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Donnerstag, 28. Januar 2016

Sonnenscheindauer & Matrosentraum

Nach einem kurzen Winter-Intermezzo ist nun schon beinahe wieder der Frühling eingekehrt. Aber egal zu welcher Jahreszeit, das Tool von www.suntag.ch zur Berechnung von Sonnenscheindauer, Aufgang und Untergang ist für uns Kletterer zu jeder Jahreszeit sehr nützlich. So lässt es sich planen, wann man auf einer MSL-Route einsteigen kann, ohne schlottern zu müssen. Oder bestimmen, wie lange der Eisfall vor den gefährlichen Sonnenstrahlung verschont bleibt. Ja selbst beim Sportklettern lässt sich so das magische Fenster mit den optimalen Bedingungen nach Verschwinden der Sonne festlegen. Ich habe das Tool nun schon an diversen Orten ausprobiert, wo ich Erfahrungswerte habe, bzw. mir die exakten Zeiten für Sonnenauf- und untergang notiert habe. Und ich muss sagen: es stimmt praktisch auf die Minute genau! So hat es mir geholfen, das Timing für unsere MSL-Tour am Geissstock selbst zur kürzesten Jahreszeit auf die Minute präzise zu machen. Oder dann, die Go's in meinem Projekt so einzuteilen, dass der entscheidende Versuch bei besten Bedingungen stattfinden kann. Das folgende Bild zeigt die Aussicht von der Galerie um 16.34 Uhr. Die Sonne ist dabei kurz vor dem Verschwinden. Was sagt das Tool? Sonnenuntergang um 16.37 Uhr - schon verblüffend!

Bildunterschrift hinzufügen
Die Minuten danach konnte ich dann für eine RP-Begehung vom Matrosentraum (7c+) nutzen. Und dies, nachdem ich inzwischen seit 25 Jahren auf der Galerie klettere! Natürlich ist es nicht so, dass ich mir seit Jahrzehnten an dieser Route die Zähne ausgebissen habe. Ziemlich genau 2x10 Jahre bin ich mehr oder weniger achtlos daran vorbeigegangen, in der Vorstellung, dass dies etwas für starke Leute und somit nicht für mich sei. Klar hatte ich damals das Niveau noch nicht, aber sicherlich hätte ich es schon viel früher erreichen können. (Relativ) schwer klettern ist eben vor allem Kopfsache. Dann, irgendwann immerhin die ersten Schnupper-Versuche. Ja, die meisten Züge gingen, aber die Schlüsselstelle blieb ein Rätsel, schien mir unlösbar. Wobei bemerkt sei, dass diese für gross gewachsene auch absolut oberätzend ist. Mit hohem Antreten will ein schlechter Untergriff gewonnen werden. Das ist umso mühsamer, je weiter weg von der Wand sich der Po befindet, und mit den langen Beinen lassen sich nicht einmal die besten Tritte des sowieso bescheidenen Angebots nutzen, da man sich sonst gleich selbst aus der Wand hebelt. So wie das durchschnittlich oder kleiner gewachsene Leute klettern, ist's für mich einfach absolut undurchführbar.

Late Evening Light am Mürtschenstock.
Tja, unter diesen Voraussetzungen könnte man ja einfach einem besser liegende Routen klettern. Machte ich natürlich. Doch da mir auf der Galerie die offenen Routen langsam aber sicher zur Neige gehen, landete ich irgendwann doch wieder im Matrosentraum. Nun mit der Überzeugung, dass es für eine Route in diesem Grad einfach eine kletterbare Lösung geben muss. Und siehe da, nach ausgiebigem Pröbeln hatte das Puzzle doch eine Lösung. Unsicher und kräftig zwar, aber immerhin. Doch so einfach war's dann doch nicht, nach dem pumpigen Zustieg an kleinen Leisten und dem schlechten Schüttler muss ich hier beinahe nochmals 100% aufbringen, um die eigentliche Crux zu überwinden. So scheiterte ich dann eben doch das eine oder andere Mal. Aber nun, nach 4 Wochen kompletter Felsabstinenz und über 8 Wochen nach den letzten Versuchen in der Route klappte es praktisch auf Anhieb. Klassisch, die eigene Sportkletter-Perfomance zu verstehen ist ja immer ein Buch mit sieben Siegeln! Ich hoffe jetzt mal, dass es nicht nur das Glück und die Bedingungen waren, sondern dass sich das Training der letzten Wochen ausbezahlt hat und es im 2016 in diesem Stil weitergeht. Nach wie vor bin ich der Überzeugung, dass der Matrosentraum für mich mit meiner Morphologie trotz der tieferen Bewertung schwerer wie diverse 8a-Routen ist, welche ich klettern konnte. Was jetzt noch zu tun bleibt? Auf der Galerie hat's zum Glück 2 noch schwerere Routen... Und in konkretem Bezug auf den Matrosentraum: noch offen ist der Rotpunkt meiner Replika daheim an der Boulderwand. Die kräftigen Einstiegszüge, die pumpige Leistenquerung nach rechts, der dynamische Move hinauf, die ätzende Crux am Untergriff, bis auf den Schüttler ist alles da, noch gewürzt mit einem kniffligen Spannungsproblem am Schluss. Allerdings ist die Replika mit ihren 24 Zügen deutlich schwerer wie das Original, ich schätze sie auf ca. 8b in Routenbewertung. Ob sie wohl auch einmal gelingt?

Sonntag, 24. Januar 2016

Der Winter hat stattgefunden

Im Moment ist nicht der Zeitpunkt für die grossen Touren. Wir aber sagen, der Winter habe stattgefunden, wenn die lokalen Skitouren möglich sind, man auch im Tösstal im Eis pickeln kann und man für das Skivergnügen am Lift zu Fuss anreisen kann. Weil's für die nächste Woche nun schon wieder nach Frühling schmeckt, an dieser Stelle einige Impressionen aus der möglicherweise schon wieder vergangenen Zeit...

Lokale Skitouren

Da gab es so schöne 40cm locker-fluffigen Pulverschnee, leider hat ihn das warme Wetter bereits schon wieder aufgefressen :-( Immerhin konnten wir ihn gut ausfahren.



Eisklettern

Schade war es nicht noch ein paar Tage länger kalt. Es wäre gut gekommen im Tösstal! Nun mussten wir halt mit dem Vorlieb nehmen, was noch vorhanden war. Und um ein bisschen zu üben, reicht's noch bald einmal aus. Highlight für mich war die kurze M7-Tour unmittelbar bei der Tössscheidi, über welche ich bereits vor 3 Jahren berichtet hatte. Leider ist dem Eis die heutige Wärme nicht gut bekommen, und mit den für die nächsten Tage angesagten Temperaturen wird alles den Bach runtergehen. Ein Besuch lohnt sich nicht mehr :-(




Drytooling

Gut, diese Aktivität ist jetzt nicht so von winterlichen Bedingungen abhängig. Und zwar in meinem Keller, aber leider nicht unmittelbar vor meiner Haustür lohnend auszuführen. Trotzdem konnte ich in der letzten Zeit ein paar Mal auf die Jagd nach den zweistelligen Mixed-Graden gehen. Allerdings war mir bisher noch kein Waidmannsheil vergönnt...



Sonntag, 17. Januar 2016

Guggernüll - Cascata del Novizio (WI3+)

Drei Wochen waren seit meinem letzten Besuch am Guggernüll vergangen. Die Lage präsentierte sich weiterhin ähnlich: noch beinahe nirgendwo auf der Alpennordseite liess es sich so richtig gut Eisklettern, im Rheinwald aber waren die Bedingungen gut geblieben. Das Eis war weiterhin fett und solide gewachsen, ebenso hatte es in der Zwischenzeit nur wenige Zentimeter Schnee gegeben. Dieses Mal wollte Kerstin mit von der Partie sein. Ohne genauen Plan wollten wir einmal schauen...

