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Donnerstag, 30. März 2023

Sasso Altis - Poco Loco (7a+, 9 SL, Erstbegehung)

Im Februar 2022 besuchten wir das erste Mal den Sasso Altis. Die gewaltige Wand begeisterte uns mit anspruchsvoller Kletterei in bestem Tessiner Gneis. An diesem Tag reifte der Entschluss, dass wir es hier im Valle di Vergeletto mit einer Neutour probieren wollten. Klar, ein wenig "am Ende der Welt" befindet sich der Sasso durchaus, aber im Vergleich zu Destinationen wie Grönland, Patagonien oder der Antarktis ist er dann doch nur einen Katzensprung von daheim entfernt. Es dauerte schliesslich ein gutes Jahr, bis unser Projekt zur Realisierung kam. Es entpuppte sich als ganz nach unserem Gusto. Die Linie begeisterte uns mit ihrer tessintypischen, plattigen Wandkletterei mit allerlei abgefahrenen Moves. Anspruchsvolles Terrain erforderte unsere vollen Einsatz und das komplette Können - dieses aber war gut genug, um die Route komplett freizuklettern. Ein Tanz auf des Messers Schneide, der zu unseren Gunsten ausging also - insgesamt ein absolut grandioses Projekt, das enorm Freude machte!

Die Wand aus Bottom-Up-Perspektive mit allen Infos kompakt. Das komplette Topo gibt's als PDF!

Erschliessung

Exakt 370 Tage nach unseren ersten Besuch am Sasso Altis war es am 4./5. Februar 2023 soweit. Im Tessin war es schon seit Wochen trocken, von Schnee gab es in tieferen Lagen weit und breit keine Spur, zusätzlich war mildes und uneingeschränkt sonniges Winterwetter angesagt. Vor allem aber waren wir beide von Freitag- bis Sonntagabend frei. Hier gleich für 2 Tage am Stück anzureisen schien das Minimum, um die Sache effizient angehen zu können. Noch besser wären ein paar zusätzliche Tage gewesen, die Profis hätten es bestimmt so gemacht. Mit den Verpflichtungen von Beruf und Familie schien es aber wenig realistisch, auf die Möglichkeit einer solch langen, freien Zeitperiode zu warten und wir entschlossen und zum Go. So pilgerten wir an einem perfekt zum MSL-Klettern geeigneten Wintermorgen mit Seilen, Bolts und Ausrüstung megaschwer bepackt zum Sasso Altis. Die Vorkenntnisse des steilen Zustiegs machten die Sache sicher leichter, allerdings wog dies den Nachteil unserer überschweren Säcke nicht auf. Aber naja, irgendwann waren wir parat und konnten in freudiger Erwartung starten.

Auch wenn's nicht so aussieht: schwer bepackter Aufstieg zur Route, direkt über dem Fotografen.

Zum Verlauf über die unteren Platten hatten wir dank guten Fotos einen klaren Plan fassen können. Einen solchen zu haben erleichtert und verschnellert die Erschliessungsarbeit immer sehr stark. Nichts frisst so sehr Zeit wie das Werweissen darüber, wo es optimalerweise entlang gehen soll, mit dem unweigerlich folgenden Hin und Her. Dieser erste Bohrtag verlief einfach hammermässig, wir richteten die ersten 4 SL komplett ein - im Angesicht der Schwierigkeiten eine erstklassige Performance. Einerseits waren wir "chargé de force et motivation" (cit. Gebrüder Remy), andererseits war uns das Schicksal sehr gnädig. In den blankesten Zonen tauchten immer genau dort wo es am nötigsten schien die rettenden Leisten auf. Während diverse Bolts zwar durchaus Einsatz für ihre Platzierung erforderten, ging es sich immer irgendwie vernünftig aus und wir mussten nie über längere Zeit um das Bohren einer Sicherung kämpfen. Am Ende reichten dann auch unsere fixierten Seile über eine Strecke von 120m exakt auf den Boden zurück (Anmerkung der Redaktion: wäre dem nicht der Fall gewesen, so hätte die Kacke da schwer gedampft). Im Dunkeln stiegen wir durch den Steilwald ab - da wir den Weg schon ein wenig kannten ging das, für Neulinge ist es hingegen nicht so empfehlenswert.

