Ein schöner Herbsttag war angesagt, möglicherweise bald eine der letzten Gelegenheiten für eine längere MSL-Tour in dieser Saison. Diese Gelegenheit wollten Kathrin und ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Die Laune war uns nach einer nicht zu kurzen, nicht zu langen Tour, tollem Fels, guter Absicherung und fordernden Schwierigkeiten, die wir aber dennoch vernünftig beherrschen würden. Am Schluss hatten wir die Qual der Wahl zwischen dem Ofen im Melchtal und dem Hinter Glatten am Klausenpass, wegen dem beständigen Verkehrschaos um Luzern (abends bis 8km Stau) fiel die Wahl zu Recht auf das letztere Gebiet.
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Wandansicht und Topo |
Bis die Kinder aufgestanden, angezogen, gefüttert und den Grosseltern übergeben waren (vielen Dank an dieser Stelle fürs Hüten!), war 9.00 Uhr schon vorbei. Richtig früh loszukommen ist unter diesen Voraussetzungen einfach unmöglich, was im Herbst durchaus ein gewissen Handicap darstellt. Für die geplante Tour am Hinter Glatten waren wir aber noch ausreichend im Zeitplan. Nach 10.35 Uhr gingen wir in der letzten Kehre (P.1888), knapp 1km ostseitig der Passhöhe, los. Der weglose Aufstieg erfolgt am einfachsten durch das trockene Bachbett, wir brauchten knapp 35 Minuten für die rund 330 Höhenmeter. Der Einstieg am markanten Vorbau war einfach zu lokalisieren, er ist mit einem Ringhaken markiert. Allerdings starten von diesem Punkt aus zwei Touren, nachdem wir uns vergewissert hatten, dass wir für die Einbahnstrasse die rechte Linie mit den alten Haken zu wählen hatten, konnte es um 11.25 Uhr losgehen.
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Die Schlüsselstelle im Bachbett-Zustieg, kurze Stelle I, Schwierigkeit insgesamt wohl T5. |
SL1, 40m, 6a+: Der Vorbau schaut aus der Distanz nicht so solide und attraktiv aus, die Kletterei ist aber wirklich gut, sprich viel besser, als man meinen könnte. Und auch steiler, als man denkt: an den typischen, grossgriffigen Auflegern gewinnt man an Höhe. Die Hakenabstände sind wohl im grünen Bereich, das Material ist aber stark veraltet und vor allem sind die verrosteten Kronenbohrhaken hier sogar nur von 8mm Durchmesser. Stand kann man dann gut an den zuverlässigen Bolts der neueren Tour links einrichten.
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Der Schluss von SL 1 nicht so attraktiv, der erste Teil ist deutlich besser. |
SL 2, 40m, 6b: Eine sehr gute Seillänge, die nach einigen zugänglichen Startmetern bald steile und gar nicht so einfache Wandkletterei an Leisten und Seitgriffen bietet. Noch bevor man ganz unter den Dächern angelangt ist, quert man nach rechts hinaus. Der Zwischenstand an dessen Ende wäre zwar zwecks Vermeidung von Seilzug praktisch, weil aber nur 1 uralter BH mit Schlinge um einen mässigen soliden Block in unbequemer Position vorhanden ist, klettert man lieber gleich weiter. Über 3 weitere BH geht es in sehr schöner, steiler Wandkletterei an Schuppen und Schlitzen nochmals 15m weiter bis zu einem guten Stand. Achtung, den ersten BH nach dem Zwischenstand in der Wand rechts massiv (mind. eine 120er-Schlinge) verlängern, ansonsten massiver Seilzug.
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Griffig-rauer Superfels am Ende von SL 2, 6b. Im Bild die einzige Stelle, wo ich einen Cam (Grösse 0.5) gelegt habe. |
SL 3, 30m, 6b+: Sehr schöne Kletterei, die beständig etwas nach rechts quert. Dieses Teilstück ist weniger steil, dafür sind oft Aufleger und hier und da eine kleine Leiste zu halten, mit den Füssen tritt man auf Reibung an. Der Fels ist super, ähnlich wie im unteren Teil der Millenium am Reissend Nollen. Die Schwierigkeiten sind wohl recht anhaltend, aber harte Stellen warten keine. Ich fand diese SL klar einfacher wie SL 2 und würde hier 6b, in SL 2 aber 6b+ geben.