... und entschieden uns schliesslich für die Linie, welche im Sertori-Führer als Cascata del Novizio beschrieben ist. Diese ist vom Parkplatz aus deutlich auffälliger wie die Via Abalakov, welche ich drei Wochen zuvor geklettert war. Die Kletterlänge wird im Führer bloss mit 170m angegeben. Diese Angabe kann ich jedoch nicht unterstützen, wir fanden jedenfalls auf über 400m Strecke lohnendes Eis. Aber naja, auf Papier kann man eben alles drucken. Auf den ersten Blick würde man auch meinen, dass diese Route einen deutlich kürzeren Zustieg aufweist. Aber das täuscht: klar, man spart sich etwa 10 Minuten Horizontalmarsch nach links, der Einstieg in die Cascata del Novizio befindet sich aber sogar 40 Höhenmeter weiter oben wie für die Via Abalakov. Wir sind entlang einiger Spuren durch den Buschwald rechts auf- und abgestiegen, womöglich wäre es im Bachbett selber gar nicht so viel schlechter.

Blick auf die Nordwand vom Guggernüll. Die Cascata del Novizio ist der markante Eisfall in der rechten Bildhälfte. Gut zu sehen die relativ schmale Säule der ersten Seillänge und die breit gewachsene zweite Länge. Leider sind dies alle Fotos, die ich zur Tour präsentieren kann - ich hatte keinen Fotoapparat mit dabei...
Nachdem wir aufgeschirrt waren, beginnt die Sache gleich mit der anspruchsvollsten Seillänge. Bei L1 handelt es sich um einen recht steilen Vorhang in einem Fels-Amphitheater. Da und dort tropfte es etwas, einige Eisblüten waren sogar auch vorhanden. Insgesamt fand ich das etwa ähnlich oder vielleicht ein bisschen einfacher wie die mit WI4 bewertete Cruxlänge des Tutto Relativo in Cogne. Somit also etwas zwischen WI3+ und WI4, vermute ich. Nach 60m erreicht man einen bequemen Stand in einem flachen Becken. In L2 ist der Fall sehr breit und übersichtlich. Es will erst eine kurze Steilstufe von maximal 10m Höhe mit dafür gut 80 Grad geklettert sein. Danach geht's eine ganze Weile im 60-70 Grad geneigten Gelände dahin, bevor man zum Schluss nochmals 15m steileres Eis (75-80 Grad) klettert. Alles in allem wohl etwa WI3 und auch 60m lang. In L3 nimmt die Steilheit dann ab, die Bachrinne ist etwas tiefer eingeschnitten. Genüssliches Steigen in bis zu 60 Grad steilem Eis, Schwierigkeit im Bereich WI1-2, auch wieder 60m lang. Danach folgt in L4 erst beinahe Gehgelände, wo man auch gut gemeinsam steigen kann. Zuletzt folgt dann eine ca. 15m hohe Stufe mit Kletterei in etwa 70-75 Grad steilem Kompakteis, Schwierigkeit ca. WI3-. Weitere ca. 40m an Gehgelände führen an den Fuss der nächsten Steilstufe (L5). Diese ist ca. 15m hoch und säulenartig steil, ca. 85 Grad. Ideale Eisverhältnisse auch hier, somit nicht schwerer wie WI3+. Erneut muss man nach der Steilstufe etwa 30-40m im Gehgelände verschieben, um zur letzten, rund 40m hohen Stufe zu kommen. Hier in L6 ist der Fall nochmals richtig breit und mehrere Linien sind möglich. Steilheit so im Bereich von 70 Grad, Schwierigkeit auch so WI3.

Auf ca. 2060m erreicht man das "Ende" der Route. Der Bach führt noch gute 100hm weiter vereist nach oben, das Gelände ist jedoch flach und Seilsicherung ist nicht nötig. Danach wird die Rinne dann erst trocken, bevor weit oben nochmals eine steile, ca. 50m hohe Säule grüsst. Diese wurde nach den Angaben im Sertori-Führer auch schon begangen und wird mit WI6 bewertet. Auf dieses Abenteuer wollen wir uns nicht einlassen und treten den Weg ins Tal an. Dieser vollzieht sich durch Abseilen an Abalakovs. Da ein paar Tage zuvor eine Seilschaft unterwegs war, haben wir Glück und können von deren Arbeit profitieren. Im oberen Teil ist es am bequemsten, die wenig steilen Abschnitte kurz gehend zurückzulegen und nur über die Steilstufen abzuseilen. So kommt man in total 6 Manövern wieder zum Einstieg. Wollte man alles komplett Abseilen, so sind 1-2 zusätzliche Abseiler notwendig.

Selbstgezeichnetes Topo der Route, sowie auch der Via Abalakov.
Für uns geht soweit alles gut, bis beim zweiletzten Abseiler das freie Seilende ganz offensichtlich an der Verankerung blockiert. Verflixt und zugenäht, was ist denn da passiert? Wir probieren es erst mit roher Gewalt, müssen aber bald die Sinnlosigkeit von diesem Unterfangen konstatieren. Wenn wir das Seil nicht aufgeben wollen, so bleibt nur der Aufstieg. Dumm nur, dass es bei diesem ausgereizten 60m-Abseiler nicht mal in 1x raufklettern reicht. So beschliesse ich, es vorerst einmal seilfrei rechtsherum im Erlengebüsch zu versuchen. Mit ein paar grösseren Umwegen und Schlichen über Bänder kann ich an Höhe gewinnen und in einer Flachpassage oberhalb ins Bachbett gelangen. Nun nur noch zur Abalakov-Schlinge runter und was sehe ich da: das freie Seilende hat es wohl durch das schnelle Durchlaufen herumgewirbelt und perfekt verknotet. Das wäre nie freigekommen, ja da hätte man (wenn man es gewusst hätte) auch getrost mit dem Tibloc am Seil aufsteigen können (darf man natürlich nie machen!). Schade, kann ich kein Foto liefern!

Nach bisher viele 1000x Seil abziehen in meiner Kletterkarriere ist es nun das zweite Mal, dass so etwas passiert ist. Das erste Mal war an den Wendenstöcken nach der Begehung von Passion bei der linken Abseilpiste am Pfaffenhuet. Da dort keine Route hochführt, wären wir definitiv in der Falle gesessen und auf Rettung angewiesen gewesen. Zum Glück kam da noch eine Seilschaft hinterher. Dieses Mal liess sich das Malheur zum Glück selber beheben, auch wenn die Plaisir-Eistour so doch noch eine ziemlich alpine Note erhalten hatte. Nun denn, im zweiten Versuch klappte das Abziehen wie gewünscht und bald waren wir retour am Einstieg. Während unseren Manövern hatte heftiger Schneefall eingesetzt, Zeit um retour zum Ausgangspunkt zu kommen. Wir legten unsere ziemlich durchnässte Ausrüstung ab und fuhren durch ein wahres Sauwetter mit dichtem Schneetreiben (zuerst) und heftigem Regen (danach) zufrieden retour Richtung Unterland.

Facts

Guggernüll - Cascata del Novizio WI3+ - D- III P4 3+ - 400m - Erstbegeher unbekannt - ***
Material: 2x60m-Seile, 10-12 Schrauben, Material für Abalakovs

Schöne und lange Plaisir-Eiskletterei mit einigen steileren Stellen und flacheren Abschnitten dazwischen. Im Vergleich zur Via Abalakov vielleicht einen Tick anhaltender, dafür landschaftlich nicht ganz so eindrücklich und deutlich kürzer. Auch hier gilt, dass man nur bei 100% lawinensicheren Verhältnissen einsteigen soll. Am lohnendsten ist die Route sowieso im Frühwinter, wenn noch praktisch kein Schnee liegt. Wichtig zu wissen: es gibt keinen bequemen Fussabstieg und eingerichtete Abseilstellen sind nicht vorhanden. Man muss für den Abstieg. also selber Abalakovs anbringen.

