürcher Klettermeisterschaft 1/2021 - Lead im Griffig

Es ist schon eine lange Zeit her, seit ich auf diesem Blog den letzten Wettkampfbericht veröffentlicht hatte. Doch für uns Erwachsene gab es seither nie mehr Gelegenheit zur Teilnahme. Einige wenige, nationale Jugendwettkämpfe wurden zwar durchgeführt, wo auch unsere Kinder teilnahmen. Doch da war ich nicht immer dabei und wenn doch, war die Atmosphäre jeweils... sagen wir einmal "ziemlich angespannt". Es war einfach nie so, dass ich mich dazu inspiriert gefühlt hätte, deswegen in die Tasten zu hauen und meine beste Erinnerung ist effektiv jene an die After-Comp Outdoor-Bouldersession nach der SM mit diversen anderen Teilnehmern und ihren Coaches, dies es auch nicht ins Finale geschafft hatten. Wie auch immer, im Griffig war uns nun endlich wieder einmal ein richtiges Kletterfest gegönnt, wo man einfach die Zeit zusammen geniessen konnte, alle unter Gejohle und Anfeuerungsrufen ihr bestes gaben, ja es einfach wieder so wie früher war :-)

Larina in Q1 (6c+), die für sie noch ziemlich chillig war. Foto: Martin Rahn.

Erst hatte ich noch befürchtet, für ein Mitmachen auf die Elite-Kategorie angewiesen zu sein, wo das Teilnehmerfeld im Vergleich zu früher immer zahlreicher und stärker besetzt wird. Doch nachdem die Covid-Restriktionen gelockert wurden, konnte auch der Fun-Wettkampf stattfinden - definitiv die bessere Option für einen alten Mann. Das hat auch den Vorteil, dass man mehr zum Klettern kommt: 9 Quali-Routen waren gesetzt, wobei die ersten 6 davon mit Schwierigkeiten im Bereich 5c+ bis 6c für mich mehr zum Aufwärmen dienten. Die Entscheidung über die Finalteilnahme fiel hingegen auf den letzten 3 Routen mit Schwierigkeit 6c+, 7a+ und 7b+. Für mich war es gar nicht so einfach, zwischen Judgen und Coachen auch noch die Gelegenheit zum Klettern zu finden - am Ende musste es dann einfach schnellschnell gehen und für eine seriöse, wettkampfmässige Vorbereitung blieb kaum Platz. Aber naja, sonst klettert man ja auch immer allez-hopp-go, an dieser Gewöhnung wird es auch gelegen haben, dass ich alle diese 3 Routen flashen konnte und damit den Finalplatz gebucht hatte. Speziell zu erwähnen die geniale 7b+ von Q9, wirklich eine Hammer-Route, Kompliment dem Schrauber!

Wer genau hinsieht, findet den Autor in seiner Q9 (7b+), die noch im Flash ging

Die Finalquali gelang auch Larina in der U14 - tönt schon so erwachsen, dabei ist sie erst 11, gehört aufgrund des Reglements aber doch dahin. Ein früher Fail in der fies geschraubten Q2 blieb ungestraft, da es einerseits allen anderen gleich ging und andererseits ein Top in Q1 und ein souveräner Auftritt in der zähen Q3 im Grad 7c kompensierten. Kathrin hatte exakt dieselben Routen wie ich zu klettern - bei den Frauen war man allerdings mit einem Top in der 7a+ von Q8 schon im Final-Geschäft. Damit dürfen wir den frühen Abgang in der Q9 bei ihr ja eigentlich sogar als strategisches Kräftesparen abbuchen :-) Und richtig, wir sind zu viert in unserer Familie, Jerome hatte sich aber für seine Hauptsportart Skispringen entschieden, wo es an diesem Tag eine tolle Schanze zu erobern galt. Natürlich absolut richtig so, wenn auch mit dem Wermutstropfen, dass wir nicht alle beisammen sind.

Larina rockt die Finalroute (7c) mit ein paar Campus-Moves - bravo! Foto: Griffig.