Viktor wagt sich hinaus in eine so richtig blanke Plattenzone - die nötigen Leisten sind aber da!

Bevor wir uns aufs Ohr legen konnten, galt es noch die Akkus für den nächsten Tag zu laden. Nicht unbedingt das einfachste in einem abgelegenen Tessiner Tal. Irgendwo einfach anzuklopfen wäre die Notlösung gewesen, doch in der vernünftig nahen Dorfkneipe von Russo gab's Strom und ein feines Znacht, perfekt! So konnten wir uns gütlich aufs Ohr legen, am nächsten Morgen für einmal leicht bepackt in Rekordzeit zum Sasso aufsteigen und über die fixierten Seile zur Vortriebsstelle gelangen. Die Alpträume, dass das vor Ort belassene Bohr- und Klettermaterial wegen einer plötzlich auftretenden Unpässlichkeit dort oben versauern würde, waren zum Glück nur Phantasien geblieben. Für die folgenden Seillängen 5 und 6 hinauf zum Mittelband hatten wir keinen gleich exakten Plan mehr. Diese Zone war auf unseren Fotos vom Wandfuss schon so stark verzerrt, dass eine realistische Einschätzung des Parcours kaum mehr möglich war. In L5 ergab sich mit einer C-Schleife eine doch ganz nette Lösung, während deine Dachzone in L6 traversierend zu überwinden war. Das griffig-steile Gelände darob saugte die Energie aus den Armen, doch schliesslich war das Band erreicht.

Morgen-Jugging am zweiten Bohrtag. Schneller wie Klettern, anstrengend aber doch!

Die Zone vom Band weg war auf unseren Fotos gar nicht einsehbar. Und auf den ersten Blick ergab sich auch keine offensichtliche Möglichkeit. Somit beschlossen wir, die wenigen verbleibenden Stunden an Tageszeit zu nutzen, um erneut über die "In Destinazione..." zum Top zu klettern. Dass wir dabei das Gelände ideal studieren konnten, war natürlich der erwünschte Haupteffekt. Wir konstatierten, dass die einzig vernünftige Linie vom Band weg jene war, welche die Nachbartour nahm. Einzig ob den Dächern bestand wieder die Möglichkeit für eigenständige Meter. Daheim kontaktierte ich die Erschliesser der "In Destinazione..." und erklärte ihnen die Situation. Natürlich dürften wir gerne ihre Route für 2 SL nutzen und dann ein eigenständiges Finish einrichten, lautete die Antwort. Somit hiess die Aufgabe also, nochmals mit dem Bohrmaterial ins Vergeletto zu reisen. Wir malten uns aus, dass wir im Idealfall die Route bis L8 befreien könnten, dann den Schluss einbohren und auch dort gleich noch die Punktebuchhaltung ins Reine bringen.

Nach dem Aufstieg am Fixseil geht's weiter mit dem Einbohren von L5 (6b).

Fünf Wochen später, am 12. März 2023, kam die Gelegenheit. Das Tageslicht dauerte nun schon ein gutes Stück länger, das spielte uns in die Karten. Andererseits hatten wir nur einen einzigen Tag zur Verfügung, doch den wollten wir ausgiebig nutzen. Tagwache um 3.45 Uhr bedeutete das, grosse Dinge erfordern ihren Einsatz! Trotz allem fit, gut ausgeruht (naja, am Vortag konnte ich das Move & Groove-Finale im Grindelboulder dann doch nicht unbesucht lassen) und voller Vorfreude starteten wir in den Tag, und um 9.00 Uhr schliesslich mit der Kletterei. Während die erste Seillänge noch leicht von der Hand ging, war schon bald High Noon. Die Cruxpassagen warteten in L2 und L3. Zeit zum Ausbouldern hatte wir keine eingeplant. Das schien aber auch nicht nötig, da wir alle Passagen schon beim Einbohren entschlüsselt und freigeklettert hatten. Um im Zeitplan zu bleiben war es aber sogar fast imperativ, dass es im ersten Go mit dem Durchstieg klappte. Die Anspannung war dementsprechend gewaltig, viele Faktoren spielen da mit: der ganze Aufwand an den Sasso Altis zu kommen, die seltenen Gelegenheiten wo das überhaupt zustande kommt und der unbedingte Wille, das Projekt zu vollenden. "Mais pour ça on aime le sport" kann es da nur heissen! Und tatsächlich, beide Seillängen gelangen mir auf Anhieb, ein paar gewaltige Urschreie der Erleichterung die Konsequenz.