Donnerstag, 14. Januar 2016

Resting Between Climbs

An dieser Stelle, vor allem als Mahnung an mich selber, ein kurzer Beitrag zur optimalen Gestaltung der Ruhepausen zwischen den Versuchen beim Rotpunkten im Klettergarten. Achtung, bei den hier genannten Zeiten geht es nicht darum, einen optimalen Trainingsreiz für zukünftige Fortschritte zu setzen, sondern um am Tag X die (potenziell) maximale Ausbeute einfahren zu können. Nach meiner Erfahrung gibt es vor allem zwei Fehler, die man gerne immer wieder macht, und die absolut zu vermeiden sind. Der erste natürlich das Einsteigen, bevor man genügend erholt für einen nächsten Versuch mit 100% ist. Der zweite besteht aus zu langem Warten und Herumsitzen, um dann ohne vorheriges Aktivieren einzusteigen und mit Kaltpump oder fehlender Maximalkraft zu scheitern.

Zwischendurch mal einen Kaffee zu trinken soll auch sein!
Beim Sportklettern lautet die Faustregel, dass man bei Rotpunktversuchen pro absolvierten Hand Move beim letzten Versuch minimal 1 Minute an Pause benötigt. Falls man sich dann noch zu wenig erholt fühlt, wartet man maximal die doppelte Minutenzahl der komplettierten Hand Moves ab. Beim Onsightklettern sind generell 45-60 Minuten Pause zwischen den Versuchen zu empfehlen. Beim Bouldern soll beim Projektieren pro absolvierten Hand Move rund 4 Minuten Ruhezeit gewährt werden. Werden Probleme an der persönlichen Leistungsgrenze geflasht, empfiehlt es sich, 15-20 Minuten Pause zwischen Versuchen zu machen. 

Generell ist es natürlich wesentlich besser, die Ruhezeit aktiv und mit leichter Bewegung zu gestalten, anstatt nur herumzusitzen oder lange Sicherungsmarathons zu bestreiten. Wenn ich Zeit habe, widme ich mich öfters mal dem Zurückschneiden von störendem Grünzeug, dem Einsammeln von Abfall oder aktiven Spielen mit den Kindern. Sitzt der Pump nämlich einmal in den Armen, so geht er mit Zirkulation deutlich schneller weg. Nach langen Pausen (>30-45 Minuten), insbesondere bei kaltem Wetter empfiehlt sich vor dem nächsten Versuch ein leichtes Kardio-Warm-Up wie z.B. eine leichte Route zu klettern, etwas bergauf zu gehen et cetera, um den Blutfluss wieder anzuregen. Um sich danach für maximale Belastungen zu aktivieren, empfehlen sich ein paar Minuten vor dem Einsteigen auch ein paar explosive Bewegungen (z.B. kurzer Sprint, Sprünge) sowie falls irgendwie möglich ein, zwei schwere Boulderzüge, bevor es dann mit dem hoffentlich erfolgreichen Durchstieg losgeht. 

Montag, 11. Januar 2016

Guggernüll - Via Abalakov (WI3+)

Mitte Dezember 2015, es herrscht kein richtiger Winter, es mangelt an Schnee und Eis. Doch in einem kleinen Dorf im Rheinwald, oder noch genauer in der um diese Jahreszeit komplett schattigen Nordwand des Guggernüll, haben sich dennoch ein paar Linien aufgebaut. Weil diese zudem nur bei absolut sicheren Lawinenverhältnissen oder noch besser, wenn kein Schnee liegt zu begehen sind, wäre jetzt der genau richtige Zeitpunkt dafür. Schwieriger gestaltet sich da schon die Partnersuche. Niemand will so recht meinen Versprechungen glauben, dass ich eine lohnende Eistour identifiziert habe. Oder liegt der Fokus sogar etwa schon auf Weihnachten und dem zugehörigen Kaufrausch?!? Vielleicht aber will auch der Bauer einfach nicht fressen, was er nicht kennt. Denn im Schweizer Standardwerk, dem Eiskletterführer Hot Ice, sind die Touren am Guggernüll nicht beschrieben. So bleibt schliesslich nichts anderes übrig, als unseren Klettertrip ins Tessin noch um einen Tag rauszuschieben, so dass Kathrin und ich uns erst dem glatten Parkett widmen können. Ein absolut goldrichtiger Entscheid, wie es sich weisen sollte.

Blick auf die Guggernüll Nordwand. Die Via Abalakov ist die linke Eislinie leicht links der Bildmitte.
Wir starten früh, denn in einem solchen Couloir wollen wir keine andere Seilschaft vor uns haben. Zu gross wäre die Gefahr von Eis- oder Steinschlag. So brechen wir um 7.00 Uhr mit dem ersten Tageslicht vom Parkplatz etwa 1km östlich von Nufenen (GR) auf. Es geht erst etwa 10-15 Minuten flach einem Fahrweg entlang nach Osten, bevor man zur Rinne des Chratzlibachs kommt, in welcher sich die Tour abspielt. Aufgestiegen wird erst links vom Bach über die offene Wiese, an deren Ende quert man ins Bachbett hinein. Nach total rund 30 Minuten Anstieg sind wir auf 1680m. Hier hält der komplett vereiste Bach eine erste, steilere Stufe bereit. Das Montieren der Steigeisen ist nun unverzichtbar, wir nehmen auch gleich die Eisgeräte und das Seil zur Hand. Das erste Teilstück bis zum Vereinigungspunkt der vier Bachrinnen auf 1770m bietet noch keine grossen Schwierigkeiten. Erst ein paar Stufen, danach nochmals etwas Gehgelände. Könner steigen hier seilfrei, bei einer Führungstour ist Sichern jedoch unerlässlich.

Zustieg durchs Bachbett
Der Platz auf 1680m, wo wir Steigeisen, Seil und Pickel aus dem Rucksack genommen haben.
Kathrin folgt in diesem ersten Routenteil, die Schwierigkeiten liegen im Bereich WI1-2.
Immer noch im ersten Routenteil, genussvolle Kletterei über einige Stufen hinweg.
Beim Vereinigungspunkt auf 1770m gilt es dann zu entscheiden, welche Rinne man angehen will. Wir entscheiden uns für jene ganz links. Die zweite und die dritte Rinne von links wären augenscheinlich auch in guten Verhältnissen gewesen. Es wartet nun eine erste Steilstufe, dann wieder ein paar gemütliche Meter und genau so geht es weiter. Stufen wechseln sich ab mit etwas flacherem Eis. Die Kletterei ist aber immer anregend, das Ambiente grandios. Man klettert in einer eingeschnittenen Goulotte, fast ein bisschen wie in Chamonix, nur in etwas weniger alpiner Umgebung. Weiter oben mixen sich dann zwei kurze, senkrechte Abschnitte ins Programm. Doch die Eisqualität ist durchgehend hervorragend: die Geräte beissen schön und die Schrauben ziehen hervorragend. Nach dem markanten Steilaufschwung geht es nochmals 2 lange Seillängen flacher dahin, bevor die letzte, anhaltende Seillänge folgt. Hier gilt es, über 35 Meter anhaltend in 80 Grad steilem Eis zu klettern. Das Schlussbouquet bietet Hochgenuss!