Im Final konnten wir dann zuerst Larina anfeuern. Und nun kam sie endlich einmal, die richtig gute Begehung im entscheidenden Moment! Souverän stieg sie in der 7c in die Headwall und dann richtig kühn einen, noch einen und nochmals einen unmöglich scheinenden Move weiter, schon weit über dem letzten Haken - mega cool! Das reichte schliesslich deutlich für den Sieg, notabene der erste an einem offiziellen Regiocup. Es freut mich wirklich sehr für sie, dass der ganze Einsatz und das harte Training sich so ausbezahlt hat - insbesondere weil es schon lange einmal hätte klappen können, aber das letzte Puzzlestück immer fehlte. Als nächste war Kathrin an der Reihe, ihre 7a im Final war bis auf die letzten Moves relativ gutmütig konzipiert. Souverän hängte sie die Umlenkung ein, was sonst keiner weiteren Teilnehmerin gelang und somit standen wir in der Familienbilanz bereits bei 2 Siegen. Blieb also noch, dass ich meinen Job erledigte. Was nicht ganz einfach war, denn einerseits gab es Konkurrenz, welche ebenfalls alle Quali-Routen toppte, andererseits war die Finalroute jetzt nicht so wirklich "my cup of tea". Das Foto sagt fast alles...

Open-handed Bizepsmove zu seichtem Zweifingerloch und ähnlich ging es weiter, solches gehört jetzt nicht zu meinem Paradeprogramm... doch wie immer beim Klettern und erst recht im Wettkampf, man muss mit jeder Herausforderung klarkommen. Diese bestand auch noch darin, dass ich über kurz oder lang nicht mehr klippen konnte. Weiter ist da die einzige Devise - manchmal hilft es, doch in diesem Fall war das Problem, dass einfach gar keine stabile Position mehr kam, die letzte Sicherung schon weit überstiegen war, die Exe mit langer Schlinge sich schon lose in meinem Schoss kringelte und dementsprechend noch schwieriger reinzufummeln war. Den Abgang beim Klippen konnte ich gerade noch vermeiden, aber dann obsiegte die Schwerkraft. Rang 2 war das Resultat, leider war ich 2 Griffe zu wenig weit gekommen und hatte so das Family-Triple "verchüechlet". Mehr hätte ich aber nicht geben können, natürlich war ich hochzufrieden und kam auch total geflasht von diesem Versuch zurück auf den Boden. Als Krönung durften wir dann neben den unvergesslichen Momenten auch noch wunderschöne Preise mit nach Hause nehmen. Herzlichen Dank ans Griffig und ans Regionalzentrum Zürich für den supertollen Event - es hat einfach gfägt und wir freuen uns sehr auf die nächste Episode der ZKM. Die Geschichte ist aber nicht ganz komplett, ohne den Folgetag zu erwähnen: spätabends kamen wir müde heim, da packte ich noch meinen Sack mit der Bohrausrüstung um am nächsten Tag auf MSL ins Unbekannte aufzubrechen. Davon aber erst später mehr - dennoch ist es genau diese Vielfältigkeit des Klettersports, welche für jahrzehntelange Begeisterung sorgt.

Samstag, 10. Juli 2021

Hike & Fly Gnipen (1567m)

Nachdem mich Arbeitsverpflichtungen in diese Gegend geführt hatten, blieb noch etwas Zeit, um mir die Beine zu vertreten. Wieder einmal sollte es auf ein Hike & Fly gehen. Schliesslich fand ja erst gerade wieder das Xalps statt - ein Event, bei welchem es mir alle 2 Jahre zumindest am Bildschirm wieder den Ärmel in die Fliegerei (und Latscherei) hineinnimmt. So wollte dieser Spirit nun auch noch etwas realer gelebt werden. Unter diversen Tourenoptionen wählte ich schliesslich den Aufstieg von Goldau auf den Gnipen, den westlichen Nebengipfel vom Wildspitz. Dieser ist vor allem bekannt, weil man hier ohne Firlefanz und in direktem Aufstieg einen vertikalen Kilometer absolvieren kann (total 1050hm Aufstieg).