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Bezüglich Farbe und Struktur ähnlich wie der untere Teil der Millenium am Reissend Nollen: SL 3, 6b+ |
SL 4, 25m, 7a: Vom unbequemen Stand folgt wie so oft in dieser Tour wieder mal ein recht weiter Abstand zur ersten Zwischensicherung, danach ist es hier klettergartenmässig abgesichert. So ist auch die Kletterei durch die überhängende Wand: steil, mit kleinen Leisten und Seitgriffen, fantastisch! Die schwerste Stelle braucht Power und Entschlossenheit, doch bald danach kriegt man gute Schlitze und Löcher zu fassen, wo dann aber etwas Ausdauer gefordert ist. Zuletzt dann etwas einfacher an Slopern zum bequemen Stand auf dem Querband. Nachdem ich diese SL zwar Onsight aber mit einem ziemlich Pump bewältigt hatte, war ich froh um eine gemütliche Pause.
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Sloper-Ausstieg aus SL 4, 7a. Dieser ist nicht mehr das Hauptproblem, sondern das Leistenkrallen davor. |
SL 5, 30m, 6b: Steile, sprich betont senkrechte bis leicht überhängende Kletterei an grossen, beständig etwas abschüssigen Griffen. Auch wenn man immer wieder darauf hofft, richtige Henkel gibt es hier keine, so dass durchaus etwas Ausdauer gefordert ist. Eine unangenehme Stelle wartet gleich zu Beginn, wo der hoch steckende erste BH angeklettert werden will, und auch zum Schluss ist es etwas trickreicher als sonst.
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Griffig, wenn auch etwas abschüssig und leicht überhängend: SL 5, 6b. |
SL 6, 20m, 5c+: Erst gemütliche Wandkletterei an Leisten, dann zwischen zwei Rippen hindurch, die etwas brüchig aussehen, aber gut solide sind. Zum Stand hin dann wieder der typische Klausen-Superfels, grau, griffig und mit hervorragender Reibung. Insgesamt ein gemütliches Intermezzo, deutlich die einfachste SL der Tour.
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Auch diese SL ist gut und lohnend: SL 6, 5c+. |
SL 7, 40m, 6b+: Querschlitz-Parade im Wenden-Style, eine geniale Seillänge, sicher die schönste der ganzen Tour. Am kniffligsten ist der erste Teil, wo die Absicherung wiederum klettergartenmässig ist. Gegen den Stand (mit Wandbuch) hin wird es dann bei weiteren Abständen etwas einfacher, die Kletterei am Schluss eher wieder auflegerig und auf Reibung.
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Das Foto wird dieser Länge nicht ganz gerecht, aber die Querschlitze sind nicht einfach zu fotografieren: SL 7, 6b+ |
SL 8, 30m, 7a (?): Ein etwas unschöner Abschluss: die ersten Meter gehen noch gut, danach folgt steile Wandkletterei an unsicheren kleinen Schüpplein und Seitgriffen. Die Absicherung zwar eng was die Abstände betrifft, doch sehr schlechtes Material. Die Kronenbohrhaken sind hier sehr rostig und sie sind nicht genügend tief gebohrt, sprich stehen 10-15mm vor. Was die wohl halten? Weil ich wegen dem mässigen Fels und den Schwierigkeiten nicht den Eindruck habe, kontrolliert sturzfrei klettern zu können, beschliesse ich, die schlechten Haken nicht zu fest zu belasten und bewältige die schwerste Zone mit zweimaligem Griff zum BH. Es ist frei sicher möglich, aber nicht attraktiv. Ob es aber tatsächlich nur 7a wäre? Die Partie der ersten im Wandbuch als frei deklarierten Begehung schlug auf jeden Fall den Grad 7b+ vor. Nach der Crux geht es einfacher weiter, der Fels hält mehr, als es danach aussieht. Zuletzt dann, wie als Kompensation für die vielen Bolts davor, ein nicht zu entschärfender 10m-Runout an den Stand kurz vor der Kante.
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Die letzten 10 Meter zum Top ziemlich alpin und ohne Sicherungsmöglichkeit. Ausstieg aus SL 8, 7a (?). |
Um 16.40 Uhr sind wir beide am Top. Voll zufrieden, verlief doch die Begehung zügig, glatt und, bis auf den Wermutstropfen in der letzten SL, in einem sauberen Onsight. Wir steigen gar nicht mehr über die Kante hinaus, sondern queren direkt unterhalb die 10m zum Beginn der Abseilpiste. Diese ist einfach famos, steil, direkt und rassig. In 5 Manövern (25m, 40m, 40m, 50m!!!, 50m) erreicht man in nur gerade 20 Minuten wieder den Einstieg. Während die letzten beiden Abseiler vor 2.5 Jahren nach dem Tüfelswerch mit den neuen Doppelseilen noch problemlos zu machen waren, müssen wir dieses Mal zechälä - die Seile sind noch exakt dieselben, nur sind sie im Laufe der Zeit anscheinend um 3-4m geschrumpft!