Die erste Seillänge nachdem sich die Bäche verzweigen, ca. 25m, 75 Grad, WI3.
Kathrin im Nachstieg in ebendieser ersten Stufe, die Eisqualität ist absolut hervorragend!
Nächste Stufen, ca. 70 Grad, WI2. Sichtbar der Verzweigungspunkt von Via Abalakov (links) und Indem Bender (rechts).
Kathrin folgt und erreicht gerade die Stelle, wo sich Via Abalakov und Indem Bender verzweigen.
Weiterer Verlauf nach dem Verzweigungspunkt Abalakov/Bender. Stufen und Aufschwünge, ca. WI2.
Wunderbarer Eisschlauch, toll zu kletterndes Eis. Nun bereits etwas weiter oben.
Wieder einmal eine etwas steilere Eisstufe.
Kein Gelände, um bei Lawinengefahr, Tauwetter oder hinter einer anderen Seilschaft einzusteigen. 
Weitere Stufe im unteren Dreierbereich, die Steilheit auf dem Foto schwer einzuschätzen.
Nächste Stufe, reicht kurz sogar an die Senkrechte heran.
Flachere Passage zu einer 10-15m hohen Stufe, wo die Steilheit mindestens 85 Grad beträgt, ca. WI3+.
Ausblick auf das letzte Teilstück, ca. 120m in etwa 50 Grad steilem Gelände zur Abschluss- und Cruxlänge.
Kathrin folgt in der 15m-Stufe.
Sehr schöne Abschluss- und Cruxlänge, ca. 40m, 75-80 Grad, WI3+.
Nachstieg im durchschnittlich rund 50 Grad steilen WI1-Gelände, bevor die Cruxlänge erreicht wird.
Die letzten Meter zum Top - wow, das war eine echt geniale Genusskletterei!
Und dann ist Finito. Auf 2200m endet das Eis, bzw. entspringen die Bäche einer Quelle inmitten der Nordwand. Diese türmt sich noch weitere 500 steilere Meter über einem auf, ist aber trocken. Klar, hier könnte man womöglich schon noch weiter, das wäre dann aber eine sehr ernsthafte Unternehmung in brüchigem Fels, und kein genüssliches Eisklettern mehr. Für den Abstieg bleibt nichts anderes übrig, als abzuseilen. Fix installierte Stände gibt es keine, so muss man auf Abalakovs vertrauen oder selber welche schrauben. Entsprechendes Schlingenmaterial haben wir dabei, dumm nur, dass das Sackmesser nicht mitgekommen ist. Nach unnötig langer Diskussion erinnere ich mich an die dünne Reepschnur, mit welcher ich den Fotoapparat befestigt habe. Damit geht's im Nu, schon erstaunlich, wie wenig widerstandsfähig ein Kletterseil ist, wenn es ungünstig belastet wird. So geht's dann flotter dem Tal entgegen. Weit ist es aber dennoch, bis zum Vereinigungspunkt der Bäche sind es 10 gestreckte 60m-Abseiler und damit über 600 Klettermeter im Aufstieg. Ab da kann man erst etwas zu Fuss in der Bachrinne absteigen, die untersten Steilstufen lassen sich im Abstiegssinn links leicht mühsam durchs Erlengebüsch umgehen. Die Alternative wäre es, hier nochmals 2-3 Abseiler zu ziehen, was jedoch bestimmt deutlich länger dauert. Bleibt zuletzt noch der kurze Abstieg retour zum Automobil. Bis wir da sind, ist 16.30 Uhr schon vorbei und die Dämmerung bricht herein. Somit haben wir 9.5 Stunden car-to-car gebraucht. Aber super lohnend war's, eine geniale Unternehmung. Genüssliches Eisklettern bei besten Bedingungen - wer hätte es Mitte Dezember 2015 gedacht. Gut, dass ich den Glauben daran nicht aufgegeben hatte.

Facts

Guggernüll - Via Abalakov WI3+ - D IV P4 3+ - 800m - Erstbegeher unbekannt - ****
Material: 2x60m-Seile, 10-12 Schrauben, Material für Abalakovs

Tolle Eiskletterei, meiner Meinung nach etwas vom besten und längsten, was man im Bereich WI3+ in der Schweiz klettern kann. Das Ambiente in der eingeschnittenen Goulotte ist grandios. Die Kletterei ist nie anhaltend, steilere Abschnitte wechseln sich mit flacheren Kletterpassagen ab, dennoch bleibt es immer interessant bis zum Schlussbouquet mit der steilen Abschlusswand. Achtung, die Route kann nur bei absolut 100% sicheren Lawinenverhältnissen begangen werden, das steile Einzugsgebiet oberhalb ist riesig und alles was oberhalb abgeht, endet später in der Rinne, in welcher man klettert. Am lohnendsten dürfte die Route sowieso im Frühwinter sein, wenn erst wenig oder noch gar kein Schnee liegt. Ansonsten ist es jedoch ziemlich unkompliziert, die Route ist bereits von der Autobahn aus sichtbar, der Zustieg ist kurz und offensichtlich, beim Klettern kann man sich unmöglich verlaufen und permanent bester Handyempfang ist auch vorhanden. Einzig beim langen Abseilen an Abalakovs muss man dann nochmals etwas alpine Eigeninitiative an den Tag legen. Insgesamt kann man sicher sagen, alpines Plaisir. 

Topo

Die Route ist als Via Abalakov mit Bewertung WI4+ im Führer Ghiaccio Svizzero von Mario Sertori beschrieben. Die im Führer publizierten Infos sind jedoch vage und taugen (abgesehen von einigen Links/Rechts-Verwirrungen) maximal dazu, um sicher sagen zu können, dass es die von uns gekletterte Route die Via Abalakov ist. Die Bewertung mit WI4+ ist nach meiner Meinung deutlich zu hoch gegriffen, weshalb ich auch WI3+ korrigiert habe. Anbei eine rudimentäre Skizze, welche ich nach der Begehung der Via Abalakov und der Cascata del Novizio (Beitrag erscheint demnächst) angefertigt habe.

Topo

Mittwoch, 6. Januar 2016

Jahresrückblick 2015

Wieder einmal ist es Zeit für meinen traditionellen Jahresrückblick. Hatte ich mit Blick aufs 2014 vom besten Bergjahr meiner Karriere gesprochen, so kamen zwar im 2015 wiederum tolle, alpinistisch beinahe gleichwertige Erlebnisse und Klettereien mit hohen Schwierigkeitsgraden mit hinzu. Was im 2015 hingegen fehlt, ist eine ganz grosse, renommierte Tour von überragender Strahlkraft wie damals die Matterhorn Nordwand. Mit Blick auf das über lange Zeit ideale Bergwetter, wo viele grosse Touren ganz hoch auf meiner Wunschliste ideale Verhältnisse aufwiesen, hinterlässt das etwas den Geschmack von "es wäre mehr möglich gewesen". Doch meist hatte ich zum Zeitpunkt X andere Verpflichtungen, oder wenn es kurzfristig einmal passte, so fehlte garantiert der nötige Seilpartner. Nimmt man mein 2015er-Palmares als Massstab, so kann man diese Feststellung zwar als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen. Trotzdem, wenn man es in einem wettertechnisch mässigen Jahr schafft, die besten Tage rauszupicken und aussergewöhnliche Touren zu realisieren, stellt sich automatisch das Gefühl von "alles richtig gemacht" ein. Ist man hingegen daheim oder bei der Arbeit gebunden und muss auf den Social Media konstatieren, dass andere gerade bei besten Verhältnissen Hammertouren realisieren, so verbleibt manchmal schon ein Wermutstropfen. Im beinahe beständig schönen 2015 wird das aber so manchem gleich ergangen sein...