Blick vom Startplatz auf den Zugersee.

Die Tour startet bei den kostenpflichtigen Parkplätzen vom Tierpark (514m). Sofort geht's in den Wald hinein und aufwärts. So richtig zu begeistern vermochte mich dieser Aufstieg nicht. Über weite Strecken bewegt man sich im Verlauf von einem schlammigen Rinnsal im Unterholz, es hat viele Wurzeln und Geröll. Sprich, man kann hier das Auge nicht schweifen lassen, sondern muss stets auf seinen Tritt achten - "gring ache u secklä", eine andere Option gibt es nicht. Also kein Genussaufstieg, sondern einer zum Höhenmeter bolzen. Nur im oberen Teil kriegt man etwas mehr Ausblicke auf das Gebiet des Bergsturzes von 1806.

Dieses doch ziemlich spektakuläre Bild vom Aufstieg sieht der Leser vielleicht nicht zum ersten Mal. Es ist aber so ziemlich die einzige aussergewöhnliche Passage, welcher dieser Aufstieg bietet. Sonst geht's gleichförmig durchs Unterholz.

Ich lief zügig aber ohne zu hetzen, nach den intensiven Niederschlägen und mit der dicken und tüppigen Juliluft waren die Bedingungen nicht ideal für eine Bestzeit, welche aber sowieso nicht meine Absicht war. Nach 1:15h war ich beim Gipfelkreuz und machte noch den Abstecher zum höchsten Punkt. Was dem Aufstieg an Aussicht fehlt, holt dafür das Gipfelplateau nach. Spektakulär blickt man auf die Zentralschweizer Seen und ins Mittelland hinaus, dies erst noch von einer prächtigen Blumenwiese - wirklich paradiesisch!

Sicht zum Lauerzersee, die tiefbasige Quellbewölkung hatte Alternativziele vereitelt.

Auch zum Starten in Richtung NW eignet sich diese Hochfläche perfekt. Aus dieser Richtung kam wie gewünscht auch der Wind - das war absehbar, einerseits kam der Meteowind von da her, andererseits unterstützt der Talwind zusätzlich. So war ich bald in der Luft und glitt im Luv um die Abbruchkante herum zurück Richtung Goldau. Über dem Dorf konnte man wieder aufdrehen, wenn man es darauf angelegt hätte, so wäre sicherlich auch noch viel Strecke drin gelegen. Mein Zeitbudget war aber beschränkt, so landete ich nach einer guten halben Stunde in der Luft auf dem offiziellen Landeplatz - was heisst, die Tour noch mit einem Marsch durchs Dorf zu beschliessen. Doch das müssen die Xalpler ja jeweils auch... 

Das Gipfelkreuz steht am aussichtsreichsten, aber nicht am höchsten Punkt.

Sonntag, 4. Juli 2021

3. Kreuzberg - Blatta (7a)

Über unsere Motivation, bei gewittrigem Wetter in der NW-Wand des 3. Kreuzbergs zwei kürzere MSL-Routen zu klettern hatte ich ja bereits in meinem Beitrag über Velo (5 SL, 6c+) geschrieben. Nun waren wir also vor Ort und bei ebendieser zweiten Route handelt es sich um die Blatta. Das mir bekannte Erschliessertrio hat in der Ostschweiz zwar nicht allzu viele Routen hinterlassen, aber alle davon zeichnen sich durch Anspruch und Qualität aus. Grund genug, diese abgelegene Wand zu besuchen und, da das Wetter noch zu halten schien, alles daran zu setzen um mit reiner Punktebuchhaltung das Top zu erreichen.

Roslenalp, prominent sichtbar die Nordwand von K4, jene vom K3 mit der Route links ausserhalb des Bildes.

Für die Infos zum weiten Zustieg verweise ich an dieser Stelle nochmals auf den Beitrag zu Velo (6c+), wo unsere Wahl und einige Optionen präsentiert werden. Der Einstieg befindet sich weit links auf dem Grasband, mit meinem Wandbild oder dem SAC-Führer dürfte er aufzufinden sein. Sonderlich auffällig ist er jedoch nicht, aber markiert durch einen rostfreien BH mit einer (zum Zeitpunkt unserer Begehung) verrotteten, farblich dem Fels angeglichenen Schlinge.