Diese wunderschöne und einsame Berglandschaft wurde mit den Power-Screams beschallt 😊

Damit war aber noch nicht aller Tage Abend. Zuerst einmal galt es, die nächsten 3 Seillängen bis zum grossen Band fehlerfrei zu absolvieren. Da von der Schwierigkeit her etwas tiefer eingestuft, mag das nicht als ultimativer Test scheinen. War es de fakto auch nicht, aber hier hatten wir beim Einrichten weniger Aufmerksamkeit auf die effizienteste Lösung gelegt. Zusammen mit dem Gefühl, dass so viel auf dem Spiel steht, blieb es doch stets aufregend. Aber schliesslich war das Band erreicht, wenig später hatten wir auch L7 und L8 auf dem Parcours der "In Destinazione..." bewältigt und waren um 14.00 Uhr bereit, unserem Projekt eine Ergänzung hinzuzufügen. Die initiale Stufe war so gutgriffig wie wir sie vermuteten, doch nach einer schon etwas fordernden Querung wurde es richtig zäh. Die praktisch vertikale Wand wies viel sloprige Struktur auf, an welcher man sich tatsächlich im 7a-Bereich bewegen kann. So richtig gute Tritte fehlen aber, noch mehr störte zum Einbohren aber die Tatsache, dass es überhaupt keine positiven Griffe gab. Nur unter höchster Anspannung und Mühe konnten die nächsten Bolts platziert werden. Endlich kamen schliesslich ein paar griffige Schuppen in Reichweite, womit es wieder etwas bequemer Richtung Ausstieg ging. Erst in der Gegend von 17.30 Uhr war die Arbeit beendet - unglaublich was man da an Zeit verbratet!

Die Route wurde im Winter erschlossen, das Tageslicht wurde jedes Mal voll ausgenutzt. Dies zum Preis eines Abstiegs in der Dunkelheit, dafür gab es jeweils fantastische Abendstimmungen.

Ich war inzwischen ausgepresst wie eine Zitrone, doch natürlich wollte auch diese letzte Seillänge noch gepunktet sein. Also ein Feld zurück im Leiterlispiel, neu einbinden und los ging's! Mein Zustand, wo mir inzwischen die Finger aufgingen sobald ich etwas länger daran ziehen musste war wirklich sehr unvorteilhaft. Auch die Sonne verabschiedete sich bereits hinter dem Horizont, das Tageslicht war somit eine beschränkte Ressource. Somit gab es wirklich nur mehr einen Shot, es musste nun einfach klappen. Mit unbändigem Willen und Geist kämpfte ich um jeden Meter, dass es sich auch bei dieser Seillänge (für mich) mehr um ein technisches Bewegungs- und Positionierungsproblem wie um einen Athletiktest handelt, gereichte zum grossen Vorteil. Tatsächlich gelang der Durchstieg, um 18.30 Uhr und damit bereits in fortschreitender Dämmerung waren wir beide am Top und das Projekt somit zu einer Route geworden. Mit Freude beschrieben wir das unmittelbar links vom Ausstiegsstand platzierte Buch und machten uns Richtung Heimweg. Bald einmal holte uns die Dunkelheit ein - inzwischen war das ja bereits Routine und kümmerte uns nicht weiter. Um ca. 19.45 Uhr waren wir retour am Parkplatz. Das Material wurde sortiert, dann ging's auf die lange Heimfahrt. Erst weit nach Mitternacht legte ich mich schliesslich daheim auf's Ohr. Eine weitere, kurze Nacht stand mir bevor, riefen doch schon bald wieder die Pflichten für Arbeit und Familie. Doch wenn eine solche Route wie die Poco Loco der Preis ist, dann nimmt man ein paar Unannehmlichkeiten noch so gerne in Kauf!