Sportklettern

Deutlich am häufigsten mit ungezählten Ausflügen widmete ich mich im 2015 der Kletterei im Klettergarten. Mit dabei waren nebst vielen Ausflügen an in der Nähe gelegene Felsen Trips ins Tessin (2x), Interlaken, Frankenjura, Norwegen, Kalymnos und an den Comersee. Meine Bemühungen waren durchaus erfolgreich, gelang es mir doch im Jahresverlauf fünf Routen und damit so viele wie bisher nie im Grad 8a zu punkten. Mit hinzu kommen 4x 7c+ und 12x 7c, sowie viele weitere Routen im siebten Franzosengrad. Nachdem ich vor kurzem ein Projekt realisieren konnte, an welchem ich mir über lange Zeit hinweg die Zähne ausgebissen habe, kann ich konstatieren, dass ich selbst nach 25 Jahren Klettern nochmals stärker geworden bin. Nicht um Welten natürlich, von aussen möglicherweise kaum sichtbar, aber für mich persönlich doch spürbar. Den Grund sehe ich in meinem weitgehenden Verzicht, in kommerziellen Hallen zu klettern, und stattdessen so oft wie möglich draussen oder an meiner kleinen, aber sehr effektiven Wand im Keller zu klettern. Ein weiterer Aspekt liegt meines Erachtens in der Losung "fatigue has no place in strength training" - d.h. weniger Versuche, kürzere Trainings, dafür aber mit 100% Leistung, Konzentration und rechtzeitigem Beenden des Trainings. Mal sehen, wie ich in einem Jahr über diesen Ansatz denken werde. Die Kehrseite meiner 2015er-Erfolge besteht etwas darin, dass eine 8a inzwischen für mich nicht mehr eine "once in a lifetime opportunity" oder einen "once in a lifetime dream" darstellt. Es wäre also an der Zeit, im 2016 den schon lange angestrebten Grad 8b zu realisieren - ob es wohl gelingt?!?

Wie so oft, unterwegs zu einem tollen Sportklettertag mit Familie.
MSL-Klettern

Mein Auftakt fand dieses Jahr erst am 7. Juni statt, dafür dauerte die Saison dann aufgrund der schneefreien Verhältnisse bis Ende Dezember. Insgesamt ergaben sich 27 MSL-Touren sowie 2 Trad-Klettertage in Schweden, welche in dieser Rubrik trotz nicht allzu langen Routen am besten eingeordnet sind. Wegen dem heissen Wetter boten sich dieses Jahr so oft wie selten die Nordwände oder hochalpine Klettereien an. Oder auch ein Trip nach Norwegen, wo wir diesen Sommer meist warm eingepackt im Granit kletterten, während die Schweiz unter einer Brutofenhitze litt. Die 2015er-Highlights in diesem Bereich waren für mich die Süpervitamin in der Titlis-Nordwand, welche ich in einem epischen Fight onsight niederringen konnte. Mit der Sacremotion und dem Eisbrecher ergaben sich auch zwei mit Schönheitssternen hoch dotierte Routen am Furkapass. Im Kalk erwähne ich an dieser Stelle insbesondere den Zischtigsclub, die Wätterhäx und den Mauerläufer als Routen, die mir besonders viel Spass bereitet haben. Besondere Erwähnung verdienen auch meine Schnupper-Begehung vom Extremklassiker Kein Wasser kein Mond als Seilzweiter und die erste längere und seriöse MSL-Tour, welche wir gemeinsam mit unserer Tochter angehen konnten.

In einem bisher noch undokumentierten MSL-Projekt mit provisorischem Grad 8b.
Bohren

Im 2015 ergab sich die Erstbegehung von 3 Klettergartenrouten und einer Mixed-Tour im Urnerboden, über welche hier in nächster Zeit einmal noch ausführlicher berichtet werden soll. Auch ins Einrichten eines klein-feinen Drytooling-Gebietes habe ich etwas Zeit investiert, bin damit aber noch nicht soweit gekommen, dass dies publikationswürdig wäre - affaire à suivre. Die Königsdisziplin beim Bohren ist jedoch das MSL-Genre: mit der Maschine am Gurt ins Unbekannte losklettern und schauen, wie es wohl am besten weitergeht. Dieses Jahr erzeugte ich zusammen mit Erich Rütsche aus den zwei etwas verlorenen Seillängen des Element of Slime eine lohnende 7-SL-Tour in der Westwand vom kleinen Bockmattliturm. Ein absolutes Highlight für mich war das Einrichten und Punkten meiner ersten Tour mit Namen Zambo an den hochgelobten Wendenstöcken, welche moderat schwere aber sehr schöne Kletterei bietet. Zusammen mit Werner Küng könnte ich an der Schafbergwand auf dem Trassee der ehemaligen Galoschen des Glücks einen neue, alpine Sportklettertour mit guter Absicherung legen. Auch wenn es sich dabei technisch gesehen bloss um eine Sanierung handelt, so entsprach das Erlebnis für mich eher einer Erstbegehung von unten. Erwähnt seien an dieser Stelle auch noch offene Baustellen mit substanziellem Fortschritt und vielversprechenden Aussichten: solche gibt es in der Eiger Nordwand und im Rätikon. Wie bisher immer mangelt es auch nicht an weiteren Ideen und Visionen.

Der bequeme Rückweg ins Tal nach einem Bohrtag am Eiger, die letzte Bahn ist schon lange abgefahren...
Eis- und Mixedklettern

In der näheren Umgebung stellten sich im Winter 2014/2015 leider nie geeignete Bedingungen fürs Eisklettern ein. So ergaben sich schliesslich total 8 Tage im Eis. Besonders herausragend sind dabei die Touren, welche ich in Kandersteg unternehmen konnte. Der Auftakt gelang dabei schon fantastisch mit der Lochroute und den Haizähnen, kurz darauf konnte ich mit Bück Dich eine begehrte Mixedroute begehen, die ich noch kurze Zeit davor als kaum erreichbar eingestuft hätte. Und zum Abschluss dieser Phase ergab sich dann noch die fett gewachsene Alphasäule an der Breitwangflue, eine Tour welche dem berühmten Crack Baby in kaum einer Beziehung nachsteht. Ein Meilenstein für mich war auch die Vorstiegs-Begehung der Jasper-Route Midnight Express (M8-) im Urnerboden. Die ist zwar nur 25m lang, dafür ohne Bohrhaken und auch von der Linie her einigermassen kompromisslos. Hier hatte ich das Glück, mit kompetenten Seilpartnern unterwegs sein zu können und von ihnen den notwendigen Support im Sinne von "du kannst das!" zu erhalten. So war es dann auch, und diese Begehung eröffnete für mich persönlich schon neue Horizonte. Beim Mixed-Klettern würde mit entsprechendem Training noch viel drinliegen. In der Begeisterung wurden sogar Fernziele wie die berühmte Flying Circus (M10) ins Auge gefasst. Mit ein bisschen Üben schafft man vielleicht sogar das?!?

No-Hand-Rest in Midnight Express am Urnerboden, bevor die finale Crux nochmals vollen Einsatz verlangt.
Alpines

Obwohl es wie erwähnt eigentlich viele Gelegenheiten zum seriösen Bergsteigen gegeben hätte, kann ich hier nur die Schweizerführe in der Nordwand der Courtes als so richtig klassische Aktivität in diesem Genre auflisten. Diese in sauberem Stil und mit einem angenehmen Zeltbiwak auf dem Argentière-Gletscher bewältigte Tour war dafür ein richtiges Highlight. Speziell ist meine 2015er-Beziehung zur Eiger Nordwand. Sowohl im Frühjahr wie im Herbst gab es längere Fenster mit guten Bedingungen für die Heckmair. Zweimal sass ich sogar auf gepackten Koffern, beide Male platzte die Sache aber in letzter Minute aufgrund äusserer Umstände. Ein drittes Mal ging es dann los und wir machten uns bei unbekannten Conditions auf den Weg. Aber wie man schon gelesen hat, im mit trockenem Pulver belegten Fels ging da gar nichts. Sozusagen als Frustbewältigung konnte ich dann die sehr schöne Tour durchs SW-Couloir der Silberplatten klettern. Auch ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es für lohnendes Bergsteigen nicht unbedingt grosse Namen, bekannte Berge und weite Anreisen braucht. Ebenfalls in diese Kategorie ordne ich vier Ausflüge im Alpinwander-Bereich ein, welche ich mehr als konditionelle Trainingstouren begangen habe, als meine Finger gerade zu müde zum Sportklettern waren.