Die NW-Wand am K3 mit dem Verlauf von Velo (5 SL, 6c+) und Blatta (4 SL, 7a).

L1, 30m, 6a+: Belanglose Auftaktlänge, welche nicht sonderlich schön und etwas heikel ist. Konkret wartet die Crux gleich auf den ersten Metern am dortigen BH vorbei. Nachher wird das Gelände sofort einfacher, etwas grasig mit vielen dumpf tönenden Schuppen. Das Problem besteht vor allem darin, dass erst kurz vor Ende der Länge nochmals ein BH folgt. Um mobil zu sichern sind die Möglichkeiten nicht berauschend. Natürlich hat mein Vorsteiger hier auch drei, vier Gerätschaften versorgt, doch in Retrospekt muss ich sagen, dass ich keines dieser Placements überzeugend fand. Das spürte ich schon, als ich ihn am Stand unten im Vorstieg sicherte... ein Sturz könnte hier aus 10-25m Höhe zum Aufschlag auf das schrofige, mit scharfkantigen Steinen gespickte Einstiegsband führen. Was das bedeutet muss ich nicht weiter ausführen. Immer beklemmend, in einer solchen Situation das Seil zu halten... Alternativ könnte man von links her ungesichert über die Schrofenrampe zum ersten Stand klettern oder L1 von Velo machen und kurz abseilen.

L2, 25m, 7a: Nun geht's zur Sache, ab hier trifft man bis zum Ausstieg durchgehend auf besten, kompakten Fels. Schon am Einstiegswändchen an zwei Bolts vorbei muss man sich festhalten und erhält einen Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Vorerst kriegt man jedoch eine griffige Schuppe in die Hände, entlang welcher man mit einem Runout 'the meat of the pitch' erreicht. In senkrechter Wandkletterei nutzt man viele kleine, teils fragil aussehende Schüpplein, welche in alle Richtungen zeigen (Crimps, Seit- und Untergriffe). Erst einmal gilt es Mut zu fassen, auch wirklich volle Pulle an diesen Strukturen zu ziehen und zweitens muss man sich sauber positionieren und den Füssen auf den oft nur vage angedeuteten Tritten vertrauen. Immerhin ist die Absicherung hier klettergartenmässig ausgefallen. So konnte ich den aufkeimenden Pump knapp im Zaum halten (man steigt halt quasi unaufgewärmt in diese Ballerlänge!) und durchsteigen. Nach unserem Empfinden ist dies die einfachste der drei wesentlichen Blatta-Längen und der Grad von 7a passt.

Technische Wandkletterei in sehr kompaktem Fels in L2 (7a) - geilo!

L3, 35m, 7a: Verdoneske Old-School-Kletterei erster Güte! Im ersten Bolt hing eine lange, halb zerfetzte Schlinge. Ich entschied mich schliesslich, diese sanft zu nutzen, um einen Preklipp des Bolts zu machen, als Verlängerung hätte sie definitiv nicht mehr getaugt. Die Distanz ist hier zwar nicht weit, aber die trittarme Kletterei wo man an kleinen, scharfen Slots auf Gegendruck geht ist taff und die Position unangenehm, was zu einem ungeschmeidigen Abgang in den Stand führen könnte. Bis man den dritten BH geklippt hat, geht's anhaltend fordernd und (finger)kräftig mit Stehproblemen weiter. Es folgt ein Mantle, dann steht man sicher und entspannt, die letzte Sicherung gerade unter den Füssen. Doch nun kann man leider nicht klippen, sondern muss erst ein fusstechnisch heikles Bewegungsproblem lösen, dann scharf-klein-fragile Schüpplein fassen, nochmals umpositionieren und sehr wacklig einhängen. Wenn man einmal weiss wie (und dass) es geht und dabei nicht abschmiert ist es schon OK, aber hier sind harte, eher unangenehme Stürze programmiert. Eine zwingende Hartmacher-Passage... die vermeidbar wäre. Nicht nur wäre der BH 75cm tiefer für den Wiederholer viel angenehmer, er wäre auch einfacher zu bohren gewesen und im Gesamtkontext irgendwie sinnvoller. Nach dem Klipp dieses vierten Bolts wird es nämlich subito markant einfacher, man klettert grossgriffig über eine geneigte Wandzone. Das Finish dann nochmals richtig cool, steil und gutgriffig aus einem Winkel hinaus und schliesslich zum Stand auf dem Querband. Zur Bewertung meinen wir, dass dieser Abschnitt bestimmt einen ganzen Buchstabengrad härter wie L2 ist - ergo 7b. Ich musste doch lange bouldern, um eine Sequenz zu finden, die komplett aufging und konnte schliesslich im dritten Go (Nachstieg) haarscharf passieren.