Am Einstieg machen wir noch eine gemütliche Pause und essen unsere Sandwiches. Der Himmel hat sich in der letzten Stunde rasch mit dichtem hohen Gewölk überzogen und ein kühler Wind ist aufgekommen. Es herbstelet richtig, wir machen uns an den Abstieg. Dieser geht bequemer im Gras neben der Bachrinne, 25 Minuten brauchen wir dafür, so dass wir um 18.00 Uhr der Familie und dem Zuhause entgegen fahren.
Facts
Hinter Glatten - Einbahnstrasse 7a (6b obl.) - 8 SL, 255m - Jörg Zemp 1986 - ***, (xxxx)
Material: 14 Express, evtl. Camalots 0.3-0.5, 2x50m-Seile
Sehr schöne, steile und abwechslungsreiche Wandkletterei im typischen, meist sehr guten, griffigen Fels mit hervorragender Reibung. Für alle Felswände um den Klausenpass charakteristisch sind aber auch einige kurze, etwas brüchige/splittrige Stellen. Diese sind in der Einbahnstrasse beinahe vernachlässigbar und stören nicht, ausser in der letzten SL, wo sich die klettertechnische Crux leider gerade in einer solchen Zone abspielt und der Route den vierten Schönheitsstern kostet. Die Absicherung ist von den Abständen her an den schweren Stellen klettergartenmässig und auch an den einfacheren vernünftig, d.h. auf Niveau xxxx. Weil das Hakenmaterial aber definitiv in der Alteisensammlung oder im Museum passender versorgt wäre, steht das ganze in Klammern. Zu erwähnen ist auch, dass der weiteste Abstand gleich mehrmals zwischen Stand und erstem BH zu finden ist.
Wissenswertes
Wie dem Wandbuch zu entnehmen ist, wurde die Route am 14./20./22./27./30.9. von Jörg Zemp aus Zürich eingerichtet. Die Frage nach dem wie wird dort nicht beantwortet. Alles von unten oder zumindest teilweise von oben? Ich weiss es nicht, auf jeden Fall wäre es eine super Leistung, die annähernd 100 handgebohrten Haken in 5 Tagen solo von unten kommend anzubringen.
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Information aus dem Wandbuch. Von meiner Seite herzlichen Dank den Erschliessern! |
Ebenfalls im Wandbuch steht, dass der Routenname entstanden sei, weil ein Abseilen über die Tour nicht möglich sei. Dies ist aber zu relativieren, vom zweiten und dritten Stand ist ein Rückzug sicher mühsam, aber kaum unmöglich. Weiter oben ist es dann sowieso problemlos, ab Höhe des dritten Standes kommt man dann auch bequem über die benachbarte Nirvana runter.
Wir haben uns 26 Jahre nach der Erstbegehung auf der Seite eingetragen, die mit 95. Begehung angeschrieben ist. Weil aber meist nur jede zweite Seite beschrieben wurde, dürfte die Route bis dato rund 60 Begehungen erfahren haben. Während die Frequenz in den 90er-Jahren noch recht hoch war, machten wir im 2012 den ersten Eintrag. Zu erwähnen ist auch, dass das Wandbuch beinahe voll und nicht mehr in sehr gutem Zustand ist.
Die erste im Wandbuch als Rotpunkt deklarierte Begehung ist im Jahr 2005 durch
Mike & Anna erfolgt. Ob die Route schon früher freigeklettert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Die beiden beschreiben die 4. SL als 7b und die 8. SL als 7b+. Woher die teilweise komplett falschen Angaben im Führer GLclimbs stammen, weiss ich auch nicht. Ich denke, dass SL 4 näher bei 7a als bei 7b ist. Die letzte SL ist meines Erachtens eher schwerer als die vierte, eine kompetente Einschätzung kann ich aber nicht machen.
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Die gemäss Wandbuch erste Rotpunktbegehung. |
Die Wand ist nach SSE ausgerichtet und steht schon bald nach Sonnenaufgang im wärmenden Licht. Im Oktober ist dies um ca. 8.00 Uhr der Fall. Unabhängig von der Jahreszeit verschwindet die Sonne um ca. 16.00 Uhr um die Ecke. Im Frühjahr, so lange auf dem Karrenfeld oberhalb der Wand noch Schnee liegt, bleibt die Wand länger nass.
Einen sehr guten
Bericht zur Tour findet man bei Chris Moser. Auch Wolfi's Seite enthält
einige Zeilen darüber, und stellt auch andere Touren in der Wand vor. Ein frei verfügbares
Topo gibt's bei Paolo und Sonja aus Lecco. Käuflich zu erwerbende Topos finden sich im
GLclimbs (bis auf die falschen Schwierigkeitsangaben passt dieses recht gut) und im vergriffenen Schweiz Extrem von 1994.