Zustieg

Der Ausgangspunkt ein wenig taleinwärts vom P.1049 bei Partüs (nach neuer Schreibweise Al Partös). Unmittelbar vor der zweiten Bachrinne hat es rechterhand einen kleinen Parkplatz, wo auch eine kleine Elektro-Schaltzentrale steht, zudem befindet man sich da direkt unterhalb der Wand. Entgegen den Angaben im SAC-Kletterführer Tessin ist es viel bequemer, den ersten Teil des Zustiegs im trockenen Bachbett 20m links (westlich) vom Parkplatz zu absolvieren. In diesem gut 100hm hinauf bis zu einer Verflachung (1160m), wo der Bachverlauf nach links in plattige Felsen abzweigt. Von dort gewinnt man in 30m mühelos über einen Wildwechsel den Kamm rechts. Man folgt diesem, bis er sich auf ca. 1210m verbreitert. Eine Stufe wird in einer Linksschleife erstiegen, dann hält man sich etwas nach rechts zum Fuss der markanten, ca. 40m hohen Felswand.

Zustiegsskizze, sie möge bei einem möglichst bequemen Trip zum Einstieg helfen!

Man steigt am Fuss der Felswand in einer wenig ausgeprägten Rinne bis auf ca. 1260m auf. Ab da wird die Rinne enger und endet später in einer überhängenden Stufe (Sackgasse). Man quert über eine plattige Kletterstelle (2a) nach links in mit Buchen bewaldetes Gelände und steigt dann hinauf. So bald wie möglich, auf ca. 1290m, d.h. wenn man die überhängende Stufe umgangen hat, quert man deren Rinne nach rechts hinaus. Nun in leicht aufsteigender Rechtsquerung zu einer Felsstufe, die an ihrem rechten Ende mit ein paar Moves (2a) überstiegen werden kann. Man gelangt so zur Plattenzone unter der gewaltigen Wand. Vorerst in einfachem Gelände bis auf 1360m, wo die Platten kompakt werden und leichte Kletterei erfordern. Man steigt linkshaltend hinauf, bis man dem besten Weg folgend nach rechts zum Birkenwäldchen am Wandfuss traversiert (Stellen 2a-3a, Sichern für den Seilersten nicht möglich, Vorsicht insbesondere bei Nässe!). Der Einstieg befindet sich ca. 15m rechts vom Wäldchen auf 1390m und ist mit Farbe angeschrieben. Die Gehzeit für die 350hm beläuft sich auf nur ca. 40 Minuten (wenn man den Weg findet und im T4/T5-Gelände versiert ist).

Das ist erst der Zustieg 😲 Viktor auf den Platten (2a-3a, geht schon!) unmittelbar vor dem Wandfuss.
Routenbeschreibung

Sasso Altis - Poco Loco 7a+ (6b+ obl.) - 9 SL, 280m - M. Dettling & V. Wegmayr 2023
Material: 2x50m-Seile, min. 10 Express, Cams/Keile nicht nötig bzw. einsetzbar

L1, 35m, 6b, 7 BH: Die Sache beginnt mit einem listigen Einstiegsboulder. Schaut zwar völlig trivial aus, aber da wird man gleich einmal aufgeweckt. Danach geht's in gut gestuftem Gelände in schöner Plattenkletterei dahin. Es muss nochmals kurz sauber angetreten werden, bevor das Finish an einigen Grasbalkonen vorbei einfacher zum Stand führt.

Los geht's, die Reise ist gestartet! Viktor hat den Einstiegsboulder in L1 (6b) bereits geschafft.

L2, 30m, 7a+, 8 BH: Gleich aus dem Stand raus wartet eine durchaus zum Nachdenken anregende Boulderstelle. Das ist auch der Grund, warum die beiden Haken mit etwas Distanz nach bester 'Chäppi Ochsner'-Manier stecken. Nach ein paar Metern erlaubt die Felsstruktur zügiges Voranschreiten, bis man auf das 'Mantle Boulder Problem' stösst. Da heisst es parat sein, den Füssen vertrauen und sich geschickt bewegen! Ein paar schöne Rails führen zur abgefahrenen Crux. Diese ist einerseits sehr fusslastig, ohne Vertrauen in den Gummi flutscht es da nicht. Andererseits gibt es durchaus ein paar Minileisten zum Zukneifen, was auch mit Insbrunst getan sein will! Die Querung lässt sich mit 1pa entschärfen, der nachfolgende, einfachere Zug auf die Schulter ist dann, 1.5m rechts vom Haken, zwar perfekt gesichert aber ziemlich zwingend. Kurzes Dranbleiben an guten Griffen führt zu BH und in Bälde danach zum Stand.