Keine Fotos der oberen Längen gemacht - darum hier nochmals K3 und K4 von der Roslenalp.

L4, 35m, 6c+: "Hier sieht's wieder etwas gutmütiger aus", meinte mein Kletterpartner. Das wurde natürlich gestützt durch die tiefere Bewertung laut Topo, welche auch nur dem Beginn 6c+ attestiert und die oberen zwei Drittel als 6b einstuft. Alles weit gefehlt, wie man bald einmal merkt! Zwar ist es hier tatsächlich ein paar Grad weniger steil, dafür ist der Fels mehr geschlossen, abschüssiger und glatter. Mit abgefahrenen, komplexen Bewegungen sorgt man für Fortschritt und dies nur unter Nutzung von Tritten wo man denkt "hält eh nicht" - supercool aber! Bald einmal wartet man sehnsüchtig auf die im Topo versprochene Erleichterung. Aber die kommt so nicht - die obere Hälfte ist zwar tatsächlich nicht mehr ganz so taff, es bleibt aber anhaltend und weit oben, mit der Wandkante des Ausstiegs schon nahe, wartet nochmals eine richtig knifflige Stelle, die dem unteren Teil in nichts nachsteht - zwischen den Haken notabene und gemäss der böse verbogenen Öse am BH hat die schon manch einen Aspiranten abgeschüttelt (zu dieser Stelle würde ich sagen, wenn "6b", dann Fb 6B bloc). So ist man dann richtig froh, wenig später endlich den Standbolt klippen zu können - auch wenn das heisst, aus unbequemer Position nachsichern zu müssen. Meinerseits konnte ich die Länge im Nachstieg am äussersten Limit flashen. Schwieriger wie L2, einfacher wie L4 lautete unser Fazit, somit also im Bereich 7a/+ bei technisch fordernder Kletterei.

Gipfelfoto mit Sicht nach Süden, am Horizont links die Churfirsten sichtbar.

Vom Routenende könnte man mit ein paar Kletterzügen (nicht ganz unheikel) das Grasband oberhalb erreichen, zum Gipfel aufsteigen und zu Fuss absteigen. Hätten wir vielleicht gemacht, wenn wir nicht schon zuvor oben gewesen wären. Der bequemere und schnellere Weg zurück ist aber das Abseilen, was mit 3 Manövern (4-3-2-Boden) zügig vonstatten geht. Langsam begannen nun auch dunkle Wolken aufzuziehen, es war schon 17.45 Uhr abends, somit hiess es ab Richtung Tal. Wir hatten gewerweisst, ob wir zurück zur Stauberenbahn gehen sollten oder gleich per Pedes zurück zum Automobil und entschieden schliesslich für letzteres. Über die immer steiler werdende Schneezunge (Vorsicht!) ging's unter dem K1 hinab, mit ein paar ehrfürchtigen Blicken hinauf zu den cleanen Trad-Rissen von Bärengraben, Hexuality und Hans im Glück. Sie riefen uns zu, dass sie uns testen möchten und wir für sie auf jeden Fall zurückkommen müssten... jaja, wir haben's gehört und die verlockenden Rufe sind definitiv in den Gehirnwindungen abgespeichert. Durch wüste Blacken- und Brennnesselfelder ging's zur Unteralp - Kunststück, hier werden Hunderte von Schafen gesömmert, das ökologische Gleichgewicht scheint arg in Schieflage. 1000 Höhenmeter vernichtend erreichten wir in 1:00h ab Einstieg den Parkplatz Nasseel. Da auf's Polster zu sitzen wäre bequem gewesen, doch wir mussten noch rüber zur Stauberenbahn und für unsere morgendliche Gondelei büssen. Eine ziemliche Hatscherei (-300hm, ~3.5km) mit ein paar kurzen, giftigen Gegensteigungen, die weitere 45 Minuten kostete. Dann endlich hatten wir es geschafft und konnten arg müde einsteigen. Wenig später prasselte auf der Fahrt heftiger Gewitterregen auf die Scheibe - unser Plan war perfekt aufgegangen!