Der Autor unterwegs in der Courtes-Nordwand.
Skitouren

Wie schon in den vergangenen Jahren habe ich meine Skitouren-Aktivitäten (vor allem im Vergleich zu früher) aufgrund der vielen Klettereien in Fels und Eis sowie dem Pistenskifahren mit den Kindern stark eingeschränkt. Im Januar und Februar lag bei uns daheim auch eine gute Schneedecke, so dass ich praktisch von der Haustür weg einige Touren unternehmen konnte. Später in der Saison nutzte ich dann noch einige Sportkletter-Regenerationstage für längere Ausflüge, so dass bis zur letzten Tour am 17. Mai insgesamt 14 Stück zusammen kamen. Der beste Ausflug der Saison war ganz eindeutig jener auf die Scherenspitzen des Piz Forbesch, die Touren zum Pizzo Ferrè und zum Pizzo Stella waren auch tolle Erlebnisse. Als absolutes Novum seit Beginn meiner Skitourenkarriere war ich von Sommer bis Ende Jahr wegen Schneearmut und warmem Kletterwetter auf keiner einzigen Tour - ein Zustand, der bis dato anhält, mich aber auch nicht in Rastlosigkeit verfallen lässt.

Morgens vor der Arbeit rasch im Züri Oberland anspuren gehen, das ist meistens keine schlechte Sache!
Nun schliesse ich diesen Jahresrückblick nach 2 tollen Wochen Festtagsferien. Fast jeden Tag konnte man nach draussen, dabei sind wir im Eis geklettert, im steilen Fels konnte ich eine 8a punkten und zwei weitere pfannenfertig brutzeln, es wurde bei sommerlich angenehmen Bedingungen MSL geklettert, es ergaben sich sogar zwei tolle Skitage mit den Kindern bei idealen Verhältnissen und das Feiern mit Freunden und Familie kam auch nicht zu kurz. Um den Bogen zum Vorspann zu diesem Post zu schliessen: man kann sich ja kaum mehr als das wünschen! Doch wenn ich höre, wie Kollegen während dieser Zeit in der Eiger Nordwand, dem Dru Couloir oder der Roseg Nordwand erfolgreich waren, so verbleibt eben doch ein gewisser Rest von Sehnsucht. Ein bisschen hungrig zu bleiben ist jedoch sicher keine Untugend. 

Auf ein tolles Bergjahr 2016 und mit bestem Dank an all meine Tourenpartner im 2015!

Samstag, 2. Januar 2016

Gross Mythen - Geissstock - Mauerläufer (7b)

Die Kunst beim Bersteigen ist es, die richtige Tour im richtigen Moment zu klettern. Einfacher gesagt als getan, doch mit dem Mauerläufer ist uns das voll und ganz gelungen. Dass man zum Jahresende bei strahlendem Sonnenschein und perfekten Temperaturen eine solch lange und anspruchsvolle MSL-Tour realisieren kann, ist doch eher aussergewöhnlich. Beim Mauerläufer handelt es sich um eine alpine Sportklettertour in der steilen, 250m hohen Südwand des Geissstocks, einem markanten Felspfeiler in der Südflanke des Gross Mythen. Schon lange hatte sich die Route auf meiner Wunschliste befunden. Nun muss ich ganz klar sagen: gut, habe ich auf diesen Moment gewartet!

Der Geissstock in der S-Flanke des Gross Mythen mit eingezeichnetem Routenverlauf.
Für den Zustieg gibt es gleich mehrere Varianten, alle führen zuletzt jedoch zu P.1201 beim Stall im Hasliwald. Man kann diesen Ort absteigend von den Bergbahnen auf die Holzegg und Rotenflue erreichen, oder aufsteigend von den mit dem Automobil erreichbaren Mythenbad P.885 und Bürisberg P.945. Wie schon das letzte Mal, als wir die klassische SE-Wand am Geissstock geklettert sind, wählen wir den Zugang von der Ibergeregg-Strasse her. Ab dem Stall geht's in den Wald hinein und alsbald die steilen Hänge hinauf. Die Ideallinie befindet sich weiter rechts als man erst glauben mag, aktuell markiert durch eine blaue Sigg-Flasche, welche einem Tannenbusch übergestülpt ist. Wenn man sie findet, so sind gegen den Geissstock hinauf durchgehend schwache Pfadspuren vorhanden. Ansonsten muss man sich in wenig gestuftem Gelände mühsam hocharbeiten. Das Gelände ist steil, und vor allem in der exponierten Querung gegen den Geissstock hin verträgt es definitiv keinen Ausrutscher mehr, das Terrain bricht unterhalb in Felswänden ab. Die Schwierigkeit ist auf ca. T5 zu beziffern, entsprechendes Schuhwerk und bei schlechten Verhältnissen sogar ein Pickel sind anzuraten. Vorsicht ist insbesondere bei Schneeresten, Nässe und von Schnee plattgedrücktem Gras angezeigt.

Le soleil brille... einfach fantastische Bedingungen. Und auch die Kontraste sind verblüffend. Man würde es kaum glauben, dass ich 2 Tage nach dieser Tour auf den hier sichtbaren Hängen gegenüber mit den Kindern wirklich lohnend Ski gefahren bin. 
Unser Timing ist perfekt aufgegangen. Nach leidlich langem Schlaf am Morgen stehen wir um 8.50 Uhr unterhalb vom Einstieg in die Route. Dieser befindet sich etwas vor dem tiefsten Punkt der Felsen an der Stelle, wo zwei Laubbäume direkt am Weg stehen. Die markante, steile Verschneidung von L2 ist gut zu erkennen, um das fixe Material zu erspähen sind hingegen Sperberaugen notwendig. Es hat am Anfang nicht viel und auch nicht gut sichtbar. Zu erwähnen ist noch, dass am eigentlichen Start der Felskletterei 20m weiter oben nix steckt, weshalb man sich besser auf der Wegspur unten aufschirrt und auch von dort aus sichert. Um 9.00 Uhr fällt schliesslich der Startschuss und mit dem Timing eben ist es so, dass nun auch grad die Sonne zum Vorschein kommt, so wie wir uns das vorgestellt haben.

L1, 15m, 5b: Von der Wegspur erst 20m die steilen Schrofen hinauf und dann eher unschön im Fels aufwärts. Ein Bohrhaken sichert diese gar nicht so einfachen Meter ab, danach kommt schon bald der Stand unter der steilen Verschneidung. Die offizielle Bewertung von 5a habe ich mit Absicht erhöht.

L2, 50m, 6c: An der Temperatur gibt es zwar nichts zu mäkeln, trotzdem wartet auf mich hier so etwas wie ein Kaltstart. Die Kletterei entlang der steilen Verschneidung weist eine gewisse Ernsthaftigkeit auf. Zwar stecken regelmässig Bohrhaken, diese müssen aber gehörig überstiegen werden, ich fühle mich noch etwas ungelenk und in Bezug auf den Fels gilt "es ist nicht alles fest, was lose aussieht". Nach etwa 25m geht's dann um die Ecke, und es will auf der plattigen Seitenwand der Verschneidung geklettert werden. An sich nicht mega schwierig, aber mit eher weiten Abständen, etwas Seilzug und der Sicherungsperson ausser Sichtweite fühle ich mich hier eher unwohl. Zuletzt dann über ein paar Blöcke (Camalot 1 nützlich) und etwas Botanik zum Stand, welcher bloss aus 2 nicht überaus dicken Sanduhren besteht. Im Aufstieg kann man mit Cams ideal verstärken, beim Abseilen hilft dann nur noch das Gottvertrauen, ein BH wäre sicher dienlich. Diese Länge war in der 1995er-Ausgabe des SAC-Kletterführers Zentralschweizer Voralpen mit 6b bewertet, in jener von 2014 mit 7a. Die Wahrheit liegt wohl etwa dazwischen, bei einer fordernden 6c.