Gekonnt auf Reibung antreten und kleine Leisten halten heisst es in der genialen L2 (7a+).

L3, 30m, 7a+, 9 BH: Dieser Abschnitt überzeugt mit anhaltender und sehr abwechslungsreicher Kletterei. Der Beginn mit einer kurzen Rechtsquerung und einem Fingerriss stellt noch keine grossen Aufgaben, auch das erste Boulderlein am zweiten BH wird kaum zum Stopper. Die Challenges beginnen mit einem kräftigen Zug zur Schuppe danach und dem Verlassen dieser zunächst griffigen Struktur in die nächste Plattenzone. Doch so genial ist es, die Struktur die es braucht ist eben da, ja sogar genau am richtigen Ort. Das gilt auch für den folgenden Bauch, der dank ein paar Incut-Leisten verblüffend kommod von der Hand geht. Danach kommt es aber dicke: ein zwei wacklige Aufsteher erfordern viel Balance, etwas Beinkraft, die nötige Zuversicht und die kreative Nutzung von mickrigen Strukturen für die Hände - mega! Einfach schön kühles Blut bewahren! Das Finish ist dann etwas einfacher zu haben, die Absicherung lässt die Linienwahl ziemlich frei - wer einen Tipp braucht, weit linksrum geht's am einfachsten.

Was für eine Knallerseillänge, mitten durch den Plattenschuss! Es geht aber immer auf in L3 (7a+).

L4, 35m, 6b+, 8 BH: Von diesem Punkt weg steilt sich die Wand im Gegensatz zu ihrem Sockel nun mehr auf. Das Gelände wird dafür aber auch griffiger, so dass die Schwierigkeiten sowohl bei unserer wie auch bei der Nachbartour etwas zurückgehen. Sodann auch auf dieser Länge. Dass der Auftakt in noch mässig steilem Gelände nicht die ultimative Challenge bietet, ist sofort klar. In chillig-lässiger Kletterei also erst mal diagonal hinauf, dann an einigen Schuppen unter das markante Dach. Dank einiger positiver Leisten (zuerst), bzw. Bomber Jugs (danach) ist das aber recht gut gegessen. Nach einer Traverse bietet die folgende Wand eine schöne Leistenstruktur, so dass sie sich gut klettern lässt. Nur die Abschlusspassage in nunmehr wieder plattigerem Terrain gab mir jedesmal das Gefühl, dass ich mich blöd anstelle - entweder trifft das zu, oder es ist schlicht und einfach nochmals etwas tricky.

Unterwegs in L4 (6b+), gleich folgt die gutgriffige Passage über das markante Dach hinweg.

L5, 30m, 6b, 7 BH: Hier müssten wir aufpassen, das wussten wir von der "In Destinazione...". Die hat nämlich genau auf dieser Höhe ihre ätzende, blanke 7b-Stelle, die wir damals kaum hochkamen. Somit setzen wir unsere Linie hier nicht direkt hinauf in eine glatte Zone an, sondern zogen nach links um etwas strukturierteres Terrain zu erreichen. Optimistisch versuchte ich nach der initialen Querung die halbdirekte Linie hinauf, um beim Einbohren schlussendlich doch abzublitzen. Es wäre da zwar wohl nicht unmöglich, aber in Freikletterei einfach unverhältnismässig saumässig schwierig gewesen. Die Alternative war, den Linksbogen noch etwas weiter auszudehnen. Weil man so eine witzige Leistenpassage erreicht und über eine luftige Querung wieder nach rechts retour kommt, fehlt auch hier der Klettergenuss nicht und die Linienführung geht trotz dieses kleinen Umwegs tiptop auf.

Am Ende geht's in der 'C'-Pitch (L5, 6b) wieder nach rechts zurück zum Stand.