Facts

3. Kreuzberg - Blatta 7b (6c+/7a obl.) - 4 SL, 125m - D. & L. Dürr, Chr. Looser 1998 - ***;xxx
Material: 2x50m oder 1x70m Seil, 10 Express, für L1 Cams 0.3-1 (auch der Cam 3 hätte gepasst)

Kurze, aber auf den 3 wesentlichen Seillängen anhaltende, vertikale Old-School-Wandkletterei an sehr schönem, wasserzerfressen-scharfem Fels mit Schüpplein, Seit- und Untergriffen und Stehproblemen. Das Verhältnis von Zustieg zur Routenlänge scheint in Schieflage. Doch einerseits kann man in der Umgebung weitere Routen in ähnlicher Länge klettern (den siebten Franzosengrad findet man jedoch nur in der nahen Nordwand von K4, die anderen Routen am K3 sind einfacher), andererseits lohnt es sich auch sehr, die Tour im Sportklettermodus mit Rotpunkt-Ambitionen anzugehen - was dann auf dem Niveau des Autors durchaus ein tagesfüllendes Unternehmen (oder mehr) werden kann. Die originalen Bewertungen laut Alpsteinführer sind hart und teilweise irreführend, bzw. innerhalb der Route nicht konsistent. Es ist natürlich immer die Frage, woran eine Bewertung geeicht wird. Doch wenn hier maximal 7a gilt, so wäre die Aufteilung 6a+, 6c, 7a, 6c+ in etwa richtig. Zusammen mit einer anderen Seilschaft, welche die Tour in jüngerer Zeit gepunktet hat, erachten wir 6a+, 7a, 7b, 7a/+ als repräsentativer im Schweizer MSL-Durchschnitt, auch das mag Kletterern, welche sich solche (fuss)technische Kletterei nicht gewohnt sind, noch zäh vorkommen. Im Dialog mit den Erschliessern war der Konsens aber, auch in der zukünftigen Ausgabe des Alpsteinführers bei der Originalbewertung zu bleiben, womit ich gut leben kann. Zur Absicherung: für L1 unbedingt mobiles Material mitführen - vieles bringt man unter (Keile, kleine & grosse Cams), nichts ist Bomber Gear. Danach braucht man nix mehr, L2-L4 sind mit Inoxbolts gut und fast sportklettermässig abgesichert. "Gut" heisst, dass die Abstände mit dem Zollstock betrachtet nie weit sind und es nirgendwo gefährlich oder heikel wäre. Nur "fast sportklettermässig" ist es, weil die Erstbegeher ihre Bolts nicht jeweils da setzten, wo es aus Wiederholer-Sicht am angenehmsten wäre, sondern oft mit Einsatz noch ein paar Züge weiterstiegen, bis eine Sicherung unverzichtbar war (ein Routencharakterzug, den ich schon bei der Begehung vom Moorphium vermerkt hatte). Das ergibt ein paar zwingende Stellen und einen fordernden Charakter, man kann sich hier also effizient für höhere Vorhaben vorbereiten. Ein schematisches Topo und weitere Infos zu den anderen Routen in der Wand findet man im SAC-Kletterführer Alpstein.