Der Autor auf den ersten Metern der steilen Verschneidung von L2 (6c).
L3, 30m, 6c+: Hier steht und fühlt man sich erst etwas im Gemüsegarten, die Kletterei an sich ist aber auf dieser Länge durchaus gut und das Gras stört nicht sonderlich. Problematisch mutet hingegen viel mehr die heikle Stelle nach dem zweiten BH an. Dieser steckt unnötig tief, so dass einem die folgenden Gegendruck-Moves mit mässigen Griffen und den Füssen auf glatter Platte in eine ungünstige Position mit Potenzial für einen ätzenden Sturz bringen. Hat man sich einmal zum Go überwunden, so liegt das nächste Problem dann beim instabil-trittlosen Einhängen des Hakens, leider war auch der einzige Griff ziemlich zugegrast. Ich habe ihn beim Abseilen, soweit ohne Werkzeug möglich, wieder befreit. Hat man diese psychische Stelle gemeistert, folgt schöne, einfachere und gutgriffige Kletterei. Im SAC-Führer ist diese Länge nur mit 6b+ bewertet. Damit die Einstufung mit den oberen Längen konsistent ist, muss man hier jedoch sicherlich 6c+ geben, da definitiv schwerer wie L6 und L8. Schöner und bequemer Stand auf der Kanzel.

Unmittelbar vor der heiklen Stelle in L3 (6c+). Diese Position ist noch bequem erreichbar und es wäre dienlich, wenn der zweite BH 1.5m höher stecken würde. Nun gilt es nämlich, die feine Rissspur ob der linken Hand auf Gegendruckk zu nehmen und links in der aalglatten Platte heikel auf Reibung anzutreten. Falls die Füsse rutschen, so wirft's einen wirklich sehr unangenehm ins Gemüse hinab.
L4, 40m, 7b: Vom Stand weg kurz etwas bedenklich, da ohne Sicherung an den Beginn vom steilen Teil. Dort beginnt gleich das seriöse Business, die folgende, steile Passage mit 3 nahe steckenden BH stellt die Crux dar. Hier gibt es vor allem viele abschüssige Sloper und die Sache ist sehr unübersichtlich. Die paar wenigen Stellen, wo es ein kleines, helfendes positives Käntchen hat, sind ohne Vorkenntnis nur schwer zu identifizieren und um alles Abzutasten bleibt nicht endlos Zeit. Mir hat der herbe Auftakt in L2/L3 auch etwas das Selbstvertrauen genommen, und so greife ich vorschnell zur zweiten Exe, um das Seil sicher einzuklippen. Das fuxt mich nun im Nachhinein, weil mir der gesamte Rest der Route onsight gelang. Auch diese Passage wäre bestimmt im Rahmen meiner Möglichkeiten gelegen, nur dran glauben und bestimmt klettern hätte man müssen! Anyway, nach diesem steilen Auftakt geht es vorerst etwas leichter dahin. Das Gelände lockt einen nach links, wobei man dann jeweils wieder ungünstig nach rechts moven muss, um die in gerader Linie steckenden Bolts zu klippen. Weiter oben besteht dann an einer Stelle das ärgerliche Problem, dass die Lasche von einem Maillon besetzt ist. Dessen Gewinde ist zwar nicht zugeschraubt (was sich auf die Festigkeit stark negativ auswirkt), aber trotzdem verhockt, so dass man es nicht entfernen kann. Zudem folgt danach gleich ein Runout. Richtig schwer ist dann nochmals die Abschlusspassage. Leider steckt der letzte BH etwas im Schilf, direkt darüber hinweg ist es affenschwer. Augen auf, es gibt eine deutlich bessere Linie.

Nix mehr Gras, sondern perfekter Fels und geniale Moves. Slopriger-schwerer Auftakt in L4 (7b).
Blick auf die letzten, nochmals schweren Meter in L4 (7b). Ethical Advisory: zu intensives Betrachten dieses Fotos in hoher Auflösung könnte einen ethisch einwandfreien Onsight womöglich gefährden.
L5, 25m, 7a: Es wartet ein sehr gut abgesicherter Quergang nach rechts hinaus, die Schwierigkeiten sind erst noch moderat. Aber bald steht man etwas wie der Esel am Berg, und die schwere Kletterei beginnt. Weiter oben kann man zwar wieder Griffe erahnen, doch gilt es hier den Poker für die richtige Beta zu spielen. Aufgrund der Trittarmut hat man nämlich nur einen Shot. Mir gelingt's, ich kann oberhalb einige Tropflöcher krallen und mich hochschieben. Danach geht's über etwa 15m ziemlich anhaltend weiter. Immer wieder taucht unerwartet eine Leiste oder ein Tropfloch auf, wer auch noch seine Füsse gescheit einsetzt, kommt gut durch. Wobei die Absicherung hier sehr komfortabel ausgefallen ist, man kann bedenkenlos voll angreifen. Zuletzt dann etwas athletischer zu einem ziemlich unbequemen Hängestand. Wer unten im Quergang grosszügig verlängert hat (was beim Klettern eher unangenehm ist), kann die nächste Länge auch anhängen.

Super Tropflochkletterei in L5 (7a), ein sehr gut abgesicherter Hochgenuss!
L6, 20m, 6c: Athletisch-griffiger Auftakt vom Stand weg, ein Pre-Klipp des ersten BH beim Klettern der vorangehenden Seillänge ist sicher keine schlechte Idee. Der Ausstieg ins flachere Gelände dann die Crux, hier ist das Griffangebot kurzzeitig nicht ganz so üppig und eher von der abschüssigen Sorte. Geht aber scho... und im Vergleich zu L2/L3 ist das schlicht und einfach weniger fordernd. Steht man einmal oben, tendiert man etwas nach links zum dritten BH. Achtung: sich ab hier nicht weiter nach links in die SE-Wand verkoffern, sondern direkt hinauf. Der vierte BH ist aus der Kletterstellung erst nicht sichtbar, taucht dann aber schon auf.

Blick zum Adlerspitzli, das mit seinem S-Grat (3b) eine lohnende, einfache Kletterei bereithält.
L7, 35m, 7a+: Nach meinem Geschmack die beste Seillänge der Route! Vom bequemen Stand zuerst einfach etwas nach rechts hinaus an die steile Wand, wo die eng steckenden BH den Weg markieren. Die Kletterei sieht etwas aus wie im Acherli und fühlt sich durchaus auch ähnlich an. Will heissen, weite und athletische Züge sind nötig, aber die positiven Griffe sind da. Hier klettere ich nun bestimmt und mit positiver Einstellung, ebenso lassen sich an dieser Stelle die beim Sportklettern antrainierten Kraftreserven effizient einsetzen. Die Crux folgt eigentlich gleich zu Beginn des steilen Teils, danach werden die Griffe besser und das Gelände nicht mehr ganz so extrem drückend. Trotzdem kommt hier der Ausdauerfaktor zum Tragen, denn einen richtig guten Rastpunkt gibt es nicht und auch grosse, positive Henkel zum Runterschütteln fehlen. Im oberen Teil wartet dann eine markante, 5m-Horizontalquerung nach links. Die ist schwieriger als es aussieht, vor allem der Klipp und der Mantle am Ende der Querung haben es in sich. Langsam etwas auf Reserve erreiche ich den Stand - und ja, ich habe nochmals Pech und es erwischt mich mit einem unbequemen Hängestand.