L6, 30m, 6c, 7 BH: Man befindet sich hier vor einem veritablen Dach, das sich aber an seinem rechten Ende komfortabel übersteigen lässt. Manch einem Logiker würde ab der ersten Stufe eine Linie direkt hinauf als die Methode der Wahl scheinen. Doch da wir eine grosse, schlecht verwachsene Schuppe oberhalb lieber umschiffen wollten, heisst es nach dem ersten BH nach links zu queren. Beim Bohren hat uns das ins Schwitzen gebracht, da haben wir die Stelle obermurksig gelöst - beim Punkten habe ich dann aber eine elegante und viel einfachere Lösung gefunden. Viel Text schon für die ersten 2 BH dieser Länge! Danach folgt sehr coole, steile, gutgriffige und etwas ausdauernde Kletterei in luftiger Position - genial! Man erreicht schliesslich das grosse Band, mehr oder weniger an der Stelle, wo die "In Destinazione..." (nach einer Linksquerung auf dem Band) ihren Weg in den oberen Wandteil fortsetzt.

L6 (6c) endet auf einem Band und ist deshalb im Rückblick nicht so fotogen.

L7, 20m, 6b, 3 BH: Eine nur kurze Seillänge (die eigentlich zur "In Destinazione..." gehört), welche auch ziemlich unscheinbar daherkommt. Die senkrechte Wandstelle ist aber sehr witzig zu klettern. Sie verläuft in stark quarzhaltigem Gestein, welches ideale Incut-Leisten präsentiert. Die ursprüngliche Bewertung von 6a haben wir jedes Mal als zu tief empfunden, 6a+/6b passt im Vergleich zum Rest sicher besser. Wen man will und die Sicherungspunkte strategisch geschickt ausreichend verlängert, dann kann die folgende L8 gleich angehängt werden. Wir haben das aus Effizienzgründen 2x so gemacht, unbedingt empfehlenswert ist es aber nicht, für jene die genügend Musse haben.

Eine kräftige Leistensequenz in stark quarzhaltigem Gestein wartet auf der kurzen L7 (6b).

L8, 25m, 6b, 5 BH: Diese Seillänge ist nicht nur witzig, sondern ein echtes Highlight. Sie passiert eine steile Zone mit zwei ausladenden Dächern - und dies auf eine elegante und erstaunlich einfache Art und Weise. Das liegt daran, dass diese Strukturen eigentlich riesige Schuppen sind, welche stets scharf geschnittene Risse ausbilden. Noch dazu gibt's dann beim oberen, grösseren Dach genau an der richtigen Stelle auch noch ein fettes Trittrail. Trotzdem, die Kletterei ist recht athletisch und bietet zuletzt auch noch einen leistigen Ausstieg zum superbequemen Stand. Wir schlagen auch hier eine Bewertung von 6b vor.

Viktor am grossen Dach in L8 (6b), während sich der Fotograf an Stand 6 befindet.

L9, 40m, 7a, 10 BH: Enden tut unsere Route mit einem absolut würdigen Schlussbouquet, welches eine Art von Kletterei bietet, die man hier noch nicht gesehen hat und auch global gesehen einen grossen Seltenheitswert aufweist. Los geht's noch ein paar Meter mit der "In Destinazione..." nach rechts, dann aber direkt henklig über die Steilstufe und in linkshaltender Querung in die steile Wand. Diese trumpft, wie bereits erwähnt, mit einer sehr aussergewöhnlichen Struktur auf: eine Art Wellenlandschaft mit sloprigen Buckeln! Alleine für sich gäben diese zu wenig her um die Wand klettern zu können. Jedoch befinden sich auf den Buckeln Fragmente aus härterem Gestein, die hier und da Mikrostrukturen mit kleinen Incuts aufweisen. Und genau dank diesen geht's - die Challenge ist nur, hier durch diesen Ozean zu manövrieren (d.h. es könnte Onsight recht schwierig für den Grad sein!). Schliesslich erreicht man ein System von Schuppen. Erst heisst das "Henkel", später dann "Sloper", doch genau in jener Sektion sind dafür die Tritte gut, so dass im letzten Drittel nicht mehr die extremen Schwierigkeiten warten. Über stark quarzhaltiges Gestein erreicht man das Routenende auf einem bequemen Band. Das Routenbuch ist gleich links auf dem Band gut sichtbar deponiert.

Routenende! Das Profil zeigt es deutlich, unter dem grossen Abschlussdach ist finito.

An diesem Punkt endet die Route auf derselben Höhe wie die "In Destinazione..." rechts nebenan. Die nachfolgenden, weit ausladenden Dächern weisen sandig-mürbes Gestein auf und sind in Freikletterei unmöglich. Das wussten wir natürlich schon von Beginn an und beendeten die Route an diesem Punkt absolut ohne Wehmut.

Abseilen & Abstieg

Das Abseilen vom Top geht superbequem in nur 5 Manövern (9 -> 8 -> 6 -> 4 -> 2 -> Einstieg). In der steilen Gneiswand ist wenig Seilpflege nötig und die 50m-Stricke werden stets gut ausgenutzt. Meist bleiben einige beruhigende Meter an Seilreserve übrig, nur auf der Strecke 4 -> 2 wird es knapper. Mit meinen 50er-Stricken ging es gut, bringt man hingegen alte, geschrumpfte Seile könnte es spitzig werden. Notfalls halt ein Zusatzmanöver an Stand 3 machen. Am Einstieg braucht man das Seil nicht aufzunehmen, sondern kann gleich zur untersten Birke beim Wäldchen transferieren und dort an einer Seilschlinge 50m über die Plattenzone abseilen. Nun die Seile aufrollen und nicht auf dem Aufstiegsweg zurück, sondern gleich nach rechts in den Wald. Dort etwas absteigend, dann querend und nochmals absteigend auf logischer Fährte zu einem Baum mit Seilschlinge oberhalb der überhängenden Steilstufe, welche die Rinne entlang der markanten Felswand beschliesst. Dort 30m Abseilen (1x50m-Seil reicht definitiv nicht, 1x60m passt!) bis wieder zu Fuss abgestiegen werden kann. Nach ca. 20hm trifft man mit der Aufstiegsfährte zusammen und folgt dieser (Rinne hinunter, Steilstufe rechtsrum abklettern, Kamm folgen bis zur Rechtsquerung ins Bachbett, dieses hinunter) zurück zum Ausgangspunkt. Natürlich kann man auch auf vielen anderen Pfaden wieder ins Tal gelangen. Nach der "In Destinazione..." sind wir noch nicht der hier beschriebenen Abstiegsroute gefolgt, haben insgesamt 4x an Bäumen abseilen müssen und viel Zeit gebraucht. Auf der obigen Route sind wir nun schon 3x runter (stets bei Dunkelheit) und haben es zuletzt in nur 35 Minuten geschafft.

Im Bild das Birkenwäldchen im Einstiegsbereich. In voller Auflösung erkennt man gut die Seilschlinge an der an ihrem Fuss bogenförmigen Birke in der rechten Bildhälfte, von welcher man einen 50m-Abseiler über die Zustiegsplatten zieht.

Material, Absicherung & Topo

Die Route ist mit Inox-BH prima auf Niveau xxxx abgesichert. Ein gewisses Kletterkönnen ist aber trotzdem nötig, um das Top zu erreichen. D.h. ca. 6b+ ist obligatorisch - was wie immer im Vergleich zu anderen solchen Einstufungen hergeleitet ist und nicht mit dem Hochkommen gleichzusetzen ist, wenn man Indoor mit Ach und Krach gerade so eine 6b+ schafft und noch nie Hand an den Tessiner Gneis gelegt hat. Mobiles Material ist nicht nötig und kaum einsetzbar. Es sei erwähnt, dass sich L2 mit 1pa Hakenhilfe zur 6c/+ entschärfen lässt, dasselbige gilt für L3 mit 2pa. Nun sind alle ganz sicher brennend heiss am Topo interessiert. Man kann es komplett mit Skizze, Wandbild und Zustiegsplan als PDF runterladen. Viel Spass, geniesst die Tage im Valle di Vergeletto genau so fest wie wir dies getan haben! Cheers, Marcel & Viktor 🥳

Die Toposkizze zur Ansicht, kann auch als PDF runtergeladen werden.

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