Supergeniale, steile und leistige Ausdauerkletterei in L7 (7a+).
Jonas fightet in der Querung im oberen Teil von L7 (7a+), das Anklettern des hier folgenden BH ist durchaus knifflig.
L8, 30m, 6c: An der Untergriffschuppe oberhalb vom Stand spielt die Musik, das ist gleich von Anfang an klar. Vom Stand aus schätze ich das als gangbar aus und nehme es beinahe auf die leichte Schulter. Doch während die Schuppe griffig ist, entpuppt sich das Gelände als weniger trittig und steiler wie gedacht. Doch mit ein paar Erfolgen in den Seillängen zuvor in der Tasche klettert es sich beschwingt und ich gehe so vor, wie man an solchen Stellen vorgehen soll. Sprich vorwärts orientiert, nicht lange rumtrödeln, sondern bestimmt klettern. Nach dem zweiten BH geht's dann um die Ecke und in ein paar kräftigeren Moves aufwärts, es ist ein gutes Stück obligatorisch zu klettern, bis der dritte Haken einschnappt. Dann in lässig rauem Fels gutgriffig über ein paar Stufen aufwärts, zuletzt über ein paar Blöcke zum bequemen Stand. Obwohl diese Länge nicht geschenkt ist, dünkt sie mich doch auch einfacher wie L2 und L3. Wobei ich hier jedoch mit der unten noch fehlenden Effizienz geklettert bin. Wäre spannend zu wissen, wie meine Einschätzung ausgefallen wäre, wenn man die Längen in umgekehrter Reihenfolge hätte absolvieren müssen.

L9, 30m, 6b: Hier haben die Erstbegeher nochmals eine richtig coole Linie gewählt. Die Verschneidung oberhalb vom Stand wäre bestimmt auch gegangen, jedoch sicherlich weniger schön gewesen. Stattdessen geht es in einem einfachen Quergang links hinaus, und dann in sehr schönem, rauem Fels auf dem Pfeiler aufwärts. Anregende Kletterei, nirgends mehr besonders schwierig, in dieser luftigen Position einfach ein grosser Genuss, zudem auch komfortabel gesichert. Nach dem letzten BH klettert man dann am besten direkt gerade hinauf Richtung Büsche und lässt sich nicht nach links in einfacheres, aber loses Gelände drängen. Direkt hinauf geht's prima, die Griffe sind da, der Fels solide und das kurze Bushwhacking kein Problem. Ist man oben, so findet man keinen eingerichteten Stand, sondern muss einen Baum verwenden.

Nochmals sehr schöne und luftige Kletterei hoch über dem Nebelmeer in L9 (6b). 
Die Uhr zeigt 14.45, als der Handschlag am Top erfolgt. Ja, das war jetzt eine hammerharte Winterbegehung gewesen! Problemlos hatte man im T-Shirt und mit heraufgerollten Hosen klettern können. Ja die Sonne hatte gar derart stark gebrutzelt, dass es mir gar nicht unrecht ist, hier etwas im Schatten der Bäume chillen zu können. Aber wir sind happy, total, das war nun eine echt geniale Kletterei und besser hätte man den Tag für diese Route kaum treffen können. Bevor es talwärts geht, steigen wir noch zum Kamm des Geissstocks hinauf, um einen freien Blick auf das grandiose Nebelmeer zu werden, welches das Rigi-Massiv umflutet. Kurz bin ich es mir sogar etwas reuig, dass wir nicht mit einem Gipfelgang geplant haben. Vom Geissstock kann man nämlich weiter zum Wyss Nollen gehen, diesen über seine Westwand-Route erklettern (4 SL, 5c+) und dann noch die Gipfelwand (2 SL, 3b) zum Top auf 1899m erklimmen. Dies hatte ich einst vor vielen Jahren mit vorgängigem Klettern des Adlerspitzli und des Geissstock-Risspfeilers schon einmal gemacht, was eine sehr empfehlenswerte 24-SL-Tour bis in den sechsten UIAA-Grad darstellt.

Blick vom Top auf das kompakte Nebelmeer, welches das Rigi-Massiv umflutet.
Nun denn, eben, die Zeitreserven hätten zwar für einen Gipfelgang gereicht. Aber dann in Kletterfinken über den Grüeziweg abzusteigen und so nochmals zum Geissstock-Einstieg hinauf um das deponierte Material zu holen, das war dann doch kein realistisches Unternehmen. So stiegen wir zur gebohrten Abseilstelle ab, welche sich etwa 10-15m tiefer unten als der Ausstiegsbaum befindet. Schon bereits letztes Mal hatte ich diesen Punkt als potenziellen Base Exit klassifiziert, und auch dieses Mal zieht mich der grandiose Tiefblick wieder in den Bann. Wir fädeln die Seile und dann geht es, teils stark pendelnd, in die Tiefe. Exen einhängen beim Abseilen ist wie immer unkommod und jenen vorbehalten, welche sich das Pendeln nicht trauen ;-) Wenig später sind wir am Wandfuss, wo wir die letzten Sonnenstrahlen für einen Vesper nutzen können. Vorsichtig steigen wir das exponierte Gelände zurück zum Stall im Hasli und können es dann gegen Schwyz und das dichte Nebelgrau hinunter laufen lassen. Das war nun ein echt genialer Schlusspunkt auf das tolle Kletterjahr 2015!!!

Facts

Gross Mythen - Mauerläufer 7b (6c obl.) - 9 SL, 270m - Betschart/Büeler 1991 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1, evtl. Set kleine Keile

Lässige alpine Sportklettertour durch die steile und sonnige Geissstock-Südwand. Sie bietet einiges an Abwechslung, von Verschneidungs- über Plattenkletterei zu Sloperproblemen, Tropflöchern und Ausdauermoves an positiven Leisten. Die ersten 3 Seillängen bieten einen etwas herben Auftakt mit nicht auf jedem Meter perfektem Fels, einigen nicht sonderlich störenden Grasbüscheln, noch eher weiter Absicherung und (in der Originalversion) harter Bewertung. Ab L4 geht's dann in meist kompakten, grasfreiem Fels von guter Qualität bis zum Gipfel, hier sind dann sowohl Absicherung wie Bewertung komfortabler ausgefallen. Ich persönlich zögere nicht, hier nach meinem tollen Erlebnis die vollen vier Sterne zu vergeben, ganz nüchtern objektiv sind es vielleicht auch nur drei. In Bezug auf die Absicherung sind die schweren Stellen >6c alle sehr gut und eng auf Niveau xxxx eingerichtet. Im einfacheren Gelände heisst es hingegen schon öfters einmal weitersteigen, weshalb die Gesamtbewertung nur xxx erreicht. Ein paar Stellen lassen sich mit kleinen bis mittleren Klemmgeräten und allenfalls auch kleinen Keilen zusätzlich absichern. Für den routinierten Gänger sind diese Hilfsmittel jedoch nicht zwingend nötig. Zu beachten ist, dass die Literaturangabe von 6a+ obligatorisch ein falsches Bild der gestellten Anforderungen vermittelt. Um die Tour hochzukommen und zu geniessen, muss man mindestens den Grad 6c solide und über den Haken beherrschen.

Topo

In den SAC-Kletterführern Zentralschweizer Voralpen von 1995 und 2014 findet man je ein grobes schematisches und ein Fototopo zur Route. Ein präzises, symbolisches Topo existiert meines Wissens bisher noch nicht. Deshalb habe ich ein solches angefertigt, das auch als PDF verfügbar ist.